Medienwirkungstheorien

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Medienwirkungstheorien beschreiben mögliche Wirkeffekte der medialen Darstellung auf die Rezipienten. Von besonderem kriminologischen Interesse ist der Einfluss der Mediendarstellung auf die Gewaltbereitschaft und die Kriminalitätsfurcht. Keine Medienwirkungstheorie kann generelle Gültigkeit für sich beanspruchen. Simplifizierende Theorien, die einfache Ursache-Wirkung-Zusammenhänge postulieren, gelten nach aktuellem Stand der Wissenschaft als überholt (siehe hier zur Kritik einer vereinfachenden Darstellung von Kausalzusammenhängen).

Überblick über verschiedene Medienwirkungstheorien

Katharsistheorie

(von Katharsis, gr. κάθαρσις „Reinigung“) Die Katharsistheorie geht (in Anlehnung an das Triebkonzept von Sigmund Freud) von einem dem Menschen eigenen Aggressionstrieb aus. Die Rezeption von Gewaltdarstellungen in Medien bewirkt einen Abbau von Spannungen, indem die Gewaltbereitschaft durch die mediale Darstellung kanalisiert wird. Durch die kathartische Wirkung des Medienkonsum kommt es zu Verminderung des Drangs aggressive Triebe auszuleben. Die Katharsistheorie (im Sinne der modernen Medienwirkungstheorien) geht auf Seymour Feshbach zurück, dem in den 1960er der experimentelle Nachweis der These gelang. [1] Heute gilt die Katharsistheorie jedoch als empirisch widerlegt [2]. Dennoch wird die Theorie auch heute noch regelmäßig herangezogen, v.a. um eine gewaltabbauende Wirkung von sog. "Killerspielen" zu belegen.

These der kognitiven Unterstützung

Die Theorie der kognitiven Unterstützung stellt eine Variante der Katharsistheorie dar. Nach der T.d.k.U. wird (vor allem bei Menschen mit niedriger Intelligenz und geringer Vorstellungskraft) die Phantasie durch die mediale Darstellung angeregt und so die Fähigkeit zur Kontrolle des eigenen Aggressionspotentials kognitiv unterstützt. Wissenschaftlich fundierte, empirische Befunde, die diese These stützen oder widerlegen würden, existieren bis dato nicht.

Inhibitionstheorie

(von Inhibition, lat. inhibere „unterbinden“, „anhalten“) Wie die Katharsistheorie geht auch die Inhibitionstheorie von einem allen Menschen innewohnenden Aggressionstrieb aus. Durch die Rezeption von Gewaltdarstellungen in Medien wird beim Rezipienten Angst erzeugt, der die Hemmung den Aggressionstrieb auszuleben verstärkt.

Stimulationsthese

Die Stimulationsthese geht auf Leonard Berkowitz zurück [3]. Nach der Stimulationstheorie können mediale Gewaltdarstellungen eine situations- und personenspezifische emotional erregende Wirkung haben, die wiederum die Aggressionsbereitschaft fördert. Damit steht die Stimulationstheorie im Widerspruch zur Katharsistheorie. Ein eindeutiger empirischer Nachweis für die Gültigkeit der Stimulationsthese konnte bislang nicht erbracht werden.

Habitualisierungsthese

Die Habitualisierungsthese geht davon aus, dass eine wiederkehrende und über eine langen Zeitraum hinweg stattfindende Rezeption von Gewaltdarstellungen abstumpfend wirkt. Beim Rezipienten setzt ein Gewöhnungseffekt ein, der eine verminderte Sensibilität gegenüber Gewalt zur Folge hat. Im Zuge des habituellen Wandels kann es zu einer Verminderung der Empathiefähigkeit und zu einer Akzeptanz von Gewalt als ein probates Mittel zur Konfliktlösung kommen. Empirische Befunde zur Gültigkeit der Habitualisierungsthese sind nicht eindeutig und z.T. widersprüchlich.

Kultivationsthese (auch: Kultivierungsthese)

Die Kultivationsthese geht auf den Medienwissenschaftler George Gerbner zurück. Gerbner geht davon aus, dass das Fernsehen (vor allem bei Vielsehern) als Sozialisationsinstanz wirkt. Rezipienten, die täglich mehrere Stunden vor dem Fernseher verbringen, verinnerlichen das im Fernsehen präsentierte Weltbild und "kultivieren" eine Weltsicht, die von der Realität abweichen kann. Da Gewaltdarstellungen und Darstellung von Kriminalität im Fernsehen überrepräsentiert sind, neigen Vielseher dazu, ihre soziale Umwelt als gewalttätiger einzuschätzen, als dies der Fall ist. Diese fehlerhafte Einschätzung geht einher mit einer - im Vergleich zu Fernsehzuschauern mit einem moderaten Fernsehkonsum -

  • erhöhten Furcht, Opfer einer Gewalttat zu werden und einer
  • gesteigerten Gewaltbereitschaft, um sich in der (vermeintlich) gewalttätigen Umwelt verteidigen zu können.

