Korruption

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Etymologie

Das Wort ´Korruption’ als Abstraktum des Adjektivs ´korrupt’ stammt, dem etymologischen Wörterbuch folgend, vom lateinischen corrumpere, was mit „verderben“, „verführen“, „zu Schanden machen“ und „vernichten“ übersetzt wird. Der Infinitiv setzt sich aus dem Präfix cor-, „ganz, völlig“ sowie dem Verb rumpere, „verletzen, vernichten, zerstören, zerbrechen“ zusammen. Mit ´korrupt’ kann im alten Wortsinn der allgemeine Zustand sowohl des physischen als auch des moralischen verdorben seins gemeint sein, genauso wie die persönliche Eigenschaft der Bestechlichkeit; im Englischen bedeutet corrupt noch heute „verderbt“ ebenso wie „bestechlich.“

Definition

Da die Ansichten, welche Handlungen unter den Begriff fallen können, sehr weit auseinandergehen, kann es laut Britta Bannenberg „eine umfassende Definition, die allen Erscheinungsformen gerecht wird“, nicht geben. (Bannenberg 2002, S.13) Manche Autoren behaupten sogar schlicht tautologisch: „corruption is what is called corruption“ (Brasz, zit. nach Jain 1998, S.13)
Es kann gleichwohl festgestellt werden, dass es zwar sehr viele, nicht aber sehr vielfältige Begriffsbestimmungen gibt. Die meisten Definitionen von Korruption kreisen um den selben Kern, es geht letztlich immer um die Verletzung öffentlicher durch private Interessen oder um den Missbrauch von Macht. (Noack 1997)
Seit den späten 60er Jahren haben die Diskussionen um die Definition von Korruption kaum Fortschritte erzielt, denn nach wie vor kann, stellvertretend für viele, die Definition von Nye aus dem Jahr 1967 als die gängigste zitiert werden; demnach ist Korruption „a behaviour which deviates from the formal duties of a publich role because of private-regarding pecuniary or status gains; or violates rules against the excercise of certain types of private-regarding influence.“ (Zit. nach Kurer 2003, S.45)
Diese politikwissenschaftlich eingefärbte Auslegung bestimmt Korruption als normative Qualität von Handlungen, als qualifizierten Normverstoß bzw. als Abweichung von Rollen-Erwartungen, sei es eines öffentlichen Amtsträgers oder einer Person mit öffentlich relevanter Machtbefugnis. Worauf sich diese Macht dann stützt, was öffentliche Interessen sind, oder was genau unter Missbrauch zu verstehen sei, bleibt offen: „Unter Korruption fallen daher nicht nur die Bestechung, sondern (...) auch Vorgänge wie der Kauf öffentlicher Ämter, die Patronage (mit den Bereichen des Nepotismus und des Clientelwesens), die Erpressung und Aussaugung der Bevölkerung durch selbstherrliches staatliche Stellen.“ (Schuller 1982, S.11) Dem Parteienforscher Erwin K. Scheuch gelingt es auf der Grundlage dieser Definition, Korruption bedenkenlos und ohne weitere Erläuterung gleichzeitig als „Klüngel bzw. System von gegenseitigen Gefälligkeiten und Abhängigkeiten“, „Vetternwirtschaft“, „(Bilanz)Betrug“, „Bestechung“, „`Verletzung eines allgemeinen Interesses zu eigenem Vorteil´“ (Laswell), „Vorteilsnahme“, „Korporation“, „Ämterpatronage“ und „Untreue“ zu bezeichnen (Scheuch 2002).
