Kriminologie im Dritten Reich (II)

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Die Kriminologie im Dritten Reich umfasst den Zeitraum von 1933 bis 1945 im nationalsozialistischem Deutschland und Österreich. Sie ist gekennzeichnet durch die Entwicklung der stärkeren Fokussierung von kriminalbiologischen Tendenzen innerhalb der Wissenschaft, wobei die Ursachen von Kriminalität in der Veranlagung und „Rasse“ wesentlich waren. Geisteswissenschaftliche Tendenzen innerhalb der Wissenschaft, die Ursachen von Kriminalität im kulturellen Aspekt sowie der Persönlichkeit eines Menschen sahen, spielten eine untergeordnete Rolle. Kriminologische Vertreter der Zeit waren Juristen wie Hellmuth Mayer, Johannes Franz Wilhelm Sauer, Hans von Hentig, Edmund Mezger, Roland Freisler sowie Franz Exner und Psychiater wie Friedrich Stumpfl, Robert Ritter und Ernst Kretschmer.

Theoretische Annahmen

Theorien zur „Vererbung von Kriminalität“

Theorien darüber, dass Kriminalität vererbbar ist, war keine Erscheinung der Kriminologie des Nationalsozialismus, sondern lässt sich unter anderen auf Charles Darwin (1809-1882) und Cesare Lombroso (1835-1909) zurückführen. Diese Ausrichtung der Kriminologie rückte in der Zeit des Nationalsozialismus in den Vordergrund. Es gab keine einheitliche Ausrichtung der Wissenschaft (Dölling 1989: 196).

Edmund Mezger führte in „Kriminalpolitik auf kriminologischer Grundlage“ (1934) aus, dass der „psychopathische Verbrecher“ eine „krankhafte Veranlagung“ habe, die ihm „immer wieder zum Verbrechen treibt“ (Mezger 1934, zit. nach Dölling 1989: 200). Neben der Erforschung des „Schwerverbrechers“ benannte Mezger bei Rückfalltätern, dass diese „unverbesserlich“ seien. Durch dieses Attribut sah er bei Rückfalltätern eine Resozialisierung als ausgeschlossen an. Für Mezger stehen die „Interessen der Gemeinschaft“ im Vordergrund, nicht die des „Individuums“ (Mezger 1934, zit. nach Dölling 1989: 205). Die Begrifflichkeit „Psychopathie“ wurde u.a. auf den Psychiater Kurt Schneider zurückgeführt, der „psychopathischen Persönlichkeiten“ Eigenschaften, z. B. depressiv, stimmungslabil und willenlos, zuordnete (Frei 1991: 280). Für ihn waren Psychopathen „solche abnorme Persönlichkeiten, die an ihrer Abnormität leiden oder unter deren Abnormität die Gesellschaft leidet“ (Schneider 1928, zit. nach Dölling 1989: 200). Schneider wies 1933 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten darauf hin, nicht in einem ideologischen Zusammenhang zu verwenden, „eine abnorme Persönlichkeit ist für uns nicht eine solche, die einem je nach der Weltanschauung verschieden gesetzten Zweck widerspricht (…)“ (Schneider 1934, zit. nach Frei 1991: 281).

Franz Exner führte diese Ergebnisse in „Kriminalbiologie“ (1939) weiter, in dem er sie mit Aussagen Lombrosos verknüpfte. Für ihn gab es keinen „körperlichen Verbrechertypus“, er sprach aber von einer Häufung von „körperlichen Abnormalitäten und Entartungszeichen“ in bestimmten Schichten (Sebald 2008: 124-134). In der Absolutheit, wie Mezger die „krankhafte Veranlagung“ sah, ist dieses bei Exner nicht zu finden. Er benannte, dass es „ererbte Potenzen“ gibt, die nicht zwangsläufig zur „verbrecherischen Eigenschaft“ führen müssen (Sebald 2008: 109). Für Exner gab es zwei Pole – die Anlage und die Umwelt – die in einer Wechselbeziehung stehen (Sebald 2008: 108-113).

