Gefährlichkeit von Straftätern

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Grundlegende Bedeutung in der Kriminologie hat der Begriff Gefährlichkeit. Die Diskussion im öffentlichen und politischen Raum um die Gefährlichkeit von Straftätern und deren Umgang hat an Aktualität nichts verloren. Die Regelungen zur Sicherungsverwahrung im Strafgesetzbuch sind 2011 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden, was kontroverse Debatten in der Öffentlichkeit ausgelöst hat, da als gefährlich geltende Straftäter in Folge dessen aus der Haft entlassen werden mussten. In dem Dorf Insel in Sachsen-Anhalt versuchten 2011 und 2012 Bewohner mit Demonstrationen, an denen sich auch der Bürgermeister beteiligte, zwei aus der Sicherungsverwahrung entlassene Männer zu vertreiben, weil sie diese als gefährlich erachteten. Was aber ist Gefährlichkeit, welche Straftäter werden als gefährlich eingestuft, von wem und nach welchen Kriterien?

Was ist Gefährlichkeit

Eine abschließende und eindeutige Definition des Begriffs sucht man vergebens. Die hier angeführten Aspekte der Definition sind ausschließlich im Kontext der Kriminologie ausgewählt.

Soziologische Gesichtspunkte der Definition

Gefährlichkeit ist eine Vorstellung, nicht eine Person (Harrison 2011, S. 7). Gefährlichkeit ist eine Kreation der Moderne, beginnend als sich Gefahr und Gefahrenmanagement formten (ebd.). Jede Definition, was gefährlich ist, gehört in einen sozialen Kontext. Verständnis von Gefährlichkeit wird beeinflusst von Medien, Regierung, Gesellschaft, Interessengruppen (ebd., S. 12). Risiko ist ein Sache von Faktoren, Gefahr eine Sache von Meinungen (ebd., S. 11). Was genau als gefährlich bezeichnet wird, ist in ständiger Veränderung, beeinflusst von Ängsten der Gesellschaft und der Reaktion der Regierung auf solche Befürchtungen. Das Label der Gefährlichkeit, ist es einmal gesetzt, lässt sich schwerlich wieder entfernen.

Definition aus kriminologischer Sicht

Aus kriminologischer Sicht wird Gefährlichkeit als die Wahrscheinlichkeit definiert, dass ein Täter in Zukunft wieder schwere Straftaten begeht. Dies ist sehr ungenau und es ist weder definiert, was hohe Wahrscheinlichkeit bedeutet, noch ab wann eine Straftat in diesem Kontext als schwere Straftat gilt. Gleichwohl spricht es den Sachverhalt des Wiederholungs- oder Rückfalltäters an. Dies führt zur grundsätzlichen Schwierigkeit, Rückfälle überhaupt zu messen und als Maßstab zu nehmen.

Sachverständige im Auftrag einer kriminalprognostischen Begutachtung haben Gefährlichkeit so zu verstehen, dass damit eine relevant erhöhte individuelle Disposition zur Begehung erheblicher Straftaten gemeint ist (Jost 2012, S. 43). Vielfach wird die Gefährlichkeit eines Straftäters mit Gewalthandeln verbunden (ebd., S. 41). Gemeinhin ergibt sich die Gefährlichkeit aufgrund der Erwartung weiterer (Gewalt)delikte. Ein Gutachter trifft Aussagen darüber, worin die in der Tat zutage getretene Gefährlichkeit bestanden hat. Der Gutachter beschreibt, welche Persönlichkeitsmerkmale die Tat begründen und ob die in der Haft oder Unterbringung erfolgte Behandlung oder andere Effekte eine Änderung herbeigeführt haben (ebd., S. 42).

