Lombrosianischer Mythos

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Der Lombrosianische Mythos ist ein Begriff, der von den Soziologen Alfred R. Lindesmith und Yale Levin durch ihren Aufsatz The Lombrosian Myth in Criminology im Jahre 1937 geprägt wurde. Der Artikel hinterfragt die Bedeutung des italienischen Arztes und Begründers der Kriminalanthropologie Cesare Lombroso als Gründungsvater der Kriminologie und setzt ihn in den historischen Kontext.

The Lombrosian Myth in Criminology

Die beiden Autoren schreiben (Lindesmith/Levin 1937, S. 653):

Die vorherrschende Auffassung von Lombroso als Gründer der wissenschaftlichen Kriminologie in diesem Lande kann am ehesten als Mythos beschrieben werden.
Viele frühere Kriminalitätsstudien entsprechen nahezu zeitgenössischen sozialwissenschaftlichen Studien. Eine große Bandbreite an Literatur über jugendliche Delinquenz, Berufsverbrechertum, Kriminalitätsgründe und anderer Aspekte der Kriminologie existierten bereits als Lombroso mit seiner Arbeit begann. Die Heranziehung von autobiografischen Dokumenten, die Verwendung von offiziellen Statistiken, der Umweltansatz sowie Studien über den Kriminellen "in the open" waren selbstverständlich und wurden lange vor der Zeit der Italienischen Schule angewandt. Vom soziologischem Gesichtspunkt her repräsentiert die Ankunft Lombrosos eher einen Rückschritt oder ein Zwischenspiel als einen Fortschritt im Verlauf der Kriminologie. Die Dunkelheit dieser früheren Arbeit kann am besten als Ergebnis von verschobenen Prestigewerten erklärt werden, die der Bedeutung des Sozialdarwinismus in den Sozialwissenschaften, der wachsenden Popularität von psychologischen oder anderen individuellen oder biologischen Theorien im späten 19. Jahrhundert sowie der Isolation der amerikanischen Kriminologie von früheren europäischen Entwicklungen geschuldet sind.

Der historische Kontext

Die Kritik von Lindesmith und Levin bezieht sich auf die ihrer Ansicht nach unberechtigte Vorherrschaft Lombrosos einerseits und andererseits auf die fehlende Einbeziehung der kriminologischen Arbeiten vor der Ära der Italienischen Schule. Die Entwicklungsgeschichte der Kriminologie wurden zweifelsohne von zahlreichen Wissenschaftlern geprägt, die allesamt und auf ihre Weise einen Beitrag für die Institutionalisierung und Konsolidierung der Kriminologie als eigenständige Wissenschaft geleistet haben.

Wegbereiter

Erste Überlegungen zu Kriminalitätsgründen und Ursachen finden sich bereits im antiken Griechenland. So fragt bereits Platon in seinen Schriften Apologie und Phaidon nach.... aber bereits nach der Antike wurde bis zum Anbruch der Neuzeit um etwa 1500 jegliche Form der Kriminalität eng mit Sünde und Häresie konnotiert, so dass die allgemeine Gerichtsbarkeit in den Händen der unterschiedlichen von Gottes Gnaden ernannten Fürsten oder auch in denen der Kirche in Form der Inquisition lag. Die Frage und Suche nach Kriminalitätsgründen und -ursachen war damit in den Bereich der Religion gerückt und dem Zugriff der Wissenschaft vorerst entzogen. Doch bereits die Constitutio Criminalis Carolina (CCC) schreibt bspw. bei den Delikten Kindstötung und Tötung einen Sachverständigen zur empirischen Abklärung der Verbrechensursache vor (Kunz, S.33). Mit der beginnenden Renaissance und ihrem humanistischen Weltbild begann sich sodann die Verbindung zwischen diesseitigen Verbrechen und jenseitigen Schicksal zu lösen und der Weg war frei für wissenschafliche Erklärungsversuche und begleitende Reformen. In der Epoche der Aufklärung, also etwa im 17. und 18 Jahrhundert, wurde letztendlich auch das Strafrecht und die Gerichtsbarkeit von den Säkularisierungsbestrebungen erfasst. So hat bereits der Jurist und Staatsmann Thomas Morus (wahrscheinlich * 7. Februar 1478 in London; † 6. Juli 1535 ebenda) im Rahmen seines Werkes Utopia die Frage nach der Herkunft der Diebe gestellt und vorbeugende Kriminalitätsbekämpfung durch Verminderung von Armut und Elend vorgeschlagen [3].

