Disziplinarmaßnahmen (im Strafvollzug)

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Einleitung

Disziplinieren, vom lat. disciplina, stellt vom Wortstamm her eine Lehrmethode, eine Schule, Erziehung oder Grundsätze und Ordnungen dar. In genau dieser ursprünglichen Bedeutung soll eine Disziplinarmaßnahme im Strafvollzug wirken.

In diesem Artikel soll ein Überblick über die im Strafvollzug der Bundesrepublik Deutschland vorgesehenen und gesetzlich legitimierten Disziplinarmaßnahmen erfolgen.

Hierzu wird versucht, alle gesetzlichen Vorgaben darzustellen, die hiermit in Verbindung stehen, ihre Inhalte und Zwecke zu erläutern, und eine Überleitung zu ihrer Anwendung in der Praxis zu schaffen. Bezogen wird sich hierbei aufgrund der Komplexität des Themas, soweit nicht anders erwähnt, auf den Erwachsenenstrafvollzug; Jugendliche Inhaftierte und ihre gesonderten gesetzlichen Regelungen bleiben ausgenommen.

§ 17 Abs. 3 StVollzG - Die „milde Vorstufe“ einer Disziplinarstrafe

§ 17 Unterbringung während der Arbeit und Freizeit

(1) Die Gefangenen arbeiten gemeinsam. Dasselbe gilt für Berufsausbildung, berufliche Weiterbildung sowie arbeitstherapeutische und sonstige Beschäftigung während der Arbeitszeit.

(2) Während der Freizeit können die Gefangenen sich in der Gemeinschaft mit den anderen aufhalten. Für die Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen kann der Anstaltsleiter mit Rücksicht auf die räumlichen, personellen und organisatorischen Verhältnisse der Anstalt besondere Regelungen treffen.

(3) Die gemeinschaftliche Unterbringung während der Arbeitszeit und Freizeit kann eingeschränkt werden,

1. wenn ein schädlicher Einfluss auf andere Gefangene zu befürchten ist,

2. wenn nach § 6 untersucht wird, aber nicht länger als zwei Monate,

3. wenn es die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erfordert oder

4. wenn der Gefangene zustimmt.


Der § 17 des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) regelt die Unterbringung und Ernährung des Gefangenen im Strafvollzug. In der Regel sollen Gefangene in der Freizeit und während der Arbeitszeit gemeinschaftlich untergebracht werden. Dies bedeutet, dass sie am sog. Aufschluss teilnehmen – in der Praxis sind somit die Haftraumtüren tagsüber geöffnet, so dass Gefangene sich frei auf ihren Vollzugsabteilungen bewegen können. Gleiches gilt für die Arbeitszeit, und das Zusammenarbeiten in gleichen Werkbetrieben mit anderen Gefangenen unter Aufsicht.

Der Absatz 3 des § 17 StVollzG regelt, dass diese gemeinschaftliche Unterbringung eingeschränkt werden kann, wenn eine der Voraussetzungen von Punkt 1 bis 4 vorliegt. Interessant im Zusammenhang mit dem Thema Disziplinarstrafen ist hierbei der Punkt 3; diese gesetzliche Regelung sieht vor, dass der Gefangene vom sog. Aufschluss herausgenommen werden darf, wenn er die Sicherheit und/oder Ordnung der Anstalt gefährdet.

Ein Praxisbeispiel hierzu wäre, dass durch eine Urinkontrolle der Konsum von berauschenden Mitteln bei einem Gefangenen festgestellt wird. Dieser Gefangene würde dann im Durchschnitt zunächst für 4 Wochen während der Freizeit von anderen Gefangenen getrennt werden, in dem seine Haftraumtür verschlossen bleibt, während andere sich auf dem Flur bewegen können. Sein Anrecht auf eine Stunde im Freien pro Tag (vgl. hierzu § 64 StvollzG) bleibt hiervon unberührt.