Auch diese These ist empirisch nicht eindeutig abgesichert. So lässt sich beispielsweise die Richtung der Kausalbeziehung zwischen der Dauer des Fernsehkonsums und (Kriminalitäts-)Furcht nicht eindeutig bestimmen.

Emotionalisierungstheorie

Die Emotionalisierungstheorie geht davon aus, dass eine wiederkehrende Konfrontation mit Gewaltdarstellungen eine übertriebene, durch die Realität nicht zu rechtfertigende Angst beim Rezipienten ausgelöst wird. Im Gegensatz zur Inhibitionstheorie geht die Emotionalisierungstheorie davon aus, dass diese Angst nicht eine Hemmung eigener Aggressionstriebe zur Folge hat, sondern situativ zu Gewaltausbrüchen führt, wenn sich der emotional verstörte Rezipient bedroht fühlt (Bedrohungsangst).

Suggestionsthese

Die Suggestionsthese beschreibt, dass mediale Darstellungen einen Einfluss auf das Verhalten empfänglicher Rezipienten haben können. Unter Suggestion ist hier jedoch keine reine Nachahmung des Rezipierten zu verstehen. Ein prominentes Beispiel für die Suggestionsthese ist der sog. Werther-Effekt, nach dem die mediale Darstellung von Suizidhandlungen Nachahmungstaten auslöst. Dieser monokausale Erklärungsansatz wird in der wissenschaftlichen Literatur nicht mehr vertreten; wenngleich es (bzgl. Suizidhandlungen) empirische Belege für einen Nachahmungseffekt gibt.

Theorie vom Lernen am Modell

Die Theorie vom Lernen am Modell geht davon aus, dass mit der Darstellung von Gewalt in Medien den (v.a. kindlichen oder jugendlichen) Rezipienten Handlungsmuster vorgeführt werden, die als erfolgversprechend Handlungsoptionen erlernt werden und so Vorbildcharakter erlangen. Nach der Lerntheorie ist Verhalten als Ergebnis einer Wechselwirkung von Umwelt- und Persönlichkeitsfaktoren anzusehen. Demnach besagt das "Erlernen" gewaltbetonter Handlungsoptionen nichts über tatsächliche Verhaltensweisen aus. In der Regel unterliegt ein gewalttätiges Handlungspotential sozialen und psychischen Regulativen (sozialen Normen, Angst vor Strafe, Scham, Angst, Schuld).

Theorie der Wirkungslosigkeit

Die Theorie der Wirkungslosigkeit geht davon aus, dass mediale Darstellungen keine positive oder negative Auswirkung auf die Rezipienten haben. Die Vertreter dieser Theorien führen zur Begründung an, dass Medien lediglich eine von vielen Sozialisationsinstanzen darstellen und zudem keine der Wirkungstheorien, die einen direkten Einfluss der Medien auf die Rezipienten postulieren, bislang empirisch eindeutig belegt werden konnte.

Zusammenfassung der Medienwirkungstheorien in Hinblick auf ihre gewaltfördernde oder aber -hemmende Wirkung

Übersicht Medienwirkungstheorien
gewaltfördernde Wirkung gewaltneutrale/ beidseitige Wirkung gewalthemmende Wirkung
Emotionalisierungstheorie Theorie der Wirkungslosigkeit Katharsishypothese
Stimulationsthese Habitualisierungsthese Inhibitionsthese
sozial-kognotive Lerntheorie Theorie der kognitiven Unterstützung
Kultivationshypothese

Medieneffekte

Die meisten der oben beschriebene Medienwirkungstheorien finden üblicherweise Anwendung bei der Erklärung des Zusammenhangs von Medienkonsum und gewalttätigem Verhalten gegen andere Personen oder Dinge. Neben diesem spezifischen Wirkungszusammenhang werden in der sozialwissenschaftlichen Literatur noch weitere Wirkungszusammenhänge erläutert. Einige der populärsten Medieneffekte sind:

