Entkriminalisierung und Entrümpelung

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Nachdem der Bremer Strafverteidigertag 2017 auf die Reform des Strafprozesses und des Sanktionenwesens - insbesondere auf die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe und die Ersetzung der lebenslangen durch eine Höchststrafe von 15 Jahren - gedrungen hatte, geht es 2018 nicht zuletzt um eine "sinnvolle und effiziente Modernisierung des Strafrechts". Dazu will man sich auch der zeitgeschichtlichen Dimension versichern und fragt: Wann sind Forderungen zur Entkriminalisierung von wem und mit welchen Gründen erhoben worden und warum sind sie gescheitert? Welche Ideen sind es nach wie vor wert, umgesetzt zu werden? Die Devise Entkriminalisierung und Entrümpelung setzt einen Kontrapunkt zum populistisch-punitiven Aktionismus der jüngsten Phase der Rechtspolitik.

Neues Gerümpel. In der Ära Maas kam zu dem alten viel neues Gerümpel und tatsächlich bezieht sich der jüngst von Arthur Kreuzer (2017) unter dem Titel "Reformiert endlich das Strafrecht!" publizierte Aufruf schwerpunktmäßig auf die Notwendigkeit, zunächst einmal all das wieder wegzuschaffen, was sich seit dem Amtsantritt von Justizminister Heiko Maas (17.12.2013) angesammelt hat. Man denke an die:

  1. Einführung einer Strafvorschrift gegen das Eigendoping (§ 4 AntiDopG von 2015), einer Vorschrift, die weder geeignet noch erforderlich ist, um ihren Zweck zu erreichen. Geeignet und erforderlich wären nach Kreuzer (2017) Regeln für die Unterbindung und Sanktionierung durch Verbandsstrafen auf der Ebene der Fachverbände. Kriminalstrafen haben sich hingegen dort, wo es sie im Ausland schon gibt, als untauglich erwiesen (bislang keine einzige Verurteilung bekannt). Vor allem aber handelt es sich dabei um eine verfassungswidrige Strafbarstellung eines Verhaltens zum Schutz des Sportlers vor sich selbst. Nach Bott & Mitsch (2018) steht die Vorschrift "nicht nur in Widerspruch zu den sonstigen strafrechtlichen Grundsätzen und der Systematik des StGB. Es bleibt außerdem insbesondere fraglich, welcher positive Zweck zum Schutz der Gesundheit mit einer Strafandrohung gegenüber einem sich aus freien Stücken selbst an der Gesundheit Schädigenden erreicht werden könnte."
  2. erneute Erweiterung des § 184b StGB (Paragrafen ohne Gesetzesangabe sind im Folgenden solche des StGB). Nachdem die Vorschrift schon 2008 um Verbreiten, Erwerb und Besitz sog. Posing-Fotos erweitert worden war, ließ man 2015 das Erfordernis einer Darstellung sexueller Handlungen fallen, so dass auch schon Bilder schlafender Kinder oder die Abbildung eines Gesäßes für die Strafbarkeit von 3 Monaten bis zu 5 Jahren genügen. Vor allem wurde durch Absatz 4 der Versuch des Beschaffens solcher Bilder strafbar. Dabei reicht es, Pornolinks anzuklicken. Den Aufruf einer solchen Website rückgängig zu machen, befreit nicht von der Strafbarkeit. Kriminologen wie Kreuzer warnen: hier wird ein massenhaftes Verhalten auch von jungen Menschen kriminalisiert - mit der absehbaren Folge von Denunziationen unliebsamer Bekannter; da können auch viele Unschuldige in die Mühlen der Justiz geraten.
  3. Kriminalisierung der sogenannten Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a von 2015). Kriminologisch weder erforderlich noch angemessen. Ein ordnungsbehördliches Ausreiseverbot genügte. Was im Straftatbestand als Vorbereitung bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit allenfalls der "Versuch der Vorbereitung zur Vorbereitung einer staatsgefährdenden Handlung" - so der BGH, der trotz dieser Diagnose wohl aus Staatsraison lediglich den "Grenzbereich des verfassungsrechtlich Zulässigen" tangiert sehen wollte. Kreuzer: "Strafbar ist bereits, wer sich anschickt, in einen Staat auszureisen, um sich dort in irgendwelchen Fähigkeiten ausbilden zu lassen, die es ihm ermöglichen, später islamistische Aktionen zu unterstützen. Bucht er online ein Flugticket, besinnt sich dann und löscht die Buchung sogleich wieder, ist das nicht mehr strafbefreiend. Ohne dass hier eine wirkliche Straftat vorliegt, will man Tatgeschehen künstlich behaupten, um Strafverfolgung und Freiheitsentzug zu ermöglichen."
  4. Kriminalisierung der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 von 2015). Dieser am 10.12.2015 in Kraft getretene Straftatbestand ist überflüssig, weil sich der Zweck der Unterbindung problematischer Sterbehilfeorganisationen besser über das Vereins- und Gewerberecht erreichen lässt. So hingegen läutet man das Sterbeglöckchen für die Selbstbestimmung am Lebensende. Auch hier also die Wiederkehr moralisierenden Strafrechts. Die Unbestimmtheit des Gesetzes kann auch ethisch lobenswerte Sterbebegleitung völlig unnötig in ein Dilemma zwischen strafbarer Suizidbeihilfe und strafbarer unterlassener Hilfeleistung bringen. Ärzte und in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Hospizen Beschäftigte müssen mit Denunziationen enttäuschter Angehöriger und erniedrigenden polizeilichen Ermittlungen rechnen.
  5. von Tatjana Hörnle als "Rückfall in Strafrechtsmoralismus und Prüderie" gescholtene Gleichstellung des sexuellen Übergriffs gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person mit der Vergewaltigung im neuen § 177 von 2016 - einen Akt der Gesetzgebung, der erstens der von Monika Frommel betonten Devise widerspricht, dass nur klare Fälle von Zwang und Gewalt überhaupt ins Strafrecht gehören, Grenzfälle hingegen ins Zivilrecht oder ins Gewaltschutzgesetz (und dass Beziehungsdelikte ansonsten am besten von Familiengerichten geregelt werden), als auch zweitens zu der Befürchtung Anlass gibt, dass hier ein neues Massendelikt geschaffen wurde, das voraussehbar manche Betroffene, aber auch viele nicht Betroffene zu Anzeigen verleiten (Kreuzer) und noch für viele Frustrationen sorgen wird
  6. Verschlimmbesserung des § 244 StGB aus dem Jahr 2017 durch die Aufwertung des Einbruchs in Privatwohnungen vom Vergehen zum Verbrechen bei gleichzeitiger Streichung der Möglichkeit einer Strafmilderung in minder schweren Fällen - eine Gesetzesänderung, die erstens systemwidrig ist, weil sie im Widerspruch zu der Tatsache sthet, dass sogar der schwerere Tatbestand des bandenmäßigen Einbruchsdiebstahls einen minder schweren Fall kennt, zweitens auf falschen Vorstellungen über die typischen Erscheinungsformen dieses Delikts beruht und drittens entweder zu einer Welle justizieller Überpönalisierungen oder aber zu Umgehungsstrategien praeter legem und/oder oder zum Verfassungsgericht führen wird

Darüber hinaus mag ein Blick auf frühere Entkriminalisierungsforderungen nützlich sein. Offenbar gibt es Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, bei denen die Intervention des Strafrechts von vielen als nicht gerecht oder als nicht zweckmäßig empfunden wird. Umstritten ist der Verlauf der Grenze zwischen Erlaubt und Verboten bzw. Kriminell und Ordnungswidrig anscheinend vor allem in folgenden Bereichen:

Mobilität und Konsum

Unfallflucht (§ 142 StGB)

Das Gesetz: Das Unerlaubte Entfernen vom Unfallort wurde 1909 durch § 22 des Gesetzes über das Führen von Kraftfahrzeugen erstmals strafbar. Die Strafbarkeit wurde erweitert und die Strafdrohung auf drei Jahre Gefängnis erhöht, als Justizminister Freisler 1940 damit auch die Feigheit desjenigen ächten wollte, der vom Unfallort flieht. Freislers § 139a RStGB blieb dem StGB trotzdem unverändert als § 142 erhalten. Ziva Kubatta (2008) Zur Reformbedürftigkeit der Verkehrsunfallflucht (§ 142 StGB).

Empirie:

Kritik:

  • Verfassungswidrige Pflicht zur Selbstbelastung entgegen dem nemo tenetur (se ipse accusare) Grundsatz. Das Argument des BVerfG (1963), dass der Schutzzweck der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche Vorrang vor dem Grundrecht des Täters habe, konnte die Diskussion nicht beenden. Trotz Änderungen am 1.9.1969 und 1.1.1975 sowie 21.6.1975 wird bis heute die Verfassungsmäßigkeit angezweifelt (Verletzung des Bestimmtheitsgebots oder des Schuldprinzips), ganz abgesehen von der systemwidrigen Reichweite der tätigen Reue (1.4.1998). Im Abschnitt über Delikte gegen die öffentliche Ordnung falsch plaziert, da in Wirklichkeit dem Schutz privater Vermögensinteressen dienend.

Alternativen


Forderungen

, war jüngst Gegenstand von Diskussionen auf dem 56. Deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar, wo im Januar 2018 letztlich für "mehr Nachsicht bei minderschweren Fällen von Unfallflucht" plädiert wurde.

  • Der ADAC hatte gefordert, bei Bagatellschäden auf Strafverfolgung zu verzichten. Die bisherige Fassung des § 142 StB habe sich nicht bewährt. Unfallverursacher würden sich im Nachhinein aus Angst vor Strafe nicht melden und die Geschädigten so auf ihren Kosten sitzenbleiben. Der VGTZ forderte eine Präzisierung, wie lange Unfallverursacher am Unfallort warten müssen. Das nachträgliche Melden eines Unfalls müsse zudem verstärkt zu Straffreiheit führen.(FAZ v. 27.1.2018: 5: Mehr Nachsicht bei Unfallflucht gefordert.)
  • Jan Zopfs, Uni Mainz: Etwa eine halbe Million Verkehrsteilnehmer in Deutschland werden dadurch zu potenziellen Straftätern. Ihnen droht neben dem Verlust der Fahrerlaubnis eine Geld- oder gar eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Auch dann, wenn nur Bagatellschäden entstanden sind, niemand verletzt wurde und der Verursacher sich später meldet. Das sei nicht mehr zeitgemäß und müsse reformiert werden. - Dank der modernen Kommunikationsmöglichkeiten kann fast jeder heute irgendwo anrufen und eine Meldung hinterlassen oder sich mit seinem Smartphone in ein Online-Register eintragen. Man könnte etwa eine neutrale Meldestelle einrichten, für die es eine Signatur geben müsste, mit der man sich individuell zuordnen lassen kann - zum Beispiel über die Versicherungsnummer. Und über GPS ließe sich verifizieren, ob die Angaben stimmen. Die Lösung hätte aus juristischer Sicht den Vorteil, dass sich der Verursacher nicht direkt einer Strafverfolgung aussetzen müsste, aber der Geschädigte trotzdem seinen Schaden ersetzt bekommt. Die hohen Einstellungsquoten bei Gericht zeigen, dass diese Verfahren offenbar entweder gar nicht vor Gericht gehören. Jedenfalls sollte man den großen Graubereich verkleinern, indem man den Tatbestand reformiert und vereinfacht. Die aktuellen Normen sollen Anwälten, Richtern und Staatsanwälten vor Gericht zwar die nötige Flexibilität verschaffen, tun dies aber um den Preis der Betimmtheit - aber den Verkehrsteilnehmern ist damit nicht geholfen. Außerdem wäre es sinnvoll, eine in Europa einheitliche Norm für das Verhalten nach Unfällen zu finden. In anderen Ländern gibt es andere Regelungen. Eine klare Linie mit festen Wartezeiten und festen Meldemöglichkeiten würde es für alle Beteiligten vereinfachen sowie Polizei und Justiz entlasten. Zopfs: "Viele Leute sind nach einem Unfall psychisch überfordert. Sie entfernen sich aus einer Art Fluchtinstinkt heraus. Wir müssen Unfallverursachern eine reelle Chance geben, ihren Fehler zu korrigieren. Es geht also darum, beim Unfallfluchtparagrafen ein paar Dinge anzustoßen und geradezuziehen. Die Sache zu entkriminalisieren, zu vereinfachen und effektiver zu gestalten." - Wenn jemand verletzt wird: Dann muss ich als Unfallverursacher sowieso jemanden benachrichtigen, damit die Person gerettet wird. Sonst mache ich mich der Körperverletzung durch Unterlassen strafbar. Wenn die Person stirbt, kann auch eine Strafbarkeit wegen Totschlags durch Unterlassen in Betracht kommen. - In Österreich ist Fahrerflucht keine Straftat, sondern eine Verwaltungsübertretung. Der § 4 Abs 2, Abs 5 StVO besagt, dass bei einem Verkehrsunfall mit Personen– oder Sachschaden die mit einem Verkehrsunfall im ursächlichen Zusammenhang stehenden Personen die nächste Polizeidienststelle ohne unnötigen Aufschub zu verständigen haben. Unterbleibt dies, begeht eine solche Person gemäß § 99 Abs 2 lit a oder Abs 3 lit b iVm § 4 StVO Fahrerflucht. Eine solche Verständigung darf nur unterbleiben, wenn diese Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben. - In der Schweiz kommt Art. 92 SVG zur Anwendung: Pflichtwidriges Verhalten bei Unfall. (1) Wer bei einem Unfall die Pflichten verletzt, die ihm dieses Gesetz auferlegt, wird mit Busse bestraft. (2) Ergreift ein Fahrzeugführer, der bei einem Verkehrsunfall einen Menschen getötet oder verletzt hat, die Flucht, so wird er mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.

Antikritik:

  • Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) warnte vor einer zu starken Aufweichung.

Schwarzfahren (§ 265a StGB)

Kritik: Für heutige Modernisierer ist klar: das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag spricht für die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens. Einige Landesjustizminister sind schon auf der Seite der Reformer zu finden. Justizminister Peter Biesenbach (CDU) schlug 2017 vor, dass Schwarzfahrer künftig nicht mehr mit dem Strafrecht verfolgt werden sollten. Begründung: "Mehr als jede zehnte Verurteilung in NRW betrifft Schwarzfahrer. In Zeiten, indenen die Justiz ohne hin überlastet ist und das Personal fehlt, um echte Kriminelle zu verfolgen, sind das immense Ressourcen. In Berlin sind nach Angaben des Deutschen Richterbundes statistisch 20 Richter und Staatsanwälte ganzjährig nur mit der Verfolgung von Schwarzfahrern beschäftigt. Hinzu kommen die Kosten für die Vollstreckung: Mehr als 1200 Gefangene waren im Herbst allein in NRW wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe in Haft - der Großteil von ihnen wegen Schwarzfahrens. Der Aufwand, den die Durchführung von EFS kostet, steht völlig außer Verhältnis zu dem Schaden, den die Ersatzfreiheitsstrafler angerichtet haben. Kriminologen wie Bernhard Villmow schätzen, dass rund ein Drittel aller Aufnahme- und Entlassungsprozeduren in den Gefängnissen heute die Verwaltung von Ersatzfreiheitsstraflern zum Gegenstand hat. Abgesehen davon kostet den Steuerzahler jeder Tag, den ein Schuldner in Haft verbringt, rund 140 €. Und das alles, weil sich die Verkehrunternehmen die Kosten für Zugangskontrollen mit Schranken und entsprechendem Personal sparen wollen?" Biesenbach: "Frage, wie wir unsere Ressourcen bei der Strafverfolgung einsetzen". Denn die Ressourcen seien endlich. Und die Verkehrsbetriebe hätten jederzeit die Möglichkeit, ihre Zugangskontrollen zu verbessern. So konnte z.B. die Schwarzfahrerquote in HH durch die Pflicht der Fahrgäste, ihre Fahrkarten beim Busfahrer vorzuzeigen, von über 5 auf weniger als 4 Prozent verringert werden. - Grüner Justizminister Thüringen, Dieter Lausinger, in der DRiZ: ein Unding, dass Strafjustiz und Strafvollzug "den Preis für die Rationalisierung des öffentlichen Personenverkehrs zahlen müssen und zivilrechtliche Ansprüche der Verkehrsunternehmen mit den Mitteln des Strafrechts gesichert werden sollen. Hier überschreitet das Strafrecht seine Aufgabe, ultima ratio staatlichen Eingreifens zu sein!". - Tatsächlich ist es ein alter Streit unter Strafrechtlern und Kriminologen, wann es sinnvoll ist ,das Strafrecht als 'schärfstes Schwert der Rechtsordnung' herauszuzholen undwann etwas als OWi nur mit einem Bußgeld belegt werden sollte. Eine klare Grenze gibt es nicht. Der Gesetzgeber entscheidet, was er mit dem 'sozialethischen Tadel' des Strafrechts und den entsprechenden Sanktionen belegen will. Und der hat bisher entschieden, dass das Überfahren einer roten Ampel ledigliche eine OWi ist, das 'Erschleichen von Leistungen' aber, wie es in § 265a StGB heißt, eine Straftat. Wer mit dem Auto bei Rot über eine Ampel fährt, bekommt von der zuständigen Behörde ein Bußgeld auferlegt. Bei Straftaten wird hingegen die ganze Maschinerie des Strafprozesses angeworfen: die StA (oder Amtsanwaltschaft) startet ein Ermittlungsverfahren, prüft den Fall und bringt ihn möglicherweise zur Anklage.

Ersatzlos streichen und OWi:

Bei etwa 1:06:30 geht es um die Frage, an welcher Stelle der Richter das Strafgesetz ändern möchte. Buermeyer sieht den Reformbedarf u.a. beim Schwarzfahren (§ 265a StGB): Den Straftatbestand der Beförderungserschleichung würde er sofort abschaffen, weil er die Bestrafung des Schwarzfahrens für großen Unsinn hält. Aus seiner Sicht sei eine Sanktion als Ordnungswidrigkeit ausreichend und angemessen.

Ein Argument hat mich aufhorchen lassen; Ulf Buermeyer denkt und rechnet wirtschaftlich (bei etwa 1:09:30):

Wenn jemand wegen Schwarzfahrens zu einer Haftstrafe verurteilt wird, dann kostet das enorm viel Geld. Jeder Hafttag in den Berliner Gefängnissen kostet etwa 100 Euro. Bei 30 oder 60 Tagen Freiheitsstrafe (ich ergänze: oder Ersatzfreiheitsstrafe statt Geldstrafe) investiert das Land Berlin 3.000 bis 6.000 Euro, um diesen Menschen einzusperren.

Dafür könne man ihm viele Monate ein Sozialticket zahlen. Oder man könne mit den Kosten für die vielen tausend Hafttagen jährlich die BVG komplett kostenlos zur Verfügung stellen, wenn man auf die Inhaftierung verzichtete.

Dem möchte ich mich anschließen. Denn die Leute, die beim Schwarzfahren erwischt werden, haben in den weitaus überwiegenden Fällen keine höhere kriminelle Energie als ein Falschparker. Auch diesem Vergleich, den Ulf Buermeyer in dem Gespräch vorträgt, halte ich für überzeugend.

Antikritik: BayJuMi Winfried Bausback (CSU): Wiederholungen sind keine Bagatellen. BMJ: Kein Änderungsbedarf. Entkriminalisierung von Bagatelldelikten "im Hinblick auf die Wertbildungsfunktion des Strafrechts und den Schutz des Vermögens anderer nicht angezeigt".