Theorien zur „Reinheit der Rasse“

Einhergehend mit der Annahme, dass Kriminalität vererbbar ist bzw. eine Veranlagung besteht, vertrat Edmund Mezger die Auffassung, dass es kriminelle Stämme gibt. Er sah das Strafrecht als Instrument an, um diese Stämme „auszurotten“, welches das Ziel hatte, den „Schutz der Volksgemeinschaft“ zu gewährleisten. Sowohl Mezger als auch Exner thematisierten „Gesellschaftsfeinde“, welche für sie Schwerverbrecher waren bzw. auch Gruppen von Schwerverbrechern (Dölling 1989: 208-209).

Die Annahme von „Gesellschaftsfeinden“ und „kriminellen Stämmen“ wurde u. a. von Robert Ritter in „Ein Menschenschlag. Erbärztliche und erbgeschichtliche Untersuchungen über die – durch 10 Geschlechterfolgen erforschten Nachkommen von ,Vagabunden, Jaunern und Räubern‘“ (1937) und Franz Exner in „Kriminalbiologie“ (1939) aufgegriffen. Hier wurde die Grundannahme auf „Sippen“ und verschiedene Völker, u. a. die „Zigeuner“, die „Neger“ und die Juden, übertragen. Die Forschung von Zusammenhängen von Kriminalität und Volkszugehörigkeit gab es in der Kriminologie bereits vor dem Nationalsozialismus, z. B. von Gustav Aschaffenburg in „Das Verbrechen und seine Bekämpfung“ (1903). Im Dritten Reich erfolgte jedoch eine Radikalisierung der Annahme (Dölling 1989: 209-211).

Robert Ritter hatte die Grundannahme, dass es „geborene Verbrecher“ gibt, deren Vorfahren „Vagabunden oder gar Gauner“ waren. Ritter konzentrierte sich in seiner Forschung während des Dritten Reiches auf die Erforschung von „Zigeunern“. Er arbeitete im Zeitraum von 1936-1945 in der „Rassenhygienischen und Bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt“, in welchem er zahlreiche Gutachten erstellte und Empfehlungen nach der „Klassifizierung des Zigeuners“ aussprach (Schmidt-Degenhard 2008: 194-195). Diese Grundhaltung ergab für Ritter 1941 die Einrichtung eines „Asozialen- und Verbrechersippenarchivs“. Von 1941-1944 leitete er das „Kriminalbiologische Institut der Sicherheitspolizei“, bei welchem er zur Aufgabe hatte, Jugendliche kriminalbiologisch einzuschätzen (Schmidt-Degenhard 2008: 200-209).

Insbesondere das Judentum wurde als kriminell, als „Rasse mit krimineller Disposition“, angesehen. Franz Exner hob vor allem das „Gewinnsuchtverbrechen“ hervor und bezog sich auf die „Grundzüge des jüdischen Wesens“ (Exner 1939, zit. nach Dölling 1989: 210-211). Der Jurist und Historiker Johann von Leers veröffentlichte von 1933-1944 verschiedene Publikationen, u. a. „Rassen, Völker und Volkstümer“ (1939) und „Die Verbrechernatur der Juden“ (1944), die von Dieter Dölling als „Instrument antijüdischer Hetze“ bezeichnet werden. Wie Exner sah von Leers die Ursache der Kriminalität im „Wesen des Volkes“. Für ihn waren die Juden die „Inkarnation des Urbösen auf dieser Erde“ (von Leers 1944; zit. nach Dölling 1989: 211).

Geisteswissenschaftliche Ausrichtung

Neben der kriminalbiologischen Ausrichtung der Kriminologie, die während des Nationalsozialismus im Vordergrund stand, orientierte sich diese auch geisteswissenschaftlich. Der Jurist und Kriminologe Hellmuth Mayer benannte in „Das Strafrecht des Deutschen Volkes“ (1936), dass der Mensch ein „Kulturwesen“ ist und Verbrecher die Eigenschaft der „Kulturunfähigkeit“ sowie einer „Unsicherheit“ in der „kulturellen Bindung“ besitzen. Zudem hob er die pädagogische und präventive Funktion des Strafrechts heraus (Dölling 1989: 213).