Dies dient einerseits dazu, dem Gefangenen die Möglichkeiten einzuschränken, sich im Kontakt mit Mitgefangenen erneut berauschende Mittel/Drogen zu beschaffen, andererseits soll verhindert werden, dass er Drogen etc. weiter verteilt, sofern sie noch in seinem Besitz sind. Zudem stellt ein Gefangener im Rauschmittelzustand aufgrund seiner Unberechenbarkeit ein erheblich größeres Risiko für die im Strafvollzug tätigen Mitarbeiter dar. Die Kernaufgabe einer Bestrafung eines Gefangenen durch die Einschränkung seines Aufschlusses soll jedoch der Lerneffekt sein – Regelverletzendes Verhalten zieht Konsequenzen nach sich. Vgl. auch Drogenabhängige im Strafvollzug

Weitere Möglichkeiten, die in der Praxis durch den § 17 Abs. 3 StVollzG gegeben sind wären beispielsweise das Verbot der Teilnahme an bestimmten Sportveranstaltungen, das Verbot der Teilnahme an der Gemeinschaftsarbeit, und somit ein Verlust von Einkommen usw. Als Gründe für die Verhängung einer Strafe nach § 17 Abs. 3 StVollzG kommen darüber hinaus in Betracht z.B. das Nichtbefolgen von Weisungen des Vollzugspersonals oder die dauerhafte Störung der Anstaltsruhe/-Ordnung oder ähnliches.

Der § 17 Abs. 3 StVollzG wird als die mildere Vorstufe einer „echten“ Disziplinarmaßnahme angesehen, da dies eine Variante ist, Schwierigkeiten im Vollzugsalltag auf der Abteilungsebene zu lösen, und die Beteiligung der Anstaltsleitung hierfür entbehrlich ist. Zudem wird so ein dauerhafter Aktenvermerk für den Gefangenen vermieden, der zum Beispiel bei der Prüfung von Vollzugslockerungen etc. ins Gewicht fallen würde. Im Fall von schweren oder wiederholten Vergehen durch einen Gefangenen ist in der Praxis auf ein Disziplinarverfahren zurückzugreifen.

§ 102 bis 107 StVollzG – Die Disziplinarmaßnahmen

§ 102 Voraussetzungen

(1) Verstößt ein Gefangener schuldhaft gegen Pflichten, die ihm durch dieses Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes auferlegt sind, kann der Anstaltsleiter gegen ihn Disziplinarmaßnahmen anordnen.

(2) Von einer Disziplinarmaßnahme wird abgesehen, wenn es genügt, den Gefangenen zu verwarnen.

(3) Eine Disziplinarmaßnahme ist auch zulässig, wenn wegen derselben Verfehlung ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet wird.

Die Voraussetzung dafür, dass ein Disziplinarverfahren gegen einen Gefangenen eingeleitet wird, ist, dass er gegen geltendes Recht oder Gesetze in der Vollzugsanstalt während der Inhaftierung verstoßen hat. Man unterscheidet hierbei deutlich die Sicherungsmaßnahmen, die in einer Justizvollzugsanstalt ohnehin gegeben sind wie Vergitterungen, strikte Weisungen usw., und einen präventiven Charakter haben, und die Disziplinarmaßnahmen, die einen rein repressiven Charakter haben, und erst als Reaktion auf Verhalten folgen. Die Repression dient allerdings in erster Linie der Unterstützung der Behandlung des gefangenen. Disziplinarmaßnahmen gewährleisten Idealerweise ein geordnetes Zusammenleben und die Sicherheit in der Anstalt, und sichern somit die Mindestvoraussetzungen für einen erfolgreichen Behandlungsvollzug an dessen Ende die Resozialisierung stehen soll. Ist die begangene Verfehlung nicht allzu schwerwiegend, kann eine mündliche Verwarnung des Gefangenen ausreichend sein. Ist die Verfehlung allerdings besonders schwerwiegend, wie z. B. eine Körperverletzung zu Lasten eines anderen Gefangenen, ist unabhängig von dem einzuleitenden Strafverfahren (Anzeige) noch ein Disziplinarverfahren gegen den Täter einzuleiten. Gesondert zu erwähnen ist, dass die Selbstbeschädigung oder der Suizidversuch, sowie der Versuch der Entweichung aus der Anstalt ohne Anwendung von Gewalt gegen Personen, ausdrücklich keine disziplinarrechtlich zu ahnenden Pflichtverstöße sind.