08.02.2016 - Würde man die Strafbarkeit § 265 StGB abschaffen, dann könnte jeder ohne Geld beliebig Schwarzfahren, denn es drohen (außer Schulden) keine weiteren Konsequenzen, wegen Wegfall der Ersatzhaft. Sozusagen dauerhaftes Hartz4-Freiticket. Das kann es nicht sein. Wenn man das möchte, dann sollte ... Kommentar zu: https://www.kanzlei-hoenig.de/2016/ersatzlos-streichen-265a-stgb/

  • Empirie 1: Der mit dem Schwarzfahren verbundene Schaden in Form von Fahrgeldmindereinnahmen wird bundesweit mit 250 Millionen Euro beziffert. Ds sind allerdings keine echten entgangenen Einnahmen, da viele gar kein Geld haben. Im Hartz-IV-Regelsatz sind 18,41 Euro für Fahrkarten vorgesehen. Eine Monatskarte für drei Tarifzonen ohne zeitliche Beschränkung kostet einen Hilfeempfänger, der einen Zuschuss von monatlich 18,41 Euro erhält, immer noch 38,70, die er selbst aufbringen muss. In HH: jährlich 20 Mio. Schaden; S-Bahn-Bußgelder verhängt: 4 Mio., davon werden nur 2 Mio. bezahlt. Hamburg entstehen geschätzte 4,64 Millionen Euro Kosten durch die Inhaftierung von Schwarzfahrern. Zahlungsunfähige Schwarzfahrer sitzen im Schnitt zwei Monate Ersatzfreiheitsstrafe ab. Ein Hafttag kosten den Steuerzahler laut Justizbehörde 149 Euro. 519 Personen verbüßten 2009 wegen wiederholten Schwarzfahrens eine Ersatzfreiheitsstrafe. Aktuellere Zahlen liegen laut Justizbehörde nicht vor, seien nur sehr schwer zu ermitteln.
  • Empirie 2: Natürlich gibt es in Theorie und Praxis so viele Milderungsmöglichkeiten, dass nicht gleich Hunderttausende ins Gefängnis müssen. So ist das Schwarzfahren ein Antragsdelikt und die Verkehrsbetriebe stellen diesen Antrag nach eigenen Angaben nur bei Wiederholungstätern. Das sind freilich auch nicht wenige. Allein die vier Hamburger Verkehrsbetriebe (Hochbahn, S-Bahn, Pinneberger und Hamburg-Holsteiner Verkehrsbetriebe) stellen pro Jahr zwischen 10.000 und 18.000 Strafanträge wegen Erschleichung von Leistungen. Selbst wenn es dazu kommt, kann die StA immer noch eine Kriminalisierung verhindern. Beim ersten Verfahren belässt es der StA bei einer Verwarnung und stellt ein, dann gibt es die Einstellung gegen Auflage, dann kommt eine Geldstrafe von vielleicht 20 Tagessätzen, beim nächsten Mal 40 Tagessätze. Können die Geldstrafen nicht bezahlt wrden, kommt die EFS (1200 derzeit allein in NRW). Hat jemand kein Geld, kann er weder die Strafe bezahlen noch eine Fahrkate kaufen. Wer trotzdem auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist, landet schnell in einer Abwärtsspirale. Muss ein Schwarfahrer dann für mehrere Monate ins Gefängnis, sind am Ende auch Arbeitsplatz und Wohnung weg, falls er beides überhaupt noch hatte. "So wird aus einem Schwarzfahrer schnell ein 'echter' Krimineller", sagt Biesenbach. Am Ende sind nicht nur die Kosten für die Rechtsverfolgung immens, sondern auch die sozialen Folgekosten.
  • Theorie 1: Hohe Einstellungsquoten zeigen oft, dass Strafgesetze nicht bestimmt genug sind, vielfach auf nicht strafwürdige Bagatellen stoßen und deshalb von der Praxis notdürftig abgemildert werden. In solchen Fällen wäre es aus rechtsstaatlichen Gründen besser, eine materiellrechtliche Regelung zu finden, die den großen Graubereich entkriminalisiert und, wenn nötig, zur Ordnungswidrigkeit herabstuft.
  • Theorie 2: Die Befürworter einer Entkriminalisierung betrachten die Angelegenheit unter dem Gesichtspunkt materieller, bzw. instrumenteller Zweckmäßigkeit und kommen zu einem negativen Saldo: mehr Schaden als Nutzen. Die Gegner interessieren sich aber gar nicht für die Kosten und auch nicht für die soziale Abwärtsspirale durch personale Kriminalisierungen - und sie haben einen für sie einleuchtenden Grund, nämlich den offenbar exorbitant hohen ideologischen Nutzen einer expressiven Bestätigung wichtiger Werte. Der Schaden, den sie von der Entkriminalisierungs-Botschaft befürchten, ist in Geld gar nicht zu bemessen, weil er in der Untergrabung des Wertefundaments der gesamten Gesellschaft besteht. Ist das empirisch zu überprüfen? Nein. Lassen sich die Befürchtungen hieb- und stichfest widerlegen? Nein. Es stehen sich also eine kühle Kosten-Nutzen-Rationalität der Modernisierer und eine konservative Furcht vor Werte-Verlust gegenüber. Für letztere ist der Saldo auch trotz erheblicher Kriminalisierungs-Kosten immer noch positiv. Von "Gerümpel" würden sie bei diesen Paragraphen nicht sprechen wollen.

Die Konfliktlinie scheint zwischen konservativer Symbolischer Gesetzgebung und moderner instrumenteller Rationalität zu verlaufen. Aber so sicher ist das auch nicht. Auch fortschrittliche Kräfte sind für symbolische Gesetzgebung aufgeschlossen, wenn es ihren sozialen Status unterstreicht/demonstriert/aufwertet (atypische Moralunternehmer).

Urheberrechtsverletzungen (§§ 106 ff. UrhG)

Einschränkung auf gewerbsmäßige Verletzungen des Urheberrechts, Streichung von § 107 UrhG und Reform der übrigen Straftatbestände nach Gregor Albach (2015).

Ladendiebstahl (AE-GLD)

Aber mit der Kreuzerschen Liste muss es nicht sein Bewenden haben. Lange diskutiert, aber immer noch nicht realisiert ist zum Beispiel auch die Entkriminalisierung des Ladendiebstahls und die Regelung dieses Delikts über zivilrechtliche Mittel, etwa eine Form der aus den USA bekannten punitive damages. Insofern ist auf den AE-GLD (1974) und die späteren Vorschläge von Kohl und Scheerer (1989) sowie der hessischen und der niedersächsischen Kommissionen "Kriminalpolitik", bzw. "zur Reform des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts" mit ihren Vorschläge nzur Reform des Eigentums- und Vermögensstrafrechts zu verweisen (vgl. Albrecht u.a. 1992 und Albrecht 1996).

Cannabiskriminalität

Das Wort Entkriminalisierung wird wohl nirgendwo so häufig gebraucht wie im Zusammenhang mit dem Betäubungsmittelgesetz und dort insbesondere in Bezug auf Cannabis. Damit ist allerdings sehr Unterschiedliches gemeint: mal geht es um vermeintlich mildere Reaktionen des Staates im Sinne von Therapie statt Strafe, dann wieder um die Herabstufung von Vergehenstatbeständen zu Ordnungswidrigkeiten nach dem Modell Portugals und erst in letzter Zeit wieder verstärkt um eine legalisierende, regulierende Entkriminalisierung nach dem Vorbild Uruguays oder Kaliforniens und einer Handvoll weiterer Bundesstaaten in den USA.

Drogenrecht in Portugal Das portugiesische Drogengesetz von 2001 ist explizit als Gesetz zur Entkriminalisierung des Konsumbereichs von illegalen Drogen ausgewiesen. Es betrifft nicht nur Cannabis, sondern alle Drogen, und es stuft die Delikte der Konsumsphäre zu OWi herab, während es den Schmuggel und Handel weiterhin streng verfolgt und bestraft. Nach allgemeiner Einschätzung hat das Gesetz die Lage in Portugal deutlich verbessert. Glenn Greenwald sprach schon 2009 von einem "schlagenden Erfolg" dieser transformierenden Entkriminalisierung.

Cannabis in Uruguay Im Gegensatz zu Portugal hat sich Uruguay 2013 für den radikaleren Weg der legalisierenden Entkriminalisierung entschieden und hat diese Entscheidung trotz innerer und vor allem internationaler Widerstände auch beharrlich Schritt für Schritt implementiert. Inzwischen bauen ausgewählte Unternehmen mit staatlichen Lizenzen kommerziell Cannabis an, um die Apotheken zu beliefern, die behördlich registrierten erwachsenen Cannabis-Genießern monatlich bis zu 40g (abgepackt in 5-Gramm-Tüten à knapp 7 Dollar) verkaufen dürfen. Privatpersonen dürfen aber nicht-kommerziell bis zu sechs Cannabis-Pflanzen pro Kopf (bzw. von bis zu 99 Pflanzen für Marihuana-Clubs mit 15 bis 45 Mitgliedern) anbauen.

Cannabis in Kalifornien Seit Legalisierungsbefürworter 2016 eine Volksabstimmung für sich entscheiden konnten, ist Kalifornien einer von 8 Bundesstaaten (zusammen mit Alaska, Colorado, Maine, Massachusetts, Oregon, Washington und Nevada), in denen Cannabis legal ist, d.h. angebaut, verkauft, erworben, besessen und benutzt werden darf. Die Grenze für den Besitz liegt bei einer Unze, etwa 28 Gramm. Der private Anbau von bis zu 6 Pflanzen ist ebenfalls erlaubt. Wer mehr anbauen will und kommerziell anbauen oder verkaufen will, benötigt eine Lizenz, mit deren Ausgabe im Dezember 2017 begonnen wurde (rund zwei Wochen vor dem ursprünglich ins Auge gefassten Termin zu Jahresbeginn 2018 erteilte das Bureau of Cannabis Control bereits Mitte Dezember 2017 die ersten 20 befristeten cannabis business licenses. - Ähnlich verhält es sich seit 2018 mit Cannabis in Kalifornien. Dort darf jeder Bürger des Bundesstaates ab 21 Jahren bis zu 28,3 Gramm Cannabis (pro Monat) kaufen und bis zu sechs Pflanzen selbst anbauen. Konsum in der Öffentlichkeit sowie innerhalb von 1000 feet (300 m) von einer Schule ist ebenso verboten wie Autofahren unter dem Einfluss von Cannabis. Handel ist nur mit Lizenz des Bundesstaates und der Kommune erlaubt. Kommunen können sich auch ganz verweigern. Die Steuern sind mit 35% recht hoch. Pro Jahr wird in Kalifornien mit einem Cannabis-Steuer-Aufkommen von rund 1 Milliarde Dollar gerechnet. Insgesamt ist der kalifornische Marihuana-Markt alleine für die Jahre 2018-2021 laut der Firma Arcview geschätzte 40 Milliarden Dollar wert. - Trotz weiterbestehenden Prohibitionsgesetzes auf Bundesebene verfolgen aufgrund von Volksabstimmungen acht Bundesstaaten ihre eigene Regulationspolitik. Legalisierende Entkriminalisierungen fanden statt in Colorado, Washington, Oregon, Alaska, Maine, Massachusetts, Nevada und Kalifornien. In diesen acht Staaten gibt es sowohl "medical marihuana" (auf Rezept) als auch "recreational" marihuana "for adult use" ohne Rezept in dafür lizensierten Verkaufsstellen. - Regulation ist der Prohibition aber auch bei anderen Drogen überlegen. Die Beschränkung auf eine Cannabis-Reform darf insofern nicht das letzte Wort sein. Und die Beschränkung auf die Konsumsphäre natürlich sowieso nicht. Letztlich wäre mit Douglas Husak und Henner Hess an eine Angleichung der Drogenpolitik an die Zigarettenpolitik zu denken: Aufklärung über die Risiken, restriktive Gesetzgebung, aber Beibehaltung legalen Zugangs für diejenigen, die es unbedingt wollen.

Kritik: Kritik an der Cannabis-Prohibition, die nach dem BtMG übrigens, indem sie auch den Erwerb und Besitz des Substanz kriminalisiert, wesentlich weitreichender ist als es die amerikanische Alkoholprohibition jemals gewesen war, betrifft die Systemwidrigkeit eines strafrechtlichen Schutzes vor sich selbst, die Grenzenlosigkeit des vorgeblichen Rechtsguts der Volksgesundheit (wenn diese ein Rechtsgut wäre, dann wäre zu fragen, warum andere und vergleichbar gesundheitsgefährdende Aktivitäten und Gegenstände von der Frühstücksbutter bis zum Jägermeister nicht kriminalisiert sind) und die Verletzung der Freiheitsrechte erwachsener Bürger (Recht auf selbstbestimmte riskante Freizeitaktiväten, solange sie nicht die Rechte Dritter verletzen nach Artikel 1, 2 und 3 GG). Hinzu kommt, dass das Drogenverbot mit seiner extremen Vorverlagerung der Strafbarkeit und der mit der Distanz zur eigentlichen Verletzungshandlung nicht abnehmenden, sondern ansteigenden Pönalisierungsintensität alle Merkmale des Jakobschen Feindstrafrechts aufweist, mithin, wie Wolfgang Naucke konstatierte, "in rechtsstaatlichen Begriffen gar nicht mehr zu beschreibenden" ist.

  • 2014: Ruf nach schneller Entkriminalisierung: "Juristen, Suchtexperten und Mediziner sagen übereinstimmend, dass der Eigengebrauch von Cannabis nicht bestraft werden sollte. Bei einer Tagung in Frankfurt hatten Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten eine Entkriminalisierung des Konsums gefordert. So setzte sich die Initiative „Schildower Kreis“ für eine neue Drogenpolitik ein, da der Schwarzmarkt große Risiken berge. Auf der Internetseite des Netzwerkes läuft die „Prohibitionsuhr“, die unter anderem die Kosten der Drogenrepression zählt. Laut Heino Stöver von der FH Frankfurt konsumierten zwölf Prozent der Deutschen im vergangenen Jahr Cannabis aber nur drei Prozent davon seien Gewohnheitskiffer. Auch der Dauergebrauch sei auf niedrigem Niveau stabil und werde durch rechtliche Eingriffe kaum verändert. Ein Vertreter des Bundes Deutscher Kriminalbeamte berichtete, dass 145.000 der 250.000 Drogendelikte auf Cannabis entfielen aber die meisten dieser Verfahren aufgrund geringer Mengen aber eingestellt würden. Es entstünden unnötige Kosten, da Beamte für den Papierkorb arbeiteten. Unterdessen kündigte die Frankfurter Drogendezernentin Rosemarie Heilig ein Modellversuch in der Drogenpolitik an, nach welchem Prävention, Beratung und Therapie vor Repression gestellt werden soll.

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Antikritik: Gegner der Entkriminalisierung verweisen seit jeher auf die Gesundheitsrisiken des Konsums - vom "Killer Weed" (Harry Anslinger) bis zu "Kiffen tötet" (FAZ online 2.2.2018). In der Regel gehen sie auf die strafrechtstheoretischen und -dogmatischen Fragen, unter welchen Bedingungen ein selbstgefährdendes Verhalten strafwürdig und strafbedürftig ist, gar nicht ein.

  • Vorlageschluss des Landgerichts Lübeck vom 19.12.1991 (NJW 1992, 1571) und Cannabis-Beschluss des BVerfG vom 9. März 1994, demzufolge bei geringfügigen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz durch den Erwerb, Besitz usw. von geringen Mengen von Cannabis zum Eigenverbrauch nach Ermessen der Strafverfolgungsbehörden von einem Strafverfahren abgesehen werden kann. - Die Kritik an diesem Beschluss geht nicht nur auf die Frage ein, ob Cannabiskonsum eher durch eine Freigabe als durch eine generalpräventive Wirkung des Strafrechts vermindert werden kann, sondern auch darauf, ob es überhaupt Aufgabe des Strafrechts sein kann, den Konsum zurückzudrängen oder ob der Staat nicht auf andere Einflussmöglichkeiten beschränkt sei (Problem der Strafwürdigkeit des Verhaltens). Am 21.10. 2010 begann der Deutsche Hanf-Verband DHV die Unterschriftensammlung für eine Petition zur Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten. Eine Anhörung fand am 25. 01.2012 in Berlin statt.

Fazit: In der Wissenschaft wurde das BtMG wiederholt scharfsinniger Kritik unterzogen. Man hält insbesondere das Cannabis-Verbot für überflüssig und verfassungswidrig (Nestler 1998, 2017). Rechtstheoretisch und -philosophisch betrachtet (vgl. Husak 1992) gilt das für die allermeisten, wenn nicht alle gegenwärtig auf dem Schwarzmarkt befindlichen Drogen. Rechtspolitisch betrachtet wäre angesichts des Bewusstseinsstandes in der Bevölkerung nach Jahrzehnten staatlicher Anti-Drogen-Propaganda mit einer zweistufigen Entkriminalisierung - Legalisierung von Cannabis und Ordnungswidrigkeitenlösung für die übrigen Drogen - auf absehbare Zeit wohl schon die Grenze des Machbaren erreicht.

Die Thematik ist übrigens ernster als gemeinhin wahrgenommen, wenn man hierzulande dazu neigt, sie mit süffisanten Bemerkungen über Kiffer und Kokser zu garnieren. Die Drogenprohibition ist ein weltweites Phänomen und kostete in den letzten Jahrzehnten mehr Menschenleben als viele Kriege zusammengenommen. Die jährlichen Opferzahlen des Krieges gegen die Drogen einschließlich der Kämpfe zwischen Banden, Militär und Polizei etwa in Mexiko oder Brasilien gehen in die Hunderttausende. Dabei ist der eigentliche Skandal die Interesse- und Empathielosigkeit der Welt, vergleichbar der Interesse- und Empathielosigkeit von Medien und Öffentlichkeit in Bezug auf die Opfer der NSU-Morde zu der Zeit, als man noch glaubte, bei den Opfern handele es sich um Leute, die wahrscheinlich in dunkle Drogengeschäfte verwickelt gewesen wären.

Der heutigen Tendenz zur Ausweitung des Strafrechts durch eine Flut von abstrakten Gefährdungs-, von Organisations- und Unternehmens-Tatbeständen im weiten Vorfeld von Rechtsgutsverletzungen treten die Vertreter eines liberalen Kernstrafrechts mit der Forderung nach einem Rückbau entgegen. Die Grundlagen eines Kernstrafrechts hatte 1974 schon Arthur Kaufmann skizziert. Und Wolfgang Naucke gab wenig später die Meßlatte vor (1981: 94), die an Strafgesetzgebung anzulegen sei. Danach muss zunächst einmal die Strafwürdigkeit und die Strafbedürftigkeit des Verhaltens nachgewiesen werden. Es sind nachvollziehbare Überlegungen über die voraussichtliche Effektivität und Effizienz des Strafgesetzes anzustellen und darzulegen. Schließlich ist die Strafgesetzgebung zu beschränken "auf jene Taten, die, weil sie die vitalen Güter des einzelnen Menschen, seine Freiheit überhaupt, verletzen, mit Sicherheit strafwürdig sind. Die Gesetze sind klar und deutlich gefasst. Die Strafbarkeitsvoraussetzungen und die Strafen sind für jedermann verständlich. Die Grenzen der Strafbarkeit sind unmissverständlich bestimmt." Alles andere gehört - wenn es überhaupt verbotswürdig und -bedürftig ist - in andere Rechtsgebiete und Sanktionsformen, die in der Regel ebenso effizient sein können (oder effizienter) und zudem ohne sozialethischen Tadel und Freiheitsstrafe auskommen.

Die Forderung nach einer Reduzierung des Strafrechts auf ein Kernstrafrecht entspricht der Grundidee des freiheitlichen Rechtsstaats, staatliche Eingriffe in die Sphäre der Bürger so gering wie möglich zu halten. Dementsprechend hatte schon Montesquieu gesagt: "Jede Strafe, die nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, ist tyrannisch." Mittermaier sah schon 1819 einen "Grundfehler" darin, „die Strafgesetze zu vervielfältigen und das kriminelle Gebiet zu weit auszudehnen.“ Ähnlich Franz von Liszt: „Wo andere sozialpolitische Maßnahmen oder eigene freiwillige Leistungen des Täters einen ausreichenden Rechtsgüterschutz gewährleisten können, darf - mangels Notwendigkeit - nicht bestraft werden“ (zit. nach Roos 1981: 7 f.). Und auch der ultima ratio Grundsatz gebietet bekanntlich, das Strafrecht als schwerstes Eingriffsinstrument nur dann einzusetzen, wenn andere Möglichkeiten ausgereizt sind.

Welche Gesetze kommen als "nicht erforderlich" in Betracht? Einen erste Hinweis liefert eine kleine Liste, die Arthur Kreuzer im Dezember 2017 in der ZEIT unter dem Titel Reformiert endlich das Strafrecht! veröffentlicht hatte.

Meinung und Mitgliedschaft in der Politik

Verbreiten von Propagandamitteln und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§§ 86 und 86a StGB)

Die verfassungsrechtliche Kritik hat keine politische Partei zur Aufnahme einer Entkriminalisierungsforderung in ihr Programm bewegen können. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB stelle allein einen Bezug zum Gedankengut einer nicht mehr existenten nationalsozialistisichen Organisation her. Das rücke die vorschrift in den Verdacht, dass hier allenfalls olitische Meinungen bekämpft werden sollen, was robleme mit Art. 5 GG und der dort verbürgten Meinungsfreiheit heaufbeschwöert (Lptger JR 1969, 19; So kommt man im Ergebnis dann auch dazu, mit Hinweis auf einen zu lockeren bzw. auch überhaupt nicht existeenten Organisationsbezug die Verfassungswidrigkeit von § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB zu unterstellen. NI4/Paeffgen, § 86 Rn. 2 und Rn. 6.

§ 86a StGB soll nicht nur die Wiederbelebung des Nationalsozialismus verhindern, sondern jeden Anschein einer Duldung vermeiden. Vertrackt sind hierbei wie immer die Zweifelsfälle: Etwa, wenn nicht ganz klar wird, ob ein Symbol der Unterstützung oder Diffamierung dienen soll, oder wenn es in ein vorgeblich harmloses Symbol variiert wird, das Eingeweihte aber als Code erkennen. Hörnle NStZ 2002, 114 Fn. 16 Schutzgut öffentlicher Friede problematisch. Staatsschutz ebenfalls. Vorfeldkriminalisierung.

Lutz Eidam (2015) Der Organisationsgedanke im Strafrecht, S. 100

Einzelne Mitglieder der Piratenpartei sprachen sich für die Abschaffung aus, weil das Verbot den Objekten eine Kraft verleihe, die ihnen nicht zukommen solle. 2014 forderte Höcke in einer parteiinternen E-Mail die Abschaffung von § 86 (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen) und § 130 StGB (Volksverhetzung und die Leugnung des Holocausts).

Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§§ 129a,b StGB)

Der Paragraph 129 a, b StGB ist seit seiner Entstehung umstritten. Nicht zuletzt an- gesichts der Ereignisse von Heiligendamm und des Verfahrens gegen den Berliner Sozial- wissenschaftler Andre H. rückte der so genannte „Terro rismusparagraph“ wieder in den öffentlichen Blickpunkt. Versuche, politische Opposition zu kri- minalisieren und mithilfe der Justiz mundtot zu machen, gab und gibt es immer wieder. Der Um- gang mit politisch Andersdenkenen ist sympto- matisch für den Zustand eines freiheitlichen und rechtsstaatlichen Landes. Deshalb darf diese The- matik von der Sozialdemokratie nicht vernachläs- sigt werden. Der § 129 a, b StGB thematisiert die Strafbarkeit einer Mitgliedschaft in einer terroristischen Ver- einigung. Kommt es tatsächlich zu terroristischen Straftaten, werden die Delikte durch den Straftat- bestand selbst erfasst. Jedoch können über die Konstruktion des § 129 a StGB auch Personen be- langt werden, denen keine konkrete Beteiligung nachgewiesen werden kann. § 129 a, b StGB stellt einen Fremdkörper im deutschen Strafrecht dar, da eine konkrete Tat des Beschuldigten nicht erforderlich ist, sondern die angebliche Gesinnung des Beschuldigten aus- reicht. Es liegt mit dem § 129 a, b StGB eine Kolli- sion mit dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG und des Schuld- und Tatstrafrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG vor. § 129 a, b StGB ist eine Norm des Strafrechts, die „eine Strafbarkeit bereits weit im Vorfeld der Vorbereitung konkreter strafbarer Handlungen“ (BGH 28, 148, 11.10.1978) begründet. Bei Handlun- gen, die „normalerweise“ keine Strafbarkeit begründen, handelt es sich z.B. um Reden, Treffen, etc.. Die Strafbarkeit wird also in ein Stadium vor verlagert, in dem ein konkreter Bezug zur Verwirk- lichung einer individuellen Rechtsverstoßes noch nicht gegeben ist. Es verschwimmt die Abgrenzung zwischen legalem Handeln und Delikt. Elemente des repressiven Strafrechts werden mit denen der präventiven Gefahrenabwehr vermischt. So wird § 129 a, b Strafprozessordnung auch als „Schnüffelparagraph“ bezeichnet, da er weitreichende Möglichkeiten zur staatlichen Überwa-chung in einem vom Staat zu defi nierenden Personenkreis beinhaltet, gegen die sich der/die Betroffene mangels Kenntnis des Verfahrens nicht wehren kann. Hier sind insbesondere auch die weitreichenden Ermittlungsmaßnahmen der StPO zu nennen. Faktisch fungiert der § 129 a, b StGB als „Einschüchter ungsparagraph“, der mit schnelleren Hausdurchsuchungen, erleichterte Untersuchungshaft, höheren Kontrollmöglichkeiten etc. massive Grundrechtseingriffe ermöglicht.Ausdruck liberalen Gedankenguts war die Be- grenzung strafrechtlichen Staatsschutzes auf dieVerteidigung der staatlichen Ordnung und Inte-grität. Autoritäre Strömungen versuchten stets, den Präventivkampf gegen politische Abweichler-Innen mit vordemokratischen Elementen, wie der Vorverlagerung von Strafbarkeit, zu führen. (Drohsel 2008).

Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter (§ 103 StGB)

§ 103 StGB war ein Sondertatbestand der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten. Nach einem im Fernsehen ausgestrahlten Schmähgedicht von Jan Böhmermann auf den türkischen Präsidenten galt § 103 StGB vielen als nicht mehr zeitgemäß. Während sich Joachim Gauck als damaliger Bundespräsident zurückhaltend zur Abschaffung äußerte, machten SPD und Grüne Druck über den Bundesrat, die nach dem Skandal sowieso schon konsentierte Aufhebung des Gesetzes noch zu beschleunigen. Im Gesetzgebungsverfahren hatte der Bundesrat in seiner 954. Sitzung am 10. März 2017 vorgeschlagen, das Datum des Inkrafttretens vorzuverlegen auf den Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt, und zwar mit der beispielhaften "Begründung: § 103 StGB ist aufzuheben. Es besteht kein sachlicher Grund, den Wegfall der Norm hinauszuzögern." Der Bundestag blieb aber bei seinem Zeitplan, der Bundesrat verzichtete auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses und das Gesetz wurde dann mit Wirkung vom 01.01.2018 durch das Gesetz zur Reform der Straftaten gegen ausländische Staaten vom 17.07.2017 (BGBl. I S. 2439) aufgehoben.

Gotteslästerung (§ 166 StGB)

Im Schönfelder heißt § 166 StGB natürlich nicht mehr Gotteslästerung oder Blasphemie, sondern "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen" und bedroht mit Geldstrafe oder Gefängnis bis zu drei Jahren, wer "in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören", den Inhalt von anderer Leute religiöser Lehre oder eine Kirche oder Religion beschimpft. Jährlich kommt es zu ca. 15 Verurteilungen.

Geschütztes Rechtsgut ist der öffentliche Frieden, nicht das Bekenntnis als solches oder die bloßen Gefühle seiner Anhänger. Beschimpfen ist eine besonders gravierende herabsetzende Äußerung. Die beschimpfenden Äußerungen müssen nicht an die Kreise gerichtet sein, in denen sie zur Störung des öffentlichen Friedens führen können. Es genügt, wenn zu befürchten ist, dass sie dort bekannt werden.

§ 166 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt, d.h. der öffentliche Frieden muss durch die Beschimpfung nicht tatsächlich gefährdet sein, sondern berechtigte Gründe für die Befürchtung, der öffentliche Frieden könnte gestört werden, reichen aus. Die Beurteilung, ob das der Fall ist, soll aus der Perspektive eines objektiven, nicht besonders empfindlichen Beobachters erfolgen.

Kritik Kritiker sehen in der Vorschrift eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Die Beleidigungstatbestände und die Strafbarkeit der Volksverhetzung müssten als Schutz für Religiöse genügen (Volker Beck). Insbesondere durch eine einseitige Anwendung verleite der Paragraph zu einem Schutz der Mehrheitsmeinung, nicht aber zwangsläufig zum Schutz einer Minderheitsmeinung, da die Interessen kleinerer Gruppen seltener mit dem „öffentlichen Frieden“ gleichgesetzt werden. Sie lehnen den Paragraphen auch als sogenannten Gummiparagraphen ab, insbesondere, weil nicht klar sei, wie „Beschimpfung“ zu definieren ist – darunter könne jede negative Äußerung fallen. Noch fraglicher sei, wann eine solche „Beschimpfung“ geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören (die „Eignung“ reicht; sog. abstraktes Gefährdungsdelikt). Kritiker behaupten, eine solche „Friedensstörung“ könne – analog zur Volksverhetzung – a posteriori (nachträglich) konstruiert werden, wenn sich Gläubige beschwerten. Zudem kann die Friedensstörung durch die betroffene Religionsgemeinschaft bewusst herbeigeführt werden, damit der Paragraph zur Anwendung kommen kann, beispielsweise durch Anwendung von Gewalt gegen die "Gotteslästerer" oder durch die Blockade eines Theaters, in dem ein religionskritisches Stück aufgeführt werden soll. Andererseits könne in politischen Wetterlagen, in denen die Verfolgung von Gotteslästerern nicht opportun sei, fast immer damit argumentiert werden, der Beschuldigte sei nicht bekannt genug, um mit seinen Äußerungen eine breite Öffentlichkeit zu schockieren.- Kritisiert wird, dass der Staat damit das kritische Denken unterdrücke: „Das zentrale Merkmal der Aufklärung ist, alles hinterfragen zu dürfen. Das Licht der Vernunft soll in jeden Winkel scheinen, um Unterdrückung, Aberglaube, Intoleranz und Vorurteile zu überwinden. (...) Der Staat macht sich mit solchen Gesetzen zum Unterstützer der Feinde des offenen Diskurses. Vertreter jedweder Ideologie, ob politisch oder religiös, müssen es schlicht ertragen können, dass ihre Weltanschauung hinterfragt, kritisiert und, ja, auch lächerlich gemacht wird.“ - Der Paragraph ist stark in der Kritik von atheistischen Gruppen und Kirchenkritikern sowie von Künstlern, die sich in ihrer Freiheit beschnitten fühlen. Kurt Tucholsky meinte zu diesem „mittelalterlichen Diktaturparagraphen“ (in der vorhergehenden Fassung): „Ich mag mich nicht gern mit der Kirche auseinandersetzen; es hat ja keinen Sinn, mit einer Anschauungsweise zu diskutieren, die sich strafrechtlich hat schützen lassen.“

Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon kritisierte nach dem Anschlag auf das Redaktionsbüro der Satirezeitschrift Charlie Hebdo, dass „[d]er öffentliche Friede […] nicht durch Künstler gestört [wird], die Religionen satirisch aufs Korn nehmen, sondern durch Fanatiker, die auf Kritik nicht angemessen reagieren können“. Er forderte die Abschaffung des § 166 StGB: „In der Praxis hat dieser Paragraph zu einer völligen Verkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses geführt. Namhafte Künstler wie Kurt Tucholsky oder George Grosz wurden mit Hilfe dieses Zensurparagraphen gemaßregelt. Tatsächlich aber wurde der öffentliche Friede niemals durch kritische Kunst bedroht, sondern vielmehr durch religiöse oder politische Fanatiker, die nicht in der Lage waren, die künstlerische Infragestellung ihrer Weltanschauung rational zu verarbeiten.“

"Nach dem Anschlag auf 'Charlie Hebdo': Gotteslästerungsparagraphen 166 StGB abschaffen!", forderte nicht nur die Giordano-Bruno-Stiftung (08.01.2015). Auch die FDP nahm diese Forderung in ihr Programm auf: der Staat solle die Kunstfreiheit schützen - und nicht die Gefühle religiöser Fanatiker. "Auch wenn absichtliche Schmähungen Andersgläubiger oder Andersdenkender nicht förderlich für ein friedliches Miteinander sind, halten wir den Blasphemie-Paragraphen 166 StGB für überflüssig und wollen ihn abschaffen."

Zu den rechtspolitischen Gründen der Abschaffungsforderung sagt Jacqueline Neumann, wissenschaftliche Koordinatorin des ifw: "Der § 166 StGB verletzt das Rechtsstaatsprinzip und den Bestimmtheitsgrundsatz im Grundgesetz." Gemäß Grundgesetz Art. 103 Abs. 2 muss die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt sein, bevor die Tat begangen wurde. Jedoch wird nach § 166 StGB die Meinungsäußerung erst nachträglich durch das Handeln des "Opfers" zu einer Straftat, nämlich, wenn das "Opfer" für eine Störung des öffentlichen Friedens sorgt oder damit droht oder einer Religionsgruppe angehört, bei der die deutschen Strafverfolgungsbehörden mit einer Störung des öffentlichen Friedens rechnen können. Zudem ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten der Bestimmtheitsgrundsatz einzuhalten. Der "öffentliche Friede", definiert als Zustand allgemeiner Rechtssicherheit ermöglicht keine Abgrenzung straflosen und strafbewehrten Verhaltens. Als Unrechtsbegründung bleibt der Hinweis auf eine drohende Trübung der Sicherheitserwartungen zirkulär: Der öffentliche Frieden soll nur durch eine Unrechtstat gestört werden können, die gerade deswegen Unrechtstat ist, weil sie den öffentlichen Frieden störe. Der Ansatz setzt den Unrechtsgehalt der Handlung voraus, den es erst noch zu begründen gilt. Nicht das Unrecht des potenziellen Gefährdungserfolges, sondern der Tat (des Beschimpfens) muss begründet werden. (Stübinger, Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 166 Rn. 2).

Holocaust-Leugnung (§ 130 Abs. 3 StGB)

Im Kaiserreich von 1871 konnte es bis zu 2 Jahre Gefängnis einbringen, "in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden" Weise "verschiedene Klassen der Bevölkerng zu Gewalttätigkeiten gegen einander" anzureizen. Angesichts antijüdischer Vorfälle legte die Bundesregierung 1959 erstmals einen Gesetzentwurf für die Neufassung des § 130 StGB vor. Der wurde von der Opposition abgelehnt: Adolf Arndt sprach von einem „Judenstern“-Gesetz, das die jüdische Minderheit rechtlich als privilegiert brandmarken würde. Stattdessen müsse man jede Herabwürdigung von Minderheiten als Angriff auf die Menschenwürde ahnden. Seine Sicht setzte sich im Rechtsausschuss des Bundestages durch, so dass im Sommer 1960 nicht „Aufstachelung zum Rassenhass“, sondern der Angriff auf die „Menschenwürde anderer“ in den Gesetzestext übernommen wurde.Seit 2015 kann es bis zu 5 Jahren einbringen, wer in einer Weise, "die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören", "zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert" oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer Gruppe "beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet".

Absatz 3 betrifft die sog. Holocaust-Leugnung, bzw. Verharmlosung.

Kritik: Zulässig ist die Beschränkung des Rechts auf Meinungsfreiheit nur bei Verleumdung, übler Nachrede und Betrug sowie zum Jugendschutz. Holocaustleugnung war bis 1994 schon als einfache Beleidigung strafbar (BGH 1979: Menschen jüdischer Abstammung haben Anspruch auf Anerkennung des Verfolgungsschicksals der Juden unter dem Nationalsozialismus). Das BVerfG-Urteil fand Kritik: Den Holocaust leugnende Äußerungen beschränkten sich regelmäßig nicht auf reine Tatsachenbehauptungen, sondern seien mit Werturteilen verbunden. Diese seien nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG auch dann vom Schutzbereich des Grundrechts erfasst, wenn es sich bei ihnen um völligen Unsinn oder sogar ehrverletzende Äußerungen handele. Diese würden erst auf Ebene der Grundrechtsschranken vom grundrechtlichen Schutz ausgenommen.

Der Politikwissenschaftler Peter Reichel hält das Gesetz für unnötig und kontraproduktiv. Persönlichkeitsschutz für die Opfer von Holocaustleugnern gab es schon vorher. Nunmehr bestraft der Staat aber erstmals eine bestimmte Tatsachenbehauptung als Lüge und Verharmlosung. Indem man bestimmte Falschbehauptungen aus der freien Kommunikation über die Geschichte gesetzlich auszuschließen versucht, fördert man eher eine erneute Tendenz zum Gesinnungsstrafrecht, statt den Meinungsbildungsprozess gerade bei ungefestigten Jugendlichen positiv zu beeinflussen. Im liberalen Rechtsstaat geht das nicht. Meinungsfreiheit ist nicht nur ein individuelles, sondern ein kollektives Grundrecht: „Es liegt im öffentlichen Interesse einer pluralistischen Gesellschaft, die wesensmäßig durch die Rationalität kommunikativen Handelns geprägt ist, freie Meinungs- und Willensbildung nicht zu behindern.“ "Rechtsgüterschutz kann sich nur auf die Ehre und das Andenken der NS-Verfolgten erstrecken, nicht aber auf ein richtiges, vom Staat verwaltetes Geschichtsbild.“

Ernst Nolte forderte 1994 eine „Versachlichung der Geschichte“ und lehnte vorgegebene „Dogmen“ oder „offenkundige Wahrheiten“ ab: Geschichte sei kein Rechtsgegenstand. In einem freien Land sei es weder Sache des Parlaments noch der Justiz, geschichtliche Wahrheiten zu definieren.

Eberhard Jäckel (2007): „Hier geht es darum, dass ein bestimmtes Geschichtsbild verboten werden soll, und das scheint mir einer freien Gesellschaft nicht würdig zu sein.“ Er plädierte für das Ignorieren der Holocaustleugner, solange sie nicht direkt zu Gewalt gegen Personen und Sachen aufriefen.

Die ehemaligen Verfassungsrichter Winfried Hassemer und Wolfgang Hoffmann-Riem kritisierten (2008) das Verbot der Holocaustleugnung: Die auf § 130 Absatz 3 StGB beruhende Rechtsprechung sei ungeeignet, die Menschenwürde der Opfernachfahren zu schützen. Die streitbare Demokratie solle es unterlassen, „durch Repression Märtyrer zu schaffen“.

Zur Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens: siehe § 166 StGB. Zu Gruppen, die in der Lage sind, eine solche Störung herzustellen: siehe Feest Meinungsfreiheit. Und:

Antikritik: Die herrschende Rechtsmeinung sieht § 130 StGB als gerechtfertigt an, weil er dem Schutz des öffentlichen Friedens und der Menschenwürde diene, die durch Vollendung der beschriebenen Tatbestände verletzt werde, und die Meinungsfreiheit gleichsam durch den Schutz des öffentlichen Friedens nur reflexiv betroffen sei. Nach der Entscheidung des BVerfG vom 9. November 2011 ist der § 130 StGB im Lichte der Meinungsfreiheit einschränkend auszulegen, so dass sich jemand, der Schriften an einen Gastwirt überlässt, in denen der Holocaust verharmlost und die alleinige Kriegsschuld Deutschlands in Frage gestellt wird, nicht ohne Weiteres der Volksverhetzung strafbar macht.

BVerfG 13. April 1994: Holocaustleugnung fällt nicht unter das Grundrecht der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Absatz 1: Es handele sich bei der Holocaustleugnung um eine „unwahre Tatsachenbehauptung“, also das Bestreiten einer vielfach erwiesenen Tatsache, die für sich nicht vom Recht der Meinungsfreiheit gedeckt sei, da sie nicht zur verfassungsmäßig vorausgesetzten Meinungsbildung beitragen könne. Schon die Prüfung, ob Holocaustleugnung überhaupt als im Sinne der Meinungsfreiheit schutzwürdige Meinung in Betracht kommt, wurde also verneint. - Daraufhin wurde § 130 StGB am 28. Oktober 1994 mit dem Absatz 3 ergänzt. Absatz 3 ist nach BVerfG-Urteil von 1994 kein Sonderrecht gegen bestimmte Meinungsinhalte, weil eine direkt zu Hass, Gewalt oder Willkür aufstachelnde Äußerung eine nicht von der Meinungsfreiheit gedeckte Straftat darstellt, die weiteres illegales Handeln bewirken, dazu aufrufen und anstiften könne.

Hans-Ulrich Wehler: „Die Leugnung eines so unvorstellbaren Mordes an Millionen – ein Drittel aller Ermordeten waren Kinder unter 14 Jahren – kann man nicht so einfach hinnehmen als etwas, was durch die freie Meinungsäußerung gedeckt ist. Es sollte schon eine Rechtszone geben, in der diese Lüge verfolgt wird. Bei einer Güterabwägung finde ich – so sehr ich für das Recht auf Meinungsfreiheit bin –, kann man die Leugnung des Holocausts nicht mit einem Übermaß an Generösität hinter freier Meinungsäußerung verstecken. […] Dass das Thema in Anatolien, Brasilien oder China so weit weg ist und deshalb nicht viele interessiert, kann kein Grund für uns sein, auf die Strafverfolgung zu verzichten. Die universelle Gültigkeit dieser Kritik und der Strafverfolgung kann nicht der Maßstab dafür sein, ob man sie unternimmt oder sein lässt.“

Sexualität, Fortpflanzung, Sterben

Homosexualität (§ 175 StGB)

§ 175 StGB existierte von 1872 (Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuches) bis zum 11. Juni 1994. Er stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. Bis 1969 bestrafte er auch die „widernatürliche Unzucht mit Tieren“ (ab 1935 nach § 175b ausgelagert). Insgesamt wurden etwa 140.000 Männer nach den verschiedenen Fassungen des § 175 verurteilt. 1935 wurde die Höchststrafe von sechs Monaten auf fünf Jahre Gefängnis angehoben. Außerdem wurde der Tatbestand von beischlafähnlichen auf sämtliche „unzüchtigen“ Handlungen ausgeweitet. Der neu eingefügte § 175a bestimmte für „erschwerte Fälle“ zwischen einem und zehn Jahren Zuchthaus.

In der Bundesrepublik hielt man (anders als in der DDR, deren Oberstes Gericht den Homosexuellen gleiche Bürgerrechte zusprach und die den § 151 im Dezember 1988 mit Wirkung zum 1.7.1989 aufhob) an den §§ 175 und 175a aus der Zeit des Nationalsozialismus fest. Auch noch der E62 sprach sich nachdrücklich dafür aus. In der DDR hatte das Oberste Gericht schon 1987 festgestellt: „Homosexualität ebenso wie Heterosexualität eine Variante des Sexualverhaltens darstellt. Homosexuelle Menschen stehen somit nicht außerhalb der sozialistischen Gesellschaft, und die Bürgerrechte sind ihnen wie allen anderen Bürgern gewährleistet.“ Am 14. Dezember 1988 wurde § 151 mit Wirkung vom 1.7.1989 ersatzlos gestrichen, was blieb, war eine einheitliche Regelung des Schutzalters gegen sexuellen Missbrauch bei 16 Jahren. - Dann kam es in mehreren Schritten zur Entkriminalisierung. Am 23. November 1973 führte das Kabinett Brandt II (eine sozialliberale Koalition) eine umfassende Reform des Sexualstrafrechts durch. Der entsprechende Abschnitt im StGB wurde von „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ in „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ umbenannt. Ebenso wurde der Begriff der Unzucht durch den der „sexuellen Handlungen“ ersetzt. Im § 175 blieb nur noch der Sex mit Minderjährigen als qualifizierendes Merkmal zurück, wobei man das sogenannte Schutzalter von 21 auf 18 Jahre absenkte. Ab 1975 kam es jährlich nur mehr zu maximal 200 Verurteilungen.

Das Wahlprogramm der FDP zur Bundestagswahl 1980 forderte, „um Homosexuelle rechtlich und gesellschaftlich gleichzustellen“, „§ 175 zu streichen. Für den Schutz von Kindern und Abhängigen reichen die übrigen Strafbestimmungen aus.“[33] Die FDP konnte diese Forderung in den Verhandlungen zur Regierungsbildung (Kabinett Schmidt III) nicht durchsetzen.[34][35][36]

Am 9. März 1989 brachten 40 Abgeordnete und die Fraktion Die Grünen einen Gesetzentwurf zur ersatzlosen Streichung des §§ 175 StGB im Deutschen Bundestag ein,[37] der jedoch sowohl von der Regierungskoalition aus CDU und FDP als auch von der SPD abgelehnt wurde.