Der gefährliche Straftäter

Der gefährliche Straftäter ist weder ein medizinisch, noch wissenschaftlicher Begriff. Floud und Young argumentieren, dass unakzeptable Gefahr ein soziales Konstrukt ist und es sozial definiert wird, wer als gefährlich gilt (vgl. Harrison 2011). Menschen gelten als gefährlich, wenn sie einem selbst Schaden zufügen können (ebd., S.11). Die Vorstellung, uns selbst könnte etwas passieren, ist die größte Angst und beeinflusst, was das Individuum als Gefahr ansieht. Dies wiederum unterscheidet sich jedoch individuell. Wenn eine Person eine laute Gruppe von Jugendlichen als gefährlich einstuft, kann eine andere Person sie als harmlose Teenager definieren. Die Art, wie wir (vermeintliche) Täter definieren, sagt mehr über uns, als über den Täter (ebd.).

Wenn in den 1970iger Jahren vorwiegend die Gewalt- und Sexualstraftäter als gefährlich galten, so hat sich dies heute geändert (Harrison 2011, S.7f). Die traditionelle Vorstellung des gefährlichen Straftäters war der Kindesmissbräuchler, Vergewaltiger, Bankräuber, Serienkiller und der Gewaltverbrecher in häuslicher Umgebung (ebd.). Es weitet sich der Blick jedoch von denen, die eine Gefahr für Kinder und Frauen darstellen, hin zu einer breiteren Auswahl von Menschen, die als sozial unerwünscht gelten. Die Gefährlichkeit leitet sich jedoch nicht vom Ausmaß der Gefahr selbst ab. So kann ein Umweltverschmutzer mehr Schaden anrichten als der übelste Serienkiller. Es wird in der Verteilung von Strafe weniger nach diesen Kriterien der Gefährlichkeit gerichtet. Wohlweislich wird Strafe eher aufgrund belangloser Delikte angewendet, hinter denen machtlose Straftäter stehen.

Mit dem Begriff gefährlicher Straftäter und den damit verbundenen Vorstellungen, wird nach Aussagen einiger Autoren Politik gemacht. Die Zurückentwicklung vom gefährlichen Straftäter zur gefährlichen Klasse, nämlich der Unterschicht, könnte nach einigen Autoren wie Christie, an der Verfahrensweise des Staates liegen. Der Staat kann das Problem der Gefährdung durch Straftaten überbetonen, was steigende Gefangenenzahlen zur Folge hat und die soziale Ungleichheit verschlimmert sowie Haltungen legitimiert, die härtere Strafen fordern.

Historische Entwicklung des Begriffs

Der Begriff ist nicht neu. Die ersten Christen wurden als gefährlich angesehen. Im späten Mittelalter wurden tausende Frauen beschuldigt Hexen zu sein und galten damit als gefährlich. Im 16.Jhd. wurden Wandersleute, Vagabunden und Fremde als gefährlich betrachtet. Im 18. und 19.Jhd. waren Personen gefährlich, welche die herrschenden Machtverhältnisse nicht akzeptierten, zu nennen wären z. B. Karl Marx und Friedrich Engels. Auch in modernen Kontexten werden z.B. in China politische Aktivisten und Revolutionäre als gefährliche Straftäter angesehen (Harrison 2011, S.3ff).

Andere Vorstellungen von Gefährlichkeit waren im 19.Jhd. verbunden mit Armut (ebd.). Es beschreibt nicht den gefährlichen Straftäter an sich, sondern die gefährliche Schicht. Der Unterschicht wird ausreichend Rechtschaffenheit aufgrund fehlender ökonomischer Ressourcen abgesprochen. Mitte des 18.Jhd. änderte sich diese Auffassung. Armut schien nicht länger ausreichender Indikator für Gefährlichkeit. In der zweiten Hälfe des 19.Jhd. änderte sich der Blickwinkel von der gefährlichen Schicht hin zur Einzelperson, der gefährliche Straftäter war geboren. Der Fokus liegt nunmehr auf dem Wiederholungstäter, der das Eigentum anderer gefährdet. Die Begriffe Wiederholungs- und Rückfalltäter wurden zum Synonym für Gefährlichkeit. Die Gefahr nur für den Staat, wandelte sich zur Gefahr für jeden, der über Eigentum verfügte. Um 1890 wurden Gewalt und Sexualdelikte als weniger gefährlich wahrgenommen als Eigentumsdelikte. Und das, obwohl Delikte im privaten Bereich vorherrschend waren und Sexualdelikte anstiegen. Versicherungen zum Schutz des Eigentums waren jedoch nicht frei wählbar und so war Gestohlenes nicht selten unwiderruflich verloren.