Auch der Jurist und Kriminologe Johannes Franz Wilhelm Sauer fokussierte die Kultur als Merkmal. In seiner „Kriminalsoziologie“ (1933) benannte er den Zusammenhang von Kultur und Kriminalität, für ihn sind Verbrecher Menschen von „grob kulturwidrigem (…) Charakter“. Für Sauer standen neben der Veranlagung auch der kulturellen Aspekt (Umwelt) im Vordergrund (Sauer 1933, zit. nach Dölling 1989: 214).

Auch bei Franz Exner und Edmund Mezger gab es geisteswissenschaftliche Tendenzen in ihren Theorien. Bei ihnen wurde nicht die Kultur, sondern die seelischen und persönlichen Begebenheiten als Ursachen benannt. Exner wies auf die Bedeutung der „verstehenden Psychologie“ hin und forderte das „Zurückverfolgen bis in die menschliche Psyche“ (Exner 1939, zit. nach Sebald 2008: 108). Dölling vermutet, dass diese Tendenzen bei Exner und Mezger sich nur auf Gelegenheitsverbrecher und „rechtstreue Volksgenossen“ bezieht (Dölling 1989: 214-215).

Kriminalbiologische Forschung

Auf Initiative von Adolf Lenz wurde 1927 in Wien die „Kriminalbiologische Gesellschaft“ gegründet. Das Ziel der Vereinigung war, „die verbrecherische Persönlichkeit in ihrem Wesen und Werden zu erfassen“ (Elster 1977: 265). Die Vereinigung war interdisziplinär ausgerichtet. Philosophische, juristische, psychiatrische und medizinische Methoden flossen in die „Persönlichkeitsanalyse“ ein (Elster 1977: 265).

Der Schwerpunkt des Interesses der „Kriminalbiologischen Gesellschaft“ lag in den ersten Jahrzehnten auf der Psychiatrie und der Konstitutionsbiologie, die u. a. von dem Psychiater Ernst Kretschmer vertreten wurde (Elster 1977: 265). In seiner Konstitutionslehre unterschied Kretschmer drei Grundtypen, die Leptosom, die Pykniker und die Athletiker. Seine Grundannahme war, dass vom Körperbau auf den Charakter geschlossen werden kann (Otto 2001: 7-10).

In Anlehnung an die „Kriminalbiologische Sammelstelle“, die 1924 in Straubing eingerichtet wurde und in welcher Fragebögen „zur erbbiologischen Untersuchung der Strafgefangenen“ erarbeitet wurden, verfügte der Reichsjustizminister Franz Gürtner am 30.11.1937 die Einrichtung des „Kriminalbiologischen Dienstes“ (Fischer 1993: 522). Dieser hatte zur Aufgabe, „eingehende kriminalbiologische Akten zu sichten, zu ordnen und für die Benutzung durch die berufenden Organe der Strafrechtspflege bereit zu halten sowie eine zusammenfassende Beurteilung der Prüflinge in konstitutionsbiologischer, erbbiologischer, kriminalbiologischer, soziologischer und prognostischer Beziehung zu liefern“ (Fischer 1993: 523). Die Ergebnisse wurden an die „Rassenhygienischen und Bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt“ und die zuständigen Gesundheitsämter weitergeleitet (Fischer 1993: 523).

In Johannes Langes „Verbrechen als Schicksal“ (1929) wurden Ergebnisse zu seinen Zwillingsuntersuchungen veröffentlicht. Er kam zu der Erkenntnis, dass „Menschen mit aktiven kriminellen Anlagen geboren werden“ (Lange 1929, zit. nach Dölling 1989: 199).