  • die Moralpanik (Moralpanik)[4]: Das Konzept der Moral Panik geht auf den britischen Soziologen und Kriminologen Stanley Cohen zurück und beschreibt eine disproportionale, ablehnende soziale Reaktion auf eine Bedingung, Person oder Bevölkerungsgruppe, deren Auftreten als Bedrohung für soziale Normen und Werte empfunden wird. Die stereotypisierende, wiederkehrende mediale Berichterstattung führt zu einem öffentlich Ruf nach stärkerer sozialer Kontrolle.
  • der Werther-Effekt: Der Begriff des Werther-Effekt geht zurück auf den amerikanischen Sozialwissenschaftler Phillips (1974) [5]. Der Begriff beschreibt den Anstieg der Suizidrate in Folge einer intensiven Medienberichterstattung über den Selbstmord einer (zumeist prominenten) Person. Erstmalig beschrieben wurde das Phänomen unter dem Begriff des "Wertherfiebers" nach der Veröffentlichung von Goethes Briefroman "Die Leiden des jungen Werther". Zahllose (zumeist jugendliche, männliche) Leser ahmten den im Roman beschriebenen Selbstmord des Protagonisten nach.
  • der CSI-Effekt ist benannt nach der gleichnamigen amerikanischen Fernsehserie (im Deutschen: CSI - den Tätern auf der Spur) und beschreibt unrealistische, überzogene Erwartungshaltungen von juristischen Laien, Juroren aber auch Kriminellen an die Möglichkeiten forensischer und kriminalistischer Ermittlungsmethoden [6] Kim et al. (2009)[7] fanden in einer empirischen Studie keinen Beleg für einen signifikanten Einfluss der Medienkonsumgewohnheiten auf die Entscheidungen von amerikanischen Geschworenen. Empirisch belegt ist aber hingegen ein "CSI-Effekt" hinsichtlich der beruflichen Orientierung junger Menschen in Deutschland, die eine Ausbildung als Rechtsmediziner anstreben [8].
  • Oprah's Pick (Oprahs erste Wahl) beschreibt den sprunghaften Anstieg der Nachfrage nach Büchern, die die populäre amerikanische Talkmasterin Oprah Winfrey ihrem Fernsehpublikum empfohlen hat. [9]
  • der Kylie-Effekt: nachdem die australische Popsängerin Kylie Minogue sich 2005 öffentlich zu ihrer Brustkrebserkrankung bekannt hatte, stieg die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen um 40% an [10]

Kritik

Es ist weitgehend unbestritten, dass eine Korrelation zwischen dem Konsum gewalthaltiger Medien und gewalttätigem Verhalten besteht. Trotz mehrerer Tausend Studien zu dieser Fragestellung ist ein kausaler Zusammenhang bislang nicht belegt.

Als Beleg für einen Zusammenhang von der Zurschaustellung von Gewalt in den Medien und einem gewalttätigen Verhalten, wird angeführt, dass mit einer zunehmenden Verbreitung entsprechender Medieninhalte auch die Zahl jugendlicher Gewalttaten steigt. Hierbei werden vor allem immer wieder Amokläufe jugendlicher Täter als Beleg für diese These herangezogen.

Literatur

  1. Seymour Feshbach und R. D. Singer: Television and Aggression. An Experimental Field Study. Jossey-Bass, San Francisco 1971.
  2. Kunczik, Michael; Zipfel, Astrid (2002): Gewaltätig durch Medien? In: Aus Politik und Zeitgeschichte, H. B44, S. 30.
  3. Leonard Berkowitz (1969) Roots of Aggression, New York
  4. Stanley Cohen (1972/ 2002): Folk devils and moral panics: the creation of the Mods and Rockers. Rotledge.
  5. Phillips, David P. (1974): The Influence of Suggestion on Suicide: Substantive and Theoretical Implications of the Werther Effect. In: American Sociological Review 39, S. 340-354.
  6. N. J. Schweitzer and Michael J. SaksThe CSI Effect: Popular Fiction About Forensic Science Affects Public Expectations About Real Forensic Science. Jurimetrics, Spring 2007.
  7. Kim, Young S.; Barak, Gregg; Shelton, Donald E. (2009). "Examining the "CSI-effect" in the cases of circumstantial evidence and eyewitness testimony: Multivariate and path analyses". Journal of Criminal Justice 37 (5): 22.
  8. Keuneke S. ; Graß H. ; Ritz-Timme S. (2010). „CSI-Effekt“ in der deutschen Rechtsmedizin : Einflüsse des Fernsehens auf die berufliche Orientierung Jugendlicher. Rechtsmedizin, Vol. 20, No. 5, S. 400-406.
  9. Wilke, Jürgen; König Barbara (1997): Hilft das Fernsehen der Literatur? Auch eine Antwort auf die Preisfrage der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. In: Gutenberg-Jahrbuch 72, S. 254-282
  10. Michael Jäckel (2008): Medienwirkungen. Ein Studienbuch zur Einführung. 4., überarbeitete und erweiterte Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 17f.
  • Gerbner, George, Gross, Larry (1976): Living with Television: The violence profil. In: Journal of Communication. 26 (2), S. 173-199.
  • Kunczik, Michael / Zipfel, Astrid (2002): Gewalttätig durch Medien? In: Aus Politik und Zeitgeschichte (B 44/2002), S. 29-37. Online verfügbar unter: [1]

Weblinks