Ägypten

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Ägypten liegt in Nordost-Afrika, kontrolliert den Suez-Kanal, grenzt u.a. an den Sudan und hat rund 60 Millionen Einwohner, von denen allerdings 99% auf engem Raum im Niltal leben, das nur vier Prozent des gesamten Staatsgebiets von rund 1 Mio. Quadratkilometer umfasst. 20 Mio. Menschen leben im Einzugsgebiet der Hauptstadt Kairo.

Nachdem es lange Zeit von der Dynastie der Osmanen beherrscht wurde, geriet Ägypten im 19. Jahrhundert unter britische Kolonialherrschaft. 1922 erlangte Ägypten die formelle Unabhängigkeit von Großbritannien. Der letzte ägyptische König, Faruk, wurde durch einen Staatsstreich im Jahr 1952 gestürzt. 1953 wurde die Republik ausgerufen, Gamal Abd el Nasser trat das Amt des Staatspräsidenten an. Während Nassers Amtszeit kam es zum Sechstagekrieg mit Israel im Jahr 1961, bei dem Ägypten eine herbe Niederlage einbüßte. Nassers Nachfolger Anwar as-Sadat schloss 1979 mit Israel ein Friedensabkommen, das in Ägypten und der arabischen Welt für großen Unmut sorgte. 1981 wurde Sadat von Fundamentalisten ermordet. Sein Nachfolger im Amt des Staatspräsidenten wurde der Vizepräsident Hosni Mubarak, der bereits kurz nach seinem Amtsantritt ein Notstandsgesetz verabschieden, das ihm diktatorische Vollmachten verlieh. Mubarak erklärte im Februar 2011, nach wochenlangen Protestaktionen, seinen Rücktritt erklärte. Als Folge übernahm der Militärrat unter der Führung von Mohammed Hussein Tantawi die Macht und gründete eine Militärdiktatur unter dem Schein einer Übergangsregierung. Im Juli 2012 wurde Mohammed Mursi mit einer knappen Mehrheit von 51,7 Prozent zum Präsidenten von Ägypten gewählt. Er ist damit der erste demokratisch gewählte Staatschef des Landes.

Politik

Politisches System

Ägypten ist gemäß Art. 1 und 2 der Verfasung ein sozialistischer demokratischer Staat mit einer islamischen Staatsreligion. Von 1967 bis 2011 galt jedoch der Notstand, der die Grundrechte der Bürger einschränkte und der Regierung diktatorische Vollmachten verlieh (einzige Unterbrechung: 18 Monate bis zum Sadat-Attentat von 1981). Das Notstandsgesetz ging auf das Gesetz Nummer 162 von 1958zurück und erlaubte dem Präsidenten, selbst Gesetze zu erlassen. Es beschränkte den Spielraum für politische Parteien, die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts und die Möglichkeiten einer Kandidatur für die Präsidentenwahl. Es erweiterte hingegen die Befugnisse der Militärgerichtsbarkeit und der Sicherheitsapparate.

Die 1971 in Kraft getretene, zuletzt nach einem Plebiszit vom 26. 03. 2007 geänderte (im Februar 2011 vom Militär außer Kraft gesetzte) Verfassung hatte die politischen Freiheiten in erheblichem Umfang beschnitten: Nach Artikel 76 konnte nur für das Amt des Präsidenten kandidieren, wer für eine seit mehr als fünf Jahren bestehende Partei antrat, die über mindestens drei Prozent der Mandate im Parlament und fünf Prozent in einer weiteren Kammer (dem Schura-Rat) vertreten war. Unabhängige Kandidaten benötigten eine nicht zu erreichende Zahl von Unterschriften von Mandatsträgern im Parlament, im Schura-Rat und den Provinzräten. Der Präsident ernannte den Vorsitzenden des Verfassungsgerichts. - Artikel 188 entzog der unabhängigen Justiz die Aufsicht über die Wahlen. Artikel 179 erlaubte den Sicherheitskräften, Verdächtige auch ohne richterliche Ermächtigung zu verhaften, ihr Wohnungen zu durchsuchen sowie ihre elektronische Kommunikation, Post und Telefon zu überwachen.

