Kriminalität: Unterschied zwischen den Versionen

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== Etymologie ==
== Einleitung ==


Ins Deutsche kam der Begriff Kriminalität direkt aus dem Französischen ("criminalité") und indirekt aus dem Lateinischen ("crimen"; im Latein des Mittelalters: "criminalitas"). Wie kam "crimen" ins Lateinische? Wohl vom Sanskrit (krim-me; karman: das - gute oder schlechte - Werk, ganz allgemein; im Sanskrit gab es die Wurzel "kr, bzw. kar" = machen; vgl. auch lateinisch facere, machen; aber facinus: Verbrechen!; verwandt mit Sanskrit âpas=Sünde; Larousse von 1869; dict. univ. du XIXe s.); Langenscheidts Wörterb. sieht in crimen die Erweiterung einer Schallwurzel: le cri ist ja frz. auch "Schrei"; crimen war ursprünglich der Laut, den der Notruf selbst machte. Frühere Bedeutungen des lat. crimen waren denn auch 1. Beschuldigung, Anklage, 2. a) Vorwurf; alqd crimini dare illi, ihm etw. zum Vorwurf machen; crimine esse: ein Vorwurf sein; b) Vorwand (belli), 3. a) Gegenstand des Vorwurfs, b) Verbrechen, Vergehen, Schuld. Vgl. auch dis-crimen, der Unterschied; cernere: unterscheiden, auch: wahrnehmen, certare: um die Entscheidung streiten. Larousse verzeichnete zu criminalité: die Umstände, die einer Handlung den Charakter eines Verbrechens verleihen. Die Kriminalität einer Tat setzt sich zusammen aus Umständen und Kombinationen, die variabel bis ins Unendliche sind.
Kriminalität (abgeleitet von lat. crimen = Verbrechen) meint Verbrechen als soziale Erscheinung. Sie ist die Summe der strafrechtlich missbilligten Handlungen. Es handelt sich also um die mit einem besonderen Unwerturteil belegten Rechtsbrüche (Kaiser, 1996).


== Definition ==
Die Erfassung eines möglichst realitätsnahen Bildes von der Verbrechenswirklichkeit bereitet insoweit Schwierigkeiten, als es „die“ Kriminalität als einen naturalistisch gegebenen und zu messenden Sachverhalt überhaupt nicht gibt. Die Eigenschaft „kriminell“ wohnt einem Verhalten nämlich keineswegs a priori inne, sondern wird ihm auf der normativen Grundlage vorgängiger gesellschaftlicher Festlegungen (formeller Verbrechensbegriff) im Wege mehrstufiger Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse zugeschrieben. Ob ein deskriptiv feststellbarer Sachverhalt wie die Tötung eines Menschen durch einen anderen als fahrlässige Tötung, Mord oder Totschlag oder doch nur als unverschuldeter Unfall zu deuten ist, lässt sich immer erst durch einen zusätzlichen askriptiven, auf die Normen des Strafrechts bezogenen Wertungsschritt beantworten. Wie von den Vertretern der Etikettierungsansätze zutreffend dargelegt, ist Verbrechen somit kein klar fassbarer ontologischer Befund im Sinne eines Realphänomens, sondern ein durch Interpretation der sozialen Wirklichkeit gewonnenes Konstrukt. Die für die soziale Konstruktion von Kriminalität maßgeblichen Wahrnehmungs- und Definitionsprozesse sind sehr komplex und können individuell und institutionell zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen. So ist die Perspektive des Täters typischerweise eine andere als die des Opfers. Die Beobachtungen und Interpretationen der Tatbeteiligten können wiederum von der Bedeutung divergieren, die ein Dritter einem bestimmten Vorgang beimisst. Schließlich können die von den Instanzen informeller Sozialkontrolle vorgenommenen Parallelwertungen in der Laiensphäre erheblich von denjenigen juristischen Einschätzungen abweichen, die von den formellen Kontrollinstanzen wie Polizei und Strafjustiz getroffen werden. In Abhängigkeit der jeweiligen Perspektive treten somit sehr verschiedene Realitätskonstruktionen nebeneinander. Um ein möglichst vollständiges und breit gefächertes Bild von Kriminalität als gesellschaftliches Massenphänomen entwerfen zu können, müssen diese unterschiedlichen Konstitutionsebenen zusammengeführt werden. Mit den Kriminalitätsstatistiken allein ist dies nicht zu leisten.
Die aus ihnen ablesbare Kriminalitätsentwicklung ist sehr selektiv und verzerrt, denn sie messen nur das, was den Strafverfolgungsbehörden offiziell bekannt geworden ist, das sog. Hellfeld. Von der Menge der tatsächlich begangenen strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen ist dies nur ein nach Fall- und Tätergruppen vorselektierter Ausschnitt, denn längst nicht alle kriminalisierbaren Sachverhalte werden von den Opfern, den Tatzeugen oder anderen auch faktisch wahrgenommen, als Straftat bewertet und den Behörden angezeigt. Um sich der realen Verbrechenswirklichkeit anzunähern und das Kriminalitätslagebild zu optimieren, ist es daher notwendig, ergänzend zu den kriminalstatistischen Informationen über das Hellfeld auch Daten über diejenigen Taten zu gewinnen, die den Blicken der Strafverfolgungsbehörden entzogen sind und insoweit gewissermaßen im Dunkeln verbleiben. Dieser Aufgabe widmet sich die sog. Dunkelfeldforschung. (Göppinger, 2008)