Problematisch an einer solchen Definition ist aber nicht nur ihre Diffusität im Hinblick auf die vielfältigen möglichen Handlungsarten und Rechtsverstöße. Zu kritisieren ist ebenfalls das Definitionselement eines öffentlichen Amtes und die Beschränkung auf individuelle Devianz (die Personalisierung der Abweichung), die normative Bewertung der Handlung („Missbrauch“), sowie das unterstellte Motiv des Eigennutzes: Auch nicht-öffentliche Entscheidungsträger wie Manager oder Schiedsrichter können korrupt sein, wenn sie ein je systemrelatives Normensystem (Wirtschaft, Sport) verletzen, und sie handeln zudem nicht immer nur aus egoistischen Motiven, sondern häufig auch zu Gunsten ihrer Organisation/Firma, oder aus subkulturellen Zwängen heraus. Und schließlich: „nicht alle korrupten Handlungen verletzen das öffentliche Interesse, und nicht alle Handlungen gegen das öffentliche Interesse sind korrupt.“ (Kurer 2003, S.48). Die politikwissenschaftlich dominierte Definition wurde aus diesen Gründen dahingehend verallgemeinert, dass man Korruption als „unmoralischen Tausch“ (Neckel 1995) begreift, der universalistische Standards (und nicht mehr nur allein: öffentliche Interessen) zugunsten partikularistischer Normen verletzt. Soziologisch gewendet kann sie auch als „soziale Beziehung zwischen individuellen Akteuren“ verstanden werden, „die unter Missachtung der auf das Rollenhandeln gerichteten universalistischen Erwartungen um die (...) partikularistische Komponente eines persönlichen Austauschverhältnisses erweitert wird.“ (Höffling 2002, S.25). Das Tauschobjekt hierbei ist ein Gut oder eine Leistung, welches prinzipiell nicht käuflich sein sollte. Neu an dieser Bestimmung ist das Definitionselement des Tausches oder das der sozialen Beziehung, das heißt, es müssen nun immer mindestens zwei Akteure am Korruptionsvorgang beteiligt sein. Im Mittelpunkt einer solchen Definition steht nicht mehr nur allein der Verstoß gegen makrosoziale Strukturprämissen sondern das Binnengeschehen zwischen den beteiligten Akteuren, ihr Zusammenhandeln und ihre eigenständig entwickelten Moralvorstellungen. Demzufolge verlassen sich die korrupten Akteure stets auf „die normbildende Kraft der Freundschaft und ihr Vermögen, das Beziehungsmuster der Beteiligten aus den Anforderungen eines sachlich geregelten Kontextes herauszulösen.“ (Neckel 1995, S.12) Wirtschaftswissenschaftlich betrachtet, handelt es sich bei Korruption um einen profitmaximierenden Tausch unter Nutzung (oder zur Herstellung) eines zusätzlichen (illegalen) Marktes. Korruption wird hier als Folge von Marktunvollkommenheiten betrachtet, das heißt der freie Wettbewerb war beeinträchtigt und wird durch Korruption weiterhin verzerrt. Die Akteure handeln rational kalkulierend um unter den gegebenen Umständen den persönlichen Nutzen zu maximieren. Korruption ist unter den Bedingungen unvollkommener Märkte für die beteiligten Akteure die effizienteste Handlungsalternative. Sie löst Selektionsprobleme, führt zur Durchsetzung höherer Erträge, beschleunigt Entscheidungsabläufe und dient der Absicherung anderer illegaler Handlungen (Neugebauer 1978, Dietz 1998). Positiv hervorzuheben ist an wirtschaftswissenschaftlichen Definitionen, dass sie die Notwendigkeit einer objektiven Korruptionsfähigkeit für die Akteure betonen, das heißt, deren institutionelle Einbindungen, die Verfügbarkeit von Ressourcen oder die Mitgliedschaft in einer Organisation/Firma.