Mit den diktatorischen Vollmachten der Verfassung von 1971 sowie des andauernd geltenden Notstandsrechts regierte Muhammed Husni Mubarak vom 14.10.1981 bis zu seinem Rücktritt am 11.02.2011. In den westlichen Medien wurde auf den diktatorischen Charakter des Regimes erst mit dem Machtwechsel hingewiesen (Mubarak erhielt als wichtiger Verbündeter erhebliche Finanzhilfe von den USA; das deutsche Bundeskriminalamt leistete von 2006-2011 Ausstattungshilfe für die ägyptische Polizei).

Das von der Staatspartei NDP dominierte Parlament führte ein Schattendasein. Nachdem es seiner eigenen Entmachtung durch die Notstandsgesetze zunächst noch jedes Jahr zustimmte, begnügte man sich seit 1994 mit einem Turnus, bei dem das Parlament seine Machtlosigkeit nur noch alle drei Jahre bestätigen musste. Personen konnten auf diese Weise ohne Angabe von Gründen verhaftet werden. Auch musste kein Verfahren gegen sie eingeleitet werden. Auf diese Weise wurden Oppositionelle verhaftet und dann (gelegentlich) Militär- oder Sondergerichten vorgeführt, gegen deren Urteile keine Rechtsmittel zulässig waren. Allerdings konnte der Staatspräsident Begnadigungen aussprechen. Personen, die als Gefahr angesehen werden, konnten nicht nur verhaftet, sondern auch enteignet werden. Medien wurden zensiert und gegebenenfalls geschlossen. Folge war das Unterbleiben von Demonstrationen aus Angst vor Repressionen - und eine Wahlbeteiligung, die in der Regel unter zehn und manchmal unter fünf Prozent lag.

Ägyptische Revolution 2011

Die ägyptische Revolution begann am 25. Januar 2011 und endete vorläufig am 11. Februar mit dem Rücktritt Mubaraks. Die Demonstranten wendeten sich bei ihren Protesten vor allem gegen das von Oktober 1981 bis Februar 2011 bestehende Regime des damals noch amtierenden ägyptischen Präsidenten Mubarak und das Leben in einem Polizeistaat. Nach dem Rücktritt Mubaraks wurde die Regierungsverantwortung, nicht wie von der Opposition gefordert, an einen zivilen Praesidialrat, sondern an den Oberste Rat der Streitkräfte unter Führung von Feldmarschall Mohamed Hussein Tantawi übertragen. Hiermit setzte eine schleichende Rückgewinnung der Macht durch das Militär ein. Die Bevölkerung reagierte hierauf mit anhaltenden Protesten. Am 28. November 2011 kam es zu den von der Revolutionaeren erstrebten Parlamentswahlen, die die islamistischen Parteien mit etwa 70 Prozent gewannen. Der Ministerrat musste das gewählte Parlament am 16. Juni jedoch auflösen, nachdem das Verfassungsgericht die Wahl wegen eines fehlenden Wahlgesetzes für ungültig erklärte. Infolgedessen wurden die legislative Aufgaben wieder vom Obersten Militärrat wahrgenommen. Am 17. Juni 2012 fanden Praesidentschaftswahlen statt, bei denen Dr. Mohamed Mursi zum neuen Staatspräsidenten gewählt wurde.

Polizei

Organisation

Die „Egyptian National Police“ ist dem Innenministerium unterstellt und verfügt über eine Stärke von 350 000 Polizisten. Die Dienstgradbezeichnungen ähneln denen des Militärs. Im mittleren Dienst beginnt man mit dem Einstiegsamt Rekrut und kann über den Korporal und den Sergeant bis zum Master Sergeant aufsteigen. Im höheren Dienst wird man nach der Ausbildung zum Oberleutnant ernannt. Der höchste Dienstposten ist der des Generalmajors. Für den Einstieg in den höheren Dienst ist eine zweijährige Ausbildung an der Polizeiakademie in Kairo notwendig. Polizisten des mittleren Dienstes absolvieren ein dreimonatiges Training.

Die „Egyptian National Police“ hat eine Vielzahl von Funktionen und Verantwortlichkeiten. Sie ist u.a. für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung, die Verhütung und Aufdeckung von Straftaten, die Regelung des Verkehrs, die Bewachung von Sehenswürdigkeiten, die Durchführung von Ein- und Ausreisemaßnahmen in See- und Flughäfen sowie für den Geleitschutz von Touristen zuständig.