Nicht vor 1880 wurden gefährliche Straftäter so definiert, wie wir es heute kennen (ebd.). Garafalo, ein italienischer Kriminologe, der mit Lombroso arbeitete, war der erste, der Straftäter in Gruppen einteilte, eine davon überschrieben mit einem italienischen Begriff für Gefährlichkeit. Gefährliche Straftäter waren dabei Wiederholungstäter, deren Gefahr des Rückfalls auch für die Zukunft bestand. Der Blick der positivistischen Schule der Kriminologie war also nicht darauf gerichtet, was die Täter getan haben, sondern welche Gefahr für die Gesellschaft in Zukunft von ihnen ausging. In der klassischen Rechtslehre ist Strafe auf die Straftat ausgerichtet. Positivisten glauben die Strafe sollte an den Täter ausgerichtet und so gestaltet sein, dass die Gesellschaft vor weiterer Gefahr geschützt ist. Der positivistischen Lehre nach kann Gefahr durch Wissenschaft vorhergesagt werden. Der Täter sollte behandelt und möglichst geheilt werden und nur, wenn dies nicht möglich ist, sollte er eingesperrt werden. Dies waren die Anfänge, den Täter in den Mittelpunkt zu rücken, nicht die Tat. Es entstanden Interventionen, um die Gesellschaft vor gefährlichen Straftätern zu schützen. 1910 kategorisierte Prins zwei Typen von gefährlichen Menschen: der psychisch unzulängliche Täter und der Rückfalltäter (ebd., S. 7). Zu dieser Zeit war der gefährliche Straftäter gleichzeitig krank und böse.

In den 1930iger Jahren wurden Kinder mehr als vollständiges Familienmitglied geschätzt (ebd.). Kinder wurden aufgrund des Arbeitsprozesses zunehmend von Fremden betreut und dies ließ Gelegenheiten von Sexualdelikten ansteigen. Sexualdelinquente wurden als gefährlich angesehen und das Konzept der Gefährlichkeit wurde erstmals sexualisiert. In den 1970iger Jahren beschäftigte sich die Öffentlichkeit vorwiegend mit den Straftätern, die durch häusliche Gewalt und Missbrauchsdelikte auffielen. Im 20. Jhd. wurden diejenigen, die als geisteskrank angesehen wurden, auch als gefährlich erachtet.

Was also als gefährlich angesehen wird, änderte sich mit der Zeit und den gesellschaftlichen Umständen.

Rechtliche Verortung der Begrifflichkeit

Der Gesetzgeber spricht in verschiedenen Zusammenhängen die Gefährlichkeit von Delinquenten an, definiert den Begriff an sich jedoch nicht genau.

Die Aussetzung der Vollstreckung einer Strafe bzw. eines Strafrestes zur Bewährung, die Anordnung der Maßregel zur Besserung und Sicherung, Lockerungsentscheidungen im Strafvollzug, die Sanktionen im Jugendstrafrecht sowie die Unterbringung nach Landesrecht (wegen Gefahr für sich oder andere) sind nach dem Gesetz davon abhängig, ob die Person für die Allgemeinheit eine Gefahr darstellt.

Bestimmungen im Strafgesetzbuch

Die §§ 306 – 323c werden im Strafgesetzbuch mit gemeingefährlichen Straftaten überschrieben. Dazu zählen unter anderem Brandstiftung und gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr. Es könnte also abgeleitet werden, dass Täter entsprechender Straftaten, wie der Brandstifter, als gefährlich im Sinne des Strafgesetzbuches gelten.

Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB)

Voraussetzung der Strafaussetzung zur Bewährung ist eine günstige Kriminalprognose. Es muss nach dem Gesetzestext zu erwarten sein, dass der Verurteilte keine weiteren Straftaten mehr begeht. Dabei geht es nicht um die Gewissheit oder die sichere Gewähr, sondern um die fehlende Wahrscheinlichkeit, dass die Person weitere Straftaten begeht.

Aussetzung des Strafrestes (§ 57 ff. StGB)

Der Person wird nach Verbüßung eines Teils der Strafe Gelegenheit gegeben, sich in Freiheit zu bewähren. Die Grundlagen der Einschätzung der weiteren Gefährlichkeit des Straftäters entsprechen damit den oben beschriebenen der Strafaussetzung zur Bewährung. Bei der Entscheidung ist das Sicherheitsinteresse der Bevölkerung zu berücksichtigen (vgl. § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB). In der Entscheidung muss zwischen Interesse der Allgemeinheit und Interesse der verurteilten Person an Resozialisierung abgewogen werden. Für eine positive Prognoseentscheidung müssen die Vorteile der Strafaussetzung gegenüber der Gefahr überwiegen, dass die verurteilte Person weitere Straftaten begeht.

Maßnahmen der Besserung und Sicherung (§§ 61-72 StGB)

Im Gegensatz zur Freiheitsstrafe richten sich Maßnahmen der Besserung und Sicherung einzig nach der Gefährlichkeit des Straftäters für die Allgemeinheit (§ 62 StGB). Als Maßnahmen der Besserung und Sicherung wird zum Beispiel die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung bezeichnet.

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erfolgt, wenn aufgrund von Schuldunfähigkeit weitere Taten zu erwarten sind und der Täter daher für die Allgemeinheit eine Gefährdung darstellt (§ 63 StGB).

Das Gericht kann neben der Strafe gemäß § 66 StGB Sicherungsverwahrung anordnen. Die Gefährlichkeit muss durch eine Prognose festgestellt werden und sich zuvor durch eine besonders schwere Straftat geäußert haben.

Bestimmungen im Strafvollzugsgesetz

Ausführung, Ausgang, Außenbeschäftigung, Freigang (§ 11 StVollzG)

Nach dem Strafvollzugsgesetz dürfen Vollzugslockerungen nur dann gewährt werden, wenn nicht zu befürchten ist, dass sich der Gefangene dem Vollzug entzieht oder die Lockerung missbraucht. Hier können Gutachter zu Worte kommen, die Aussagen über die Gefährlichkeit eines Gefangenen machen. Dies kommt in der Praxis dann vor, wenn ein Gefangener schon viele Jahre in Haft verbracht hat und nun Lockerung von Rechts wegen geprüft werden muss.

Bestimmungen in der Strafprozessordnung

Sachverständigengutachten (§ 454 Abs. 2 StPO)

Um Aussagen über die ausgehende und fortbestehende Gefahr eines Straftäters treffen zu können, ziehen RichterInnen in manchen Fällen Sachverständige zu Rate. Die so genannten Gefährlichkeitsprognosegutachten werden meist bei Entscheidungen genutzt, die für den Angeklagten folgenschwer sein können (vgl. Schneider 2010).

Bei Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen Straftaten, die nach § 66 Abs. 3 S. 1 StGB ggf. auch Sicherungsverwahrung nach sich ziehen können (Verbrechen und bestimmte Sexualdelikte sowie Körperverletzungsdelikte), sieht der Gesetzgeber grundsätzlich die Einholung eines Sachverständigengutachtens vor, wenn über Strafaussetzung entschieden werden soll. Dies wird im § 454 Abs. 2 StPO geregelt. Von dem Gutachter wird erwartet, dass er dazu Stellung nimmt, ob die Gefährlichkeit des Täters, die durch die Tat zu Tage getreten ist, fortbesteht.

Besonderheiten im Jugendstrafrecht

Das Jugendstrafverfahren bemüht sich entsprechend § 43 Abs. 1 JGG immer um eine möglichst umfassende Erforschung der Täterpersönlichkeit. Dem Grundgedanken nach handelt es sich bei dem Jugendstrafrecht um ein Erziehungsstrafrecht.