(Ricks 1995, S.194; Dietz 1998), und dass sie jede moralische Bewertung vermeiden. Das Problem besteht auch hier darin, dass mit der Reduktion auf das Motiv der Nutzenmaximierung bzw. der rationalen Wahlentscheidung eventuelle organisationsbezogene Loyalitäten oder auch (sub)kulturspezifische normative oder emotionale Motivationen ausgeblendet werden.
Eine völlig andere Begriffsverwendung zielt auf die Kennzeichnung sozialer Prozesse oder Strukturen, hier gerät Korruption zu einem gesamtgesellschaftlichem Syndrom bzw. zum Synonym für Desintegration oder Anomie; manchmal auch zum „Verdichtungssymbol des Unmoralischen“ schlechthin (Höffling 2002, S.15). Solcherart verwendet, entstehen Aussagen, die Korruption als Sumpf, Krake, Pestilenz oder Seuche beschreiben. Man spricht dann auch von Korruption in Form von Netzwerken, Klüngel, Seilschaften oder kollektiven, institutionalisierten Beziehungsgeflechten (Korruptionskartelle).
Korruption als Kriminalität schließlich umfasst die strafrechtlich sanktionierten Handlungen. Weder im Strafrecht noch in anderen Gesetzesbüchern findet sich eine Erläuterung oder Legaldefinition von Korruption. Im Sinne eines justitiablen Amtsdeliktes wird Korruption jedoch definiert als strafrechtlich verbotenes Handeln oder Unterlassen, das unter Missbrauch einer amtlichen Funktion in Eigeninitiative oder auf Veranlassung auf die Gewährung oder Erlangung eines materiellen oder immateriellen Vorteils für sich oder einen Dritten gerichtet ist. Bei den 'zentralen Straftatbeständen' der Korruption handelt es sich um Vorteilsannahme § 331 StGB, Bestechlichkeit § 332 StGB, Vorteilsgewährung § 333 StGB, Bestechung § 334 StGB, Besonders schwerere Fälle der Bestechlichkeit und Bestechung § 335 StGB, Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr § 299 StGB und Besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr § 300 StGB.
Diese Delikte treten in der Regel in Verbindung mit weiteren Straftaten, den sogenannten 'Begleitdelikten', auf. Zu nennen sind hier insbesondere: Strafvereitelung im Amt § 258a StGB, Betrug § 263 StGB, Subventionsbetrug § 264 StGB, Untreue § 266 StGB, Urkundenfälschung § 267 StGB, Wettbewerbseinschränkende Absprachen bei Ausschreibungen § 298 StGB, Falschbeurkundung im Amt § 348 StGB, Verletzung des Dienstgeheimnisses § 353b StGB, Steuerhinterziehung § 370 AO.
Probleme der strafrechtlichen Bestimmungen liegen daran, dass sie immer nur auf Einzeltaten von Einzelpersonen ausgerichtet sind und deshalb weder die sogenannte strukturelle oder systemische Korruption erfassen können, noch korporative Akteure wie Unternehmen oder Parteien. Außerdem wird von einer Vielzahl recht unterschiedlicher Rechtsgüter (zum Beispiel Lauterkeit des öffentlichen Dienstes, freier Wettbewerb oder Prinzip der demokratischen Gleichheit) ausgegangen, die Frage nach dem Kern aller Straftatbestände bleibt damit unbeantwortet.

