Narzissmus

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Narzissmus

iste egeo sum – der da bin ja ich!


Begriffserklärung

Der Begriff „Narzissmus“ stammt aus der Antike und zieht sich durch die Menschheitsgeschichte bis hin zur Gegenwart. Übersetzt bedeutet Narzissmus „voller Eigenliebe oder eigensüchtig sein“. Umfassend jedoch wird der Begriff oft mit Überheblichkeit, Selbstliebe und ausgeprägter Kränkbarkeit in Verbindung gebracht und ist so meist negativ besetzt. Zudem umfasst der Begriff Narzissmus eine ganze Phänomenologie und Psychodynamik bei verschiedenen Krankheitsbildern und findet auch in der Kriminologie seine Anwendung.

Historie

Narziss ist der aus der griechischen Mythologie stammende Sohn des Flussgottes Kephissos. Dieser schöne Jüngling verliebte sich in sein Spiegelbild und starb vor Verzweiflung als er merkte, dass das Bild welches er begehrte, sein eigenes war und die Liebe somit für ihn unerwidert und ohne Erfüllung bleiben musste. Die Psychoanalyse nutzte diese mythologische Weltfigur in der Diagnostik, um menschliche Seelenzustände zu beschreiben Der Terminus „Narzissmus“ in der klinischen Deskription, wurde von dem deutschen Psychiater und Kriminologen Paul Adolf Näcke erstmalig 1899 eingeführt. Er bezeichnete einen Narzissten als ein Individuum welches seinen eigenen Leib in ähnlicher Weise behandelt wie sonst den eines Sexualobjektes. In dieser sexualisierten Eigenliebe sieht Näcke den Narzissmuss in der Bedeutung der Perversion, welcher das gesamte Sexualleben der Person und somit die Ichbezogenheit hat. In dieser Anlehnung sprach Freud erstmals 1909 in einer Fußnote zu den „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ vom Narzissmus im Zusammenhang zu homosexuellen Männern. 1914 widmete er sich mit „ Zur Einführung des Narzissmus“ dem Thema einer Monographie (Mertens 1998: 135f). Das Interesse am Triebkonzeption ließ nach, sodass das Thema Narzissmus erst wieder in den 60er Jahren durch u.a. Joffe, Sandler, aber vor allem durch Kohut und Kernberg, aufgenommen wurde.

Narzissmus als Persönlichkeitsstörung (NPS)

Persönlichkeitsstörung

Bei den Persönlichkeitsstörungen fehlt anders als bei den Symptomstörungen ein charakteristisches Bild von umschriebenen Beschwerden. Diese führt zu einer Gesamtbeeinträchtigung des Menschen, seiner Funktionen insbesondere aber seinen sozialen Beziehungen. Diese kann bis zu einer gestörten sozialen „Funktionsfähigkeit“ führen ohne dass eine andere physische oder hirnorganische Erkrankung besteht oder bestanden hat. Meist entwickeln sich typische Profile. Die entsprechende Entwicklung ist schon in der Kindheit oder Jugendzeit wahrnehmbar und führt spätestens im Erwachsenenalter zum persönlichen Leiden. Hiervon werden die erwobenen Persönlichkeitsänderungen abgrenzt. Sie sind Folge von typischerweise in der zweiten Hälfte des Erwachsenenalters auftretenden hirnorganischen Erkrankungen, Verletzungen, sowie psychischen Belastungen oder auch lang anhaltenden psychiatrischen Störungen (Hoffmann 2004: 179f).

Narzissmus als Persönlichkeitsstörung

Die Psychologie und Psychiatrie versteht hier Personen, die ihr Defizit hinsichtlich des Einfühlungsvermögens in andere und die Überempfindlichkeit gegenüber Kritik von anderen durch ein sich selbst übersteigerndes äußeres Erscheinungsbild zu kompensieren versuchen. Die narzisstische Persönlichkeitsstörung kann in unterschiedlichem Ausmaß bestehen, die Übergänge zwischen den Typen sind fließend. Narzissmus kann in pathologischer Form aber auch in positiven Wesenszügen auftreten.

- Der gesunde Narzissmus Der Sozialpsychologe Hans - Werner Bierhoff beschreibt den positiven Narzissten als einen, der sich durch Kommunikationsstärke, Offenheit sowie durch starke Durchsetzungskraft und Leistungsbereitschaft auszeichnet. Laut Fiedler verfügt der Narzisst über eine gesunde Selbstwertschätzung, ist gut in der Lage, relativ konstante zwischenmenschliche Beziehungen auszubilden.