Friedrich Stumpfl führte Zwillings- und Sippenforschung durch und veröffentlichte in „Erbanlage und Verbrechen“ (1935) das Ergebnis, dass in „Sippen von Schwerverbrechern eine größere Belastung mit Kriminalität und eine stärkere Verbreitung von Psychopathie“ zu finden ist (Stumpfl 1935, zit. nach Dölling 1989: 199). Es bestand die Annahme, dass Schwerverbrecher Psychopathen sind. In seinem Buch „Rassenhygienische Verbrechensbekämpfung“ (1938) benannte er, dass Psychopathie ererbt wird bzw. „erbbiologisch zu verstehen“ ist (Dölling 1989: 201). Die Untersuchungen der damaligen Zeit konzentrierte sich auf die mit dem Schwerverbrecher, der generell als minderwertig angesehen wurde.

Franz Exner setzte sich mit den Zwillings-Untersuchungen von Lange und Stumpfl auseinander. Er kritisierte bei Lange die kleinen Stichproben und das Fehlen von „prägenden Umwelteinflüssen“, so dass er die Aussagefähigkeit der Untersuchungen als „problematisch“ ansah (Sebald 2008: 133). Aus Stumpfls Untersuchungen zog Exner das Ergebnis, dass wenn ein Zwilling „früh begonnen hat und hartnäckig darin verharrt“ kriminell zu sein, der andere Zwilling mit „nahezu 100%-iger Wahrscheinlichkeit“ auch straffällig wird (Exner 1939, zit. nach Sebald 2008: 133).

Politische Dimension

Forderungen aus den Theorien

Durch die Hervorhebung der kriminalbiologischen Ausrichtung wurde die Wissenschaft zu einer Legitimationsgrundlage für den Nationalsozialismus.

Aus seinen Theorien, der „Unverbesserlichkeit“ von Schwerverbrechern und einer „krankhaften Veranlagung“ des Verbrechers ergab sich für Edmund Mezger die Forderung der Sterilisation. Dieses ging ab 1933 im „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ ein (Munoz Conde 2007: 48-58). In Bezug auf seine Theorie zu den „kriminellen Stämmen“ ging die Forderung der „Ausrottung“ hervor. Er sah das Strafrecht als notwendiges Instrument an (Dölling 1989: 205). Die Annahme lag zugrunde, dass die Interessen der Gemeinschaft vor den Interessen eines Menschen standen.

Der Mediziner und Erbforscher Rainer Fetscher, dessen anfänglich positives Bild über den Nationalsozialismus nach der Machtergreifung sich deutlich verschlechterte, vertrat in mehreren Beiträgen zwischen 1926-1933, die Annahme, dass „Kriminelle sich überdurchschnittlich fortpflanzen und ihre Nachkommen zu einem großen Teil ebenfalls antisozial und delinquent seien“ (Fetscher 1927, zit. nach Simon 2001: 301). Das Mittel der Zwangssterilisation schloss er nicht aus.

Für Friedrich Stumpfl ergab sich die Forderung nach Punitivität bei Schwerverbrechern aus seinen kriminalbiologischen Forschungen, dazu zählten u. a. die Sicherheitsverwahrung und im Sinne der „Rassenhygiene“ das Eheverbot für „Minderwertige“. Die zweite Forderung wurde bereits während des Kaiserreiches und nach dem ersten Weltkrieg diskutiert, es existierten „Ehegesundheitszeugnisse“ und die „Gesellschaft für Rassenhygiene“ forderte 1922 „pflichtgemäße Untersuchungen aller Ehebewerber“ (Rickmann 2002: 25). Durch die Nürnberger Gesetze von 1935 wurde diese Forderung übertragen auf ganze Menschengruppen.