Wie wurde der Begriff in der Vergangenheit benutzt?

Korruption im Sinne von Amtsmissbrauch ist kein neuzeitliches Phänomen. Vor über dreitausend Jahren schon unterschied man in Ägypten und in Babylon zwischen Geschenken und Bezahlungen einerseits und Bestechungsgeldern andererseits, und man ergriff zum Tei drastische Maßnahmen gegen unerwünschte Tauschhandlungen: ägyptische Priester wurden 1.300 v.Chr. zum Tode verurteilt, wenn sie sich bei Ausübung richterlicher Funktionen beeinflussen ließen. (Scheuch 2002, S.80) Ein indisches Manuskript, Die „Arthshastra“, 2.500 Jahre alt, betonte die negativen Folgen von Korruption für die Ökonomie und empfahl den königlichen Beamten deren Bekämpfung (Jain 1998, S.vii), und auch Konfuzius (551-479 v. Chr.) erkannte Korruption als gesellschaftliches Grundübel (Ricks 1995, S.91).
Wo immer unter den geschichtlichen Bedingungen herrschaftlich organisierter Vergesellschaftung deren Modalität kritisch reflektiert wurde, findet sich durchgehend die Thematisierung pflichtvergessener, korrupter Herrscher und Beamter und man problematisierte den Ämterkauf. (Vgl. Schuller 1982; Gebhardt 2003, S.17) Sowohl in der Antike (Thukydides, Platon, Aristoteles), in der römischen Republik (Cicero), im westlichen lateinischen Christentum (Augustinus) als auch im italienischen Humanismus charakterisierte man Korruption darüber hinaus als übergreifenden Prozess des moralischen Niedergangs und als Krise des institutionellen Ordnungsgefüges (Gebhardt 2003).
In der europäischen Politik des 17. bis 19. Jahrhunderts allerdings gehörte Korruption, verstanden als Ämterkauf und Privilegienhandel, zum politischen Alltag, sie war normaler Bestandteil der politischen Kultur, und von einem diesbezüglichen Unrechtsbewusstsein konnte keine Rede sein. Man spricht in Bezug auf diese Epoche deshalb von „Proto-Korruption“ (Noack 1987, S.44ff.). Erst mit dem Aufkommen einer Beamtenschaft, der Herausbildung von Parteien im modernen Sinn sowie mit der Etablierung einer kritischen Öffentlichkeit (Presse) im Zusammenhang mit einem gewissen puritanischen Zeitgeist wurden diese Vorgänge in Europa skandalisiert.
In der soziologischen Tradition, vor allem bei Max Weber und Emile Durkheim, wurde Korruption als struktureller sozialer Tatbestand identifiziert. (Schmidt 2003) Sie erscheint hier zugleich als pathologische Erscheinung des Sozialen und als Integrationsmoment für Gesellschaften.

Zusammenhänge mit anderen Begriffen

Anomie, Subkultur, Occupational Crime, Corporate Crime, White-Collar Crime, Makrokriminalität, Kriminalität der Mächtigen.
Zu fragen wäre, ob man Korruption unter Wirtschaftskriminalität subsumieren sollte in dem Sinne, dass man sie vornehmlich als Mittel zum Zweck korporativer Bereicherung betrachten kann, oder ob man sie als eine Kriminalitätsform behandeln sollte, die eher auf persönliche Bereicherung abzielt. (Boers 2001, S.339).
Einigkeit besteht zumindest darüber, dass Korruption selten im Zusammenhang mit Organisierter Kriminalität auftritt. (BKA 2004, S.43; Bannenberg 2002, S.111f.; Besozzi 2001, S.53f.)

Empirie

„Die amtlichen Statistiken vermitteln kein adäquates Bild der Wirklichkeit der Korruption.“ (Bannenberg 2002, S.58). Sie können dies auch kaum, denn es handelt sich um ein Kontrolldelikt, das heißt, Korruption ist nicht einfach für dritte beobachtbar, es fehlt meistens an einem personalen Opfer („opferlose Kriminalität“), welches der typische Informant für die Behörden ist (Erschwernis der Dunkelfeldforschung), und es muss grundsätzlich von einer Verdeckung bzw. Abschottung der Tathandlungen ausgegangen werden. Statistisch schlagen sich also in der Regel nur diejenigen Fälle nieder, in denen Strafverfolgungsbehörden von sich aus aktiv geworden sind. So haben zum Beispiel diejenigen Bundesländer einen erheblichen Anstieg an Korruptionsfällen zu verzeichnen, in denen von Polizei und Staatsanwaltschaft spezielle Dienststellen zur Korruptionsbekämpfung ins Leben gerufen wurden. Das Dunkelfeld wird folglich als „beachtlich“ (BKA 2004, S.47) eingeschätzt: „Die Masse der Korruptionsdelikte wird den Verfolgungsbehörden nicht bekannt und damit statistisch nicht erfasst. Die aufgeklärten Fälle bilden nur die Spitze des Eisbergs.“ (Bannenberg/Schaupensteiner 2004, S.36).
Die Frage nach der Entwicklung und empirischen Verbreitung von Korruption muss also offen bleiben: Die Erforschung der Korruption ist eine recht junge Disziplin und „bis heute ist ungeklärt, ob von einem realen Anstieg der Korruption auszugehen ist.“ (Bannenberg 2002, S.52). Dennoch können aufgrund empirischer Daten aus dem seit 1994 jährlich vom BKA erstellten „Lagebild Korruption“ der Tendenz nach folgende Sachverhalte festgehalten werden:

  • die öffentliche Verwaltung ist das Hauptziel korruptiven Handelns,
  • in den Behörden, aber auch in der freien Wirtschaft sind hauptsächlich die Funktionsbereiche Beschaffung und Auftragsvergabe betroffen;
  • Schwerpunkte des korruptiven Tätigkeitsfeldes liegen in der Bauwirtschaft und im Gesundheitswesen (Vgl. BKA 2004, S.48).
  • Am weitesten verbreitet ist die sogenannte „strukturelle Korruption“, das heißt die korruptiven Verbindungen sind eher langfristige Natur (drei bis fünf Jahre), was als „Beleg für die Konspiration und Unauffälligkeit der Tathandlungen“ (BKA 2004, S.37) gelten kann.

Aussagen, wonach Korruption in Deutschland zum „Handlungsmuster alltäglicher Geschäftpolitik“ gehört und „3 bis 5% der Auftragssummen“ als Gegenleistung für bevorzugte Auftragsvergaben gezahlt werden (Schaupensteiner 2004, S.119) sowie Umfragen unter Unternehmen, wonach „14% der Befragten angaben, schon einmal bestochen zu haben“ und „54% sagten, sie hätten schon einmal einen Auftrag verloren weil sie sich weigerten, Schmiergeld zu zahlen“ (Forsa-Umfrage 2002; zit. nach Eigen 2003, S.140), deuten darauf hin, dass es sich bei Korruption um ein strukturelles Kriminalitätsphänomen handelt, bzw. dass Korruption „flächendeckend“ (Schaupensteiner 1997, S.7) verbreitet zu sein scheint.
Relativierend im Hinblick auf diese Diagnose muss jedoch konstatiert werden, dass es sich bei Korruption auch um einen „exemplarischen Fall für die Konstruktion abweichenden Verhaltens durch kulturelle Normen, öffentliche Meinung und durch Skandalisierung“ handelt (Karstedt 2003, S.388). Insofern das Thema der Korruption in den 1990er Jahren eine in Deutschland bis dato ungeahnte öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr (vgl. dazu Höffling 2002, S.11ff.), die in der Rede von der „Bananenrepublik Deutschland“ oder in Aussagen wie „Korruption ist schlimmer als Mord“ (Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter 1996; zit. nach Höffling 2002, S.13) gipfelten, kann der scheinbar hohe Verbreitungsgrad der Korruption auch schlicht auf eine verstärkte mediale Aufmerksamkeit zurückgeführt werden.
Aus kriminologischer Sicht wird dieser Sachverhalt auch „Kontrollparadox“ genannt: Je sensibler eine Gemeinschaft gegenüber bestimmten sozialen Problemen wird, desto mehr scheinen diese zuzunehmen, denn man nimmt sie häufiger wahr.
Über die negativen Folgen der Korruption besteht in der Forschung weitestgehend Einigkeit. Korruption bewirkt einen Vertrauens- oder Legitimitätsverlust öffentlicher Institutionen und Funktionsträger, bestehende Ungleichheiten werden zementiert oder verschärft, und meistens resultiert aus Korruption eine Überteuerung öffentlicher Güter zu Lasten der Allgemeinheit. Allein in der Bauindustrie wird ein jährlicher Schaden von 5 Milliarden Euro geschätzt; bis zu 5% des BSP sollen auf Schmiergelder entfallen, und korruptiv ausgehandelte Preise liegen im Schnitt 30% über den Marktpreisen (Vgl. Eigen 2003, S.139; Schaupensteiner 1996, S.7; Bannenberg 2002, S.240ff.)