Kritik am englischen Strafrecht und auch die kennzeichnende Frage nach der Herkunft der Diebe Beschuldigung der herrschenden Klassen aufgrund der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung, durch die von ihnen geschaffenen und konsolidierten sozialen Verhältnisse das zu jener Zeit weit verbreitete Verbrechertum geschaffen zu haben (Hering, Seite 16)

François Gayot de Pitaval

(* 1673 in Lyon; † 1743 ebenda) Gerichtsberichterstatter, Sammlung von Rechtsfällen

de Montesqiueu

  • vor dem 18. Januar 1689 auf Schloss La Brède bei Bordeaux; † 10. Februar 1755 in Paris

(1721)

John Howard

  • 2. September 1726 in Hackney bei London; † 20. Januar 1790 in Cherson/Krim

Beobachtungen und Reformbestrebungen im Gefängniswesen Werk: State of prisons in England and Wales (1777) = Anstoß zu einer internationalen Reformbewegung des Strafvollzuges

Dei Delitti E Delle Pene

Cesare Beccaria - kriminalpolitische Studien (1764) Dem Juristen Cesare Beccaria, 15.03.1738 - 28.11.1794, steht der Verdienst zu, mit seinem Werk Dei delitti e delle pene, den Niedergang der bis dato vorherrschenden constitutio criminalis carolina in Europa besiegelt und die moderne Kriminalpolitik begründet zu haben. In seinem Werk , dessen Veröffentlichung in die Epoche der Auflärung...

Johann Peter Frank (* 19. März 1745 in Rodalben; † 24. April 1821 in Wien) der Begründer der Sozialhygiene als Wissenschaft

Jeremy Bentham (* 15. Februar 1748 in Spitalfields, London; † 6. Juni 1832 in London) Panopticom

Paul Johann Anselm von Feuerbach

(* 14. November 1775 in Hainichen bei Jena; † 29. Mai 1833 in Frankfurt am Main) Strafrechtler, Fallsammlungen Überwindung der polizeistaatlichen Prävention

Nikolaus Heinrich Julius 03. Oktober 1783 in Altona; † 20. August 1862 in Hamburg)

Die Moralstatistiker

André-Michel Guerry (December 24, 1802 – April 9, 1866) - Analysen der Moralstatistiker Adolphe Quetelet (22 February 1796 – 17 February 1874) - Analysen der Moralstatistiker (1835)

Paul Topinard

(1830-1911) - Zuschreibung der ersten Verwendung des Begriffes KRO auf das Jahr 1879 (unsicher)

Die Kriminalanthropologie

Cesare Lombroso

Cesare Lombroso November 6, 1835 – October 19, 1909 Raffaele Garofalo (* 1852; † 1934) Enrico Ferri

  • 25. Februar 1856 in San Benedetto Po; † 12. April 1929 in Rom

- Nennung des Begriffs Criminologia (Lehrbuch) 1885

Franz von Liszt (* 2. März 1851 in Wien; † 21. Juni 1919)

Emile Durkheim (* 15. April 1858 in Épinal, Frankreich; † 15. November 1917 in Paris)





Die Kriminalpathologie

Die Kriminalsoziologie

(Die Französische Schule)