State Security Investigations Service

Der State Security Investigations Service war bis zu seiner Auflösung im März 2011 eine Stasi-ähnliche ägyptische Staatssicherheitsbehörde. Seine Aufgabe war es, die Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Es bestand jedoch stets der Verdacht, dass er mehr dazu diente, das Regime zu schützen und dessen Fortbestand sicherzustellen. Dem SSI wurde, legitimiert durch den Notstandsparagraphen, freie Hand bei der Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen gelassen. Er war offiziell nicht befugt, Menschen festzunehmen, dennoch wurden in der Vergangenheit immer wieder Vorfälle bekannt, bei denen politische Gegner verschleppt wurden oder menschenrechtsverletzende Vernehmungsmethoden eingesetzt wurden . Bei der Stürmung der Gebäude des SSI im März 2011 fand man zahlreiche Folter-räume und Folterwerkzeuge . Mit der Abschaffung des SSI wurde vom Militärrat eine zentrale Forderung der Revolutions-bewegung erfüllt. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gehen jedoch davon aus, dass 75 Prozent SSI Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze behalten haben. Nur der Name wurde geändert: aus „State Security Investigations Service“ wurde „National Security Force". Der „National Security Force“ wurde die Wahrung der Sicherheit Ägyptens sowie die Verantwortung für die Terrorabwehr übertragen .

Polizeigewalt

Während des dreißigjährigen Mubarak-Regimes und der rund sechzigjährigen Militärdiktatur war die Polizei gefürchtet. Ihre Hauptaufgabe war es, die Existenz und Fortdauer des autoritären Regimes zu sichern. „The Guardian“ veröffentliche einen “Wikileaks“ Bericht, in dem die ägyptische Botschaft zur Polizeigewalt Stellung nimmt. In der Schrift wird berichtet, dass die Anwendung von Folter durch die Polizei so verbreitet ist, dass diese selbst von der ägyptischen Regierung nicht mehr bestritten wird. Es wird behauptet, dass die Polizei systematische Folterungen und Misshandlungen routinemäßig einsetzt, um Geständnisse und Informationen zu erzwingen sowie strafrechtliche und politische Gefangene zu bestrafen. Allein in den Polizeidienststellen Kairos soll es täglich zu Misshandlungen von Kriminellen, islamistischen Häftlingen, Oppositionellen und Bloggern kommen. Die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch stellte in dem Bericht „Work on Him until he confesses“ fest, dass Inhaftierte u.a. durch Schläge, Elektroschocks, Aufhängen an Hand- und Fußgelenken, Schlafentzug, Morddrohungen und sexueller Missbrauch zu Aussagen gedrängt wurden. Eine mangelhafte Ausbildung, schlechte Arbeitsbedingungen, eine geringe Vergütung, 12-Stunden-Schichten sowie fehlende Aufstiegschancen werden als Gruende für das korrupte und gewalttätige Verhalten der Polizisten angegeben.

Verhältnis der Bevölkerung zur Polizei

Situation während der Revolution

Das häufig menschenverachtende Verhalten der Polizei war ein Nährboden für den Beginn der Revolution. Der Auslöser für die Protestwellen war letztendlich das brutale Vorgehen zweier Polizisten gegen Khaled Said, das zu dessen Tod führte. Said wurde wegen des Vergessens seines Ausweises von Polizisten abgeführt und starb an den Verletzungen, die ihm die Polizisten beigebrachten. Mit der Ermordung eines Unschuldigen formierte sich der Widerstand der Bevölkerung. Tausende Menschen gingen in verschiedenen Städten Ägyptens auf die Straße, um gegen die Regierung Mubaraks und die Polizeiwillkür zu protestieren. Am 28. Januar 2012 eskalierte die Lage. Präsident Mubarak war nicht länger bereit die Demonstrationen zu dulden und wies die Polizei an, jede Demonstration mit allen Mitteln zu verhindern. Als die Revolution begann, stellten sich die Polizisten nicht auf die Seite des Volkes, wie die Armee, sondern verteidigten das Regime. Sie folgte der Anweisung Mubaraks und ging mit großer Härte gegen die Demonstranten vor. In mehreren ägyptischen Städten kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen. Es wurde Tränengas und Gummigeschosse eingesetzt . Eine von der Regierung eingesetzte Kommission zur Aufklärung der Vorfälle berichtet zudem vom Einsatz scharfer Munition. Ein am 14. April veröffentlichter Bericht stellte fest, dass die tödlichen Schüsse gezielt auf Kopf und Brust abgefeuert wurden. Insgesamt kamen bei der achtzehntägigen Revolte mehr als 800 Demonstranten ums Leben, 11.000 Menschen wurden verletzt.