§ 103 Arten der Disziplinarmaßnahmen

(1) Die zulässigen Disziplinarmaßnahmen sind:

1. Verweis,

2. die Beschränkung oder der Entzug der Verfügung über das Hausgeld und des Einkaufs bis zu drei Monaten,

3. die Beschränkung oder der Entzug des Lesestoffs bis zu zwei Wochen sowie des Hörfunk- und Fernsehempfangs bis zu drei Monaten; der gleichzeitige Entzug jedoch nur bis zu zwei Wochen,

4. die Beschränkung oder der Entzug der Gegenstände für eine Beschäftigung in der Freizeit oder der Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen bis zu drei Monaten,

5. die getrennte Unterbringung während der Freizeit bis zu vier Wochen,

6. (gestrichen)

7. der Entzug der zugewiesenen Arbeit oder Beschäftigung bis zu vier Wochen unter Wegfall der in diesem Gesetz geregelten Bezüge,

8. die Beschränkung des Verkehrs mit Personen außerhalb der Anstalt auf dringende Fälle bis zu drei Monaten,

9. Arrest bis zu vier Wochen.

(2) Arrest darf nur wegen schwerer oder mehrfach wiederholter Verfehlungen verhängt werden.

(3) Mehrere Disziplinarmaßnahmen können miteinander verbunden werden.

(4) Die Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 3 bis 8 sollen möglichst nur angeordnet werden, wenn die Verfehlung mit den zu beschränkenden oder zu entziehenden Befugnissen im Zusammenhang steht. Dies gilt nicht bei einer Verbindung mit Arrest.

Der Absatz 1 des § 103 StVollzG regelt abschließend die zulässigen Disziplinarmaßnahmen, d.h. es sind keine Maßnahmen außer den oben genannten rechtlich zulässig.

Der Verweis (s. Pkt.1) und die Beschränkung des Hausgeldes (das Geld, welches dem gefangenen monatlich zur freien Verfügung steht für Telefonkosten, Einkäufe, Bestellungen, Lebensmittel etc.) und die Beschränkung des Einkaufs (s. Pkt.2) stellen sog. Allgemeine Disziplinarmaßnahmen dar, in dem Sinne, dass mit ihnen grundsätzliche alle Verfehlungen geahndet werden können.

Die Disziplinarmaßnahmen der Punkte 3 bis 8 hingegen stellen spezielle Sanktionen dar, die spezifische Reaktionen auf bestimmte Verfehlungen sind. Die Anwendung dieser Maßnahmen ist nur dann als pädagogisch sinnvoll anzusehen, wenn gemäß Absatz 4 zwischen der Verfehlung und der einzelnen Disziplinarmaßnahme ein innerer Zusammenhang besteht. Die Disziplinarmaßnahme soll den Charakter einer pädagogischen Behandlung mit Sozialisationseffekt tragen.

Der Arrest (s. Pkt.9) stellt schließlich eine qualifizierte Disziplinarmaßnahme dar. Gemäß Absatz 2 darf der Arrest nur wegen schwerer oder mehrfach wiederholter Verfehlungen verhängt werden; als schwere Verfehlungen würden in jedem Fall Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen, oder erhebliche Ordnungsstörungen gewertet werden.

Nach Absatz 3 des § 103 StVollzG ist es grundsätzlich möglich, mehrere Disziplinarmaßnahmen miteinander zu verbinden. Es gibt keine Rangfolge bei allen erwähnten Sanktionen, jedoch treffen den Gefangenen insbesondere die Reaktionen besonders schwer, die mit dem Verlust sozialer Besitzstände (Einkauf, Geld, Arbeit) einhergehen. Die wenigen im Justizvollzug erarbeiteten Privilegien sind in der Praxis nur schwer zu entbehren.

§ 104 Vollzug der Disziplinarmaßnahmen. Aussetzung zur Bewährung

(1) Disziplinarmaßnahmen werden in der Regel sofort vollstreckt.