Die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung (§§ 21ff JGG) und die Strafrestaussetzungen (§ 88 JGG) entsprechen größtenteils den Regelungen des Erwachsenenstrafrechts. Die Vorschriften stellen auf rechtschaffenden Lebenswandel ab, womit die Nichtbegehung erneuter Straftaten gemeint ist. Weiterhin ist das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit zu berücksichtigen (§ 88 Abs. 1 Satz1 JGG).

Empirie

Von Rückfallstudien werden Aussagen über die Gefährlichkeit von Straftätern abgeleitet. Zur Rückfälligkeit liegen zahlreiche deutsche und internationale Studien vor. Die Ergebnisse sind bei näherer Betrachtung heterogen. Eine der größten Metastudien, die zahlreiche Einzelstudien zusammenfasst und beleuchtet, ist die Untersuchung von Hanson und Morton-Bourgon (2004). Die Untersuchung geht auf 95 internationale Untersuchungen ein. Bei den insgesamt 31.216 untersuchten Sexualstraftätern lag die einschlägige Rückfallrate (Rückfall mit demselben Delikt) bei 13,7%. Das einschlägige Rückfallrisiko bei Sexualstraftätern ist weitaus geringer als dies in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Übereinstimmend konnten internationale Studien zeigen, dass das Risiko eines Rückfalles durch therapeutische Maßnahmen reduziert werden kann. So unterschiedlich die Ergebnisse der einzelnen Studien sind, so trifft ein Satz dennoch zu: die überwiegende Zahl der als gefährlich eingeschätzten Straftäter wird nicht wieder rückfällig.

Zu den aktuellsten Studien im Schwerpunkt gefährliche Straftäter zählen die Studien von Gunda Wößner. Sie untersuchte von 2007 bis 2013 Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Anstalten des Freistaates Sachsen. Die Psychologin analysiert Rückfallkriminalität hinsichtlich beeinflussender Faktoren. Eine Teilstudie dieses Forschungsprojekts befasst sich mit Lebensläufen von Sexualstraftätern nach ihrer Entlassung aus der Sozialtherapeutischen Anstalt. Dabei untersucht sie, inwieweit dynamische Faktoren (wie Wohnort oder häusliche Situation) Einfluss auf einen möglichen Rückfall des Straftäters haben.

Ein noch laufendes Forschungsprojekt wird von Volker Grundies geleitet. Er untersucht Sexualkriminalität in einer Längsschnittstudie. Es sollen Aussagen zu Inzidenz, Prävalenz und Rückfall von Sexualstraftätern getroffen werden. Es geht um die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit Sexualstraftaten aus Informationen zur Biografie vorhergesagt werden können.

Kriminologische Relevanz

Um in die Rechte einer Person eingreifen zu dürfen, werden Aussagen über die künftige Gefährlichkeit eines Menschen getroffen. Dabei stellt der Begriff Gefährlichkeitsprognose nicht auf die generelle Gefahr eines Menschen ab, die von einem Persönlichkeitsmerkmal geprägt wäre, sondern auf die von ihm ausgehende, konkrete Gefahr, kriminelle Taten zu begehen. Prognose ist kein strafrechtlicher Rechtsbegriff. Zentraler Begriff für die Prognose ist der Begriff Wahrscheinlichkeit, da auch im Gesetz auf die Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Straftaten abgestellt wird (u. a. § 66b StGB). Verbunden mit dem Wort Prognose ist auch der Begriff Rückfall.

Endres definiert es so: Die Prognose der Gefährlichkeit eines Menschen ist eine Aussage über die Gefahr, dass der Betroffene in Zukunft mit seinem Verhalten eine Gefahr für Andere darstellt (Jost 2012, S.42).