Alexandre Lacassagne

Alexandre Lacassagne

  • 17. August 1843; † 24. September 1924 in Cahors,

Gabriel Tarde

  • 12. März 1843 in Sarlat; † 13. Mai 1904 in Paris

Armand-Marie Corre

sozialistische Kriminologie

Friedrich Engels

(1845) Die Lage der arbeitenden Klasse in England

Bonger

Mehrfaktorenkonzept eklektisch-mehrdimensionale Betrachtung von KRI Vereinigungstheorie


Zitate

Es ist unter Kriminologen heute allgemein akzeptiert, daß die Kriminologie als Wissenschaft keineswegs mit den Forschungen des italienischen Arztes Cesare Lombroso (1835-1909) begonnen hat(1). Aber wahrscheinlich war die Kriminologie nie zuvor und danach so populär wie in jenem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, nachdem Lombroso sein Buch über den geborenen Verbrecher "L'uomo delinquente" 1876 veröffentlicht hatte(2). (Stangl, 1988, S. 68)

Die Ursprünge der modernen Kriminologie werden in der Literatur meist nicht weiter zurückverfolgt als auf Cesare Lombroso. Lombroso gilt als eigentlicher Begründer der Kriminologie. Entdeckungen wesentlich älteren Datums werden häufig mit seinem Namen verknüpft oder doch der von ihm geführten italienischen Schule zugeschrieben, und wo die kriminologischen Forschungen der vor-lombrosianischen Aera, etwa die bahnbrechenden Studien Quetelet's oder Guerry's überhaupt Erwähnung finden, da erscheinen die meist als bloße Vorläufer einer doch erst von Lombroso zur Wissenschaft entwickelten Disziplin. (Mechler, 1970, S. 1)

Dadurch, dass die Mehrzahl der Kriminologen die Kriminologie mit der Elle des wissenschaftlichen Instrumentariums misst, kommt es zu der Verbannung eines Cesare Beccaria (1738-1794) [...] in den Vorhof der Kriminologie auf der einen Seite und und zur Stilisierung der sogenannten positiven Schule von C. Lombroso (1835-1909) zur eigentlichen Begründerin der Kriminologie auf der anderen Seite. (Sack, 1978, S. 231)

Peter Strasser, Verbrechermenschen

Literatur

  • Lindesmith, Alfred R. und Yale Levin (1937) The Lombrosian Myth in Criminology, American Journal of Sociology 42: 653 - 671.
  • Stangl, Wolfgang (1988) Wege in eine gefängnislose Gesellschaft, über die Verstaatlichung und Entstaatlichung der Strafjustiz, Verlag der österreichischner Staatsdruckerei
  • Mechler, Achim (1970) Studien zur Geschichte der Kriminalsoziologie, Kriminologische Studien, Band 5, Verlag Otto Schwartz&Co Göttingen
  • Sack, Fritz (1978) Probleme der Kriminalsoziologie. In: König, Rene (Hrsg.), Handbuch der Empirischen Sozialforschung, Band 12, Wahlverhalten, Vorurteile, Kriminalität, Stuttgart, S. 192-492.
  • Naucke, Wolfgang (1989) Die Modernisierung des Strafrechts durch Beccaria, in: Deimling, G. (Hrsg.): Cesare Beccaria, C.F.Müller, Heidelberg: 37-53
  • Hering, Karl-Heinz (1966) Der Weg der Kriminologie zur selbständigen Wissenschaft, Kriminologische Schriftenreihe, Band 23, Kriminalistik Verlag Hamburg
  • Kaiser, Günther (1985) Kriminologie, Eine Einführung in die Grundlagen, C.F. Müller, Heidelberg
  • Kürzinger, Josef (1995) Kriminologie, Eine Einführung in die Lehre vom Verbrechen, Richard Boorberg Verlag Stuttgart
  • Mannheim, Hermann (1972) Pioneers in Criminology, Patterson Smith, Montclair, NJ

Weblinks