(2) Eine Disziplinarmaßnahme kann ganz oder teilweise bis zu sechs Monaten zur Bewährung ausgesetzt werden.

(3) Wird die Verfügung über das Hausgeld beschränkt oder entzogen, ist das in dieser Zeit anfallende Hausgeld dem Überbrückungsgeld hinzuzurechnen.

(4) Wird der Verkehr des Gefangenen mit Personen außerhalb der Anstalt eingeschränkt, ist ihm Gelegenheit zu geben, dies einer Person, mit der er im Schriftwechsel steht oder die ihn zu besuchen pflegt, mitzuteilen. Der Schriftwechsel mit den in § 29 Abs. 1 und 2 genannten Empfängern, mit Gerichten und Justizbehörden in der Bundesrepublik sowie mit Rechtsanwälten und Notaren in einer den Gefangenen betreffenden Rechtssache bleibt unbeschränkt.

(5) Arrest wird in Einzelhaft vollzogen. Der Gefangene kann in einem besonderen Arrestraum untergebracht werden, der den Anforderungen entsprechen muss, die an einen zum Aufenthalt bei Tag und Nacht bestimmten Haftraum gestellt werden. Soweit nichts anderes angeordnet wird, ruhen die Befugnisse des Gefangenen aus den §§ 19, 20, 22, 37, 38, 68 bis 70.

Disziplinarmaßnahmen sind in der Regel sofort durch die Vollzugsanstalt zu vollstrecken. Damit wird der Einsicht Rechnung getragen, dass nur eine alsbaldige Ahndung der Verfehlung pädagogisch sinnvoll ist, weil sonst der beabsichtigte Lernerfolg beim Gefangenen nicht mehr erzielt werden kann. Darüber hinaus kann eine Disziplinarmaßnahme jedoch auch (ganz oder teilweise) bis zu einem halben Jahr zur Bewährung ausgesetzt werden. Dies ist z. B. sinnvoll, wenn der Ausgang eines parallel eingeleiteten Straf- oder Bußgeldverfahrens abgewartet werden soll. Oder wenn zu erwarten ist, dass der Gefangene allein durch die Androhung der konkreten Strafe eine weitere Verfehlung nicht mehr erwarten lässt.

Die Absätze 3 bis 5 des § 104 StVollzG regeln die Modalitäten des Hausgeldentzuges (vgl. § 103 Abs. 1 Pkt. 2 StVollzG), des Verkehrs mit der Außenwelt (Besuche/ vgl. § 103 Abs. 1 Pkt. 8 StVollzG) und des Arrestvollzuges (vgl. § 103 Abs. 1 Pkt. 9 StvollzG).


§ 105 Disziplinarbefugnis

(1) Disziplinarmaßnahmen ordnet der Anstaltsleiter an. Bei einer Verfehlung auf dem Wege in eine andere Anstalt zum Zwecke der Verlegung ist der Leiter der Bestimmungsanstalt zuständig.

(2) Die Aufsichtsbehörde entscheidet, wenn sich die Verfehlung des Gefangenen gegen den Anstaltsleiter richtet.

(3) Disziplinarmaßnahmen, die gegen einen Gefangenen in einer anderen Vollzugsanstalt oder während einer Untersuchungshaft angeordnet worden sind, werden auf Ersuchen vollstreckt. § 104 Abs. 2 bleibt unberührt.

Der § 105 StVollzG regelt, dass ausschließlich der Anstaltsleiter eine Disziplinarmaßnahme anordnen darf. In der Praxis wird diese Aufgabe häufig an seinen ständigen Vertreter abgegeben. Hat sich die Verfehlung des Gefangenen jedoch gegen den Anstaltsleiter selbst gerichtet, so entscheidet die sog. Aufsichtsbehörde (in der Regel ist dies das zuständige Justizministerium des jeweiligen Bundeslandes) über die anzuordnende Disziplinarmaßnahme.