Für eine Gefährlichkeitsprognose sind verschiedene Faktoren relevant, wie z.B.:

  • Psychiatrische Diagnose,
  • Persönlichkeit des Probanden,
  • Biografie,
  • Strafrechtliche Vorgeschichte,
  • Tatumstände,
  • Verhalten vor, während und nach der Tat,
  • Verhalten in Haft,
  • Sozialer Empfangsraum sowie
  • Zukunftspläne der Person (Schneider 2010, S.270).

Fachlich wird davor gewarnt, mit Gefährlichkeit nur die Wahrscheinlichkeit gleichzusetzen, dass der Proband wieder straffällig wird. Die Prognoseinstrumente scheinen jedoch eingeschränkt. Im Falle der Aussagen über Gefährlichkeit von Sexualstraftätern beziehen die standardisierten Prognoseinstrumente (z. B. das Rapid Risk Assessment for Sex-Offender Recidivism) die positiven Entwicklungen z. B. durch Therapie nicht mit ein (vgl. Obergfell-Fuchs eingesehen am 31.01.2014).

Aus kriminologischer Sicht ist die Zuschreibung der Gefährlichkeit kritisch zu betrachten, da es impliziert, dass die Straffälligkeit von einer personalen Zuschreibung oder charakterologischen Besonderheit abzuleiten wäre (Elz, 2011, S. 87). Nicht alle meinen dasselbe, wenn sie von Gefährlichkeit eines Straftäters reden. Die einen leiten die Gefährlichkeit von Wiederholungen einer Straftat ab. Andere beziehen die Gefährlichkeit eines Täters auf dessen Straftat selbst. Damit könnte in Frage gestellt werden, ob ein wissenschaftlicher Austausch über die Gefährlichkeit eines Menschen fachlich ist oder ob andere Kriterien in eine solche Debatte eingebracht werden sollten. Grundsätzliche Kritik besteht, wenn durch prognostische Aussagen Einschränkungen von Menschenrechten gerechtfertigt werden. Der vollständige Ausschluss einer fortbestehenden Gefahr der Gefährlichkeit ist theoretisch und praktisch unmöglich.

Quellen

Elz, Jutta: Gefährliche Sexualstraftäter. Karriereverläufe und strafrechtliche Reaktionen. Wiesbaden 2011.

Harrison, Karen: Dangerousness, risk and the governance of serious sexual and violent offenders. London, New York 2011.

Jost, Klaus: Gefährliche Gewalttäter? Grundlagen und Praxis der Kriminalprognose. Stuttgart 2012.

Max-Plank-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht: Forschungsarbeiten der kriminologischen Abteilung. Schwerpunkt: Gefährliche Straftäter. In: http://www.mpicc.de/ww/de/pub/forschung/forschungsarbeit/kriminologie/zweiter_sp_.htm am 20.02.2014

Obergfell-Fuchs, Joachim: Gefährliche Straftäter aus kriminologischer und psychologischer Sicht. In: http://www.verband-bsw.de/bb-obergfell.pdf am 31.01.2014

Pollähne, Helmut: Kriminalprognostik. Untersuchungen im Spannungsfeld zwischen Sicherheitsrecht und Rechtssicherheit. Berlin, Boston 2011.

Schneider, Frank; Frister, Helmut & Olzen, Dirk: Begutachtung psychischer Störungen. Berlin, Heidelberg 2010.

Weiterführende Literatur

Baltzer, Ulrich: Die Sicherung des gefährlichen Gewalttäters – eine Herausforderung an den Gesetzgeber. Wiesbaden 2005.

Baltzer, Ulrich: Gefährliche Straftäter – eine Problemgruppe der Kriminalpolitik. In: DBH-Fachverband für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik (Hrsg.). Betreuung und Kontrolle von gefährlichen Straftätern. Prävention von Rückfällen. Norderstedt 2008, S. 35-49.

Baumeister, Peter: Sind Exhibitionisten gefährliche Straftäter? Daten zu vorausgehender und nachfolgender Delinquenz. In: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie. Berlin, Heidelberg 2009, S. 141-148.