Johann von Leers benannte in „Die Verbrechernatur der Juden“ (1944) dass der „Staat und das Volk berechtigt ist, Erbkriminelle (…) aus ihrer Mitte auszutilgen (…)“ und „(…) sogar die Pflicht der Rechtsverfolgung hinter den Juden durch alle Länder hindurch, um sie zu vernichten und auszurotten“ (von Leers 1944, zit. Nach Dölling 1989: 211). Dölling versteht dieses als „Anleitung zur Endlösung“ (Dölling 1989: 211).

Rechtliche Grundlagen

Am 14.07.1933 wurde das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (künftig: GzVeN) erlassen. In diesem wurde festgelegt, dass die Sterilisation von Strafgefangenen als eine „kriminalpolitisch präventive Maßnahme“ anzusehen ist. Im Fokus standen dabei vor allem Gewohnheitsverbrecher und Schwerkriminelle. Das Gesetz bezog sich zudem auf „Fürsorgezöglinge, Personen, die aufgrund schwerer Defekte einen Mord begangen (…) und rückfällige Verbrecher, die sich schwerer Delikte schuldig gemacht hatten“ (Simon 2001: 225-226). Die Beschlüsse, welche Strafgefangenen sterilisiert wurden, fällten die durch das GzVeN neu eingerichteten Erbgesundheitsgerichte. In den Kriterien der „Richtlinien zur Beurteilung der Erbgesundheit“ wurde der Begriff „Gemeinschaftsfremder“ benutzt. Die Unfruchtbarmachung wurde in § 5 gerechtfertigt, wenn „zu erwarten ist, dass der Nachwuchs eines Gemeinschaftsfremden wiederum gemeinschaftsfremd sein wird“ (Rickmann 2002: 221).

Das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“ vom 24.11.1933 ergänzte das GzVeN dahingehend, dass es Voraussetzungen für Strafverschärfungen regelte und die Kastration als Sanktionsmittel bei bestimmten Sittlichkeitsdelikten legitimierte (Rickmann 2002: 128).

Im Sinne der „Rassenhygiene“ wurden „Das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ (Blutschutzgesetz) am 15.09.1935 und das „Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des Deutschen Volkes“ (Ehegesundheitsgesetz) am 18.10.1935 erlassen. Durch das Ehegesundheitsgesetz wurde u. a. die Einführung von Eheunbedenklichkeitszeugnissen legitimiert (Ramm 196: 173). Am 14.12.1937 wurde der „Grunderlass zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ erlassen, dieser baute sich auf die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Staat und Politik“ vom 28.02.1933 auf. In diesem wurde die planmäßige polizeiliche Überwachung und Vorbeugungshaft geregelt. Dieses bezog sich auf „Berufs- und Gewohnheitsverbrecher“, die durch ihr „asoziales Verhalten die Allgemeinheit gefährden“ (Rickmann 2002: 204). Der Grunderlass wurde somit die legitime Grundlage für die Vollstreckung der Vorbeugungshaft. Eine Form dieser Haft stellte die Aufnahme in Konzentrationslagern dar.

Durch das am 04.09.1941 erlassene „Gesetz zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuchs“ wurde für „gefährliche Gewohnheitsverbrecher und Sittlichkeitsverbrecher“ die Anwendung der Todesstrafe legitimiert (Rickmann 2002: 221-222). Der Jurist und Staatssekretär im Reichsministerium für Justiz Roland Freisler war an der Formulierung des Gesetzes beteiligt. Er trat für eine „Subjektivierung der Tatbestände“ ein, so dass die Einfügung „ausfüllungsbedürftige Tatbestandselemente mit sittlichem Wertungszwang“ in das Gesetz einging (Freisler 1936, zit. nach Kelker 2007: 96). Mit diesen Elementen meinte er „Gesinnungsmerkmale“ wie Böswilligkeit (Kelker 2007: 96). Freislers Formulierung von „Tätertypen“ fand ebenfalls im Gesetz Verwendung. Er unterschied den „Typus des Volksverleumders, Mörders, Hehlers, Diebes, Wucherers, Räubers, Zuhälters“ (Freisler 1936, zit. nach Kelker 2007: 97).