Befindet sich der Gefangene zum Zeitpunkt der Verfehlung beispielsweise auf dem Transport von einer Anstalt in die nächste, so ist zunächst immer die aufnehmende Anstalt zur Vollstreckung aufgefordert. In der Praxis findet in solchen oder ähnlichen Fällen jedoch stets eine enge Kooperation und Kommunikation der Anstalten untereinander statt.


§ 106 Verfahren

(1) Der Sachverhalt ist zu klären. Der Gefangene wird gehört. Die Erhebungen werden in einer Niederschrift festgelegt; die Einlassung des Gefangenen wird vermerkt.

(2) Bei schweren Verstößen soll der Anstaltsleiter sich vor der Entscheidung in einer Konferenz mit Personen besprechen, die bei der Behandlung des Gefangenen mitwirken. Vor der Anordnung einer Disziplinarmaßnahme gegen einen Gefangenen, der sich in ärztlicher Behandlung befindet, oder gegen eine Schwangere oder eine stillende Mutter ist der Anstaltsarzt zu hören.

(3) Die Entscheidung wird dem Gefangenen vom Anstaltsleiter mündlich eröffnet und mit einer kurzen Begründung schriftlich abgefasst.

Der § 106 StVollzG regelt den Ablauf des Disziplinarverfahrens, und legt die verfahrensrechtlichen Mindestanforderungen fest. Die Absätze 1 und 3 regeln insbesondere das rechtliche Gehör des Gefangenen und die hinreichende Überprüfbarkeit des Verfahrens. In der Praxis wird der Gefangene hierzu zu einem Gespräch geholt, in dem er belehrt wird, wahrheitsgemäß zu antworten, und schildert dann den Ablauf des ihm zur Last gelegten Vorfalls aus seiner Sicht. Dies wird ohne Weglassungen oder Zufügungen schriftlich festgehalten und vom Gefangenen selbst unterzeichnet. In der Regel berät sich dann der Anstaltsleiter oder sein bestellter Vertreter mit den an der Behandlung des Gefangenen beteiligten Mitarbeitern (Abteilungsleitung, Stationsbedienstete) und entscheidet dann in Abwesenheit des Gefangenen über die Höhe der Disziplinarmaßnahme. Anschließend wird dieses Ergebnis dem Gefangenen mündlich eröffnet und schriftlich festgehalten. Der Absatz 2 des § 106 StVollzG regelt, dass die Mitwirkung des Anstaltsarztes gewährleistet ist, in Fällen, in denen dies erforderlich erscheint. Hierbei geht es weniger um den physischen, als den psychischen Zustand des Gefangenen, der u. U. durch eine Disziplinarmaßnahme merklich beeinträchtigt werden kann.


§ 107 Mitwirkung des Arztes

(1) Bevor der Arrest vollzogen wird, ist der Arzt zu hören. Während des Arrestes steht der Gefangene unter ärztlicher Aufsicht.

(2) Der Vollzug des Arrestes unterbleibt oder wird unterbrochen, wenn die Gesundheit des Gefangenen gefährdet würde.

Wird die Disziplinarmaßnahme des Arrestes verhängt (vgl. § 103 Abs. 1 Pkt. 9 StVollzG), dass heißt in der Praxis eine Einzelunterbringung des Gefangenen ohne Kontakt zu Mitgefangenen unter gleichzeitigem Entzug der Gegenstände zur Freizeitbeschäftigung (fernsehen, Radio, Bücher etc.), was in der Regel die stärkste aller Disziplinarmaßnahmen ist, so ist der Anstaltsarzt zu beteiligen. Dies soll gewährleisten, dass durch den Arrest keine gesundheitlichen Schäden, sowohl physisch (z.B. durch mangelnde Bewegungsmöglichkeiten) als auch psychisch, eintreten. Im Falle des Eintretens einer Gesundheitsgefahr für den Gefangenen ist der Arrest sofort abzubrechen. Die regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen des Gefangenen sind von der Vollzugsbehörde ebenfalls zu dokumentieren.