Situation nach der Revolution

Die Polizei ist der eindeutige Verlierer der Revolution. Durch ihr hartes und brutales Vorgehen hat sie ihr Ansehen und die Kontrolle über die öffentliche Ordnung verloren. Für die Polizisten ergab sich nach der Revolution ein Ohnmachtsgefühl. Waren sie früher gefürchtet, wurden sie nach der Revolution als Rudiment des Mubarak Regimes angesehen und mit wenig Respekt behandelt. Die Bevölkerung projizierte all ihren Hass über das alte Mubarak-Regiment auf die Polizei. Statistiken der Regierung zufolge wurden seit der Revolution 90 Polizeistationen in Brand gesetzt sowie Polizeistationen gestürmt und etliche Waffen gestohlen. Ferner kam es zu tagelangen Protesten auf dem Tahir Platz in Kairo, bei denen wütende Bürger ein schnelleres Vorgehen bei der Bestrafung der Polizisten für ihr Vorgehen während der Revolution forderten. Infolgedessen zogen sich die Polizisten aus der Öffent-lichkeit zurück. „Viele Polizisten finden, sie können ihren Dienst nicht richtig versehen, weil die Leute sie hassen", sagt Foud Allam, ehemaliger Stellvertreter der nun aufgelösten Staatssicherheitsbehörde. Eine Woche nach der Revolution war fast kein Ordnungshüter mehr auf den Straßen Ägyptens zu sehen. Es kam zu vermehrten Einbrüchen und Raubüberfällen. Die Kriminalitätsrate soll in dieser Zeit um 200 Prozent gestiegenen sein. Laut einer Gallup-Umfrage vom Herbst 2011 fühlen sich von 1000 befragten Ägyptern 40 Prozent unsicher und trauten sich nachts nicht mehr auf die Straße. Als Reaktion auf die andauernden Proteste verkündete der Innenminister am 1. August 2011 die größte Personalentlassung in der Geschichte der ägyptischen Polizei. Unter den entlassenen Polizisten waren 505 Generalmajore, 82 Oberstleutnante und 82 Brigadegeneräle. Grundlegende organisatorische Veränderungen wurden jedoch nicht vorgenommen. Der Unwille zu Reformen spiegelt sich in einer Kultur der Leugnung und Unantastbarkeit wider. So wurden Reformgespräche seitens des Innenministeriums mit der Begründung abgelehnt, dass die Polizei „sauber sei“ und die Ausschreitungen bei den Demonstrationen Verfehlungen einzelner zuzuschreiben seien. Der Menschenrechtsaktivist Shahbandar berichtete, dass die Regierung lediglich kosmetische Veränderungen angestrebte. So wurde das Motto der Polizei in „Die Polizei im Dienst der Bevölkerung“ geändert. Ferner wurden Broschüren herausgegeben, die die Polizisten über ihre Aufgaben und Pflichten informierte.

Ausschreitungen im November 2011

Die Proteste gegen den anhaltenden Einfluss des alten Regimes erlangten im November 2011 ihren Hoehepunkt. Bei der Auflösung der Demonstration am 19. November 2011 gingen die Polizei und das Militär so gewaltsam vor, dass 46 Demonstranten getötet wurden. Molotow-Cocktails flogen, es wurden Gummigeschosse und Tränengas eingesetzt. Viele Demonstranten wurden durch Reizgas verletzt. Im Internet verbreiteten sich zahlreiche Videofilme, die das brutale Vorgehen der Polizei zeigten und die Wut der Bevölkerung weiter schürten. Eine Videosequenz, die sich rasant verbreitete, zeigte wie Polizisten einer Demonstrantin die Kleider vom Leib rissen und auf ihren entblößten Körper sprangen. Infolgedessen kam es in vielen Städten Ägyptens zu Protestaktionen.

