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Unter Kindstötung wird die Tötung des eigenen Kindes durch die leibliche Mutter verstanden. Dabei wird entsprechend des Alters des Kindes zum Zeitpunkt der Tötung unterschieden zwischen Neonatizid (Tötung binnen 24 Stunden nach der Geburt), Infantizid (Tötung im Alter zwischen einem Tag bis zu einem Jahr) und Filizid (Tötung im Alter über einem Jahr). Die Wahrscheinlichkeit der Kindstötung durch die Mutter nimmt mit steigendem Lebensalter des Kindes ab. Sie ist abzugrenzen von Tötungen als Folge von Misshandlungen, oder Tötungen durch andere Täter als der leiblichen Mutter. Es handelt sich bei der Kindstötung um ein in allen Gesellschaften und zu allen Zeiten bestehendes Phänomen.

Kulturgeschichte

Rechtslage

Bis 1998 wurde die Kindstötung binnen 24 Stunden nach der Geburt, also der Neonatizid, unter bestimmten Voraussetzungen im Rahmen des § 217 des Strafgesetzbuches (StGB) gesondert geregelt. Vorläufer hierfür war § 217 des Reichsstrafgesetzbuches (RStGB) von 1871. Er lautete zuletzt wie folgt:

"(1) Eine Mutter, welche ihr nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft. (2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren."

Das Gesetz räumte Müttern nichtehelicher Kinder eine Sonderstellung ein, die zum einen die Ehrenrettung vor dem Hintergrund des vorehelichen Geschlechtsverkehrs und zum anderen die besondere psychische und physische Belastung der Geburt als solcher berücksichtigte. Dieses Gesetz fand keine Anwendung bei Kindstötungen durch Mütter von ehelich geborenen Kindern. In diesen Fällen lautete das Urteil je nach zugrundeliegendem Sachverhalt Totschlag (5-15 Jahre Freiheitsstrafe), oder Mord (lebenslängliche Freiheitsstrafe).

Im Rahmen des 6. Strafrechtsreformgesetzes vom 26. Januar 1998 wurde der § 217 StGB und damit die strafrechtliche Privilegierung der Mütter unehelicher Kinder aufgehoben. Begründet wurde die Aufhebung damit, dass zum einen die Geburt eines unehelichen Kindes gesellschaftlich keine Schande und damit keine besondere Belastung mehr darstellt und zum anderen, dass die psychische und physische Ausnahmesituation der Geburt für alle Mütter den gleichen Stellenwert hat. Seit Aufhebung des § 217 gelten im Falle eines Neonatizids, wie schon vorher für die Tötung ehelich geborener Kinder und den Infantizid und Filizid, entsprechend die §§ 211-213 StGB (Totschlag, Mord, minder schwerer Fall des Totschlags) und § 221 StGB (Aussetzung).

Die Entscheidung, § 217 StGB aufzuheben, statt ihn auch auf Mütter ehelicher Kinder anzuwenden, ist umstritten. Der besonderen Belastung der Mütter durch den Vorgang der Geburt kann seither lediglich durch die Anwendung des § 213 StGB Rechnung getragen werden. Durch das Fehlen einer einheitlichen Regelung müssen außerdem durch das Strafrecht eine Vielzahl von unterschiedlichen Fallkonstellationen berücksichtigt werden.

Motive und Häufigkeit

Zur Erklärung des Phänomens der Kindstötung werden die folgenden drei Erklärungsansätze herangezogen:

  • Klinisch-psychiatrisch: Tötung des Kindes aufgrund einer psychopathologischen Störung der Mutter, wie zum Beispiel bei vorliegen einer Psychose.
  • Psychologisch: Gründe für die Tötung des Kindes, die in der Persönlichkeit der Mutter liegen. Hierzu zählt zum Beispiel die persönliche Unreife der Mutter.
  • Systemtheoretisch: Gesellschaftliche Phänomene, zum Beispiel das Erleben der Mutter von Kinderfeindlichkeit, oder die empfundene Überidealisierung von Mutterschaft und das Gefühl, der Rolle und den Erwartungen nicht gerecht zu werden.

Daneben wird unterschieden zwischen:

  • Altruistischen Motiven: Das eigene Kind wird mit der Absicht des Selbstmordes der Mutter getötet, auch erweiterter Suizid genannt, bzw. um es vor realem oder angenommenem Leid, wie zum Beispiel aufgrund einer Behinderung des Kindes, zu bewahren.
  • Psychotischen Motiven: Das Kind wird vor dem Hintergrund von psychotischen Symptomen, wie Wahnvorstellungen, getötet.
  • Tötung von unerwünschten Kindern.
  • Tötung des Kindes aufgrund erschöpfter Alltagsressourcen.
  • Tötung des Kindes, um sich am Partner zu rächen und ihm Leid zuzufügen.
  • Unfällen und unbeabsichtigter Tötung als Folge von Misshandlung (gilt nicht im Sinne der oben genannten Definition).

Die Tatsache, dass einer Kindstötung vielfältige Motive zugrunde liegen können und sie keinen eigenen Straftatbestand darstellt, spiegelt sich in Aussagen über deren Häufigkeit wider. Es gibt keine amtliche Statistik über die bekannt gewordenen Fälle und in der Polizeilichen Kriminalstatistik werden sie entsprechend der Zuordnung zu den verschiedenen Tötungsdelikten ebenfalls nicht separat aufgeführt. Daneben ist von einem nicht unerheblichen Dunkelfeld durch nicht als solche erkannte bzw. bekannt gewordenen Fälle auszugehen, die eine Aussage über die Häufigkeit zusätzlich erschweren. Schätzungen gehen allerdings von cirka einer Kindstötung auf 25.000 Geburten aus.[1]

Maßnahmen

Es gibt unterschiedliche Maßnahmen, mit denen Kindstötungen verhindert werden sollen. Diese setzen allerdings voraus, dass die Mütter ihre Situation entsprechend reflektieren, um von diesen Angeboten Gebrauch machen zu können. Das ist aber häufig nicht der Fall, da sie sich in einer extremen Ausnahmesituation befinden, die nur wenig Raum für rationale Entscheidungen lässt. Vor diesem Hintergrund ist es von besonderer Bedeutung, dass Hinweise durch Außenstehende ernst genommen und entsprechende Hilfsangebote gemacht werden. Die Möglichkeiten sind vielfältig und reichen von Maßnahmen, die noch während der Schwangerschaft einsetzen können (§218a StGB) bis hin zu Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe.

Literatur

  • F. Häßler, R. Schepker, D. Schläfke (Hrsg.): Kindstod und Kindstötung. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin 2008, ISBN 978-3-939069-23-2.
  • Nahlah Saimeh: Die Tötung des eigenen Kindes. In: Jutta Elz (Hrsg.): Täterinnen. Befunde, Analysen, Perspektiven. Eigenverlag Kriminologische Zentralstelle, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-926371-86-7, S. 161-176 (Kriminologie und Praxis (KuP). Schriftenreihe der Kriminologischen Zentralstelle e.V. Band 58).
  • Dieter Dölling: Die Kindstötung unter strafrechtlichen Aspekten. In: Forensische Psychiatrie, Psychologie und Kriminologie. Springer Medizin Verlag GmbH c/o Steinkopff Verlag, Heidelberg 2009, Band 3, Nr. 1, S. 32-36.

Links

Einzelnachweise