Der Begriff der '''Kriminalität''' wird mit sehr unterschiedlichen Zielrichtungen und Bedeutungsinhalten gebraucht. [[Henner Hess|Hess]] und [[Sebastian Scheerer|Scheerer]] (1997) unterscheiden z.B. vier solcher Bedeutungen im sozialen Leben:
 
== Klassifikationen ==
 
Angesichts der schier unendlichen Nuancierungsmöglichkeiten ist keine vollständige, sondern nur eine typisierende Darstellung angezeigt (Kunz).
 
Göppinger lässt sich zur „Formalität“ einer Kriminalitätsphänomenologie aus, d.h. für die Beschreibung der Erscheinungsformen von Kriminalität als Massenphänomen wird „die“ Kriminalität nicht nur in der Kriminologie, sondern auch in der polizeilichen Praxis und in der kriminalpolitischen Diskussion nach verschiedenen formalen Gesichtspunkten klassifiziert. Dabei werden unter anderem Kriterien verwendet wie Alter und Geschlecht (zum Beispiel Jugendkriminalität, Alterskriminalität, Frauenkriminalität), soziale Stellung und ethnische Herkunft (zum Beispiel Kriminalität der Mächtigen oder Ausländerkriminalität), Deliktsgruppen (zum Beispiel Gewaltkriminalität, Rauschgiftkriminalität, Sexualkriminalität oder Verkehrskriminalität) oder Begehungsmodalitäten (zum Beispiel Organisiertes Verbrechen oder jugendliche Banden).
 
Schneider meint, es ist das Wesen der psycho- und soziodynamischen, realistischen Definition des Verbrechens, dass sie die Reaktion auf Kriminalität berücksichtigt, dass sie sich an der kriminellen Wirklichkeit orientiert und dass sie die Kriminalität nicht nur als Endprodukt beurteilt, sondern sich ihre prozeßhafte Entwicklung, ihr Werden angelegen sein lässt. Der psycho- und soziodynamischen, realistischen Definition kommt es nicht so sehr wie der strafgesetzlichen Definition auf eine statische, formale Begriffsbestimmung an, sondern darauf, dass Kriminalität im engeren Sinne als Resultat eines konkreten informellen oder formellen Benennungsprozesses verstanden werden. Um einer realitätsnahen, prozeßhaften Entwicklung Rechnung zu tragen, ist eine solche Differenzierung des Kriminalitätsbegriffs notwendig. Denn einerseits will man die volle Variationsbreite der Kriminalität erfassen, andererseits ihr Bedeutungsfeld so eingrenzen, dass der Kriminalitätsbegriff praktisch und theoretisch gehandhabt werden kann. Die Differenzierung des Kriminalitätsbegriffs ist ferner erforderlich, weil die Kriminalität durch die Art der Reaktion ihre Qualität ändert. Es müssen also Schnitte in die sozialen und individuellen Kriminalisierungsprozesse gelegt werden.
 