Das „Gesetz über die Behandlung Gemeinschaftsfremder“ trat am 30.01.1945 in Kraft. Der Begriff „gemeinschaftsfremd“ wurde in diesem Gesetz sehr weit definiert bzw. mehreren Personenkreisen zugeschrieben. In Bezug auf Kriminalität bezog er sich auf sogenannte „Neigungsverbrecher“, womit Menschen gemeint waren, die kleine Straftaten begingen, und den „Sittlichkeitsverbrechern“ (Munoz Conde 2007: 50). Der Begriff „Gemeinschaftsfremder“ wurde bereits 1933 im GzVeN verwendet. Das Gesetz legitimierte Sanktionen bzw. die Vollstreckung gegen Menschen und umfasste Maßnahmen von Haftstrafen, Sterilisation bis zur Todesstrafe (Schmidt-Degenhard 2008: 165).

Haltung zur Politik

In der Absolutheit, wie sie in der Gesetzgebung verankert wurde, äußerten sich Franz Exner und Edmund Mezger nicht. In der „Kriminalbiologie“ von Exner äußert dieser, dass es nur „ererbte Potenzen“ gäbe, die sich „möglicherweise zu verbrecherischen Eigenschaften entwickeln“ und dass es unbeweisbar ist, dass diese Potenzen „unbedingt zum Verbrechen führen müsse“ (Exner 1939, zit. nach Dölling 1989: 202).

Edmund Mezger distanzierte sich in „Mitteilungen der Kriminalbiologischen Gesellschaft 5“ (1937) deutlich von der Sterilisation Krimineller im GzVeN: „Asozialität, Kriminalität, auch schwere und wiederholte, sogenannter moralischer Schwachsinn, auch wenn er angeboren ist, wird allein nicht als genügender Grund zur Unfruchtbarmachung (…) angesehen werden“ (Mezger 1937, zit. nach Simon 2001: 305).

Der Kriminologe Hans von Hentig, der 1935 in die USA emigrierte, äußerte sich 1933-1934 in der „Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform“ mehrfach kritisch gegen die Radikalität der Nationalsozialisten und gegen die Todesstrafe. In „Die Strafe“ (1932) distanzierte sich von Hentig von der Sterilisation aus „rassenhygienischen“ Gründen mit der Argumentation, dass man nicht wisse, „woran man einen sozial wertvollen Menschen erkennen könne“ (Hentig 1932, zit. nach Von Mayenburg 2006: 397). Die Methode der Sterilisation lehnte er aber nicht ab.

Dölling benennt, dass die kriminalbiologische Ausrichtung im Dritten Reich eine Fortsetzung theoretischer kriminologischer Aussagen der Vorzeit darstellten. Die theoretischen Aussagen der Kriminologen im Nationalsozialismus haben die Gesetzgebung zwar beeinflusst und wurden somit zu einer Legitimationsgrundlage, es gab aber keine wissenschaftliche Steuerung der Politik (Dölling 1989: 221-225).

