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Die Rechtsmedizin ist eine Fachrichtung in der Humanmedizin. Ihre Aufgabe ist es, in Lehre, Forschung und Praxis medizinische Kenntnisse und Methoden zur Klärung rechtserheblicher Tatbestände anzuwenden (Wolfgang Schwerd, 1989)

Im Wesentlichen umfasst sie folgende Gebiete:

  • Thanatologie (= Ursachen und Umstände des Todes)
  • Traumatologie als Grundlage einer Rekonstruktion von Handlungs- und Bewegungsabläufen
  • Toxikologie
  • Molekularbiologie
  • Wundballistik
  • Epidemiologie und Ursachenforschung alkohol- und drogenbedingter Verkehrsunfälle
  • Etablierung von Grenzwerten der Fahrtüchtigkeit
  • Ärztliche Rechts- und Standeskunde

Der Begriff Rechtsmedizin existiert seit 1969 und löste die Bezeichnung Gerichtliche Medizin ab, um das über gerichtliche Aufgaben hinausreichende Tätigkeitsspektrum zu verdeutlichen. Zuvor waren auch Begriffe wie Medicina legalis, Medicina forensis, Gerichtliche Arzneiwissenschaft, Gerichtliche und soziale Medizin oder Gerichtliche Medizin und Kriminalistik gebräuchlich.

Geschichte

Hinweise auf gerichtsmedizinische Aufgaben gehen bis in die Antike zurück. So wird um etwa 2700 v. Chr. in Ägypten von Leichenschauen zur Feststellung der Todesursache berichtet, erste Aufzeichnungen über die Bestrafung von ärztlichen Kunstfehlern gehen auf die Zeit um 1700 v. Chr. zurück. Die erste bekanntgewordenen gerichtliche Leichenöffnung fand am 15. Februar 1302 in Bologna auf Anordnung des dortigen Gerichtes statt. Der eigentliche Beginn der Rechtsmedizin wird jedoch in das Mittelalter gelegt. Als Begründer gilt Andreas Vesalius, der an die Stelle der Galenschen Anatomie des Affen und des Schweines die des Menschen setzte. 1543 wandte er sich in seinem Werk De humani corporis fabrica der Untersuchung des gewaltsamen Todes zu. Etwa zur gleichen Zeit (1532) schuf der Reichstag zu Regensburg die ''Constitutio Carolina Criminalis'', die dem ärztlichen Sachverständigen die Beurteilung des kriminellen Abortes und der Sterilisation, Mord, Totschlag und Körperverletzung mit Todesfolge sowie die Leichenschau gewaltsam Getöteter, der Schudfähigkeit Jugendlicher oder Geisteskranker überschrieb. Mit diesen Bestimmungen war die Gerichtliche Medizin als neue praktische Medizin begründet. In der Folgezeit wurde, der jeweiligen aktuellen Rechtsordnung entsprechend, das Fachwissen systematisiert, zum Beispiel von dem päpstlichen Leibarzt Paolo Zacchia (1584 – 1659), der ein mehrbändiges Werk Questiones medico legales publizierte. Zacchia gilt als der Vater der Rechtsmedizin. Im 17. und 18. Jahrhundert wendeten sich immer mehr Gelehrte der wissenschaftllichen und praktischen Behandlung des Faches Rechtsmedizin zu, insbesondere im Zentrum Europas. So wurde von den Wissenschaftlern der Leibziger Schule ausdrücklich eine vollständige Sektion des Verstorbenen als Grundlage der Beurteilung von Wunden gefordert. Zu jeder Zeit gab es jedoch auch Gegner der Rechtsmedizin, insbesondere Pathologen, denen es immer wieder gelang, rechtsmedizinische Aufgaben an sich zu ziehen und somit das eigenständige Weiterbestehen des Faches zu gefährden. Oft tat die Gesetzgebung mit der Überstellung rechtsmedizinischer Aufgabenbereiche an Pathologie/Pathologen oder Amtsärzte ihr übriges. So erfolgte lange Zeit ein Zusammenschluss der gerichtlichen Medizin mit dem öffentlichen Gesundheitswesen (der Medizinischen Polizei) zur Staatsarzneikunde, aus dem sich die gerichtliche Medizin erst Ende des 19. Jahrhunderts wieder lösen konnte. Im Deutschland fand sich die gerichtliche Medizin in der Studienordnung der Humanmedizin trotzdem nicht wieder und die gerichtsärztlichen Aufgaben wurden weiterhin an Kreisärzte oder Ärzte anderer Fachrichtungen abgegeben. Erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts konnte sich die gerichtliche Medizin wieder als eigenständiges Fach etablieren. Seither besteht aber weiterhin ein ununterbrochener Existenzkampf. Aktuell (Stand 03/15) gibt es in Deutschland an 40 Standorten rechtsmedizinische Institute, in Österreich an 6 Standorten und in der Schweiz an 7 Standorten. Unter dem zunehmenden Druck finanzieller Ressourcen werden jedoch immer mehr Institute zusammengelegt oder geschlossen.