- Der pathologische Narzissmus Die negative Variante zeigt eine Störung der Beziehungsfähigkeit, die durch Selbstbezogenheit, eine hohe Empfindlichkeit gegenüber der Einschätzung durch andere und durch ein Mangel an Einfühlungsvermögen bestimmt ist.

Entwicklung der Narzissmusstheorien

Freud entwickelte 1931 die Charaktertypologie. Er sprach von einer Charakterstörung, wenn die Person ihre innerpsychische Regulation lebenslang in Richtung auf eines der drei psychische Instanzen (Ich, Es, Überich) vereinseitigt hat. Zum Beispiel in einer narzisstischen Charakterstruktur (Fiedler 2007: 48f) . Nach Freud galt die narzisstische Charakterstörung einer psychoanalytischen Therapie als unzugänglich, da sie oft früh im Leben fixiert ist und betroffene Patienten häufig auf Grund eines nicht bestehenden Leidensdruckes nicht in der Lage sind, eine therapeutische Übertragungsfähigkeit auszubilden. Nicht der von der NPS betroffene Patient leidet, sondern dessen Umfeld. Da scheinbar nicht therapierbar, war diese Persönlichkeitsstörung für Therapeuten nicht attraktiv.

Dieses änderte sich während der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts. Durch die Arbeiten von Heinz Hartmann kam es in der Psychotherapie zu einer Fokussierung der Forschung auf die sogenannte Selbst – und Objektrepräsentanz (Jäger 1992: 81). Der Begriff Selbstrepräsentanz beschreibt, wie zwischenmenschliche Beziehungen sich auf eine Person auswirken (Selbstwahrnehmung),der Begriff Objektrepräsentanz beschreibt, wie eine Person seine innere Welt in Bezug auf andere Personen erlebt (Selbstübertragung). Störungen der Objektbeziehung führen zu Persönlichkeitsstörung wie der NPS. Diese Theorien waren der Grundstein der Objekt-Beziehungstheorie Kernbergs (1975/76). Seiner Auffassung nach handelt es sich bei der NPS um eine Borderline Störung des normalen gesunden Narzissmus, der jedem Menschen eigen ist. Ursprung dieser typischerweise fluktuierenden Störung des Selbstwert- und Identitätsgefühls liegt in den ersten Lebensjahren in Form von traumatisierenden Interaktionserfahrungen. Folge ist nach Kernberg eine vereinseitigte Fähigkeit der persönlichen Bewältigung dieser Traumata durch eine Überidealisierung des eigenen Selbst. Kohut (1973) fasst narzisstische Zustände weiter und stellt sie auf eine dynamische Achse, die von seelischer Gesundheit über narzisstische Persönlichkeitsstörungen bis hin zu Psychosen reichen. Für Kohut geht es vor allem um die Beschreibung narzisstischer Phänomene in Übertragung und Gegenübertragung, sowie um therapeutische Haltungen. Der Narzisst ist an das Größenselbst und an das idealisierte Selbstobjekt gebunden. Damit ist seine realistische Anpassungsfähigkeit gestört. Ziel der Therapie ist die das Größenselbst zu beleben, um so das Auslösen von Wut und Depression durch Kränkung zu vermeiden.

Einheitliche Diagnostik

Auch wenn die Freudschen Narzissmus Hypothesen erheblich ausgebaut wurden , so sind diese Konzepte zum Teil mit terminologischen und inhaltlichen Widersprüchen behaftet, ein theoretische Konsens besteht nicht. Auf Grund dieser fehlenden Vereinheitlichung wurde 1980 von der American Psychiatric Association ein Diagnose Katalog (DSM) entwickelt und in ein psychiatrisches Klassifikationssystem übernommen und fortwährend verfeinert (DSM III – DSM IV TR ). Bis dahin lagen keinerlei Forschungsarbeiten vor.

Angelehnt an Kernberg müssen fünf von neun Hauptkriterien bestehen, um die Diagnose NPS zu stellen. Diese sind:

  • 1. Übertriebene grandiose Gefühle hinsichtlich der eigenen Wichtigkeit.
  • 2. starke Einnahme von Fantasien grenzenloser Macht und Schönheit sowie uferlosem Erfolg und Glanz
  • 3. Glaube an die eigene Einzigartigkeit und Glaube nur von besonderen Personen anerkannt zu werden
  • 4. Verlangen nach übermäßiger Bewunderung
  • 5. übertriebene Erwartung an bevorzugte Behandlung
  • 6. Ausbeuterische intermenschliche Beziehung
  • 7. Mangel an Empathie
  • 8. Neid auf andere und sich beneidet fühlen
  • 9. arrogante überhebliche Verhaltensweisen oder Handlungen (Fiedler 2007: 201).