Ausschreitungen im Februar 2012

In Port Said kam es am 1. Februar 2012 nach einem Fußballspiel zwischen Al-Ahli aus Kairo und Al-Masri aus Port Said zu schweren Ausschreitungen bei denen 71 Menschen starben und mehr als 1.000 verletzt wurden. Auf Videosequenzen ist zu sehen, wie Fans nach Ende des Spiels auf den Rasen stürmten und die Spieler angriffen. Viele Beteiligte erhoben nach dem Vorfall Vorwürfe gegen die Polizei. Das Verhalten der Polizei wurde von Al-Ahlis Trainerassistenten als Schande bezeichnet. Augenzeugen berichteten, dass die Polizei die Abgrenzungen öffnete, die die gegnerischen Fans trennen sollten. Al-Ahlis Trainer Manuel José sagte, „die Schuld hat einzig und allein die Polizei. Es waren Dutzende im Stadion, aber die sind plötzlich alle verschwunden oder haben gar nichts unternommen" . Infolge der Eskalation im Zuge des Fußballspiels richtete sich der Zorn der Bevölkerung erneut gegen die Sicherheitskräfte. Im ganzen Land gingen nach den Ausschreitungen wieder Tausende auf die Straße, um gegen die Polizei zu protestieren. Mit Rufen wie, „die Polizisten tun nichts" und „seit Monaten stehen die rum und sehen tatenlos zu“ verliehen die Demonstranten ihrer Wut Ausdruck. Im Zuge der Auflösung der Demonstration feuerte die Polizei erst mit Tränengas, anschließend soll auch scharfe Munition zum Einsatz gekommen sein. Nach Angaben von Ärzten wurden mindestens 20 Menschen durch das Einatmen des Tränengases verletzt, ein Mensch soll von einem Gummigeschoss tödlich getroffen worden sein. Die Unruhen griffen von Kairo auch auf andere Städte über. Bei Zusammenstößen in Suez starben zwei Demonstranten durch Polizeischüsse. Mindestens 30 Menschen wurden nach Angaben von Krankenhausmitarbeitern verletzt.

Nicht nur die Bevölkerung forderte Konsequenzen aus den Vorfällen im Stadion, auch von politischer Seite kam es zu Forderungen nach einer umfassenden Aufklärung. So drängte die Europäische Union auf eine „sofortige und unabhängige Untersuchung" der Gewalt. Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon verlangte von der ägyptischen Regierung „angemessene Maßnahmen" . Am 12. Februar 2012 präsentierte der Chef der Untersuchungskommission des Parlaments, Aschraf Thabet, einen vorläufigen Untersuchungsbericht. Aufgrund des Berichtes wurden am 15. März 2012 von der Staatsanwaltschaft Anklage gegen 75 Personen erhoben. Unter den Beschuldigten waren neun Polizisten, darunter auch Generalmajor Issam Samak, der damalige Polizeichef in der östlichen Hafenstadt. In einer Stellungnahme der Staatsanwaltschaft hieß es, dass die Sicherheitskräfte es versäumt hätten, rechtzeitig einzugreifen, um die Opfer zu schützen. Sie hätten außerdem zugelassen, dass 3000 Fans über die maximale Stadionkapazität hinaus eingelassen worden seien. Den Angaben zufolge haben die Polizisten bereits im Vorfeld gewusst, dass Angriffe auf Al-Ahly-Fans geplant waren, hätten jedoch nichts unternommen, um diese zu verhindern.

Ausschreitungen im August 2013

Der Militärputsch gegen die gewählte Regierung Mursi und die von der Putsch-Regierung begangenen Massaker an Mursi-Anhängern in den Wochen nach dem Putsch wurden vom Ausland auffallend ruhig hingenommen.

Spätestens Mitte August begann die Putschistenregierung, ihre Verfolgungsmaßnahmen gegen Islamisten als Teil des Krieges gegen den Terrorismus zu bezeichnen.

Andreas Ross analysierte die Lage in der FAZ vom 19.08.2013 (S. 3):