Aufgaben

Der Inhalt der rechtsmedizinischen Tätigkeit in Deutschland geht auf den 1968 in Innsbruck von der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin beschlossenen Aufgabenkatalog zurück. Er umfasst ein breites Spektrum an Tätigkeiten für Justiz, Kliniken und das öffentliche Gesundheitswesen, welches von Ärzten, Biologen und Chemikern, Pharmazeuten oder Toxikologen abgedeckt wird.

Ärztlichen Aufgaben

  • Obduktion/Obduktionen
  • Tatortbesichtigungen
  • Tatverdächtigenuntersuchungen
  • Rekonstruktion von Handlungs- und Bewegungsabläufen
  • Untersuchung, Befundung und Begutachtung rechtserheblicher Körperverletzungen bei Lebenden
  • Mündliche Darstellung und Erläuterung der erarbeiteten Untersuchungsergebnisse in der Hauptverhandlung vor Gericht
  • Kremationsleichenschau/ -obduktion
  • Untersuchungen zum Infektionsschutz

Toxikologische Aufgaben

  • Untersuchungen bei Vergiftungsverdacht
  • Untersuchung von menschlichem Material (Blut, Urin, Haare, etc.) auf Medikamente und illegale Drogen

Molekularbiologischen Aufgaben

  • Individualisierende Untersuchungen (Zuordnung einer Spur zu einem Verursacher, Vaterschaftstests)

Gemeinsame Aufgaben

Blutalkoholuntersuchungsstellen

Den Instituten für Rechtsmedizin sind die staatlichen Blutalkoholuntersuchungsstellen angegliedert. Hier werden sämtliche Blutalkoholuntersuchungen des Versorgungsgebietes bei Ordnungswidrigkeiten und Delikt/Delikten durchgeführt. Desweiteren werden sogenannte Begleitstoffanalysen (Untersuchung auf Fuselaklohole) zur Überprüfung von Nachtrunkbehauptungen etabliert

Klinische Rechtsmedizin

Bei klinisch rechtsmedizinischen Untersuchungen geht es vor allem um die Erkennung von forensisch relevanten Verletzungen (Selbst-/Fremdbeibringung), gerichtsfeste (Foto-)Dokumentation, Spurensicherung (z.B. DNA-Proben bei Sexualstraftaten) und Rekonstruktion von Geschehensabläufen und eingesetzten Tatwerkzeugen. Zunehmend bieten die Institute in eigens dafür eingerichteten Ambulanzen oder Räumlichkeiten solche Untersuchungen auch ohne Auftrag der Polizei an, um mit der Dokumentation frischer Verletzungen deren Verwertbarkeit vor Gericht auch noch bei einer zu einem späteren Zeitpunkt erfolgenden Anzeige gewährleisten zu können. Aber auch Einschätzungen zu Vernehmungs- und Verhandlungsfähigkeit sowie Termin- und Gewahrsamstauglichkeit gehören zur klinisch-rechtsmedizinischen Tätigkeit.

Ausbildung und Organsiationsstruktur

Gemäß der deutschen Weiterbildungsordnung für Ärzte schliesst sich dem regulären mindestens 6-jährigen Studium der Humanmedizin, das die Grundlage für alle ärztlichen Fachrichtungen darstellt, eine mindestens 5-jährige Facharztausbildung an, die zur Zeit (Stand 03/2015) eine Weiterbildung von 48 Monaten auf dem Gebiet der Rechtsmedizin, 6 Monaten Psychiatrie und 6 Monaten Pathologie beinhaltet. In Deutschland wird die Weiterbildung mit einer mündlichen Prüfung an der für das Bundesland, in der die Tätigkeit ausgeübt wird zuständigen Ärztekammer abgeschlossen. Hiermit wird die Erlaubnis zum Tragen des Titels: Facharzt/-ärztin für Rechtsmedizin erteilt. Arbeitsplätze befinden sich überwiegend an rechtsmedizinischen Instituten von Universitätskliniken. Hierdurch wird sowohl eine rechtsmedizinische Versorgung von Öffentlichkeit und Justiz als auch die Versorgungsleistung für Lehre und Forschung sichergestellt. Außerdem soll die institutionelle Unabhängigkeit von den Auftraggebern die Objektivität der Arbeit sichern. Es gibt auch wenige Institute in kommunaler oder privater Trägerschaft. Niedergelassene Ärzte gibt es kaum. Die Tätigkeiten werden nicht von den Krankenkassen vergütet.