Eisenberg stellt die registrierte der vermuteten tatsächlichen Kriminalität gegenüber. Untersuchungen über Entstehungszusammenhänge von Kriminalität sind nahezu ausschließlich auf diejenigen Stufen strafrechtlicher Beurteilung beschränkt, deren Ergebnisse zur Aufnahme in amtliche Statistiken geführt haben. Dabei ist die diesbezügliche kriminologische Forschung dem prinzipiellen Einwand ausgesetzt, die einschlägigen Statistiken als ihr zentralen Datenquellen seien allein zum Nachweis behördlicher Tätigkeit oder des Geschäftsanfalls geeignet und spiegelten lediglich Struktur und Intensität informeller und formeller Strafverfolgung wider. Hingegen seien sie keine geeigneten Instrumente zur Erfassung vermuteter tatsächlicher Kriminalität, da es ihnen insoweit an den Voraussetzungen gültiger (valider) und zuverlässiger (reliabler) Messung fehle.
 
Kaiser erstellt Konzepte zur Erklärung der Kriminalität als Sozialerscheinung. Eine solche Beurteilung gilt sowohl für die Deutung der Kriminalität in einem bestimmten Zeitpunkt (Querschnittanalyse) als auch für jene der Kriminalitätsentwicklung (Längsschnittsanalyse). Dies schließt freilich nicht aus, dass Theoriebruchstücke oder formelhaft verkürzte Erklärungsansätze an die Stelle von sonst genauer ausgearbeiteten Theorien treten. Vor allem trifft dies für die Anomietheorie zu, die trotz aller Schwächen neben der Kulturkonflikttheorie noch immer reiches Erklärungspotential enthält und Chiffren zur Entschlüsselung der zeitgenössischen Kriminalität liefert.
 
Sozialpsychologische Kriminalitätstheorien sind soziale Lerntheorien, Kontrolltheorien und die Interaktionstheorie welche gemeinsam davon ausgehen, dass Sozialabweichung, Delinquenz und Kriminalität in Sozialprozessen entstehen. Die Interaktionstheorie studiert nicht so sehr Verhalten und Menschen, die als kriminell definiert und ihr Verhalten als kriminell definiert werden. Es kommt ihr auf die Bedeutung an, die der Mensch seinem eigenen Verhalten zumisst und die andere menschlichem Verhalten geben. Immer steht die Interaktion, die wechselseitige Beeinflussung zwischen Person, Verhalten und Umwelt im Mittelpunkt sozialpsychologischen Denkens. Die Interaktion ist die Brücke zwischen Person und Gesellschaft. Menschliche Verhaltensweisen werden erlernt und sind deshalb von Gesellschaft zu Gesellschaft verschieden. (Schneider)
 
Der Begriff der '''Kriminalität''' wird aber auch mit sehr unterschiedlichen Zielrichtungen und Bedeutungsinhalten gebraucht. [[Henner Hess|Hess]] und [[Sebastian Scheerer|Scheerer]] (1997) unterscheiden z.B. vier solcher Bedeutungen im sozialen Leben:
# Strafrechtlich definierte bzw. theoretische Kriminalität: Hierbei handelt es sich um Kriminalität als Summe der mit Strafe bedrohten Handlungen.
# Strafrechtlich definierte bzw. theoretische Kriminalität: Hierbei handelt es sich um Kriminalität als Summe der mit Strafe bedrohten Handlungen.
# Moralunternehmerisch definierte Kriminalität: Damit ist gemeint, was nach Ansicht des jeweiligen Sprechers sehr anstößig ist – im Sinne eines empörten Ausrufs: „Das ist ja kriminell!“ – oder was nach anderen Kriterien und im Gegensatz zum positiven Recht „wirkliche Kriminalität“ sein soll oder aufgrund von Ableitungen aus überpositivem Recht bereits ist.
# Moralunternehmerisch definierte Kriminalität: Damit ist gemeint, was nach Ansicht des jeweiligen Sprechers sehr anstößig ist – im Sinne eines empörten Ausrufs: „Das ist ja kriminell!“ – oder was nach anderen Kriterien und im Gegensatz zum positiven Recht „wirkliche Kriminalität“ sein soll oder aufgrund von Ableitungen aus überpositivem Recht bereits ist.
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