Korruptionsfälle

  • Bei der Firma "Siemens" entdeckten Ermittler 1,3 Milliarden Euro an dubiosen Zahlungen (Klawitter 2008).

Korruptionsindex

Ein u.a. auch von Transparency International genutzter Korruptions-Index wurde 1995 vom Passauer Wirtschafts-Professor Johann Graf Lambsdorff entwickelt. Nach diesem Index befand sich Deutschland auf der Skala von 0 (= sehr korrupt) bis 10 (= weitestgehend keine Korruption) im Jahre 2008 mit 7,9 Punkten auf Rang 14 in der Welt (Platz 1 = Dänemark, Neuseeland und Schweden; Platz 18 = USA; Platz 147 = Russland; Platz 180 = Somalia).

Kriminologische Relevanz

Korruption kann als Musterbeispiel dafür gelten, wie abweichendes Verhalten durch soziale Kontrolle erst konstruiert wird, dies ergibt sich daraus, dass die Grenzen zwischen Korruption, legitimer Einflussnahme, Lobbyismus und Interessenpolitik fließend sind. Was als korrupt gilt, unterliegt zudem einer hohen kulturspezifischen und rechtlichen Variabilität, insofern kann das Thema „Korruption“ als Anwendungsfall des Labeling-Approaches dienen.
Auch im Hinblick auf andere Kriminalitätstheorien kann Korruption als Probierstein Schwächen und Stärken verdeutlichen. Insbesondere Kontrolltheorien, Lerntheorien und der ökonomische Ansatz zur Erklärung kriminellen Verhaltens sind hier gefragt. Sicherlich kann keiner dieser Theorien ausschließliche Gültigkeit für die Erklärung von Korruption zugesprochen werden, zu denken wäre eher an einen multifaktoriellen Ansatz. Am wenigsten erklärungskräftig ist aber wohl die Hypothese einer geringen Selbstkontrolle nach Gottfredson und Hirschi, denn der typische Korruptionstäter ist der sozial angepasste, ehrgeizige Aufsteiger mit hohem Einkommen, hoher Bildung und in geordneten beruflichen/familialen Verhältnissen lebend (Vgl. Bannenberg 2002, S.341f.) Anstelle einer personalen Orientierung der Korruptionserforschung wäre sicherlich auch die organisationssoziologisch orientierte Perspektive fruchtbar, eine, wie sie von Braithwaite vertreten wird und die sie sich im Konzept des „Corporate Crime“ niederschlägt. Kriminologisch schließlich noch kaum zur Anwendung gekommen ist bislang der Ansatz der Systemtheorie, der es erlauben würde, korruptive Delinquenzmuster zumindest analytisch unter Absehung von individuellen Motivationen oder Einstellungen zu untersuchen. Besonders in den Fällen, wo sich korruptive Netzwerke über mehrere Jahre hinweg etabliert haben, obwohl die verantwortlichen Akteure ausgewechselt wurden, könnte die selbstreferentielle Eigendynamik, die „Rückkopplungs- oder Spiralwirkung“ korruptiver Handlungsmuster im Kontext der Logik gesellschaftlicher Systeme erklärt werden. (Vgl. Boers 2001) Korruption wäre so auch als „eine `normale` Reaktion auf bestimmte gesellschaftliche Strukturprämissen“ darstellbar. (Pfeiffer/Scheerer 1979, S.11)

Literaturhinweise

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  • SCHULLER, Wolfgang (Hg.) (1982): Korruption im Altertum: Konstanzer Symposium, München
  • SCHILLING, Akatshi/DOLATA, Uwe (Hrsg.) (2004): Korruption im Wirtschaftssystem Deutschland. Jeder Mensch hat seinen Preis, Murnau
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