Da dieses Modell nach der Lehrmeinung jedoch noch zu viele Kritikpunkte aufweist, wurde diese Typologie noch nicht in den ICD 10 eingearbeitet

Zusammenhang zwischen Narzissmus und Kriminalität

Nicht nur Kernberg oder Cord sehen einen engen Zusammenhang zwischen Kriminalität und Narzissmus, sondern der Begriff „krimineller Narzissmus“ wird mittlerweile in der Fachliteratur geführt. Indem Kriterien der DSM - IV Definition der narzisstischen Persönlichkeitsstörungen herangezogen werden, zeigt sich eine große Übereinstimmung mit den Kriminellen. - Ein übertriebenes Gefühl des eigenen Selbstwerts - Glaube an die eigenen „Einmaligkeit“ - Ansprüchlichkeit - ausbeuterisches Verhalten - Mangel an Empathie sind die hauptsächlichsten Merkmale (Kernberg 2006: 407).

Macht und Kontrolle auszuüben sowie andere zu beherrschen, ebenso die Demonstration der eigenen intellektuellen Genialität und Überlegenheit stehen bei dem sogenannten kriminellen Narzissten im Vordergrund. Durch die leichte Kränkbarkeit der narzisstischen Persönlichkeit, baut dieser sehr schnell eigene Feindbilder (Staat, Institutionen oder Personen) auf. Empfundene mangelnde Anerkennung reicht völlig aus. In dieser Weise verzerrt er ebenso auch sein Rechtsverständnis (Häfner, Ansgar ff. 2008: 28).

Auch wenn narzisstische Persönlichkeitsstörungen prädestiniert sind, den Nährboden für kriminelles Verhalten zu bilden, ist der positiv prädiktive Wert dieser Störung nur gering, das heißt, nicht jeder Patient mit NPS wird auch kriminell. Eine wissenschaftliche Analyse dieser Zusammenhänge ist aus folgenden Gründen schwierig. Vorraussetzung der Diagnostik ist ein einheitliches Testverfahren, welches jedoch nicht immer zum Einsatz kommt. Personen mit narzisstischen Zügen verdecken selten durch ihre Machtposition und ihr manipulatives Geschick ihre antisozialen Machenschaften ohne strafrechtsrelevant aufzufallen. Ebenso gelingt es ihnen nicht selten, im Falle einer Aufdeckung, den strafrechtlichen Verfolgungen zu entgehen.

Literatur

  • Fiedler, Peter: Persönlichkeitsstörung, 6. Auflage, Beltz Verlag, Weinheim-Basel, 2007, ISBN 978-3-621-27622-1
  • Häfner, Ansgar ff: Studie von Thomas Cleff, Lisa Luppold, Gabriele Naderer, Jürgen Volkert:Tätermotivation in der Wirtschaftskriminalität. Beiträge Nr. 128 der Hochschule Pforzheim, Ausgabe Dezember 2008
  • Hoffmann, Sven Olaf und Hochapfel, Gerd: Neurotische Störungen und Psychosomatische Medizin - Mit einer Einführung in Psychodiagnostik und Psychotherapie,7. Auflage, Schattauer Verlag, Stuttgart, 2004, ISBN 3-7945-2325-3
  • Jäger, Reinhold (Hrsg.) und Petermann, Franz (Hrsg.): Psychologische Diagnostik - Ein Lehrbuch, 2. Auflage, Beltz Psychologie, Verlag Union, Weinheim-Basel, 1992, ISBN 3-621-27128-7
  • Kriz, Jürgen: Grundkonzepte der Psychotherapie, 6. vollständige Auflage, Beltz Verlag, Weinheim, 2007, ISBN 978-3-621-27601-6
  • Mertens, Wolfgang: Psychoanalytische Grundbegriffe - Ein Kompendium, 2., überarbeitete Auflage, Beltz Psychologie Verlags Union, Weinheim, ISBN 3-621-27404-9
  • Renger, Almut-Barbara (Hrsg.): Narcissus - Ein Mythos von der Antike bis zum Cyberspace, Verlag J.B. Metzler, Stuttgart -Weimar, 2002, ISBN 3-476-01861
  • Stauss, Sebastian: Zwischen Narzissmus und Selbsthass. Das Bild des ästhetizistischen Künstlers im Theater derJahrhundertwende und der Zwischenkriegszeit, De Gruyter Verlag, Berlin, 2010, ISBN 978-3-11-023310-0
  • Wirth, Hans-Jürgen: Narzissmus und Macht. Zur Psychoanalyse seelischer Störungen in der Politik, Psychosozial – Verlag Gießen, 2002, ISBN 3-89806-044-6

Weblinks