Unterschied Rechtsmedizin / Pathologie

Außerhalb von Fachkreisen werden die Begriffe Rechtsmedizin und Pathologie oft synonym benutzt. Allerdings bestehen sowohl in der fachärztlichen Weiterbildung als auch im Tätigkeitsspektrum erhebliche Unterschiede

Die Pathologie ist ein Teilgebiet der Medizin, das sich mit krankhaften Veränderungen im Körper und ihren Ursachen beschäftigt. Hierzu werden (Teil-)Obduktionen durchgeführt oder Gewebeproben entnommen und feingeweblich (mikroskopisch) untersucht. Obduktionen werden nur nach Einwilligung der Angehörigen (Zustimmungsregelung) durchgeführt. Ziel ist die Abklärung der Todesursache bzw. die Erkennung oder Spezifizierung einer Erkrankung. Die Facharztweiterbildung umfasst eine 6-jährige Tätigkeit in der Pathologie, davon fakultativ 1 Jahr in der unmittelbaren Patientenversorgung.

Anders als bei klinisch-pathologischen Obduktionen ist die Einwilligung zur rechtsmedizinischen Obduktion durch die Angehörigen unerheblich. Gemäß §§ 87 ff StPO erfolgen rechtsmedizinische Obduktionen auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder eines Richters. Sie müssen immer von zwei Ärzten/Innen durchgeführt werden, wobei mindestens eine(r) die Facharztweiterbildung abgeschlossen haben muss. Im Unterschied zur klinisch-pathologischen Obduktion findet zum einen eine detaillierte Beschreibung äusserlicher Merkmale statt, zum anderen werden Köprerflüssigkeiten und Gewebeproben für zusätzliche toxikologische Untersuchungen, in besonderen Fällen auch für molekulargenetische Untersuchungen entnommen. Teil-Obduktionen sind nicht erlaubt, es müssen immer alle drei Körperhöhlen (Kopf-, Brust- und Bauchhöhle) eröffnet werden. Ziel ist die Klärung der Todesart (natürlich / nicht-natürlich) und ggf. Todeszeitbestimmung und Rekonstruktion.

Obduktionen im Auftrag von Berufsgenossenschaften zur Klärung todesursächlicher Berufserkrankungen oder gemäß Infektionsschutzgesetz bei Verdacht auf übertragbare Krankheiten können von beiden Berufsgruppen durchgeführt werden.

Rechtsmedizin im angloamerikanischen Raum

Im angloamerikanischen Raum stellt die Rechtsmedizin (forensic pathology) eigentlich eine Spezialisierung nach abgeschlossener Facharztausbildung in anatomischer Pathologie dar. Die Durchführung von Leichenschau und Obduktionen obliegt aus praktischen Gründen jedoch je nach Bundesstaat entweder dem forensic pathologist, dem medical examiner oder dem coroner. Forensic pathologists sind Ärzte/Innen mit einer Spezialisierung auf forensiche Pathologie nach abgeschlossener Facharztausbildung in anatomischer Pathologie. Medical examiner sind ebenfalls Ärzte, jedoch aus anderen Facharztbereichen oder ohne Facharzt. Coroner stammen überwiegend aus Medizin-fernen Berufsgruppen. Das coroner-System stammt ursprünglich aus England, wird aber auch in Amerika praktiziert. In entlegenen Gebieten sind oft keine ausgebildeten forensic pathologists oder medical examiners verfügbar, so dass eine geeignete Person zum coroner ernannt werden muss.

Literatur

  • B.Madea (Hrsg.): Die ärztliche Leichenschau. Rechtsgrundlagen, praktische Durchführung, Problemlösung. 2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage. Springer Medizin, Heidelberg 2006, ISBN 3-540-29160-1
  • B. Brinkmann, B. Madea (Hrsg.): Handbuch Gerichtliche Medizin, 2. Auflage. Springer Verlag Berlin Heidelberg 2004, ISBN 978-3-662-45345-2
  • B. Madea (Hrsg.): Praxis Rechtsmedizin. Befunderhebung, Rekonstruktion, Begutachtung, 2. Auflage. Springer Medizin, Heidelberg 2006, ISBN 987- 3-662-09424-2

Weblinks