Literatur

  • Dölling, Dieter (1989) Kriminologie im „Dritten Reich“. In: Ralf Dreier und Wolfgang Sellert (Hrsg.), Recht und Justiz im „Dritten Reich“. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 194-225 ISBN 3-518-28361-8
  • Elster, Alexander u.a. (1977) Handwörterbuch der Kriminologie. Berlin: Walter de Gruyter & Co.
  • Exner, Franz (1939) Kriminalbiologie in ihren Grundzügen, 1. Auflage. Hamburg: Hanseat. Verlags-Anstalt
  • Fetscher, Rainer (1927) Kriminalität und Vererbung. In: Zeitschrift für Volksaufartung und Erbkunde 2. Berlin: Bund für Volksaufartung
  • Fischer, Wolfram (1993) Exodus von Wissenschaften aus Berlin. In: Wolfram Fischer (Hrsg.), Forschungsbericht 7. Berlin: Walter de Gruyter & Co. ISBN-10: 3110139456
  • Frei, Norbert (1991) Medizin und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit. In: Schriftreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte : Sondernummer. München: Oldenbourg, S. 280-283 ISBN-10: 348664534X
  • Freisler, Roland (1936) Das neue Strafrecht, 2. Auflage. Berlin: v. Decker
  • Kelker, Brigitte (2007) Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen im Strafrecht. In: Juristische Abhandlungen, B. 49. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann GmbH, S. 96-97 ISBN 978-3-465-03512-1
  • Lange, Johannes (1929) Verbrechen als Schicksal. Leipzig: G. Thieme
  • Mezger, Edmund (1934) Kriminalpolitik auf kriminologischer Grundlage, 1. Auflage. Stuttgart: Enke
  • Mezger, Edmund (1937) Inwieweit werden durch Sterilisationsmaßnahmen Asoziale erfasst. In: Mitteilungen der Kriminalbiologischen Gesellschaft 5. Graz: U. Moser, S. 81-97
  • Munoz Conde, Francisco (2007) Edmund Mezger – Beiträge zu einem Juristenleben. In: Juristische Zeitgeschichte, B. 10. Berlin: BWV ISBN-10: 3830514034
  • Otto, Katja (2001) Konstitutionstypologische Auffassungen von Persönlichkeit. Norderstedt: Grin Verlag, S. 6-11 ISBN 3-638-66123-7
  • Ramm, Thilo (1996) Familienrecht: Verfassung, Geschichte, Reform; ausgewählte Aufsätze. Tübingen: Mohr, S. 173 ISBN 3-16-146547-4
  • Rickmann, Anahid S. (2002) „Rassenpflege im völkischen Staat“: Vom Verhältnis der Rassenhygiene zur nationalsozialistischen Politik. Bonn
  • Sauer, Johannes Franz Wilhelm (1933) Kriminalsoziologie. Zugleich eine systematische Einführung in die Weiterentwicklung und in die Hilfswissenschaften des Strafrechts, B. 1. Berlin: Verlag für Staatswissenschaften und Geschichte
  • Schmidt-Degenhard, Tobias Joachim (2008) Robert Ritter (1901-1951). Zu Leben und Werk des NS-„Zigeunerforschers“. Tübingen
  • Schneider, Kurt (1928) Die psychopathischen Persönlichkeiten, 2. Auflage. Wien: F. Deuticke
  • Schneider, Kurt (1934) Psychiatrische Vorlesungen für Ärzte. Leipzig: G. Thieme
  • Sebald, Andrea Elisabeth (2008) Der Kriminalbiologe Franz Exner (1881-1947) – Gratwanderung eines Wissenschaftlers durch die Zeit des Nationalsozialismus. In: Rechtshistorische Reihe 380. Frankfurt am Main: Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften ISBN-10: 3631579756
  • Simon, Jürgen (2001) Kriminalbiologie und Zwangssterilisation – Eugenischer Rassismus 1920-1945. In: Internationale Hochschulschriften, B. 372. Münster: Waxmann, S. 208-308 ISBN 3-8309-1063-0
  • Stumpfl, Friedrich (1935) Erbanlage und Verbrechen. Berlin: Springer
  • Von Hentig, Hans (1932) Die Strafe. Stuttgart; Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt, S. 223
  • Von Leers, Johann (1944) Die Verbrechernatur des Juden. Berlin: Hochmuth
  • Von Mayenburg, David (2006) Kriminologie und Strafrecht zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus – Hans von Hentig (1887-1974). In: Martin Avenarius u.a. (Hrsg.), Rheinische Schriften zur Rechtsgeschichte. Bonn: Nomos ISBN 3-8329-1883-3

Weblinks

Blutschutzgesetz vom 15.09.1935

Ehegesundheitsgesetz vom 18.10.1935

Rickmann, Anahid S. (2002) Rassenpflege im völkischen Staat

Schmidt-Degenhard, Tobias Joachim (2008) Robert Ritter