Die Wiedervereinigung änderte zunächst nichts an der unterschiedlichen Behandlung der Homosexualität in Ost und West. Der Einigungsvertrag setzte zwar das Bundes-StGB im Beitrittsgebiet in Kraft, jedoch mit der Maßgabe, dass u. a. §§ 175, 182 und 236 (Entführung mit Willen der Entführten) nicht anzuwenden seien (Anlage I Kap. III Sachgebiet C Abschnitt III Nr. 1) und u. a. §§ 149, 153-155 StGB-DDR in Kraft blieben (Anlage II Kap. III Sachgebiet C Abschnitt I Nr. 1).Im Jahr 1994 beschloss der Bundestag mit dem 29. Strafrechtsänderungsgesetz vom 31. Mai 1994 die ersatzlose Aufhebung des § 175 StGB. Das absolute Schutzalter für sexuelle Handlungen wurde einheitlich auf 14 Jahre festgelegt (Sexueller Missbrauch von Kindern, § 176 StGB); zusätzlich wurde für besondere Fälle der Sexueller Missbrauch von Jugendlichen (§ 182 StGB) mit einem relativen Schutzalter von 16 Jahren ausgeweitet und geschlechtsneutral formuliert. Ein Verstoß gegen § 182 Abs. 3 StGB wird gemäß § 182 Abs. 5 StGB im Gegensatz zu einem Verstoß gegen § 176 StGB grundsätzlich nur auf Antrag verfolgt (relatives Antragsdelikt), es sei denn, dass die Staatsanwaltschaft ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung als gegeben ansieht.


Kritik:

Antikritik: Der E62 wandte sich Entkriminalisierungsforderungen mit der Begründung, dass im Falle einer Entkriminalisierung ja für die Homosexuellen nichts im Wege stünde, "ihre nähere Umgebung durch Zusammenleben in eheähnlichen Verhältnissen zu belästigen. […] Ausgeprägter als in anderen Bereichen hat die Rechtsordnung gegenüber der männlichen Homosexualität die Aufgabe, durch die sittenbildende Kraft des Strafgesetzes einen Damm gegen die Ausbreitung eines lasterhaften Treibens zu errichten, das, wenn es um sich griffe, eine schwere Gefahr für eine gesunde und natürliche Lebensordnung im Volke bedeuten würde.“ - Weiterhin: „Die von interessierten Kreisen in den letzten Jahrzehnten wiederholt aufgestellte Behauptung, dass es sich bei dem gleichgeschlechtlichen Verkehr um einen natürlichen und deshalb nicht anstößigen Trieb handele, kann nur als Zweckbehauptung zurückgewiesen werden. […] Wo die gleichgeschlechtliche Unzucht um sich gegriffen und großen Umfang angenommen hat, war die Entartung des Volkes und der Verfall seiner sittlichen Kraft die Folge.“[25] 1969 kam es zu einer ersten, 1973 zu einer zweiten Reform. Seitdem waren nur noch sexuelle Handlungen mit männlichen Jugendlichen unter 18 Jahren strafbar, wogegen das Schutzalter bei lesbischen und heterosexuellen Handlungen bei 14 Jahren lag. Erst nach der Wiedervereinigung wurde 1994 § 175 auch für das Gebiet der alten Bundesrepublik ersatzlos aufgehoben.

Fazit: Der § 175 wäre ohne das Engagement der Betroffenen womöglich bis heute noch nicht abgeschafft. Das spricht dafür, auch in anderen Fällen - z.B. bei der Drogenentkriminalisierung - mit weniger Süffisanz zu reagieren, wenn unmittelbar Betroffene sich politisch engagieren. Weiterhin ist auch für andere Entkriminalisierungen beachtenswert, dass diejenigen entschädigt wurden, die aufgrund des Paragraphen im Gefängnis gesessen hatten. 2002 beschloss der Bundestag gegen Stimmen von CDU/CSU und FDP eine Ergänzung zum Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (BGBl. 2002 I S. 2714). Damit wurden Verurteilungen wegen homosexueller Handlungen und wegen Fahnenflucht in der Zeit des Nationalsozialismus für nichtig erklärt. Am 12. Oktober 2012 beschloss der Bundesrat auf Antrag der Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg und Nordrhein-Westfalen eine Aufforderung an die Bundesregierung, „Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung für die nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten vorzuschlagen.“ Die Bundesregierung griff das Thema jedoch zunächst nicht mehr auf,[45] und der Bundestag lehnte die im selben Zeitraum eingereichten Anträge der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Linksfraktion ab.- Am 22. März 2017 beschloss das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Aufhebung der Urteile, die aufgrund des § 175 StGB gefällt wurden, und zur Entschädigung der noch lebenden Verurteilten. Der Gesetzentwurf wurde am 22. Juni 2017 in zweiter und dritter Beratung im Bundestag verabschiedet. Rehabilitiert wurden auf Drängen der CDU lediglich jene Opfer, deren Sexualpartner seinerzeit mindestens 16 Jahre alt gewesen waren. Die Einschränkung wurde in der SPD kritisiert, da die ursprünglich vorgesehene Altersgrenze dem geltenden allgemeinen Schutzalter von 14 Jahren entsprochen hatte, jedoch stimmte die Fraktion dem Gesetzentwurf zu.

Das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen (StrRehaHomG) trat am 22. Juli 2017 in Kraft.

Das Bundesjustizministerium schätzte Mitte 2017 die Zahl der noch lebenden Opfer der Strafnorm auf rund 5000. Sie sollen mit 3000 Euro pro Urteil und 1500 Euro pro angefangenem Jahr eines Freiheitsentzugs entschädigt werden.

Pädophilie (§ 176 StGB)

Pädophilie ist nicht strafbar, wohl aber jeder Versuch, sich z.B. zwecks Selbstbefriedigung kinderpornografisches Material zu beschaffen - und vor allem jedes Ausagieren in Interaktion mit Kindern bis 14 Jahren (und Schutzbefohlenen maximal bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres). Die Gerichte verhängen oft Freiheitsstrafen, ordnen zusätzlich Sicherungsverwahrung und es kommt auch zu sog. chemischer Kastration.

Kritik: Die Empirie über die Auswirkungen gewaltfreier Sexualität mit Kindern (Sandfort 1986, 1987, Sandfort et al. 1991, Rind et al. 1998, Ulrich 2005) kennt Ergebnisse der Forschung, die landläufigen Vorstellungen über die Schäden, die den Kindern dadurch zugefügt werden, nahezu diametral entgegengesetzt sind. Kaum irgendwo sonst ist ein solcher Zusammenprall zweier Welten zu beobachten.

Auf einem Parteitag der Grünen in Lüdenscheid wurde am 10.3.1985 mit 73 zu 53 Stimmen bei 7 Enthaltungen das Arbeitspapier "Sexualität und Herrschaft" in das Programm der Partei für die nordrhein-westfälische Landtagswahl aufgenommen. Die Kernthese des Papiers lautet: Jede Form von „gewaltfreiem“ Sexualverkehr - auch jener zwischen Kinder und Erwachsenen - müsse straffrei bleiben. Als umstritten kennzeichneten die Delegierten die Forderung nach ersatzloser Streichung der Schutzaltersgrenze. Argumentiert wurde damit, dass Kindesmisshandlung und sexuelle Gewalt in der Gesellschaf oft nicht angemessen sanktioniert würden, während andererseits Pädophile, die "die sexuellen Wünsche von Kindern und Jugendlichen ernst nehmen und liebevolle Beziehungen zu ihnen unterhalten, mit Gefängnis bis zu zehn Jahren bestraft" würden. 1988 setzte sich Volker Beck in dem Sammelband „Der pädosexuelle Komplex“ für die teilweise Entkriminalisierung von gewaltfreiem Sex mit Kindern ein, plädierte aber gegen die völlige Entkriminalisierung, die damals in der Schwulenszene verbreitet war. Beck ging damals davon aus, dass einvernehmlicher Sex mit Kindern eher harmlos sei.

Furedi 2013: "Seit den achtziger Jahren zielten fast alle Forschungen zu Kindesmissbrauch darauf ab, den Grad des erlittenen Schadens zu ermitteln. Andere Auswirkungen sowie die Frage, warum manche Kinder scheinbar besser mit dem Schmerz umgehen können als andere, wurden daher kaum untersucht. Forscher und Psychologen, die die vorherrschende Meinung über Kindesmissbrauch in Frage stellten, wurden teilweise wie Angehörige der indischen Kaste der „Unberührbaren“ behandelt. Dies geschah auch 1999, als das US-Repräsentantenhaus eine Resolution verabschiedete, die eine Untersuchung in einer Fachzeitschrift teilweise verurteilte, in der die Langzeitschäden durch Kindesmissbrauch in Frage gestellt wurden. - Gegenstand der Resolution war ein Artikel von Bruce Rind, Philip Tromovitch und Robert Bauserman. Die drei Psychologen hinterfragten einige Behauptungen über sexuellen Kindesmissbrauch, besonders die, dass die Menschen psychologisch fürs Leben gezeichnet wären. Zur Strafe wurden sie von der amerikanischen Christlichen Koalition und von republikanischen Moralaposteln attackiert. Die American Psychological Association (APA), deren Zeitschrift den Artikel von Rind, Tromovitch und Bauserman veröffentlichte, kam ebenfalls unter Beschuss. Unter diesem massiven Druck ging die APA in die Defensive und kündigte an, dass in Zukunft alle Beiträge zu sensiblen Themen sorgsamer auf „Beeinträchtigung öffentlicher Interessen“ geprüft werden sollten. - Die üble Kampagne gegen die Studie beanstandete vor allem, dass die Akademiker den Konsens in Frage stellten, Kindesmissbrauch führe direkt zu psychologischen Langzeitstörungen. Sie folgerten, dass Missbrauch sich ganz unterschiedlich auf das Leben der Menschen auswirkt und „wesentlich mehr Frauen als Männer unter diesen Erlebnissen leiden“. Laut Sozialpsychologin Carol Tavris lässt die Studie ermessen, welche Faktoren manche Menschen widerstandsfähig macht, während andere ein Trauma erleiden. Sie schrieb „Wir müssen verstehen, was die meisten Leute unempfindlich macht und wie man denen helfen kann, die es nicht sind.“ - Es ist wichtig, sich klar zu machen, dass viele Gemeinplätze über die Auswirkungen von Missbrauch eher durch moralischen Abscheu als durch nüchterne Forschung zustande kommen. Natürlich ist es völlig legitim, ein Verhalten moralisch zu verurteilen, das in der Gesellschaft als böse gilt. Aber moralische Verurteilung sollte weder mit einer medizinischen Diagnose verwechselt werden, noch ist es eine Alternative zu Untersuchungen und dem Erkenntnisgewinn über die Sache an sich."

Antikritik: Ab 1993 distanzierte sich Beck von dieser Position und bezeichnet sie heute als „abwegigen Stuss“ und „großen Fehler“. Auch Daniel Cohn-Bendit distanzierte sich mittlerweile von seinen früheren diesbezüglichen Äußerungen. Wenn sich die Protagonisten der Entkriminalisierung öffentlich und vehement gegen ihre eigenen Ansichten wenden, ist die Sache der Entkriminalisierung in diesem Bereich unter politisch-praktischen Gesichtspunkten auf absehbare Zeit verloren. Auch wenn das Verhalten der Sache nach unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten vielleiht tatsächlich nicht strafwürdig und nicht strafbedürftig sein sollte.

Geschwisterinzest (§ 173 StGB)

„Wir wollen den §173 StGB abschaffen und somit den Geschwisterinzest legalisieren.“ Jennifer Stoll: Broken Wings- zerbrochene Träume.

Hallo, ich habe in den Nachrichten gerade wieder was über das "Inzest-Paar" gehört. Desweiteren habe ich gehört, dass in vielen Ländern Gesetze, die Inzest verbieten, bereits abgeschafft wurden. Was meint ihr: Sollte in Deustchland der § 173 StGB ebenfalls abgeschafft werden? MfG mastercpp ...

Hassemer

Exhibitionismus (§ 183 StGB)

Deutschland muss den Strafparagraph Exhibitionismus (http://dejure.org/gesetze/StGB/183.html § 183 StGB) abschaffen! Grundsätzlich Antragsdelikt, bis zu einem Jahr.

Abtreibung (§ 218 bis 219a StGB)

Die strafrechtliche Behandlung von Schwangerschafts abbrüchen ist das Strafrechtspolitikum schlechthin. Das zeigt der bereits weit in die Rech tsgeschichte zurückreichende Streit und die breite und heftige Diskussion über eine Neufass ung der §§ 218 ff. StGB seit den 1960er Jahren; auch wenn zu diesem Zeitpunkt eine gewisse Liberalisierung des zuvor strikt geltenden Abtreibungsverbots von vielen angestrebt wurde, blieb der Weg dahin offen. Selbst im AE der „Alternativ-Professoren“ favorisierte nur eine Mehrheit eine Fristenlösung, die Min- derheit dagegen eine Indikationslösung (zur Vorgeschichte BVerfGE 39, 1, 3). Zwar stufte schon das erste StrRG von 1969 die Abtreibung vom Verbrechen zum Vergehen herab, doch die 1974 mit dem 5. StrRG eingeführte Fristenlösung wurde 1975 für verfassungswidrig erklärt (BVerfGE 39, 1) und es wurde dann 1976 eine Indikationenlösung verabschiedet. Da in der DDR eine Fristenlösung galt, die in der Bevölkerung wohl weitgehend akzeptiert war und aufgrund relativ guter Bedingungen für Kinder auch nicht zu einer Erhöhung der Zahl der Schwangerschaftsabbrüche geführt hatte, sah der Einigungsvertrag zunächst eine Fortgeltung der geteilten Rechtslage vor. 1992 wurde erneut eine gesamtdeutsche Fristenlösung verabschiedet, die aber 1993 abermals für verfassungswidrig erklärt wurde (BVerfGE 88, 203). Beide Entscheidungen waren innerhalb des BVerfG umstritten; das zeigen die Sondervoten (BVerfGE 39, 1, 683ff.; 88, 203, 338 ff.). 1994 wurde dann die heute geltende Fassung der §§ 218 ff. StGB verabschiedet und die Nötigung zu einem Schwangerschaftsabbruch als besonders schwerer Fall in § 240 IV Nr. 2 StGB aufgenommen.

Der Hauptgrund für den Grundsatzstreit dürfte darin zu sehen sein, dass zwar der Schutz des ungeborenen Lebens als Rechtsgut unbestritten ist, anders als bei anderen Rechtsgütern aber sein Erhalt mit der Austragung der Schwangerschaft durch die Schwangere nicht nur ein Unterlassen eines Eingriffs erfordert (Nichtabtötung der Lebensfrucht), sondern darüber hinaus ein längerfristiges positives Tun (das weitere Austragen der Schwangerschaft und die Geburt) sowie zumindest im Regelfall danach die Pflicht zu Unterhalt und Erziehung des Kindes. Während sich normalerweise der von einer Strafnorm ausgehende Rechtsgüterschutz darin erschöpft, dass die (Handlungs-)Freiheit des Betroffenen nur insoweit eingeschränkt ist, als er die konkrete Verletzung des Rechtsguts (eines anderen) zu unterlassen hat, folgt aus einem strafbewehrten Abtreibungsverbot nicht nur diese Unterlassungspflicht, sondern eine Pflicht zu positivem Tun, die längerfristig die Handlungsfreiheit viel weitgehender einschränkt, als die bloße Pflicht eine konkrete Einzelhandlung nicht vorzunehmen.

Weiterhin trifft die Pflicht zur Austragung der Schwangerschaft und zur Geburt notwendig einseitig nur die Frau, die spätere Erziehung des Kindes trifft sie aufgrund der gesellschaftlichen Bedingungen in Deutschland im Regelfall stärker als den Mann; die Freiheit der Frau ist mithin in besonderem Maße und über längere Dauer erheblich eingeschränkt. Dazu kommen noch die mit einer Entscheidung für ein Kind einhergehenden finanziellen Belastungen, die durch staatliche Leistungen nur teilweise aufgefangen werden können, sowie insbesondere ein während der Kindererziehung entgangener Verdienst. Diese letzteren Einschränkungen ließen sich allerdings auch auf andere Weise als durch einen Schwangerschaftsabbruch abwenden, etwa durch Freigabe des Kindes zur Adoption oder durch das Elterngeld. Den unterschiedlichen Blickwinkel von einer typischerweise (wenn auch nicht konkret) unmittelbar betroffenen Frau und einem Mann dokumentiert die Sondervoten zu BVerfGE 39, 1 (S. 68ff.), in dem die Richterin Rupp-v. Brünneck betont, „die Weigerung der Schwangeren, die Menschwerdung ihrer Leibesfrucht in ihrem Körper zu zulassen, [ist] nicht allein nach dem natürlichen Empfinden der Frau, sondern auch rechtlich etwas wesentlich anderes als die Vernichtung selbständig existenten Lebens“ (S. 80); dagegen neigt der Richter Simon „dazu, diesen weiteren Überlegungen zum Verhältnis der Schwangeren und ihrer Leibesfrucht rechtlich eine geringere Bedeutung beizumessen“ (S. 81).

Ein Politikum ist bereits die Stellung der §§ 218 ff. StGB innerhalb der Tötungsdelikte (der AE wollte den Straftaten gegen das werdende Leben einen eigenen Abschnitt zuweisen) sowie die Bezeichnung. Während § 218 bis 1974 die „Abtreibung“ bzw. die „Abtötung der Leibesfrucht“ und damit den abtötenden Eingriff in das werdende Leben pönalisierte, ist seit- her – aus Sicht der Schwangeren – die Rede von einem „Abbruch der Schwangerschaft“. (Martin Heger 2013).

Kritik an 218:

So schreibt die Linke im Themenpapier Schwangerschaftsabbruch (Zitat): Wir wollen die ersatzlose Streichung des §218. Wir wollen ebenso den §219 StGB abschaffen, in dem ein sogenanntes Werbeverbot festgeschrieben ist, bei dem es sich jedoch eigentlich um ein Informationsverbot handelt. Stattdessen wollen wir Angebote der freiwilligen Beratung ausbauen und Plankrankenhäuser dazu verpflichten, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, damit eine wohnortnahe Versorgung sichergestellt werden kann. ... Sahra Wagenknecht unterstützte seit 2014 das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ in Berlin.

Antikritik 218:

Fazit: Der zähe Kampf um die Reform des § 218 StGB zeigte gleich mehreres:

  • Das Strafgesetz soll idealiter nur den Bereich des allgemein konsentierten ethischen Minimums für ein gedeihliches gesellschaftliches Zusammenleben garantieren. Es soll sozusagen unbestrittene moralische Minimalstandards noch einmal auf der Ebene des formellen Gesetzes bekräftigen und verdoppeln. Tatsächlich aber dient Strafgesetzgebung oftmals dazu, die Wertvorstellungen eines Teils der Bevölkerung gegenüber den davon differierenden Wertvorstellungen anderer Bevölkerungsrteile zu privilegieren, indem man die ersteren strafbewehrt für alle Bürger verbindlich macht. Es wird den anderen Bevölkerungsgruppen sozusagen die Moral der einen oktroyiert.
  • Wo Strafgesetze benutzt werden, um in einer pluralistischen Gesellschaft die Wertvorstellungen einer Gruppe zu privilegieren und sie anderen unter Strafandrohung aufzuzwingen, da hat Kriminalisierung keine pazifizierende, sondern polarisierende und eskalierende, die Gesellschaft spaltende Funktion.
  • Die Rationalität von Diskussionen über die Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit einer Kriminalisierung ist begrenzt. Das hängt mit der mangelnden Trennschärfe der Kriterien, vor allem aber mit Problemen ihrer Operationalisierung, Messung und Gewichtung zusammen. Während Gegner der Kriminalisierung auf die hohe Dunkelziffer hinweisen und Eignung und Erforderlichkeit des Paragraphen bestreiten, ist für die Befürworter der Vorschrift das Gesetz gleichwohl besser als alles andere geeignet, den Wert des werdenden Lebens und die Pflicht des Staates und der Schwangeren und der Ärzte zu seinem Schutz herauszustellen. Expressive und instrumentelle Aspekte des Strafrechts lassen sich aber schwer gegeneinander aufrechnen. Das wiederum begünstigt die passive Funktion von Wissenschaft - ihre Instrumentalisierung - im rechtspolitischen Konfliktfall im Kontext größerer Kulturkämpfe oder culture wars.

Kritik 219a:

§ 219a StGB bedroht wegen Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft mit bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe, wer öffentlich seines Vermögensvorteils wegen seine oder anderer Dienste oder Informationen bezüglich einer Abtreibung anbietet, ankündigt oder bekanntgibt.

Kritik:

Antikritik 219a:

Pornographie: vgl. mit Kinderarbeit für Handys; distance principle Husak

Abolitionistische Perspektive: Verzicht auf Strafrecht und Strafe

Nietzsche, Vormbaum. Prügelstrafe verzichtbar. Abolitionismus vs. Aktionismus. Wenn Politik aber dahin tendiert, sich auszuweiten und sich dabei besonders gerne auch der Strafgesetzgebung zur Verfolgung ihrer (legitimen oder weniger legitimen) Zwecke zu bedienen, so sollte Strafrechtswissenschaft sich als Strafbegrenzungswissenschaft verstehen und "der tendenziell unbegrenzten Strafwilligkeit der Politik rechtliche Grenzen signalisieren. In der Sache bedeutet dies eine abolitionistische Perspektive, also eine Perspektive der Entkriminalisierung - wohlgemerkt eine Perspektive, d.h. weder ein geschlossenes System noch ein kurzfristig umzusetzendes Aktionsprogramm, sondern einen Fluchtpunkt kriminalpolitischen und strafrechtswissenschaftlichen Denkens und Argumentierens" (Vormbaum 1995: 41).