§ 67 bis 71 UVollzO – Disziplinarmaßnahmen bei Untersuchungsgefangenen

Auch für Gefangene, die sich noch in der Untersuchungshaft befinden, besteht für die Vollzugsanstalt die gesetzliche Möglichkeit der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen. Geregelt ist diese in den o. g. Paragraphen der Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO). Wichtigster Unterschied zu den Disziplinarmaßnahmen bei Strafgefangenen ist, dass hier der Untersuchungshaftrichter über die zu verhängende Strafe entscheidet, so wie bei allen Belangen die den Untersuchungsgefangenen betreffen und nicht die Vollzugsbehörde. Dementsprechend gibt es insbesondere Abweichungen im Ablauf des Disziplinarverfahrens (§ 69 UVollzO); die Arten der Disziplinarmaßnahmen ( § 68 UVollzO) und deren Vollstreckung ( § 70 UVollzO), sowie der Vollzug eines Arrestes (§ 71 UVollzO) sind nahezu analog zu den gesetzlichen Regelungen für Strafgefangene.


Empirische Untersuchungen

Es gibt nur wenig vorhandenes und/oder zugängliches Datenmaterial über die Vollstreckung von Disziplinarmaßnahmen im Strafvollzug der Bundesrepublik Deutschland. Die beiden nachfolgenden Tabellen geben einerseits einen kurzen chronologischen Überblick zwischen 1987 und 1995 über die Entwicklung von verhängten Disziplinarmaßnahmen (Tabelle 1), sowie andererseits eine Vergleichsübersicht über die Anzahl der verhängten Disziplinarmaßnahmen in den einzelnen Bundesländern im Jahr 1995 (Tabelle 2). Die Zahlen beziehen sich jeweils auf 100 Gefangene im Erwachsenenstrafvollzug. Untersuchungshäftlinge oder Jugendliche Inhaftierte sind ausgenommen.


Tabelle 1: Disziplinarmaßnahmen pro 100 Gefangene im Vollzug der Freiheitsstrafe

Jahr Disziplinarmaßnahmen / 100 Gef. davon Arrest
1987 57,2 9,9
1988 59,4 9,9
1989 57,9 9,3
1990 55,4 8,2
1991 51,1 7,9
1992 51,6 8,1
1993 51,2 8,6
1994 49,9 8,8
1995 48,8 9

Datenquelle: Feest, 2006

Wie die obige Tabelle zeigt, ist im Durchschnitt (alte Bundesländer) jeder zweite Gefangene mindestens einmal pro Jahr diszipliniert worden. Mit Arrest sind knapp 10 % der Gefangenen des Gesamten Strafvollzugs einmal im Jahr bestraft worden.


Tabelle 2: Disziplinarmaßnahmen pro 100 Gefangene im Vollzug der Freiheitsstrafe im Ländervergleich 1995

Disziplinarmaßnahmen/100 Gefangene davon Arrest
Baden-Württ. 60 4,1
Bayern 62,8 15,8
Berlin 28,4 3,6
Brandenburg 19,1 1,4
Bremen 30,3 0
Hamburg 85,2 23,2
Hessen 23,9 10,4
Mecklenburg-Vorp. 37,7 8,8
Niedersachsen k.A. k.A.
Nordrhein-Westf. 38,9 8,3
Rheinland-Pfalz 64,3 0,5
Saarland 74 3,4
Sachsen 53,3 10,7
Sachsen-Anhalt 23,7 6,1
Schleswig-Holstein 28,9 10,3
Thüringen 38,9 8,1
Bundesgebiet insgesamt 47,2 8,9

Datenquelle: Feest, 2006

Die unterschiedliche Häufigkeit der Disziplinarmaßnahmen von Land zu Land im Jahresverlauf zeigt eine deutlich unterschiedliche Disziplinarpraxis. In erster Linie handelt es sich hierbei anscheinend um ein Phänomen unterschiedlicher Sanktionsstile bzw. Strafmentalitäten in den Bundesländern bzw. auf Ebene der regierenden Parteien. Dies zeigt sich auch an der Anwendung des Arrestes. Er wird in einigen Anstalten überhaupt nicht, in anderen dagegen sehr häufig angewandt.


