Kriminalitätsfurcht: Unterschied zwischen den Versionen

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===Soziale-Kontroll-Perspektive===
===Soziale-Kontroll-Perspektive===


Dieser Ansatz orientiert sich am sozialen Gefüge von Nachbarschaften und in Verbindung damit am Verlust von informeller [[Sozialkontrolle]]. Es sind zwei weltanschaulich verschiedene Herangehensweisen zu unterscheiden. Zum einen die eigentliche Soziale-Kontroll-Perspektive von Lewis und Salem, zum anderen der [[Broken Windows]] - Ansatz von Wilson und Kelling.
Dieser Ansatz orientiert sich am sozialen Gefüge von Nachbarschaften und in Verbindung damit am Verlust von informeller [[Sozialkontrolle]]. Es sind zwei weltanschaulich verschiedene Herangehensweisen zu unterscheiden. Zum einen die eigentliche Soziale-Kontroll-Perspektive, zum anderen der [[Broken Windows]] - Ansatz von Wilson und Kelling.
Die Soziale-Kontroll-Perspektive geht von Kriminalität als einer logischen Folge von sozialem Wandel und dem Verlust informeller sozialer Kontrolle aus. Dies soll zu sozialer Desorganisation, einem Verfall gemeinsamer sozialer Werte und Bindungen führen, die sich als Unfähigkeit äußern, bei Konflikten zu einem Konsens zu kommen. Als Indikatoren hierfür gelten sogenannte [[Incivilities|incivilities]], Verhältnisse und Verhaltensweisen, die den destabilisierten Zustand auf Nachbarschaftsebene (Community) signalisieren. Die subjektive Wahrnehmung der Nachbarschaft bzw. das Ausmaß der Fähigkeit, mit den Gegebenheiten umzugehen, wird dabei für die Entstehung bzw. Nichtentstehung von Kriminalitätsfurcht verantwortlich gemacht. Überprüfungen dieses Ansatzes lieferten widersprüchliche Ergebnisse.  
Die Soziale-Kontroll-Perspektive geht von Kriminalität als einer logischen Folge von sozialem Wandel und dem Verlust informeller sozialer Kontrolle aus. Dies soll zu sozialer Desorganisation, einem Verfall gemeinsamer sozialer Werte und Bindungen führen, die sich als Unfähigkeit äußern, bei Konflikten zu einem Konsens zu kommen. Als Indikatoren hierfür gelten sogenannte [[Incivilities|incivilities]], Verhältnisse und Verhaltensweisen, die den destabilisierten Zustand auf Nachbarschaftsebene (Community) signalisieren. Die subjektive Wahrnehmung der Nachbarschaft bzw. das Ausmaß der Fähigkeit, mit den Gegebenheiten umzugehen, wird dabei für die Entstehung bzw. Nichtentstehung von Kriminalitätsfurcht verantwortlich gemacht. Überprüfungen dieses Ansatzes lieferten widersprüchliche Ergebnisse.  
Eine Modifikation der Soziale-Kontroll-Perspektive sieht als Auslöser von Kriminalitätsfurcht ein multizentrisches Gefüge von sozialer Desorganisation, Kriminalitätsproblemen, Ausprägungen informeller Sozialkontrolle und Art der Nachbarschaft, die bei der (Nicht-)Herausbildung von Kriminalitätsfurcht in wechselseitiger Wirkbeziehung stehen. Eine empirische Überprüfung dieser Annahmen wird in Ermangelung geeigneter Methoden jedoch als schwierig erachtet.
Eine Modifikation der Soziale-Kontroll-Perspektive sieht als Auslöser von Kriminalitätsfurcht ein multizentrisches Gefüge von sozialer Desorganisation, Kriminalitätsproblemen, Ausprägungen informeller Sozialkontrolle und Art der Nachbarschaft, die bei der (Nicht-)Herausbildung von Kriminalitätsfurcht in wechselseitiger Wirkbeziehung stehen. Eine empirische Überprüfung dieser Annahmen wird in Ermangelung geeigneter Methoden jedoch als schwierig erachtet.


Der Broken-Windows-Ansatz von Wilson und Kelling gilt als konservativ geprägte Sonderform der Soziale-Kontroll-Perspektive. Er geht ebenfalls von der Annahme sozialer Desorganisation und dem Vorliegen von incivilities aus, konzentriert sich jedoch auf personale Zeichen von Verfall. Zentral ist die Annahme, daß bestimmte Personengruppen (z.B. Betrunkene, "herumlungernde" Personen, Bettler) Vorboten für eine alsbald einsetzende Kriminalitätswelle seien. Daher entstehe bei den Bewohnern Furcht. Entsprechend müsse früh, schnell und scharf auf soziale Unordnung reagiert werden, bevor Kriminalität und Kriminalitätsfurcht entstehen könnten. Der Polizei wird ein zentraler Stellenwert zugewiesen, während die Entkriminalisierung bestimmter Verhaltensweisen unter dieser Prämisse als kontraproduktiv betrachtet wird, da sie die Polizei der Möglichkeit beraubt, frühzeitig einzugreifen. Entsprechende Programme ([[Community Policing]]) wurden u.a. daraufhin untersucht, inwieweit sie Kriminalitätsfurcht senken konnten. Es zeigte sich jedoch, daß gerade das eher aggressive Policing nicht zu einer Senkung beitragen konnte (Boers 1991: 113ff.).
Der Broken-Windows-Ansatz gilt als konservativ geprägte Sonderform der Soziale-Kontroll-Perspektive. Er geht ebenfalls von der Annahme sozialer Desorganisation und dem Vorliegen von incivilities aus, konzentriert sich jedoch auf personale Zeichen von Verfall. Zentral ist die Annahme, dass bestimmte Personengruppen (z.B. Betrunkene, "herumlungernde" Personen, Bettler) Vorboten für eine alsbald einsetzende Kriminalitätswelle seien. Daher entstehe bei den Bewohnern Furcht. Entsprechend müsse früh, schnell und scharf auf soziale Unordnung reagiert werden, bevor Kriminalität und Kriminalitätsfurcht entstehen könnten. Der Polizei wird ein zentraler Stellenwert zugewiesen, während die Entkriminalisierung bestimmter Verhaltensweisen unter dieser Prämisse als kontraproduktiv betrachtet wird, da sie die Polizei der Möglichkeit beraubt, frühzeitig einzugreifen. Entsprechende Programme ([[Community Policing]]) wurden u.a. daraufhin untersucht, inwieweit sie Kriminalitätsfurcht senken konnten. Es zeigte sich jedoch, dass gerade das eher aggressive Policing nicht zu einer Senkung beitragen konnte (Boers 1991: 113ff.).


===Soziale-Problem-Perspektive===
===Soziale-Problem-Perspektive===
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