Natürlich finden aktionistische Justizminister immer genügend Juristen, die Strafrechtswissenschaft anders betreiben. Nämlich als Kriminalisierungs-, Strafverfolgungs- und Kriminalitätsbekämpfungswissenschaft. Fachlichkeit in der Strafjustiz und in der Strafrechtswissenschaft bedeutet jedoch aus gutem Grund immer auch eine Haltung der Kritik gegenüber dem Strafrecht als dem schärfsten Schwert des Staates. Ein restriktiver Kontrapunkt gegenüber einer ausgreifenden und übergriffigen Politik ist, wie wir schon von Thomas Vormbaum (1995: 42 f.) wissen, aus zumindest drei Gründen von höchster Wichtigkeit. Er erklärt wörtlich:

  1. Für die mit staatlichem Strafen verbundenen Bedrängnisse, Beschränkungen und Leiden eine allseits anerkannte Begründung zu finden, ist bislang noch nicht gelungen. Ganz im Gegenteil: Die gegen staatliches Strafen erhobenen Einwände werden vielfältiger.
  2. Es entspricht dem Menschenbild eines demokratischen Rechtsstaates , mit sozialethischen Vorwürfen verbundene Eingriffe in die Freiheitssphäre der Bürger so gering wie möglich zu halten.
  3. Eine expandierende Strafgesetzgebung belastet das Strafjustizsstem mit einem 'Input', den es - wie sich gezeigt hat - auf die Dauer nur bewältigen kann, indem es kommunikative Standards des Strafprozesses herabsetzt, schützende Formen aufweicht, die Gesetzesbindung der Strafverfolgungsorgane lockert und Beschuldigtenrechte verkürzt.

Mit anderen Worten: "Strafrechtswissenschaft sollte gegenüber staatlicher Dispositionsfreiheit über das Strafrecht einen Gegenpol bilden. Sie sollte den Kriminalisierungswünschen der Politik den Grundsatz 'in dubio contra delictum' als eine Ausprägung des Grundsatzes 'in dubio pro libertate' entgegenhalten" (Vormbaum, aaO).

Über den strafrechtlichen Abolitionismus kursieren ja manche kuriosen Vorstellungen. Dazu sei mit Vormbaum (1995: 43) nur folgendes gesagt: "Abolitionistische Perspektive setzt nicht die Annahme voraus, das gesamte System gesellschaftlichen bzw. staatlichen Strafens sei eine Veranstaltung, die auf bloßen Definitionsvorgängen beruhe, in denen an sich nichtssagende soziale Verhaltensweisen zu kriminellen hochdefiniert werden. Sicherlich gibt es schlecht begründete oder von durchsichtigen Interessen diktierte Kriminalisierungen. Jedoch: Unnatürliche Todesfälle, schwere Körperverletzungen, Gebäudezerstörungen, gewaltsame Entwendungen von Sachen - diese und manche andere Vorgänge werden die Gesellschaft allemal interessieren. Ist Kriminalität aber nicht bloß ein Definitionsresultat, dann kann man sie auch nicht insgesamt durch Streichung von Straftatbeständen einfach wegdefinieren. Vielmehr gehört zu einem Entkriminalisierungskonzept und damit zu den Anforderungen an eine Strafbegrenzungswissenschaft auch, dass Überlegungen angestellt werden, wie punitive Reaktionen durch andere ersetzt werden können. Um noch einmal Gustav Radbruch in Anspruch zu nehmen: Es muss darum gehen, Strafrecht durch etwas anders zu ersetzen, das besser ist als Strafrecht. Für mich steht dabei nicht (wie bei Radbruch) ein 'Besserungs- und Bewahrungsrecht' im Vordergrund, sondern es geht um Reaktionsformen, die weniger in die Autonomie von Bürgern und Bürgerinnen eingreifen als Strafen. (...) Strafnormen zu streichen bedeutet also nicht immer, freiheitsräume zu erweitern. Die Radbruchsche Forderung lässt isch demnach auch umkehren: Nur durch etwas Besseres sollte Strafrecht ersetzt werden.

Fazit

Entkriminalisierung hat immer dann eine Chance, wenn relevante Akteure in hinreichendem Maße:

  • Zweifel an Eignung, Erforderlichkeit und/oder Verhältnismäßigkeit der Kriminalisierung eines Verhaltens hegen
  • Vertrauen in alternative Kontrollen haben und
  • politische Gewinne - vor allem in der Form von Wählerstimmen - aus der Entkriminalisierung erwarten.

Die Entkriminalisierungen der späten 1960er und frühen 1970er Jahre fanden vor dem Hintergrund eines gesamtgesellschaftlichen und keineswegs auf Deutschland beschränkten Wertwandels und Liberalisierungsschubes statt. Diese Tendenz wurde von einer Protagonisten - den sog. Alternativprofessoren - aufgegriffen, auf ihre Vorstellung von einem liberalisierten Strafrecht angewandt und Dank einer politischen Partei, die sich als Umsetzerin in die Welt der politischen Institutionen engagierte (und davon profitierte), auch in die real existierende Kriminalpolitik umgesetzt.

Kriterien aus der Verfassung. Das deutsche Verfassungsrecht kennt drei Kriterien der Verfassungsmäßigkeit von Strafgesetzen. Fällt ein Gesetz bei einem dieser drei Kriterien durch, ist es verfassungswidrig und eine Entkriminalisierung liegt in Reichweite.

  1. Ungeeignet ist ein Strafgesetz dann, wenn es den angestrebten Erfolg gar nicht erreichen kann. Das ist aus sozialwissenschaftlicher Sicht sicherlich beim strafrechtlichen Drogenverbot der Fall, harrt aber noch entsprechender Erkenntnisse des Verfassungsgerichts.
  2. Viele Strafgesetze sind - selbst wenn man ihre grundsätzliche Eignung zur Zielerreichung unterstellt - nicht erforderlich, weil es andere und weniger einschneidende Mittel gibt. Denn nach dem Ultima-Ratio-Prinzip darf das Strafrecht als schwerstes staatliches Eingriffsinstrument nur eingesetzt werden, wenn andere gesellschaftliche oder gesetzliche Regulierungsmöglichkeiten unzureichend sind, um wichtige Rechtsgüter zu schützen. Das Ultima-Ratio-Prinzip ist leider nicht explizit im Grundgesetz zu finden, gilt aber allgemein als Ausfluss des Prinzips der Verhältnismäßigkeit und beruht auf einer starken aufklärerisch-utilitaristisch-liberalen Basis. Man denke an Montesquieu und Beccaria ("Jede Strafe, die nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, ist tyrannisch"), an Artikel 8 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1789: „La loi ne doit établir que des peines strictement et évidemment nécessaires“, an Mittermaiers Diagnose aus dem Jahre 1819, dass es der "Grundfehler" unserer Zeit sei, „die Strafgesetze zu vervielfältigen und das kriminelle Gebiet zu weit auszudehnen“, und an Franz von Liszts Postulat, ein Verhalten dürfe nur unter Strafe gestellt werden, wenn und soweit dafür eine Notwendigkeit bestehe: „Wo andere sozialpolitische Maßnahmen oder eigene freiwillige Leistungen des Täters einen ausreichenden Rechtsgüterschutz gewährleisten können, darf - mangels Notwendigkeit - nicht bestraft werden“.
  3. Schließlich ist ein Strafgesetz verfassungswidrig, wenn es allzu tief und unverhältnismäßig in die Grundrechte eingreift.

Andererseits ist die Verfassungswidrigkeit eines Strafgesetzes noch kein absoluter Grund für die Entkriminalisierung: das Gesetz kann ja ausgebessert und muss nicht gleich ersatzlos gestrichen werden. Kriterien der Entkriminalisierung müssen also tiefer liegen, fundamentaler sein.

Kriterien aus der Idee des Rechts. Hier gerät man unweigerliche in die Gefilde der Rechtsphilosophie und damit schnell zu Gustav Radbruchs Idee des Rechts mit ihren drei Elementen der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit und der Zweckmäßigkeit. Wo Strafrecht nicht alle drei Kriterien der Idee des Rechts erfüllen kann, da hat es sein Recht verloren.

  1. Gerechtigkeit
  2. Rechtssicherheit
  3. Zweckmäßigkeit

Nach dem Grad der Zustimmungsfähigkeit (und damit der politischen Durchsetzbarkeit im Sinn einer "realistischen" Kriminalpolitik) lassen sich unterscheiden:

  1. Entrümpelung = Abschaffung von obsoleten und unzweckmäßigen Kriminalisierungen; insbesondere von solchen, die aus anerkannten kriminalpolitischen Gründen geradezu kontraindiziert sind. Besonderes Augenmerk verdienen die sog. Buchstabenparagraphen (wie z.B. § 353d Nr. 3 StGB - Verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen).
  2. Reformation - Abschaffung von Kriminalisierungen ohne Bezug zur freiheitssichernden Kernaufgabe des Strafrechts (Reduktion auf ein Kernstrafrecht, Verlagerung des Restes - soweit erforderlich - in nicht kriminalrechtliche Instrumente). Kritischer Durchsicht bedürfen auch die Tatbestände im Bereich der sog. organisierten Kriminalität, im Transplantationsgesetz und in anderen Bereichen des Nebenstrafrechts.
  3. Abolition - Abschaffung von Kriminalisierungen und Ersatz durch etwas Besseres (zivile Konfliktregelung im Schatten des Leviathan; Restorative Justice)

Kontinuität im Strafrecht bei politischer Diskontinuität. Nach 1945 geringe Entkriminalisierung durch die Alliierten. Der ganze Rest blieb zunächst unangetastet. Einschließlich § 175. Die Große Strafrechtsreform blieb Stückwerk. Eine Konstitutionalisierung des materiellen Strafrechts im Sinne einer kritischen Durchsicht des gesamten Bestands an Strafvorschriften im Haupt- und Nebenstrafrecht steht noch aus. Ultima Ratio Prinzip wird nicht ernstgenommen. Subsidiarität auch nicht. Kriminalisierungsinteressen sind ungebrochen und werden auch von der Politik eher bedient als kontrolliert. Nicht sozialethisches Minimum, sondern Waffe im sozialen Konflikt. Status-Politik. Es gibt viele Gründe für eine Beschränkung des Strafrechts auf das absolut Notwendige. Eine Kriminalpolitik, die sich klassisch rechtsstaatlich versteht, würde das Strafrecht auf seinen Kern beschränken. In manchen Fällen ist eine klare Legalisierung bisher strafbedrohten Verhaltens jeder anderen Lösung vorzuziehen. In anderen Fällen kommt eine transformierende Entkriminalisierung im Sinne einer Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit in Betracht. Eine abolitionistische Perspektive sollte als Korrektiv zum aktuellen Aktionismus die Idee eines Abbaus des Strafrechts und seiner Ersetzung durch etwas Besseres in die Tagespolitik tragen. Entkriminalisierung ist negative Kriminalpolitik. Es geht in erster Linie nicht darum, das Strafrecht zu verbessern, sondern zu verkleinern. Es geht in den Worten von Gustav Radbruch um einen Abbau des Strafrechts zugunsten von mehr Freiheit einerseits und mehr Schutz von Freiheitsräumen durch geeignete und verhältnismäßige Formen der sozialen Kontrolle.

  1. Zunächst ist in Angriff zu nehmen, was schon lange diskutiert, aber bislang liegen gelassen wurde. Dazu gehört die Abschaffung des § 219a StGB im Abtreibungsrecht, dazu gehört auch in einem ersten Schritt die transformierende Entkriminalisierung des Umgangs mit Cannabis und anderen Freizeitdrogen in der Konsumsphäre, also bei Erwerb und Besitz zum Eigengebrauch - mit einem wachen Blick auf die konsequentere Gesetzgebung in Uruguay und einigen Bundesstaaten der USA. Entkriminalisierung bedeutet Rückkehr zum Rechtsgüterschutz und das wiederum bedeutet Verzicht auf strafrechtlichen Schutz vor sich selbst. Nichts anderes aber versucht das heutige Betäubungsmittelrecht im Namen des politischen Ziels (das fälschlich als Rechtsgut ausgegeben wird) der Volksgesundheit. Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Jedenfalls geht es bei der Entkriminalisierung nicht um Zwangstherapie und auch nicht nur um die Zulassung medical marihuana, sondern um die Rückbesinnung auf das Selbstbestimmungsrecht erwachsener Bürger in Bezug auf ihr Entspannungs- und Freizeitverhalten, also um das Recht auf recreational use, bzw. adult use. - Die lanjährige Stagnation der Drogenpolitik in Deutschland hat den Vorteil, dass wir uns inzwischen nur umschauen müssen, um nachahmenswerte Modell der Entkriminallsierung zu finden. In einem ersten Schritt können wir uns mit Entkriminalisierung der Konsumsphäre bei weiterbestehender Prohibition befassen (soft prohibition). Also mit einer Art De-Radikalisierung der Prohibition à la Portugal oder Holland.
  1. Überall, wo das Vereins- und/oder Gewerberecht besser geeignet ist als das Strafrecht, hat das Strafrecht als ultima ratio zurückzutreten.
  2. Beachtung verdient das jüngste Zensurgesetz des Bundesjustizministers Maas, auch Netzwerkdurchsetzungsgesetz genannt. Im vergangenen Sommer mit symbolischer Bedeutung im Kampf gegen rechts aufgeladen und ohne nennenswerte Kritik durch die Legislative geschleust, bedroht es nicht nur Twitter, Facebook und andere mit saftigen Strafen, wenn sie "offensichtlich rechtswidrige Inhalte" nicht binnen 24 Stunden löschen, es bedroht vor allem die Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit, wie der erwartbare Skandal am ersten Tag nach seinem Inkrafttreten (um eine gelöschte Titanic-Satire) offenbarte. Historisch bewanderte Beobachter kann es das Fürchten lehren, wenn sie sehen, wie hemmungslos hier offenbar von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, anonym mit einem Mausklick Meinungsäußerungen zu denunzieren und damit kaum noch kontrollierbare zensurartige Lösch-Wellen auslösen, die unter Rechtsstaaten ihresgleichen suchen. Dass dabei ganze Bereiche kritischer Politik-Kommentierung im Netz in den Geruch der Illegitimität geraten, ist schlimm und sollte von niemadem, dem der Rechtsstaat etwas wert ist, auch nur billigend in Kauf genommen werden. Man denke hier etwa an die pauschale Verdächtigung von Kritikern der israelischen Besatzungspolitik als verkappte Antisemiten und die skandalösen Kündigungen von Bankkonten jüdischer Bürger, die sich für einen gerechten Frieden in Nahost einsetzen (Feest 2018).
  3. Eigentums- und Vermögensdelikte: Erster Schritt wäre die Rücknahme der Strafverschärfung von 2017 beim Tatbestand des Einbruchs in Privatwohnungen. Aus dem Verbrechen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr ist wieder ein Vergehen zu machen; auch ist der eklatante Widerspruch zum bandenmäßigen Einbruchsdiebstahl (wo es weiterhin die minder schweren Fälle mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten gibt) durch Wiedereinführung des minder schweren Falles zu beseitigen. Zweiter Schritt wäre die Herabstufung der Massenbagatelldelinquenz in diesem Bereich zu Ordnungswidrigkeiten.
  4. Sexualdelikte. Bloß moralwidriges Handeln, das nicht auch sozialschädlich ist, ist nicht strafwürdig. Schon Gustav Radbruch hatte gefordert, bloße Moralverstöße aus dem Strafrecht zu eliminieren, also die Tatbestände des Ehebruchs, der Sodomie, der einfachen Homosexualität und der sogenannten Verlobtenkuppelei, und nach einem halben Jahrhundert hatte das dann auch funktioniert. Dann die Frage, ob das Gewicht der Handlung tatsächlich eine Reaktion mit einer Kriminalstrafe als unverzichtbar erscheinen lässt. Dass das heutige Sexualstrafrecht nach Radbruch'schen Kriterien kritisch durchzumustern ist insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt des Vorrangs des Verwaltungsrechts, steht außer Frage. Erneut auf die Tagesordnung gehört auch die freiheitliche und die Freiheit aller Beteiligten schützende Regulierung der Prostitution - vor allem auf dem Wege des Gewerberechts. Monika Frommel meint: "zurück zum alten Recht des § 177, nur § 177 Abs. 1 Nr. 3 etwas weiter fassen, damit die dusselige Rechtsprechung zu den Überrumpelungsfällen entfällt und diese Konstellation gut erfasst wird. Die Missbrauchsfälle (etwa von Jugendlichen) im Neuen Recht 2016 sind akzeptabel. - Die sog. Freierbestrafung muss weg."

In der Gegenwart (2018) nimmt die Attraktivität der liberalen Demokratie weltweit ab. Populistischer Autoritarismus hingegen zu. Im weltweiten Konflikt zwischen einem liberalen und einem autoritären Traum vom gesellschaftlichen Zusammenleben hat der Autoritarismus seine Nase nicht nur in Mittelamerika, in Zentral- und Südostasien, in weiten Teilen Afrikas und im gesamten Nahen Osten vorn, sondern auch in Europa. Auch wo populistische, respektive autoritäre Parteien nicht schon an der Macht sind, ist ihre jüngste Stärkung doch ein unmissverständliches Zeichen für die Tendenz der Zeit - den "democratic disconnect" (Foa & Mounk 2016). Wenn jetzt gerade die Jugend das Vertrauen in die Demokratie verliert und andere Systeme attraktiver zu finden beginnt, dann ist es ein schwacher Trost, dass autoritäre Gesellschaftssysteme in der Geschichte sowieso der Normalfall waren und sind - liberale Systeme mit direkter oder repräsentativer Demokratien einst wie jetzt hingegen die große Ausnahme.

Kriminalpolitische Prioritätenbildung:

  1. Kriminologisch. Erst kontraproduktive Kriminalisierungen zurücknehmen, dann die ineffektiven, dann die ineffizienten, dann die unverhältnismäßig eingreifenden, und schließlich die durch "etwas Besseres als das Strafrecht" ersetzbaren. Das ließe sich in einem Dreischritt unterbringen: erstens das Unzweckmäßige entrümpeln (Bereinigung), zweitens Zurückschneiden der Vielstraferei auf ein liberal-rechtsstaatliches Kernstrafrecht (Reformation), und drittens die Ersetzung des Strafrechts durch bessere Formen der Regulation sei es in Form autonomer gesellschaftlicher Konfliktregelung (im Schatten des Leviathan: Stichwort "regulierte Selbstregulation"), sei es auf dem Wege der Restorative Justice oder der Transformative Justice (Abolition). Was den Unterschied zwischen Kontraproduktivität, Ineffektivität und Ineffizienz angeht, so werden die Kategorien nicht immer scharf voneinander zu unterscheiden sein. Aber kontraproduktiv dürften vor allem diejenigen Strafnormen sein, bei denen die Strafdrohung nicht zur Eindämmung des Verhaltens geführt hat, sondern bei denen sich die Abweichung von der Norm zur Massendelinquenz entwickelt hat. In solchen Fällen, wo das Verhalten trotz einer dauerhaften Verstärkung der Sanktionsanstrengungen - wie im "War on Drugs" - den Charakter der Massenkriminalität angenommen hat, bleibt nur noch die Option, das massenhafte Handeln zu entkriminalisieren, will man die Norm nicht endgültig der Lächerlichkeit preisgeben. (Auch Albrecht spricht sich ausdrücklich für die Entkriminalisierung von Massendelikten aus, sofern diese vergleichsweise geringe Schäden erzeugen.)
  2. Sozialpolitisch. Erst die Strafgesetze aufheben, mit denen die Interessen privilegierter Gruppen geschützt werden sollen, und danach erst die Gesetze, mit denen bislang unterprivilegierte Gruppen ihren Anspruch auf Gleichheit ("black lives matter") zur Geltung bringen. Also nicht zuerst Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung entkriminalisieren, die vor allem dem Gleichberechtigungsstreben von Frauen Ausdruck verleihen - auch dann, wenn nichtstrafrechtliche Mittel prinzipiell gleich guten Schutz gewährleisten könnten.
  3. Pragmatisch. Erst die konsensfähigsten Themen bearbeiten, dann die weniger konsensfähigen, auch wenn die entsprechenden Strafgesetze unter strafrechtswissenschaftlichen und kriminologischen Fach-Gesichtspunkten vielleicht dramatischere Begründungsmängel aufweisen.
  4. Strafrechtstheoretisch. Erst diejenigen, die mit dem idealen liberalen Strafrecht - dem Kernstrafrecht - am wenigsten vereinbar sind.

Weblinks und Literatur

  • AE-GLD. Entwurf eines Gesetzes gegen Ladendiebstahl, bearbeitet von Arzt G. u.a. (1974) Tübingen: Mohr.

*Albach, Gregor (2015) Zur Verhältnismäßigkeit der Strafbarkeit privater Urheberrechtsverletzungen im Internet. Norderstedt: BoD. *Albrecht, Peter-Alexis (1996) Entkriminalisierung als Gebot des Rechtsstaats, in: KritV 330-339.