Schlussbetrachtung

Wie bereits an anderer Stelle erwähnt sollen Disziplinarmaßnahmen im Strafvollzug vor allem einen pädagogisch sinnvollen Lerneffekt haben, der dem Gefangenen während seines Vollzuges und seiner Behandlung im Vollzug deutlich macht, dass es im Mikrosystem Gefängnis genau wie in der Außenwelt klare Regeln und Gesetze gibt, deren Befolgung belohnt, und deren Mißachtung bestraft wird.

Endziel des Strafvollzuges soll die Resozialisierung des Gefangenen sein. Die Frage bleibt daher, ob Disziplinarmaßnahmen, die nicht annähernd die Schärfe von Straf- oder Bußgeldverfahren haben, bei Personen, die wider besseren Wissens Gesetze übertreten und damit billigend eine Freiheitsstrafe in Kauf genommen haben, überhaupt wirkungsvoll sein können.

Aus Sicht der Praxis muss ein dauerhafter Lernerfolg durch Disziplinarmaßnahmen im Strafvollzug wohl verneint werden. Kurzfristig sind jedoch erhebliche Erfolge im Sinne von Verhaltensänderungen bei den von Disziplinarstrafen betroffenen Gefangenen zu verzeichnen; es gilt hier anscheinend der Grundsatz „Wer noch etwas zu verlieren hat ist vorsichtiger als andere“.

Dem Gefangenen stehen im Strafvollzug nur sehr wenige Privilegien zur Verfügung; hierzu zählen in erster Linie der Arbeitsplatz (und damit verfügbares Einkommen), der Einkauf (insbesondere von Luxusgütern wie Kaffee und Tabak), die Nutzung von Freizeitgegenständen (Fernseher, DVD-Player, Spielekonsolen, Bücher und Zeitschriften etc.), die Häufigkeit der erlaubten Kontakte zu Angehörigen (Besuche), und schließlich die tägliche Dauer des menschlichen Kontaktes zu Mitgefangenen (Aufschluss).

Diese Privilegien für eine befristete Zeit zu entbehren erscheint dem außen stehenden Betrachter nicht schwer, wird von einem Gefangenen jedoch als eine der härtesten Strafen überhaupt angesehen. In der Gesamtbewertung erscheint es sinnvoll einen Katalog an Strafen bzw. Disziplinarmaßnahmen im Gesetz zu verankern, und gleichzeitig festzulegen, dass dieser nicht willkürlich angewandt werden darf. Dies scheint erforderlich um eine eindeutige Handhabung bei Fällen von Gefangenen zu haben, die durch ihr Verhalten die Sicherheit und Ordnung, und unter Umständen sogar die Unversehrtheit der Mitgefangenen und im Vollzug tätigen Mitarbeiter gefährden.

Wie die angeführten Tabellen zeigen, ist die Art und Häufigkeit der Anwendung von Disziplinarmaßnahmen in der Praxis häufig sehr abhängig von der gegenwärtigen bundespolitischen Situation und der Regierungspartei der einzelnen Bundesländer (strenger, strikter Verwahrvollzug vs. gelockerter, liberaler Behandlungsvollzug). Hier wird es vermutlich immer Schwankungen geben, die auch gesetzlich nicht reglementiert werden können.


Literatur

Callies, Dr. Rolf-Peter/ Müller-Dietz, Dr. Heinz: Strafvollzugsgesetz, Becksche Kurzkommentare, Band 19, 5. Auflage, München 1991

Feest, Johannes: Alternativkommentar zum Strafvollzugsgesetz, 5. Auflage, 2006

Handbuch für den Strafvollzug: Textsammlung mit Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften für die Bediensteten des Justizvollzuges, 4. Auflage, Walhalla Verlag, Regensburg, 2003

Karrasch, Heinrich: Disziplinarmassnahmen in den Vollzugsanstalten – Vergleichende Untersuchung für eine Strafvollzugsreform, Freiburg, 1957

Laubenthal, Klaus: Strafvollzug, Springer Verlag, Berlin-Heidelberg, 2007