Blocher, Detlev: Risikoeinschätzung bei Gewalt- und Sexualstraftaten. In: http://www.bewaehrungshilfe-bayern.de/archiv/landestagung06/workshop1risikoeinschaetzung.pdf am 10.02.2014

Böllinger, Lorenz: Gefährlichkeit als iatrogene Krankheit: Sicherungsverwahrung ohne Grenzen. In: Burkhardt, Sven-U.; Graebsch, Christine & Pollähme, Helmut (Hrsg.): Korrespondenzen in Sachen: Strafvollzug, Rechtskulturen, Kriminalpolitik, Menschenrechte. Münster 2009, S. 138-148.

Christie, Nils: Crime control as industry. New York 2000.

Christie, Nils: Wieviel Kriminalität braucht die Gesellschaft?. München 2005.

Dessecker, Axel: Gefährlichkeit und Verhältnismäßigkeit. Eine Untersuchung zum Maßregelrecht. Berlin 2004.

Eher, Reinhard: „Gefährliche Straftäter“: Eine Problemgruppe der Kriminalpolitik?. Wiesbaden 2005.

Endres, Johann: Gutachten zur Gefährlichkeit von Strafgefangenen: Probleme und aktuelle Streitfragen der Kriminalprognose. In: Praxis der Rechtspsychologie. Berlin 2002, S. 161-181.

Floud, Jean & Young, Warren: Dangerousness and criminal justice. London 1981.

Harrendorf, Stefan: Gefährliche Gewalttäter? Ergebnisse einer bundesweiten Rückfallstudie. In: Bewährungshilfe. Köln 2006, S. 308-338.

Heinz, Wolfgang: „Weil er gefährlich ist“ – die Handhabung der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung im Spiegel der Strafrechtspflegestatistiken. In: Neue Kriminalpolitik. Baden-Baden 2010, S. 131-142.

Kasecker, Kirstin: Die Überwachung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter: Ein Vergleich der Konzepte und Strategien der Bundesländer unter kriminologischen, rechts- und polizeiwissenschaftlichen Aspekten. Holzkirchen 2010.

Kinzig, Jörg: Umfassender Schutz vor dem gefährlichen Straftäter? Das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung. In: Neue Zeitschrift für Strafrecht. München 2004, S. 655-660.

Nedopil, Norbert: Risikoeinschätzung bei Sexualstraftätern. Von empirischen Erkenntnissen und praktischen Anwendungen. In: Bewährungshilfe. Köln 2001, S. 341-350.

Rehder, Ulrich: RRS Rückfallrisiko bei Sexualstraftätern: Verfahren zur Bestimmung von Rückfallgefahr und Behandlungsnotwendigkeit. Lingen/Ems 2001.

Rehn, Gerhard u. a. (Hrsg.): Behandlung „gefährlicher Straftäter“: Grundlagen, Konzepte, Ergebnisse. Herbolzheim 2001.

Weihrauch, Matthias: Der gefährliche Gewohnheitsverbrecher: Kriminologische Untersuchung an rückfälligen Vermögenstätern unter dem Gesichtspunkt der §§ 20a, 42e StGB. Zugleich ein Beitrag zur Bestimmung der Gefährlichkeit des Gewohnheitsverbrechers. Heidelberg 1968.

Weiterführende Links

Döring, Linn: Der Umgang mit gefährlichen Straftätern im europäischen Vergleich. In: http://www.freilaw.de/der-umgang-mit-gefahrlichen-straftatern-im-europaischen-vergleich-–-teil-1/664 am 10.02.2014

Hanson, R.Karl & Morton-Bourgon, Kelly: Predictors of Sexual Recidivism: An Updated Meta-Analysis. In: http://www.static99.org/pdfdocs/hansonandmortonbourgon2004.pdf am 02.02.2014.

Maier, Christian: Nicht zu uns! Wohin mit gefährlichen Straftäter. Dokumentation des ZDF. In: http://www.youtube.com/watch?v=KKPR8nuJYvE am 10.02.2014