  • Albrecht, Peter-Alexis/Beckmann, Heinrich/Frommel, Monika/Goy, Alexandra/Grünwald, Gerald/Hannover, Heinrich/ Holtfort, Werner/Ostedorf, Heribert (1992): Strafrecht – ultima ratio, Empfehlungen der Niedersächsischen Kommission zur Reform des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft

*Albrecht, Peter-Alexis/Hassemer, Winfried/Voß, Michael (1992): Rechtsgüterschutz durch Entkriminalisierung, Vorschläge der Hessischen Kommission „Kriminalpolitik“ zur Reform des Strafrechts. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft

Siehe auch

Diskussionen um Kriminalisierung und Entkriminalisierung spiegeln nicht nur unterschiedliche juristische Auffassungen über die Aufgaben und Grenzen des Strafrechts, über Moralität und Rechtsgüterschutz und über Legitimität und Effektivität von Gesetzesverkündung und Implementierung wider. Sie markieren auch soziale Konfliktlinien und können als Indikatoren für ungelöste sozio-politische Themen gedeutet werden. Folgt man dieser Hypothese, dann sind es vor allem diese Bereiche, mit denen Gegenwartsgesellschaft ihre liebe Not hat:

  1. Mobilität und Konsum
  2. Leben, Fortpflanzung, Sterben
  3. Kommunikation
  4. Herrschaft

Dissens über Gerümpel. Die höchste Entkriminalisierungs-Evidenz müsste eigentlich mit dem Argument der Unzweckmäßigkeit und Ineffektivität verbunden sein. Da, wo sich das Instrument der Kriminalisierung als untaugliches Mittel zu einem an sich legitimen Zweck darstellt, müsste leicht Konsens über die Abschaffung entsprechender Gesetze herzustellen sein. Wer ein modernes und effizientes Strafrecht will, darf keine Angst vor der Entrümpelung haben. Solche Gesetze gehören auf den Sperrmüll.

Das geschulte Auge von Strafrechtswissenschaftlern und Kriminologen erkennt in manchen Gesetzen schon den Gerümpelcharakter zur Zeit ihrer Zusammengeschustertwerdens im Ministerium. Das war zum Beispiel bei der Gleichstellung sexueller Übergriffe "gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person" mit Vergewaltigungen im neuen § 177 StGB von 2016 (Frommel, Kreuzer, Hörnle: Rückfall in "Strafrechtsmoralismus und Prüderie" - Tatjana Hörnle) der Fall, einem Massendelikt, das voraussehbar manche Betroffene, aber auch viele nicht Betroffene zu Anzeigen verleiten wird. Kreuzer erwartet folgenlose Verfahrenseinstellungen; er fordert mit Monika Frommel: "Klare Fälle von Zwang und Gewalt gehören ins Strafrecht, Grenzfälle ins Zivilrecht, Beziehungsdelikte werden am besten von Familiengerichten geregelt." (Auch das Gewaltschutzgesetz böte hier bessere Ansätze), aber auch bei der Verschlimmbesserung des § 244 StGB aus dem Jahr 2017 durch die Aufwertung des Einbruchs in Privatwohnungen, bei dem es nicht einmal mehr eine Strafminderung für minder schwere Fälle geben soll, obwohl diese sogar für den schwereren Tatbestand des bandenmäßigen Einbruchsdiebstahls existiert. Eine Entrümpelung durch Rücknahme der Neuerungen würde hier nicht zur Entkriminalisierung führen, wohl aber eine Abkehr von der jetzigen Überpönalisierung bedeuten. Sind die Unfallflucht und das Schwarzfahren Fälle für die Entrümpelung? In beiden Fällen wird immer wieder eine Entkriminalisierung gefordert - und in beiden Fällen könnte man vermuten, dass der Erfolg ausblieb, weil die Entkriminalisierungsseite noch über allzu wenig Einfluss verfügt, obwohl sie die besseren Argument auf ihrer Seite hat. Doch sehen wir uns die Sache genauer an.


Manuskript 20.02.2018

Entkriminalisierung und Entrümpelung Sebastian Scheerer, 20.02.2018 1. Vorbemerkungen Der Begriff der Entkriminalisierung wird in verschiedenen Bedeutungen gebraucht und ist für Missverständnisse anfällig. So kann man zum einen zwischen einer tatbestands- und einer personenbezogenen Verwendung unterscheiden. Tatbestandsbezogen ist der Begriff, wenn Entkriminalisierung die Aufhebung eines Strafgesetzes bezeichnet, sei es durch Legalisierung eines bis dato strafbedrohten Verhaltens (Beispiel: Entkriminalisierung homosexueller Handlungen§ 175 StGB, Homosexualität) oder z.B. auch durch Überführung von Strafunrecht in Verwaltungsunrecht (Beispiel: Transformation ehemaliger strafrechtlicher Übertretungen in Ordnungswidrigkeiten). Letzteres kann man für eine bloße Umbenennung und eine Art Etikettenschwindel halten (so Naucke 1984), aber da auch in so einem Fall die Zuordnung zum Bereich des crimen und die Stigmatisierung des Missetäters als Krimineller entfällt, spricht doch wohl mehr dafür, sowohl in der Legalisierung von Handlungstypen als auch in der Transformation eines bestehen bleibenden Verbots wirkliche, bzw. echte Entkriminalisierungen zu sehen. Personenbezogen ist hingegen ein Verständnis von Entkriminalisierung, das bei bestehenbleibender Strafbarkeit des Verhaltenstyps auf die Vermeidung der Bezeichnung und/oder Behandlung von Personen als kriminell abstellt. So kann z.B. der Umgang mit Heroin weiterhin strafbar sein, aber Süchtige können nach „Therapie-statt-Strafe“-Bestimmungen und/oder Substitutionsbehandlungen oder (sonstige) Diversionsmöglichkeiten vor dem Strafvollzug und vielleicht auch vor dem Stigma des „Kriminellen“ bewahrt oder davon befreit (also „entkriminalisiert“) werden. Auf begrifflicher Ebene kann man fragen, ob in solchen Fällen nicht besser von Entpoenalisierung zu sprechen wäre und auf sachlicher, für wen sich durch Pathologisierung statt Kriminalisierung etwas verändert oder gar verbessert. Aber weder das eine noch das andere muss hier entschieden werden, geht es im Folgenden doch ausschließlich um Entkriminalisierung im tatbestandsbezogenen Verständnis, also um Legalisierungen und um Transformationen vom Strafrecht in nichtstrafrechtliche Rechtsgebiete. Entrümpelung ist zwar kein terminus technicus, aber eine anschauliche Bezeichnung für das, was mit „entbehrlichen Tatbeständen“ geschehen sollte (Hoven 2017) – nicht nur, aber auch mit „toten Tatbeständen“ oder mit massenhafter Bagatelldelinquenz, die sowohl zu einer unwürdigen Vielstraferei als auch zu bedenklichen Massen-Erledigungs-Routinen führt, die Polizei und Justiz von Wichtigerem abhält und doch nur notdürftig kaschieren kann, dass sich vieles in diesem Bereich sogar besser außerhalb als innerhalb des Strafrechts lösen ließe. Während das Wort von der Entrümpelung vor allem Assoziationen an Altes und Verstaubtes weckt, findet sich im Strafgesetzbuch und im Nebenstrafrecht aber oftmals auch unter dem, was neu ist, schon viel Unbrauchbares. Jedenfalls könnte man bei der Lektüre von Arthur Kreuzers (2017) Sündenregister des Heiko Maas auf den Gedanken kommen, dass es gut sein könnte, erst einmal dieses Gerümpel schnell wieder wegzuschaffen, bevor man sich an die verstaubten Paragrafen aus früheren Zeiten macht. Erster Fall: Kriminalisierung des sog. Eigendopings (§ 4 AntiDopG, 2015). Nach Kreuzer ein Verstoß gegen das Ultima-Ratio-Prinzip; dem Gesetz fehlen Eignung und Erforderlichkeit: „Der Gesetzgeber hat ignoriert, dass sportmoralische Normen ebenso wie die in den Wissenschaften zuvörderst von Fachverbänden erarbeitet und kontrolliert werden können und müssen. Er hat Doping unter Strafe gestellt, obwohl die Strafbarkeit nutzlos ist. Die Regierung hat selbst in einer Anfrage bei allen Nachbarländern, die seit Längerem solche Verbote kennen, erfahren: Nirgendwo ist auch nur ein einziger Sportler wegen Dopings strafrechtlich verurteilt worden. - Sportverbände selbst sind es, die über einzig wirksame Mittel verfügen: Anlasslose Dopingkontrollen – der Polizei wären sie versagt.“ – Zweiter Fall: Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften (§ 184b StGB). Erst 2008 verschärft („Posing“); anlässlich des Falles Edathy 2015 über das Ziel hinausgeschossen. Jetzt genügen Bilder schlafender Kinder. Kreuzer: hier wird doch schon beim bloßen Anklicken von solchen Webseiten „ein massenhaftes Verhalten kriminalisiert. Gerade junge Menschen kann das angesichts weit verbreiteten Sextings – des Verschickens aufreizender Fotos über Messenger – zur Denunziation unliebsamer Bekannter verleiten. Deswegen werden unzählige ‚Unschuldige ins Visier der Justiz geraten‘ (FAZ). Das Ganze war eine hektische, untaugliche Reaktion auf die Causa des SPD-Politikers Sebastian Edathy. Die Berliner Strafrechtlerin Tatjana Hörnle rügt einen Rückfall ‚in Strafrechtsmoralismus und Prüderie‘.“ – Thomas Fischer (2014) sprach provozierend von einer „Erkenntnis über Strafgesetz und Strafverfolgung, die verwirrender nicht sein könnte“, - der Erkenntnis nämlich, dass das Strafrecht „zur sogenannten Bekämpfung von sogenannter Kinderpornografie ebenso nutzlos wie legitimationslos“ sei. Trotzdem wird’s gemacht. Dritter Fall: die sogenannte Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a). Gemeint sind so triviale Dinge wie das Buchen eines Flugtickets in politisch unwillkommener Absicht. Selbst der BGH zeigte sich irritiert von diesem Tatbestand, handele es sich doch in Wirklichkeit allenfalls um den "Versuch der Vorbereitung zur Vorbereitung einer staatsgefährdenden Handlung" – daraus eine eigenständige Straftat zu machen, bewege sich im "Grenzbereich des verfassungsrechtlich Zulässigen". Kreuzer: „Ohne dass hier eine wirkliche Straftat vorliegt, will man Tatgeschehen künstlich behaupten, um Strafverfolgung und Freiheitsentzug zu ermöglichen." Er meint: das wäre doch wohl eher ein Fall für ein ordnungsbehördliches Ausreiseverbot. Vierter Fall: geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung (§ 217 n.F.; wir befinden uns immer noch im Jahre 2015). Entgegen seiner erklärten Absicht, die eigenverantwortliche Entscheidung am Lebensende gegenüber Einflussnahmen Dritter zu stärken, schwächt das Gesetz genau diese, und zwar recht konsequent. Es nimmt hilfesuchenden Suizidwilligen die Chance auf erfahrene Unterstützung und professionelle Hilfe und zwingt Sterbebegleiter in eine Situation zwischen der Skylla einer Strafbarkeit aufgrund des neuen § 217 und der Charybdis einer Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c). – Warum hat der Gesetzgeber nicht einfach die Strafbarkeit der Hilfeleistung ausgeschlossen für die Fälle, in denen alles unter Respektierung des Willens der Betroffenen abläuft – nach dem Vorbild der Artikel 293 II und 294 II nlStGB (Arztvorbehalt, Hinterfragen des Suizidentschlusses, Beratung unter Erörterung von Alternativen, Kontrolle des Prozesses durch eine zweite, nicht beteiligte Person)? Warum genügt es nicht, problematische Organisationen per Vereins- und Gewerberecht auszurangieren? – Da muss man wohl die Kirchen fragen und den Ethikrat. Die pauschal formulierten Einwände nennen Sorgen über mögliche Vollzugsschwierigkeiten bei einer solchen holländischen Lösung. Und sie drücken die Befürchtung aus, Suizidbeihilfe könne in Außendarstellungen wie eine normale Dienstleistung erscheinen. Das wirkt alles etwas vorgeschoben – und solange die Selbstbestimmung am Lebensende respektiert wird, lässt sich auch aus der Zunahme assistierter Suizide (Boer 2018) kein überzeugendes Argument gegen die holländische Verfahrenslösung machen (aA offenbar: Sahm 2018). Zumal sich das Bedauern über die Kriminalisierung von Palliativmedizinern bei manchen Autoren in Grenzen zu halten scheint. – Fünfter Fall: die Gleichstellung sexueller Übergriffe mit der Vergewaltigung im neuen § 177 (und die Einführung des Tatbestands der sexuellen Belästigung, § 164i) bringt uns nach der Silvesternacht in das Jahr 2016. § 177 Abs. 2 Nr. 2 bestraft die Ausnutzung einer erheblichen Einschränkung in der Bildung oder Äußerung des Opferwillens aufgrund seines körperlichen oder psychischen Zustands. Warnungen vor strafgesetzlichem Moralisieren und vor der Fokussierung auf beweisrechtlich kaum zu fassende Gefühlslagen von möglichen Opfern in einem von Fachleuten als populistisch qualifizierten Gesetz blieben wirkungslos. Kreuzer: „Ein Massendelikt, das voraussehbar zwar manche Betroffene, leider auch viele nicht Betroffene zu Anzeigen verleiten wird. Folgenlose Verfahrenseinstellungen sind zu erwarten. Verurteilungsquoten bei Sexualdelikten werden weiter sinken. Frauenverbände werden erst recht rügen, die Justiz nehme solches Verhalten nicht ernst. Indes lässt die bekannte Aussage-gegen-Aussage-Konstellation nichts anderes zu. Die Kieler Strafrechtlerin Monika Frommel bringt es auf die Formel: ‚Klare Fälle von Zwang und Gewalt gehören ins Strafrecht, Grenzfälle ins Zivilrecht, Beziehungsdelikte werden am besten von Familiengerichten geregelt.‘ Das Gewaltschutzgesetz bietet sinnvolle Ansätze.“ - Der Sinn des Gesetzes lag wohl weniger im postulierten Sinn als vielmehr in der Symbolkraft, dass der Gesetzgeber selbst allgemeingültig und mit Strafbarkeitsdrohung erklärte: es ist Schluss mit dem einst (angeblich) selbstverständlichen Verfügungsrecht des Mannes über den Körper der Frau (grundsätzlichere Fragen: Hörnle 2018; Fischer 2016). - Sechster Fall: 2017 brachte dann noch die Streichung des minder schweren Falles beim Einbruch in Privatwohnungen und dessen Aufwertung zum Verbrechen (§ 244 IV). Im Verhältnis zum bandenmäßigen Einbruchdiebstahl systemwidrig (bei §§ 244 I Nr. 2, 244a gibt es die minder schweren Fälle noch). Dass irrige Annahmen über die Deliktsrealitäten und die hohe Mindeststrafe noch erhebliche Folgeprobleme generieren werden, nimmt populistische Kriminalpolitik in Kauf, solange sie einem breiten Laienpublikum imponiert. – Wie gut, dass Gustav Radbruch als der große sozialdemokratische Vorgänger von Justizminister Maas seinen heutigen Nachfolger nicht mehr bei der Gesetzesproduktion beobachten muss – er würde die Welt nicht mehr verstehen. - Fazit: Es ist der Grundfehler unserer Zeit, die Strafgesetze zu vervielfältigen und das kriminelle Gebiet zu weit auszudehnen. Dieses Zitat trifft den Nagel auf den Kopf. Auch wenn es nicht aus Arthur Kreuzers ZEIT-Artikel aus dem vergangenen Jahr, sondern von C.J.A. Mittermaier aus dem Jahr 1819 stammt. - Nebenbei: Mit Schwarz-Gelb-Grün hätte es vielleicht eine Chance für Korrekturen gegeben; die GroKo hingegen dürfte eine deutlich punitivere Linie einschlagen, als es eine Jamaike-Koalition je getan hätte (Kubiciel 2018). Und da ist es auch nicht beruhigend, dass wirklich große Reformen sowieso ganz anderer Anstöße bedürfen, wie die Geschichte lehrt: die Emminger-Reform von 1924 hätte es ohne Hyperinflation und Finanzkrise nicht gegeben, die Entkriminalisierung durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 von 1946 nicht ohne den Untergang des Deutschen Reiches und die Strafrechtsreformgesetze von 1969 ff. nicht ohne das kollektive Erwachen aus der restaurativen Nachkriegsstarre.