"Lindsey Graham sieht keinen Grund mehr für diplomatische Zurückhaltung. „Man merkte einfach, dass alle auf einen Kampf aus waren“, berichtete nun der republikanische Senator, der Anfang August mit seinem Fraktionskollegen John McCain den ägyptischen Armeechef Abd al Fattah al Sisi aufgesucht hatte. „Im Machtrausch“ sei ihm der General vorgekommen, der Anfang Juli den gewählten Präsidenten Muhammad Mursi abgesetzt hatte – und dafür aus Washington Lob erntete. „Und der Ministerpräsident war eine Katastrophe“, fügte Graham hinzu. Man könne mit den Muslimbrüdern nicht verhandeln, sondern müsse die Demonstranten dazu bringen, den Rechtsstaat zu achten, habe Hazem Beblawi eisern verkündet. „Herr Ministerpräsident, Sie können kaum Lektionen über den Rechtsstaat erteilen“, will Graham den Ägypter zurechtgewiesen haben. „Wie viele Stimmen haben Sie nochmal bekommen? Ach ja, es gab ja gar keine Wahl!“ - Die Offenheit, in der am Wochenende nicht nur die für knackige Sprüche bekannten Senatoren, sondern auch andere westliche Unterhändler die vergangenen sechs Wochen gescheiterter Krisendiplomatie nacherzählt haben, spricht Bände. Man sieht sich von Sisi systematisch getäuscht – und hegt den Verdacht, dass auch andere Verbündete wie die Vereinigten Arabischen Emirate und sogar Israel ein doppeltes Spiel gespielt haben könnten. Wie am Wochenende aus Äußerungen des EU-Sonderbeauftragten Bernardino León sowie amerikanischer Regierungsmitarbeiter hervorging, waren Europäer und Amerikaner eine Woche vor der brutalen Auflösung der Protestlager guter Hoffnung, mit einer ersten Vereinbarung die Grundlage für einen Dialog zwischen Armee und Islamisten geschaffen zu haben.

Nachdem León und der Staatssekretär im amerikanischen Außenministerium William Burns mit den Machthabern verhandelt hatten, überbrachten sie den Muslimbrüdern die Botschaft, dass innerhalb von Stunden zwei ihrer inhaftierten Anführer freigelassen würden. Dafür sollten die Islamisten ihre Proteste auf zwei deutlich verkleinerte Lager beschränken. Doch anstatt ihre Zusage einzuhalten, erließ die Kairoer Führung gegen den obersten Führer der Muslimbruderschaft Muhammad Badie und den hohen Funktionär Khairat al Schater Anklage wegen Anstiftung zum Mord – wenige Stunden, bevor die westlichen Unterhändler Schater im Gefängnis treffen durften. Europäer und Amerikaner standen vor den Islamisten düpiert da. Eine Erklärung zum Gewaltverzicht war nicht mehr durchzusetzen.

Washington hatte zwei kleine Golfstaaten ins Boot geholt, die ihre gegenläufigen Interessen in Ägypten jeweils mit Milliardensummen durchzusetzen versuchen, aber gute Beziehungen zu Amerika pflegen: Qatar, das sich als Schutzmacht der Muslimbrüder versteht, und die Vereinigten Arabischen Emirate, die – mit Saudi-Arabien – den Islamismus zurückdrängen wollen. Bisweilen waren die Außenminister beider Länder gleichzeitig mit Burns und León in Kairo. Doch fragen sich amerikanische Diplomaten, ob die Emirate gegenüber General Sisi wirklich für Versöhnung geworben oder ihm nicht doch versprochen haben, eine Vernichtung der Muslimbrüder üppig zu belohnen.

Gleichzeitig dürften sich die zuletzt lebhaften Kontakte zwischen Israel und der ägyptischen Armee auf höchster Ebene fortgesetzt haben. Manche in Washington schließen nicht aus, dass Israel General Sisi versichert haben könnte, Washington werde seine Militärhilfe von jährlich 1,3 Milliarden Dollar auf keinen Fall aussetzen. Sicher ist, dass Israel und einschlägige Lobbygruppen Kongress und Regierung in Washington auffordern, die Kairoer Generäle nicht im Stich zu lassen.

Doch für Amerika steht ohnehin mehr auf dem Spiel als das ägyptisch-israelische Friedensabkommen und die zuletzt robuste Zusammenarbeit der beiden Länder bei der Bekämpfung militanter Islamisten auf dem Sinai. Pentagon-Mitarbeiter erinnern daran, dass kaum ein Verbündeter seinen Luftraum so selbstverständlich und schnell für die amerikanische Luftwaffe öffnet wie Ägypten, und im Krisenfall werden amerikanische Kriegsschiffe im Suez-Kanal bevorzugt abgefertigt. Die Überflugrechte spielen eine wichtige Rolle für den Afghanistan-Nachschub, aber auch für Antiterroraktionen im Nahen Osten und Ostafrika. Deswegen dürfte sich Präsident Barack Obama trotz der Anfeindungen aus dem linken wie aus dem republikanischen Lager vorerst weiter auf eher symbolische Sanktionen beschränken: Nach der Aussetzung der Lieferung von F-16-Kampfflugzeugen Ende Juli und der Absage eines geplanten ägyptisch-amerikanischen Manövers am Donnerstag wird nun offenbar erwogen, auch die laut einem Vertrag von 2009 im September anstehende Lieferung von Apache-Kampfhubschraubern auszusetzen.