2. Entrümpelung: Ärgernisse in Massenverkehr und Massenkonsum Bei den Massendelikten mit geringem Unrechts- und Schuldgehalt fehlt dem Gesetzgeber der Mut zu klaren Schnitten. Stattdessen genehmigt er der Justiz einen immer bunteren Strauß prozessualer Erledigungsmöglichkeiten. Der raschere Fallumsatz kann aber nur durch Verzicht auf alte rechtsstaatliche Förmlichkeiten erkauft werden. Hier wäre mit Thomas Vormbaum dafür zu plädieren, grundsätzlich klaren materiellrechtlichen Tatbestandslösungen den Vorzug zu geben. Ansonsten sei hier auf die Reformkommissionen in Hessen und Niedersachsen aus den frühen Neunzigerjahren verwiesen (Albrecht, Hassemer, Voss 1992; Albrecht 1996) und auf den Antrag von Volker Beck, Joseph Fischer, Kerstin Müller und Fraktion B90/DIE GRÜNEN zur Entkriminalisierung von Schwarzfahren, Ladendiebstahl und Fahrerflucht bei Sachbeschädigung aus dem Jahre 1995 (BT-DS 13/2005). - Schwarzfahrer (§ 265a StGB, Erschleichen von Leistungen) haben nach Ansicht des Berliner Richters Ulf Buermeyer nicht mehr kriminelle Energie (aber häufig weniger Geld) als Falschparker. Dennoch gilt Falschparken (das Delikt mit dem Mittelschichts-Touch) als Ordnungswidrigkeit. Schwarzfahren hingegen (das Delikt mit dem Unterschichts-Touch) als Straftat. Das kann man für ungerecht halten. Oder als typischen Fall eines Lobby-Tatbestands für ein Unding (Hoven 2018: 173). Oder auch nur für verrückt angesichts der Relationen zwischen Schaden und Verfolgungsaufwand. - Warum ist Schwarzfahren dann immer noch strafbar? Aus Bayern erklärt Justizminister Bausback (CSU): Wiederholungstaten sind keine Bagatellen. Aus Berlin hieß es noch 2017: Entkriminalisierung ist "im Hinblick auf die Wertbildungsfunktion des Strafrechts und den Schutz fremden Vermögens nicht angezeigt". Im Februar 2018 gab es dann auch andere Töne. Ladendiebstahl (AE-GLD) wird spätestens seit dem AE-GLD von 1974 unter dem Gesichtspunkt der unverhältnismäßigen Sanktionierung eines Massendelikts von typischerweise geringem Unrechtsgehalt und Schaden durch mittellose Täter diskutiert (vgl. u.a. Kreuzer 1994). – Kann es wirklich sein, dass die Einzelhandelsverbände und die Polizei zusammen ihre Lobbymacht ausspielen, um eine Entkriminalisierung zu verhindern? Für die Polizei ist der Tatbestand (> 95% Aufklärungsquote) vor allem zur Verschönerung der Gesamt-Aufklärungsquote (2016: 56%) nützlich. Medien und konservative Parteien fürchten zudem eine Kapitulation vor der Einstiegskriminalität und eine allgemeine Aufweichung des Respekts vor dem Eigentum. - Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort, auch als Unfallflucht oder Fahrerflucht (§ 142 StGB) bekannt, ist seit 1909 strafbar (§ 22 GFK), wurde unter den Nazis verschärft (1940: § 139a RStGB), um die Feigheit des vom Unfallort Fliehenden zu ächten, danach aber vom Bundesgesetzgeber unverändert als §142 StGB übernommen; spätere Basteleien am Text vermochten die Bedenken wegen der Verletzung des nemo tenetur- und des Bestimmtheits-Grundsatzes nicht zu entkräften. Immerhin kommt es in jedem Jahr zu mehreren Hunderttausend Fällen von Unfallflucht nach kleineren Parkrempeleien und ähnlichem. Hohe Einstellungsquoten bei Gericht indizieren jedenfalls, dass viele Verfahren gar nicht vor Gericht gehören. - Jan Zopfs von der Universität Mainz schlägt ein neutrales Online-Melderegister vor, das man mit seinem Handy erreichen kann, ohne notwendigerweise am Unfallort warten zu müssen: so müsste sich der Verursacher nicht direkt einer Strafverfolgung aussetzen, aber der Geschädigte würde trotzdem seinen Schaden ersetzt bekommen: "Es geht also darum, beim Unfallfluchtparagrafen ein paar Dinge anzustoßen und geradezuziehen. Die Sache zu entkriminalisieren, zu vereinfachen und effektiver zu gestalten." Sinnvoll wäre es auch, in Europa nach der best practice zu suchen und diese dann zu verallgemeinern – und das wäre dann wohl unterhalb der Ebene des Strafrechts. - Gegnern einer Entkriminalisierung geht es ums Prinzip und die hohen Werte. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) ist gegen die Lockerung der Strafe bei Fahrerflucht, weil jedem klar sein muss, dass er nach einem Unfall nicht einfach davonfahren darf: „Natürlich gebe es einen Unterschied zwischen einem Kratzer am Auto und einem schweren Unfall. Aber das Prinzip sei dasselbe: Wer am Straßenverkehr teilnehme, müsse sein Verhalten auch verantworten“ (23.01.2018, NDR 1). - Die Strafbarkeit privater nicht-kommerzieller Urheberrechtsverletzungen (§§ 106 ff. UrhG) kann man, wenn man der Analyse von Gregor Albach (2015) folgt, wohl nur als Überkriminalisierung bezeichnen. Erstens gäbe es zivilrechtliche Alternativen, zweitens fehle es nicht nur an der Verhältnismäßigkeit der Mittel, sondern auch an deren Eignung und Erforderlichkeit. 2012 wollte die Piratenpartei die Strafbarkeit auf gewerbsmäßiges Handeln beschränken, § 107 UrhG streichen und die übrigen Straftatbestände reformieren. Ansonsten blieb es aber ziemlich ruhig. - Warum wird nicht entkriminalisiert? Interesselosigkeit. Und Widerstand von organisationsfähigen Musikverlagen und Filmverleihern - man erinnere sich an die aufwendige, schon im Jahre 2003 gestartete Kampagne unter dem Titel "Raubkopierer sind Verbrecher". Die Kriminalisierung von Cannabis in Deutschland begeht im Jahre 2025 ihren 100. Geburtstag. Zu verhindern, dass es soweit kommt, war das Ziel vieler Initiativen, angefangen mit dem Vorlagebeschluss des LG Lübeck aus dem Jahre 1992, der mit dem Beschluss des BVerfG vom 9.3.1994 endete, welcher das Verbot von Cannabis für vereinbar mit dem Grundgesetz hielt. Dogmatisch war das nicht überzeugend (Husak 1992, Nestler 1998, 2017), zumal sich die Drogenbekämpfung auch empirisch in Bezug auf Verfügbarkeit, Preis und Reinheitsgrade als wirkungslos erwies (Werb et. al 2013). 2014 stimmten Juristen, Suchtexperten und Mediziner auf einer Tagung in Frankfurt in ihrem Ruf nach schneller Entkriminalisierung überein. Immerhin setzten sich 12% der Deutschen, die angaben, im Verlaufe des vergangenen Jahres mindestens einmal konsumiert zu haben, den Risiken des Schwarzmarktes und der Strafverfolgung aus (laut dem Bund Deutscher Kriminalbeamter werden zwar die meisten der jährlich 145 000 Cannabisdelikte – von insgesamt 250 000 Drogendelikten – eingestellt, doch entstehen unnötige Kosten gerade dadurch, dass Beamte für den Papierkorb arbeiten). Der 2015 von den Grünen eingebrachte und von der Linken unterstützte Entwurfs für ein Cannabiskontrollgesetz (CannKG, BT-DS 18/4204), das legalen Zugang zu Cannabis als Genussmittel für Erwachsene forderte, wurde am 2.6.2017 mit der Mehrheit von Union und SPD abgelehnt (18/12476). Dabei könnte man in Deutschland von Portugal, Uruguay und anderen Staaten lernen. Portugal stufte 2001 alle Drogenvergehen in der Konsumsphäre zu Ordnungswidrigkeiten herab. Uruguay legalisierte Cannabis 2013 – und inzwischen haben acht US-Bundesstaaten nachgezogen: neben Kalifornien (seit 2016) auch Alaska, Colorado, Maine, Massachusetts, Oregon, Washington und Nevada. Warum ist in Deutschland nichts geschehen? Die SPD wollte weitere Erfahrungen und Erkenntnisse abwarten, während die CDU/CSU die Befürchtung äußerte, „die Debatte um die Legalisierung des Cannabiskonsums führe bei der Bevölkerung und insbesondere bei Jugendlichen zu dem Eindruck, Cannabis sei harmlos. Cannabis sei aber nicht harmlos. In der Argumentation verschiedener Gruppen, die ebenfalls das Ziel der Legalisierung verfolgten, werde wenig glaubhaft behauptet, der Jugendschutz stehe im Fokus. Dieses Argument sei schief. Die Verbesserung des Jugendschutzes durch die Legalisierung einer Droge gehe nicht zusammen. Auch die Behauptung, der Schwarzmarkt werde durch eine regulierte Abgabe von Cannabis eingedämmt, sei nicht überzeugend. Minderjährige würden sich weiterhin illegal Cannabis auf dem Schwarzmarkt besorgen. Durch den erlaubten Eigenanbau sowie durch die Höchstmenge von 30 Gramm bestehe natürlich die Möglichkeit, Cannabis an andere Konsumenten, auch Jugendliche, weiterzugeben. Da die Zahl der Drogentoten gestiegen sei, werde es in der nächsten Wahlperiode darum gehen, die Drogenpolitik weiterzuentwickeln. Ein Ansatz sei die Substitutionstherapie z. B. nach der Haftentlassung.“ Entkriminalisierung setzt die Bereitschaft zur Entrümpelung voraus, sollte sich darin aber nicht erschöpfen. Die Frage ist dann nur: welchen Prinzipien kann oder sollte eine Entkriminalisierung jenseits der Entrümpelung folgen? Wer im Strafrecht eine beliebig einsetzbare Allzweckwaffe zur Gefahrenabwehr sieht – was in etwa die Sicht der aktuellen Strafrechtspolitik sein dürfte (Stichworte: zunehmende Strafbarkeit im Vorfeld von Rechtsgutsverletzungen; Aufstieg abstrakter Gefährdungsdelikte, strafrechtliche Sicherung des Funktionierens gesellschaftlicher Subsysteme) – wird Entkriminalisierungen vielleicht da fordern oder akzeptieren, wo eine evidenzbasierte kriminologische Forschung die Ineffektivität der Norm belegen kann. Gesagt ist das aber nicht, denn die „positive Generalprävention“ und der symbolische Eigenwert strafgesetzlicher Botschaften entziehen sich ja gerade der empirischen Sozialforschung, so dass sich immer argumentieren lässt, man solle Normgeltung und Wertordnung nicht vorschnell aufweichen oder durch missverständliche Signale gefährden. Wer hingegen im Strafrecht eine immanent problematische Institution des Subordinationsstaates sieht – so wie es der Wahrnehmung der Strafrechtskritiker seit der Aufklärung entspricht, wie sie bei Montesquieu, Voltaire, Beccaria oder auch in Artikel 8 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1789 zum Ausdruck kam und was in Deutschland in die Form des Ultima-Ratio-Grundsatzes und des Prinzips der Verhältnismäßigkeit gegossen wurde, wird überall dort Entkriminalisierungsbedarf sehen, wo bessere Lösungen durch außerstrafrechtliche Maßnahmen der Verhaltenssteuerung vorhanden oder herstellbar sind. Gewiss: modern und effektiv sollte das Strafrecht sein. Das muss aber nicht heißen, der herrschenden Tendenz hinterherzulaufen, das abstrakte Gefährdungsdelikt zum herrschenden Deliktstypus zu promovieren und schlichtweg allen Rechtsgutsverletzungen durch ein lückenloses Risikostrafrecht vorzubeugen. Modern und effektiv kann auch heißen, das Strafen als Relikt des Autoritären Staates auf das – noch - absolut unverzichtbare Maß zu beschränken und nur dort zuzulassen, wo es mangels besserer Möglichkeiten vorläufig noch um der Erhaltung der Freiheit der Individuen willen erforderlich ist. Mindestens drei Gesichtspunkte sprechen für eine abolitionistische Perspektive als Fluchtpunkt kriminalpolitischen Nachdenkens und Handelns (vgl. Vormbaum 2011: 41f.): • Es gibt keine allseits anerkannte Begründung für die mit staatlichem Strafen verbundenen Bedrängnisse, Beschränkungen und Leiden. Im Gegenteil: es gibt immer mehr und vielfältigere Einwände gegen die „strafende Vernunft“ • Im freiheitlich-demokratischen und sozialen Rechtsstaat verlangt die Menschenwürde, Eingriffe in die Freiheitssphäre der Bürger so gering wie möglich zu halten und nur als letztes Mittel zuzulassen (ultima ratio). • Im Strafjustizsystem kann die Menschenwürde nur gewahrt bleiben, wenn das Fallaufkommen unter Wahrung hoher Standards gut bewältigt werden kann und es keine Massenabfertigung gibt, bei der Standards gesenkt, Beschuldigtenrechte verletzt und schützende Formen preisgegeben werden. Thomas Vormbaum destillierte daraus die Devise: „Strafrechtswissenschaft sollte gegenüber staatlicher Dispositionsfreiheit über das Strafrecht einen Gegenpol bilden. Sie sollte den Kriminalisierungswünschen der Politik den Grundsatz 'in dubio contra delictum' als eine Ausprägung des Grundsatzes 'in dubio pro libertate' entgegenhalten."

3. Sexualität, Fortpflanzung, Sterben Seit 1969 gilt als Konsens, dass das Strafrecht nicht dazu da ist, bloße Moralvorstellungen zu schützen, sondern nur klar benennbare und legitime Rechtsgüter. Im Bereich der Sexualität ist nicht die Sittlichkeit zu schützen, sondern die sexuelle Selbstbestimmung. Dementsprechend benannte man 1973 die „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ in „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ um. Seither wurde schon wieder viel hin- und zurückreformiert und noch immer ist keine Ruhe eingekehrt. Das hat auch damit zu tun, dass die sozialen Konflikte um Grade und Grenzen sexueller Selbstbestimmung seit 1969 an Schärfe eher noch zugenommen haben. Wo es um Jugendliche geht, besteht ein schwieriges Spannungsverhältnis zwischen Jugendschutz und subjektiven Rechten, das hier nicht bis in die letzten Konsequenzen möglicher Entkriminalisierungs-Optionen oder –Notwendigkeiten analysiert werden kann (dazu aber Lenz 2017). Unter dem Gesichtspunkt des Rechtsgüterschutzes ist das strafrechtliche Verbot des vaginalen Beischlafs zwischen einvernehmlich agierenden volljährigen Voll- oder Halbgeschwistern nach wie vor umstritten (Inzestverbot § 173; acht bis zwölf Verurteilungen pro Jahr). Für eine Entkriminalisierung spricht, dass es erstens Staaten gibt, in denen der einvernehmliche Inzest nicht strafbar ist. Das gilt für Frankreich, die Niederlande, Portugal, Spanien, die Türkei, Russland, China und die Elfenbeinküste. (Anderes gilt natürlich für sexuelle Übergriffe innerhalb der Familie), und dass durch den einvernehmlichen Geschlechtsverkehr volljähriger Geschwister zweitens nach der gut begründeten abweichenden Meinung von Winfried Hassemer gar kein Rechtsgut verletzt wird. Parteiprogramme der Grünen und der Piratenpartei forderten jeweils 2012 die Abschaffung des § 173 – wobei selbstverständlich der Fall des Beischlafs von z.B. Elternteilen und minderjährigen Kindern davon unberührt bleiben sollte (§ 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Jerzy Montag von den Grünen erklärte dazu, die strafrechtliche Verfolgung vom Beischlaf unter Verwandten und Geschwistern sei ein Anachronismus; moralische Tabus dürften nicht mit dem Strafrecht durchgesetzt werden. 2014 empfahl der Deutsche Ethikrat mehrheitlich, den Geschwisterinzest zu entkriminalisieren und § 173 StGB abzuschaffen: das Grundrecht der erwachsenen Geschwister auf sexuelle Selbstbestimmung sei stärker zu gewichten als das abstrakte Schutzgut Familie. Warum ist das nicht geschehen? Das Bundesverfassungsgericht erklärte 2008, sowohl der Schutz von Ehe und Familie und Schutz der sexuellen Selbstbestimmung gegenüber spezifischen, durch die Nähe in der Familie bedingte oder in der Verwandtschaft wurzelnde Abhängigkeiten, rechtfertige die Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit als auch der Schutz vor Erbschäden. Die CDU/CSU befürchtete "ein falsches Signal"; eine Entkriminalisierung laufe dem Schutz der unbeeinträchtigten Entwicklung von Kindern in ihren Familien zuwider. In fast allen Fällen gehe Inzest mit der Abhängigkeit eines Partners und äußerst schwierigen Familienverhältnissen einher. Nach dem BVerfG bescheinigte auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dem Inzestverbot die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht (2012). Justizminister Maas lehnte 2014 sowohl die Abschaffung als auch eine Reform des § 173 ab. Die Entkriminalisierung funktionierte im Fall der Homosexualität (§ 175 StGB) nach 122 Jahren (1.1.1872-11.6.1994). Zunächst bedrohte er neben sexuellen Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts auch die „widernatürliche Unzucht mit Tieren“ (ab 1935 nach § 175b ausgelagert). 1935 wurde die Höchststrafe von sechs Monaten auf fünf Jahre Gefängnis angehoben. Außerdem wurde der Tatbestand von beischlafähnlichen auf sämtliche „unzüchtigen“ Handlungen ausgeweitet. Der neu eingefügte § 175a bestimmte für „erschwerte Fälle“ zwischen einem und zehn Jahren Zuchthaus. In der BRD hielt man daran zunächst fest. Die sozialliberale Koalition ersetzte den Begriff der Unzucht am 23.11.1973 durch den der „sexuellen Handlung“. Im § 175 blieb nur noch der Sex mit Minderjährigen als qualifizierendes Merkmal zurück, wobei man das sogenannte Schutzalter von 21 auf 18 Jahre absenkte. Die Zahl der Verurteilungen ging auf jährlich höchstens 200 zurück. 1980 forderte die FDP in ihrem Wahlprogramm die Streichung des § 175, „um Homosexuelle rechtlich und gesellschaftlich gleichzustellen“: „Für den Schutz von Kindern und Abhängigen reichen die übrigen Strafbestimmungen aus.“ – Sie konnte sich aber damit in den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzen. 1989 lehnte die schwarz-gelbe Regierungskoalition mit den Stimmen der SPD die Forderung der Grünen zu einer ersatzlosen Streichung ab. 1994 war es dann doch soweit. Das 29. Strafrechtsänderungsgesetz hob den § 175 dann ersatzlos auf. Das absolute Schutzalter für sexuelle Handlungen wurde einheitlich auf 14 Jahre festgelegt (Sexueller Missbrauch von Kindern, § 176 StGB); zusätzlich wurde für besondere Fälle der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen (§ 182 StGB) mit einem relativen Schutzalter von 16 Jahren ausgeweitet und geschlechtsneutral formuliert. Im Jahre 2002 erklärte der Bundestag Verurteilungen nach § 175 während der Nazizeit für nichtig. 2012 beantragte der Bundesrat, die Bundesregierung möge Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung für die nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten vorschlagen. Entsprechende Anträge der Grünen und der Linken im Bundestag wurden zunächst abgelehnt. Am 22.7.2017 trat das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen (StrRehaHomG) in Kraft. Von den insgesamt etwa 140.000 nach den verschiedenen Fassungen des § 175 verurteilten Männern lebten um die Zeit vielleicht noch 5000. Sie sollen nun mit 3000 Euro pro Urteil und 1500 Euro pro angefangenem Jahr eines Freiheitsentzugs entschädigt werden. Ganz im Gegensatz zur Homosexualität hat die Entkriminalisierung der Pädophilie (§ 176 StGB) nicht funktioniert – ganz im Gegenteil. Pädophilie als sexuelle Orientierung ist nicht strafbar; wohl aber jeder Versuch, sie auszuleben – einschließlich des Versuchs, sich z.B. zwecks Selbstbefriedigung kinderpornographisches Material zu beschaffen. Pädophile werden vom Gesetz mit Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren (und Sicherungsverwahrung) bedroht. Entkriminalisierungsforderungen gab es in den 1980er Jahre – aber auch nur in kleineren Zirkeln. 1985 nahm der Parteitag der Grünen in Lüdenscheid (NRW) mit 73 zu 53 Stimmen bei 7 Enthaltungen das Arbeitspapier "Sexualität und Herrschaft" in das Landtagswahlprogramm auf. Danach sollte jede Form von „gewaltfreiem“ Sexualverkehr - auch zwischen Kindern und Erwachsenen - straffrei bleiben, wobei die Forderung nach ersatzloser Streichung der Schutzaltersgrenze umstritten blieb. Hauptargument für die Entkriminalisierung war die Disproportionalität der gesellschaftlichen Reaktion auf Kindesmisshandlung und sexuelle Gewalt an Kindern einerseits (wo man gerne wegschaut und milde sanktioniert) und auf gewaltfreie Sexualität andererseits, bei der man Pädophile, die "die sexuellen Wünsche von Kindern und Jugendlichen ernst nehmen und liebevolle Beziehungen zu ihnen unterhalten, mit Gefängnis bis zu zehn Jahren bestraft." Zu den Protagonisten gehörten damals u.a. Dany Cohn-Bendit und Volker Beck. Letzterer ging in einer Publikation von 1988 von der relativen Harmlosigkeit von einvernehmlichem Sex mit Kindern aus – eine Einschätzung, die in der Wissenschaft Bestätigung findet (Sandfort 1986, 1987, Sandfort et al. 1991, Rind et al. 1998, Ulrich 2005). Beck selbst bezeichnet seine eigene damalige Position als „abwegigen Stuss“ und „großen Fehler“ und reagiert, wenn er daran erinnert wird, seit 1993 überaus allergisch. Dem Schutz vor unerwünschter Konfrontation mit sexualbezogenen Betätigungen dienen die Tatbestände Exhibitionistische Handlungen (§ 183 StGB) und Erregung öffentlichen Ärgernisses (§ 183a StGB). Nach § 183 StGB macht sich ein Mann strafbar, der eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung belästigt. § 183a StGB bedroht mit Strafe, wer öffentlich sexuelle Handlungen vornimmt und dadurch absichtlich oder wissentlich ein Ärgernis erregt. Auf diese Delikte entfallen rund 15% aller Verurteilungen wegen Sexualdelikten. Entkriminalisierungsforderungen werden mit einer Veränderung der Toleranz gegenüber abweichenden Formen der Sexualität und einer geringeren Vulnerabilität der Öffentlichkeit durch solche Konfrontationen sowie mit der geringen Schädigung von Opfern und der Existenz erfolgversprechender Therapiemöglichkeiten begründet. Warum ist es dann noch nicht zu einer Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit gekommen? Wohl aus drei Gründen: nur mittels einer Strafdrohung ließe sich erstens das Schamgefühl der Allgemeinheit schützen, zweitens eine mögliche Eskalation zu gravierenderen Sexualdelikten frühzeitig stoppen und drittens Behandlungs-Bereitschaft fördern. Die alte Forderung nach einer Entkriminalisierung der Abtreibung (§ 218 bis 219a StGB) wird trotz einer gewissen Beruhigung der Lage durch die Herabstufung zum Vergehen im Jahre 1969 und durch die seit 1994 geltende Beratungspflicht-und-Wartefrist-und-Fristenlösung auch heute noch (vor allem von der LINKEN) erhoben. Seit 2014 unterstützt z.B. Sahra Wagenknecht das Berliner „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“, und im Themenpapier Schwangerschaftsabbruch der Partei hieß es im Jahre 2017: „Wir wollen die ersatzlose Streichung des §218. Wir wollen ebenso den §219 StGB abschaffen, in dem ein sogenanntes Werbeverbot festgeschrieben ist, bei dem es sich jedoch eigentlich um ein Informationsverbot handelt. Stattdessen wollen wir Angebote der freiwilligen Beratung ausbauen und Plankrankenhäuser dazu verpflichten, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, damit eine wohnortnahe Versorgung sichergestellt werden kann.“ In Bezug auf § 219a steht die Linke nicht allein. Unterstützt wird die Forderung auch vom Deutschen Juristinnenbund (2017) und von den Grünen, der FDP und der SPD („Der Paragraf 219a passt nicht mehr in die Zeit“, 11.12.2017). Nur die Union stellt sich noch quer. Warum konnte sich die Forderung nach ersatzloser Streichung des § 218 bis heute nicht durchsetzen? Da spielen staatliche Bevölkerungspolitik und christliche Ethik eine große Rolle. Das BVerfG kippte die Fristenlösung gleich zweimal: 1975 und 1993. Auf der anderen Seite sind Frauen durch diese Kriminalisierung in ihrer Existenz betroffen und können schon deshalb keine Ruhe geben. Denn anders als bei anderen Straftatbeständen wird die Frau ja in diesem Fall nicht nur dazu aufgefordert, eine isolierte Schädigung zu unterlassen (wie beim Verbot von Mord, Totschlag oder Körperverletzung), sondern die Unterlassung der Abtreibung bedeutet zugleich auch die Selbstverpflichtung zu einer das ganze Leben bestimmenden Tätigkeit: nicht abzutreiben heißt, die Schwangerschaft weiter austragen, die Geburt durchmachen, ein Baby zu versorgen und ein Kind großziehen. 4. Dissens und Opposition Im politischen Strafrecht geht es um Grenzziehung zwischen der Freiheit der Bürger einerseits und den Interessen des Staates, sich nicht durch allzu viel und allzu radikale Fundamentalopposition destabilisieren zu lassen, andererseits. Hier gibt es drei komplizierende Besonderheiten. Erstens schützt der Staat hier nicht die Rechtsgüter anderer, sondern ziemlich direkt seine eigene aktuelle Macht- und Herrschaftsordnung. Das weckt Zweifel an Unbefangenheit und Unparteilichkeit des Gesetzgebers. Zweitens tendiert der staatliche Selbstschutz in Krisensituationen zu Überreaktionen – und die führen u.U. zu Reaktanz und Eskalation. Man denke an die politische Justiz gegen Kommunisten von 1949 bis 1968 oder aber auch an die jungen Leute, die in den frühen Siebzigerjahren aus Empörung über die Isolationshaft der ersten Generation der RAF in die Komitees gegen die Isolationsfolter eintraten, in Einzelfällen dann den Mitleids- und Gefangenenbefreiungs-Terrorismus der zweiten und dritten Generation bildeten und den bewaffneten Konflikt verlängerten. Drittens kollidieren hier nicht selten fachliche und tagespolitische Motive von Befürwortern und Gegnern von Entkriminalisierungen. Wer zum Beispiel bei manchen Gesetzen für eine Entkriminalisierung eintritt und das mit der Illegitimität einer Kriminalisierung weit im Vorfeld von Rechtsgutsverletzungen begründet, sollte seinen Argumenten auch dann treu bleiben, wenn es um Straftatbestände geht, die genauso aufgebaut sind, nach seinem politischen Verständnis aber „die Richtigen“ treffen. Ein erstes Beispiel für das letztgenannte Problem ist die Forderung nach der Entkriminalisierung der Verbreitung von Propagandamitteln und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§§ 86 und 86a StGB). - Ursprünglich handelte es sich um eine Vorschrift des Versammlungsrechts: § 4 i.V.m. § 28 des Versammlungsgesetzes (VersG) von 1953 stellte das Zeigen von Kennzeichen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen unter Strafe. 1960 Aufwertung zum Staatsschutzrecht als § 96a StGB. 1968 Ersetzung durch das Kennzeichenverbot des § 86a StGB und damit Einordnung in den Bereich der Parteien- und Vereinigungsverbote. Neu war ansonsten nur, dass der § 86a StGB die Strafbarkeit ausdrücklich auf den räumlichen Geltungsbereich des Strafgesetzbuchs beschränkte und den Tatbestand um das „Verbreiten“ verfassungsfeindlicher Kennzeichen erweiterte. 1985 kam die Ausdehnung auf Vorbereitungshandlungen wie das Herstellen, Vorrätighalten und Einführen von entsprechenden Kennzeichen ausgedehnt. 1994 wurde das alles dann im Rahmen des Verbrechensbekämpfungsgesetzes um die Fälle erweitert, in denen es nicht um die Originalzeichen, sondern „ähnliche Kennzeichen“ geht. Schutzgüter sind der politische Frieden, die freiheitliche demokratische Grundordnung, der Gedanke der Völkerverständigung und das Ansehen Deutschlands im Ausland. Das Verbot soll verhindern, dass die verbotenen Organisationen oder die von ihnen verfolgten Bestrebungen wiederbelebt werden, und dass aufgrund der Präsenz der entsprechenden Symbole der Eindruck entsteht, solche Bestrebungen würden geduldet (Trips-Hebert 2014). Das Schutzgut des öffentlichen Friedens ist nicht unproblematisch (Hörnle NStZ 2002, 114 Fn. 16); die Berufung auf die Erfordernisse des Staatsschutzes ist ebenfalls nicht sehr tragfähig – und dazu handelt es sich um eine weit ausgreifende Vorfeldkriminalisierung: § 86a StGB setzt ja bekanntlich weder eine tatsächliche Verletzung dieser Rechtsgüter noch deren konkrete Gefährdung voraus (abstraktes Gefährdungsdelikt). Da § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB zudem allein einen Bezug zum Gedankengut einer nicht mehr existenten nationalsozialistischen Organisation herstellt und es keinen fassbaren Organisationsbezug gibt, werden mit diesen Vorschriften letztlich nur – entgegen Art. 5 GG - politische Meinungen bekämpft (Lüttger JR 1969, 19). - Entkriminalisierungsforderungen kommen aber anscheinend vorwiegend oder ausschließlich von ganz rechts (angeblich soll Bernd Höcke in einer internen e-mail 2014 die Abschaffung von § 86 und § 130 gefordert haben). Ansonsten ist Kritik weitgehend auf die wissenschaftliche Literatur beschränkt (Eidem 2015: 100). Ganz anders sieht es, wegen der politischen Stoßrichtung, bei der Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter (§ 103 StGB) aus. Hier war man sich angesichts des Skandals um das Schmähgedicht von Jan Böhmermann auf den türkischen Staatspräsidenten schnell einig, dass der eigentliche Bösewicht Erdogan hieß, dem man so viel Ehrenschutz nun auch wieder nicht angedeihen lassen wollte. Schnell waren Gründe zur Hand, die für die Abschaffung des Straftatbestands sprachen. SPD und Grüne machten noch Druck, als die Aufhebung des Gesetzes schon beschlossene Sache war. Über den Bundesrat forderten sie eine Vorverlegung des Inkrafttretens. In seiner 954. Sitzung schlug der am 10. März 2017 vor, das Datum des Inkrafttretens vorzuverlegen auf den Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt. Begründung: „Es besteht kein sachlicher Grund, den Wegfall der Norm hinauszuzögern." Das Gesetz vom 17.7.2017 trat dann aber doch erst zum 1.1.2018 in Kraft. Einschränkungen der Meinungsfreiheit wird auf der linken Seite des politischen Spektrums größere Bedeutung zugemessen als auf der rechten. Bei dem Straftatbestand der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§§ 129a,b StGB) liegt immerhin ein Organisationsbezug vor –trotzdem bot er Anlass für wiederholte Abschaffungsforderungen. 1997 forderte die Bundestagsfraktion von B90/DIE GRÜNEN die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der "zumindest" die Streichung des Tatbestandes der terroristischen Vereinigung (§ 129a), des gesamten Kronzeugengesetzes, des Kontaktsperregesetzes und des Verbots der Mehrfachverteidigung vorsehen sollte (BT-DS 13/9460: 3). Die Konturlosigkeit des Organisationsdelikts kollidiere mit dem Bestimmtheitsgebot des Artikel 103 II GG und dem Schuld- und Tatstrafrecht gem. Art. 2 I GG. Paragraf 129 a bedrohe auch diejenigen, die sich der öffentlichen Diskussion stellen und sich mit den Ursachen des Terrorismus auseinandersetzten (Autoren, Verlage, Buchhändler). Man kritisierte die Vielzahl von ergebnislosen, aber einschüchternden Verfahren (1980-1996: mehr als 6000, davon 4985 Verfahren wegen des Verdachtes des Werbens und Unterstützens einer terroristischen Vereinigung – aber nur 6 Urteile stützten sich auf diesen Paragrafen). 2008 äußerte sich die SPD-Juristin Franziska Drohsel Bezug auf §§ 129 a und b StGB: "Der Umgang mit politisch Andersdenkenen ist symptomatisch für den Zustand eines freiheitlichen und rechtsstaatlichen Landes. .. Kommt es tatsächlich zu terroristischen Straftaten, werden die Delikte durch den Straftatbestand selbst erfasst. Jedoch können über die Konstruktion des § 129 a StGB auch Personen belangt werden, denen keine konkrete Beteiligung nachgewiesen werden kann. § 129 a, b StGB stellt einen Fremdkörper im deutschen Strafrecht dar, da eine konkrete Tat des Beschuldigten nicht erforderlich ist, sondern die angebliche Gesinnung des Beschuldigten ausreicht. Es liegt mit dem § 129 a, b StGB eine Kollision mit dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG und des Schuld- und Tatstrafrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG vor. § 129 a, b StGB ist eine Norm des Strafrechts, die „eine Strafbarkeit bereits weit im Vorfeld der Vorbereitung konkreter strafbarer Handlungen“ (BGH 28, 148, 11.10.1978) begründet. Bei Handlungen, die „normalerweise“ keine Strafbarkeit begründen, handelt es sich z.B. um Reden, Treffen, etc. Die Strafbarkeit wird also in ein Stadium vorverlagert, in dem ein konkreter Bezug zur Verwirklichung einer individuellen Rechtsverstoßes noch nicht gegeben ist. Es verschwimmt die Abgrenzung zwischen legalem Handeln und Delikt. Elemente des repressiven Strafrechts werden mit denen der präventiven Gefahrenabwehr vermischt. So wird § 129 a, b Strafprozessordnung auch als „Schnüffelparagraph“ bezeichnet, da er weitreichende Möglichkeiten zur staatlichen Überwachung in einem vom Staat zu definierenden Personenkreis beinhaltet, gegen die sich der/die Betroffene mangels Kenntnis des Verfahrens nicht wehren kann. Hier sind insbesondere auch die weitreichenden Ermittlungsmaßnahmen der StPO zu nennen. Faktisch fungiert der § 129 a, b StGB als „Einschüchterungsparagraph“, der mit schnelleren Hausdurchsuchungen, erleichterte Untersuchungshaft, höheren Kontrollmöglichkeiten etc. massive Grundrechtseingriffe ermöglicht. Ausdruck liberalen Gedankenguts war die Begrenzung strafrechtlichen Staatsschutzes auf die Verteidigung der staatlichen Ordnung und Integrität. Autoritäre Strömungen versuchten stets, den Präventivkampf gegen politische Abweichler-Innen mit vordemokratischen Elementen, wie der Vorverlagerung von Strafbarkeit, zu führen.“ Viel Angriffsfläche bietet der auch als Blasphemie- oder Gotteslästerungs-Paragraf bekannte § 166 StGB, im Schönfelder "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen" genannt. Die Vorschrift bedroht mit Geldstrafe oder Gefängnis bis zu drei Jahren, wer "in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören", eine Religion oder eine Kirche beschimpft. Geschütztes Rechtsgut ist der öffentliche Frieden. Es geht nicht um das Bekenntnis als solches oder die bloßen Gefühle seiner Anhänger. Beschimpfen ist eine besonders gravierende herabsetzende Äußerung. Die beschimpfenden Äußerungen müssen nicht an die Kreise gerichtet sein, in denen sie zur Störung des öffentlichen Friedens führen können. Es genügt, wenn zu befürchten ist, dass sie dort bekannt werden. § 166 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt, d.h. der öffentliche Frieden muss durch die Beschimpfung nicht tatsächlich gefährdet sein, sondern berechtigte Gründe für die Befürchtung, der öffentliche Frieden könnte gestört werden, reichen aus. Die Beurteilung, ob das der Fall ist, soll aus der Perspektive eines objektiven, nicht besonders empfindlichen Beobachters erfolgen. Jährlich kommt es zu ca. 15 Verurteilungen. Die Abschaffung von § 166 forderte z.B. die FDP im Wahlkampf 2017: der Staat solle die Kunstfreiheit schützen - und nicht die Gefühle religiöser Fanatiker. "Auch wenn absichtliche Schmähungen Andersgläubiger oder Andersdenkender nicht förderlich für ein friedliches Miteinander sind, halten wir den Blasphemie-Paragraphen 166 StGB für überflüssig und wollen ihn abschaffen." Damit spricht die FDP auch der Giordano-Bruno-Stiftung aus dem Herzen, die den Anschlag auf 'Charlie Hebdo' am 8.1.2015 zum Anlass für dieselbe Forderung nahm, und auch dem Grünen Volker Beck, der ebenfalls für die Abschaffung plädiert. Nach Einschätzung des Instituts für Weltanschauungsfragen (ifw) vom 30.9.2017 war die rechtspolitische Ausgangslage für eine Abschaffung des Blasphemieparagrafen während der Jamaika-Verhandlungen zwischen Union, FDP und Grünen so gut wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Gründe für diese Forderung gibt es viele. Da gibt es den Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip und den Bestimmtheitsgrundsatz. „Gemäß Grundgesetz Art. 103 Abs. 2 muss die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt sein, bevor die Tat begangen wurde. Jedoch wird nach § 166 StGB die Meinungsäußerung erst nachträglich durch das Handeln des "Opfers" zu einer Straftat, nämlich, wenn das "Opfer" für eine Störung des öffentlichen Friedens sorgt oder damit droht oder einer Religionsgruppe angehört, bei der die deutschen Strafverfolgungsbehörden mit einer Störung des öffentlichen Friedens rechnen können. Zudem ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten der Bestimmtheitsgrundsatz einzuhalten. Der "öffentliche Friede", definiert als Zustand allgemeiner Rechtssicherheit ermöglicht keine Abgrenzung straflosen und strafbewehrten Verhaltens. Als Unrechtsbegründung bleibt der Hinweis auf eine drohende Trübung der Sicherheitserwartungen zirkulär: Der öffentliche Frieden soll nur durch eine Unrechtstat gestört werden können, die gerade deswegen Unrechtstat ist, weil sie den öffentlichen Frieden störe. Der Ansatz setzt den Unrechtsgehalt der Handlung voraus, den es erst noch zu begründen gilt. Nicht das Unrecht des potenziellen Gefährdungserfolges, sondern der Tat (des Beschimpfens) muss begründet werden. (Stübinger, Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 166 Rn. 2)“ – so Jacqueline Neumann, wissenschaftliche Koordinatorin des ifw. Letztlich widerspricht § 166 zentralen Merkmalen der Aufklärung und insbesondere dem Grundsatz, „alles hinterfragen zu dürfen. Das Licht der Vernunft soll in jeden Winkel scheinen, um Unterdrückung, Aberglaube, Intoleranz und Vorurteile zu überwinden. (...) Der Staat macht sich mit solchen Gesetzen zum Unterstützer der Feinde des offenen Diskurses. Vertreter jedweder Ideologie, ob politisch oder religiös, müssen es schlicht ertragen können, dass ihre Weltanschauung hinterfragt, kritisiert und, ja, auch lächerlich gemacht wird“ (Markus Becker, Spiegel-Online, 9.1.2015). § 166 erlaubt es, aus Opfern einer Einschränkung der Meinungsfreiheit Täter einer Störung der öffentlichen Ordnung zu machen – nur weil diejenigen, die kritisiert werden, als Reaktion auf die Kritik, mit der sie nicht anders umgehen können, die öffentliche Ordnung stören. Charlie Hebdo war und ist eine Zeitschrift, die kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es um die Kritik des Islam geht. Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon meinte, der Paragraf habe „zu einer völligen Verkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses geführt“. Letztlich bestrafe er Kritiker, weil die Kritisierten Kritik nicht aushielten. Von ähnlichem Zuschnitt: Volksverhetzung (§ 130 StGB) und darin die Sondervorschrift über die Leugnung des Holocaust (§ 130 Abs. 3 StGB). Wie beim Blasphemie-Paragrafen auch hier wieder ein abstraktes Gefährdungsdelikt und der problematische Rekurs auf die Eignung, die öffentliche Ordnung zu stören. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass es sich um ein Sondergesetz über Meinungsäußerungen über spezifische historische Ereignisse handelt. Die Probleme des § 166 finden sich hier alle wieder, aber dadurch noch verschärft. Im Kaiserreich waren es noch bis zu 2 Jahre Gefängnis, wenn man "in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden" Weise "verschiedene Klassen der Bevölkerung zu Gewalttätigkeiten gegen einander" anreizte. Jetzt genügt die „Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören“ – abstraktes Gefährdungsdelikt – und das Bestreiten oder Verharmlosen nationalsozialistischer Makrokriminalität, in der Regel durch Spinner, die man ignorieren könnte anstatt sie ins Gefängnis zu stecken und damit Märtyrer der Meinungsfreiheit zu produzieren (Hassemer/Hoffmann-Riem 2008). Zumal das Grundgesetz eine Beschränkung des Rechts auf Meinungsfreiheit nur bei Verleumdung, übler Nachrede und Betrug sowie zum Jugendschutz kennt, nicht aber zur Absicherung des Inhalts von Geschichtsbüchern gegen Dissidenten. Das BVerfG hatte demgegenüber am 13.4.1994 entschieden, dass Holocaustleugnung gar nicht unter das Grundrecht der Meinungsfreiheit fiele, da es sich dabei um eine unwahre Tatsachenbehauptung handele, die per se nicht zur Meinungsbildung beitragen könne. Sie komme also nicht einmal als eine im Prinzip schutzwürdige Meinung im Sinne des Art. 5 GG in Betracht. Daraufhin wurde der § 130 am 28.10.1994 um den Absatz 3 ergänzt, der nach Meinung des BVerfG kein Sonderrecht gegen bestimmte Meinungsinhalte darstellt, weil eine direkt zu Hass, Gewalt oder Willkür aufstachelnde Äußerung eine nicht von der Meinungsfreiheit gedeckte Straftat darstelle, die weiteres illegales Handeln bewirken, dazu aufrufen oder anstiften könne. – Allerdings gab es heftige und berechtigte Kritik an der Strafvorschrift. Warum gibt es den § 130 III noch? Vielleicht befürchtet man bei Abschaffung dieser Vorschrift eine dem Ansehen der Bundesrepublik abträgliche Skandalisierung. Fazit Entrümpelung ist jeder Mühe wert. Die Abschaffung von obsoleten und unzweckmäßigen Kriminalisierungen und insbesondere von solchen, die aus anerkannten kriminalpolitischen Gründen geradezu kontraindiziert sind, steht als Punkt 1 auf der Tagesordnung einer um Modernität und Effizienz bemühten Kriminalpolitik. Ein Indiz für Entrümpelungsbedarf sind hohe Einstellungsquoten. Sie zeigen oft, dass Strafgesetze nicht bestimmt genug sind, dass sie nicht strafwürdige Bagatellen umfassen und deshalb von der Praxis notdürftig abgemildert werden. Hier wäre der Politik Mut zu materiellrechtlichen Einschränkungen, Herabstufungen zu Ordnungswidrigkeiten oder ggf. Streichungen zu wünschen. Dabei haben die Befürworter einer Entkriminalisierung immer dasselbe Problem: die Verteidiger des Status Quo machen eine andere Kosten-Nutzen-Rechnung auf. Ein unwirksames Gesetz ist immer noch eine symbolische Bekräftigung bestimmter Werte – seine Abschaffung könnte als Distanzierung von diesen Werten missverstanden werden. Deshalb ist sein Nutzen trotz der Unwirksamkeit immer noch groß genug. Und seine Beibehaltung ist es wert, einiges an negativen Folgen in Kauf zu nehmen. Jenseits der Entrümpelung geht es um die Beschränkung auf das Wesentliche und deshalb in erster Linie um eine Auslagerung von Steuerungsbedürfnissen in das Recht der Ordnungswidrigkeiten. Ein modernes und effizientes Strafrecht ist ein Kernstrafrecht: „klug begrenzt auf jene Taten, die, weil sie die vitalen Güter des einzelnen Menschen, seine Freiheit überhaupt, verletzen, mit Sicherheit strafwürdig sind“ (Naucke 1981: 94). Das spricht dafür, Strafgesetze, deren Rechtsgut die „öffentliche Ordnung“ oder die „Funktionsfähigkeit“ eines gesellschaftlichen Subsystems oder das „Vertrauen“ in eine bestimmte Institution ist, grundsätzlich zu entkriminalisieren und in das Recht der Ordnungswidrigkeiten zu verlagern. Jenseits dessen ist in der Tradition der Aufklärung jede Reform auf einen Abbau des Strafrechts (Radbruch 1927) hin zu orientieren. Das heißt nichts anderes, als das Ultima Ratio Prinzip und die Subsidiarität des Strafrechts ernst zu nehmen. Auch und gerade gegenüber weniger belastenden Mitteln der Wiedergutmachung und der autonomen Konfliktregelung. Eine selbstbewusste Gesellschaft wird in vielen Fällen in der Lage sein, Ausgleichsmechanismen an die Stelle paternalistischer Kriminalstrafen zu setzen. Stichworte sind hier Mediation, Conferencing und Restorative Justice. Unwillkürlich denkt man an Franz von Liszts Postulat, dass nur dann ein Verhalten unter Strafe gestellt werden dürfe, wenn und soweit dafür eine Notwendigkeit bestehe: „Wo andere sozialpolitische Maßnahmen oder eigene freiwillige Leistungen des Täters einen ausreichenden Rechtsgüterschutz gewährleisten können, darf - mangels Notwendigkeit - nicht bestraft werden“. Und natürlich denkt man auch an Gustav Radbruchs vielzitierte Devise, dass das letzte Ziel der Kriminalpolitik nicht in einem besseren Strafrecht, sondern in etwas Besserem als dem Strafrecht liegen müsse. Während Radbruch dieses Bessere freilich in einem Besserungs- und Bewahrungsrecht vermutete, wird man heute eher an ächtungsfreie Steuerungsinstrumente im außerstrafrechtlichen Bereich und in einem wohlverstandenen Sinne auch an regulierte Formen der Selbstregulierung denken. Dazu darf es freilich eines Erwachsenwerdens der Gesellschaft und der Fähigkeit und Bereitschaft, zivile Auseinandersetzungen und Lösungssuchen an die Stelle obrigkeitlicher Autoritäten zu setzen. Wächst das Selbstbewusstsein eines Gemeinwesens, dann drückt sich das – jedenfalls nach Friedrich Nietzsche – immer auch in einer Milderung des Strafrechts aus. Und ihm zufolge wäre auch „ein Machtbewußtsein der Gesellschaft nicht undenkbar, bei dem sie sich den vornehmsten Luxus gönnen dürfte, den es für sie gibt – ihren Schädiger straflos zu lassen.“ Dann nämlich, so ließe sich ergänzen, wenn die Gesellschaft in der Lage ist, der Desavouierung der Norm durch diejenigen, die sie verletzen, durch zivilisatorische Mittel effektiver entgegenzutreten als das Strafrecht, das seine begrenzten Effekte doch meist nur zu erreichen vermag, indem es auf Unbotmäßigkeit mit intentionaler Leidzufügung reagiert.   Literatur AE-GLD. Entwurf eines Gesetzes gegen Ladendiebstahl, bearbeitet von Arzt G. u.a. (1974) Tübingen: Mohr. Albach, Gregor (2015) Zur Verhältnismäßigkeit der Strafbarkeit privater Urheberrechtsverletzungen im Internet. Norderstedt: BoD. Albrecht, Peter-Alexis (1996) Entkriminalisierung als Gebot des Rechtsstaats, in: KritV 330-339. 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