Seit dem Putsch gegen den Islamisten Mursi, den Washington bis heute nicht als Putsch bezeichnet, hat Verteidigungsminister Chuck Hagel angeblich etwa alle zwei Tage sechzig- bis neunzigminütige Telefonate mit General Sisi geführt und ihn zur Mäßigung aufgefordert. Außenminister John Kerry soll es geschafft haben, nach der ersten Gewaltwelle Ende Juli den Rücktritt des säkularen Vizepräsidenten Mohammed ElBaradei zu verhindern, damit in Kairo eine Stimme für den Dialog verbleibe. Doch auch Baradei fand kein Gehör. Die Armee richtete ein Massaker an, Baradei gab auf – und die Regierung in Washington kam zu dem Schluss, dass sie nicht mehr am längeren Hebel sitzt" (Ross 2013).

Strafvollzug in Ägypten

Organisation

Die Leitung der Gefängnisse in Ägypten fällt unter die Zuständigkeit des Innenministeriums. Das Strafvollzugssystem gliedert sich in Hochsicherheitsgefängnisse, allgemeine Gefängnisse (general prisons), Bezirksgefängnisse und Besserungsanstalten für Jugendliche. Als Sanktion auf besonders schwere Straftat müssen die Verurteilten ihre Haftstrafe in Hochsicherheitsgefängnissen ableisten. Unter strenger disziplinarischer Kontrolle müssen die Inhaftierten hier Zwangsarbeit leisten. Als Disziplinarmaßnahme für jegliche Verstöße ist Einzelhaft vorgesehen, die bis zu 15 Tagen angeordnet werden kann. Insgesamt existieren drei solcher Gefängnisse in Ägypten: Tora Liman, Abu Za’bal Liman und Wadi Natroun Liman. Die Häftlinge können in ein general prison verlegt werden, wenn sie die Hälfte ihrer Haftzeit abgesessen haben und gutes Verhalten gezeigt haben, die Verlegung aufgrund von gesundheitlichen Gründen notwendig ist, oder wenn sie Altersgrenze von 60 Jahren erreicht haben. In den general prisons werden ansonsten Straftäter untergebracht, die zu mehr als drei Monaten verurteilt wurden. Straftäter, die eine Haftstrafe von bis zu drei Monaten ableisten, sind in Bezirksgefängnissen untergebracht. Seit Mitte der 1980er-Jahre verfügt Ägypten über drei Hochsicherheitsgefängnisse und 27 general prisons.

Haftbedingungen

Überbelegung (die 30 Gefängnisse sind für ca. 20.000 Häftlinge konzipiert, derzeit sind rund 30.000 Personen inhaftiert), mangelnde Hygiene und juristischer Beistand, ineffiziente psychologische und medizinische Versorgung und unzureichende Ernährung belegen die schlechten Haftbedingungen. Zu den komplexen Problemen zählen auch die fehlende Infrastruktur, mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen und fehlerhafte Technik in den Haftanstalten. Dies verhindert eine effektive Kontrolle sowohl der Strafgefangenen als auch des Gefängnispersonals. Die meisten Zellen verfügen über keine Toiletten und keine Matratzen. Die Häftlinge schlafen auf Decken, die auf dem Boden ausgebreitet werden. Die Zellen sind spärlich beleuchtet. Ein Hofgang wird den Gefangenen täglich für 5-30 Minuten gewährt. Nach dem United States Department of State Country Reports on Human Rights Practices variieren die Haftbedingungen und die Behandlung zwischen den einzelnen Gefängnissen erheblich. Über den schlechtesten Ruf verfügt das Tora-Gefängnis und das al-Wadi al-Gadid-Gefängnis nahe Kairo, in denen vorwiegend verurteilte Mitglieder der Al Jihad inhaftiert sind. Amnesty international veröffentlichte unter dem Titel Egypt: Deaths in custody einen Bericht, in dem sie die steigende Zahl von Todesfällen in Haft dokumentierte. Mindestens 26 Häftlinge kamen im Gewahrsam ums Leben. Berichten zufolge waren die meisten Todesfälle auf Folterungen und Misshandlungen zurückzuführen, deren Folgen noch durch unhygienische Haftbedingungen, Überbelegung und unzureichende Essensrationen verschlimmert wurden.


Weblinks und Literatur