Gerichtshilfe: Unterschied zwischen den Versionen

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Die '''Gerichtshilfe''' (GH) gehört zu den sozialen Diensten der Justiz und ist der Staatsanwaltschaft zugeordnet (Ausnahme: Zusammenlegung der GH und Bewährungshilfe zum Sozialen Dienst der Justiz, Angliederung an das Landgericht).
Die '''Gerichtshilfe''' (GH) gehört zu den sozialen Diensten der Justiz und ist der Staatsanwaltschaft zugeordnet (Ausnahme: Zusammenlegung der GH und Bewährungshilfe zum Sozialen Dienst der Justiz, Angliederung an das Landgericht).

Aktuelle Version vom 11. Oktober 2016, 07:50 Uhr


Die Gerichtshilfe (GH) gehört zu den sozialen Diensten der Justiz und ist der Staatsanwaltschaft zugeordnet (Ausnahme: Zusammenlegung der GH und Bewährungshilfe zum Sozialen Dienst der Justiz, Angliederung an das Landgericht). Die GH kann in jedem Verfahrensstadium von der Staatanwaltschaft oder dem Gericht beauftragt werden, sozialarbeiterische Untersuchungen und Darstellungen zu den Lebensverhältnissen der angeschuldigten, beschuldigten, angeklagten und verurteilten Erwachsenen sowie der Opfer zu erstellen. Die erstellten sozialarbeiterischen Anamnesen und Prognosen dienen zur Entscheidungsfindung der beauftragenden Stellen. Darüber hinaus erfolgen erste Hilfe- und Unterstützungsangebote für die Klienten sowie ggf. eine Weitervermittlung an spezialisierte Fachberatungsstellen.

Die Arbeit der GH wird von staatlich anerkannten SozialarbeiterInnen/ SozialgädagogInnen wahrgenommen.

Aufgaben und Rechtsgrundlagen

Für die Aufgabenbeschreibung der GH existieren nur wenige gesetzliche Vorschriften. In § 160 Abs. 3 StPO ist für die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit vorgesehen, sich der GH im Ermittlungsverfahren zu bedienen, um die Umstände zu ermitteln, die für die „Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind“ (§160 Abs. 3 StPO). Demnach kann die Staatsanwaltschaft die GH beauftragen, über die persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des Beschuldigten zu berichten. Weiterhin kann die GH eine Stellungnahme betreffend der Sanktionierung und den hieraus entstehenden Folgen für den Beschuldigten abgeben (vgl. Feuerhelm 2011: 382). In der Praxis kann insbesondere in den folgenden Verfahren eine Beauftragung im Ermittlungsverfahren erfolgen:

  • Allgemeiner Bericht bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
  • Allgemeiner Bericht bei Konfliktstraftaten/ Häuslicher Gewalt
  • Suchtmittelabhängige Personen
  • Personen mit psychischen Auffälligkeiten
  • Alterskriminalität
  • Fällen, in denen eine Entscheidung nach §153 a StPO (Verfahrenseinstellung) erwogen wird

(vgl. Koch 1999: 38-42).

Darüber hinaus kann die GH im Rahmen von Verfahrenseinstellungen nach § 153 a StPO beauftragt werden, die erteilten Auflagen und/oder Weisungen zu vermitteln und zu überwachen. Dies kann u.a. die Verrichtung von Arbeitsstunden, die Teilnahme an einem Anti-Aggressions-Training oder einer Suchtberatung beinhalten (vgl. §153 a StPO). Die Beauftragung der GH in Vollstreckungsverfahren wird in § 463 d StPO vorgesehen. Im Vollstreckungsverfahren erfolgt die Durchsetzung der strafrechtlichen Sanktion. Das Gericht oder die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde kann sich der GH bedienen, um eine Entscheidung nach den §§ 453 bis 461 StPO vorzubereiten, insbesondere bei Entscheidungen über den Widerruf der Strafaussetzung oder der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung sofern kein Bewährungshelfer bestellt ist (vgl. §463 d StPO). In der Praxis erfolgt auf Grundlage das § 463 d StPO insbesondere eine Beauftragung in den folgen Arbeitsbereichen:

  • Die Überwachung von Auflagen und Weisungen bei Bewährungsverfahren, sofern kein Bewährungshelfer bestellt ist.
  • Die Vermittlung und Überwachung von gemeinnütziger Arbeit zur Vermeidung der Ersatzfreiheitsstrafe. Die konkrete Ausgestaltung der gemeinnützigen Arbeit ist den Ländern in Art. 293 EGStGB überlassen (vgl. Feuerhelm 2011: 383).
  • Vereinbarungsfindung zur Zahlungserleichterung bei Geldstrafen.

Ein weiterer dritter Arbeitsbereich hat sich ohne konkrete rechtliche Regelungen entwickelt. Die GH kann von der Gnadenbehörde beauftragt werden, Vorbereitungen zur Gnadenentscheidung zu treffen. Gnadenentscheidungen kommen beispielsweise in Betracht, wenn aufgrund schwerer Krankheit die Vollstreckung der Strafe eine unbillige Härte darstellt und ein teilweiser oder völliger Verzicht der Strafe erreicht werden soll (vgl. Riekenbrauk 2011: 189). Hier steht ebenfalls die Erstellung von sozialarbeiterischen Diagnosen und Prognosen im Mittelpunkt der Tätigkeit der GH (vgl. Feuerhelm 2011: 383).


Neben den genannten Aufgaben erfolgte in den letzten Jahren eine zunehmende Beauftragung der GH in den Bereichen der Haftentscheidungs- und Haftvermeidungshilfe, der Opferberichterstattung, vor allem bei Verfahren der häuslichen Gewalt oder dem Täter- Opfer- Ausgleich (vgl. Cornel et al. 2009:173). Die Rechtsgrundlagen für diese Aufgaben werden über Landesverordnungen, Erlasse und Rundverfügungen der einzelnen Bundesländer geregelt (vgl. Cornel et al. 2009:173).


Jedoch ist es weder die Aufgabe der GH, zur Überführung des Täters beizutragen, noch soll die Tätigkeit ausschließlich Hilfe für den Beschuldigten darstellen. Es geht vielmehr um die Erkundung der Ursache der Straftat sowie die Resozialisierungsbedürftigkeit und Strafempfindlichkeit des Beschuldigten zu ergründen (vgl. Koch 1999: 37).

Im Gegensatz zur Jugendgerichtshilfe, deren Heranziehung verpflichtend ist, (vgl. Koch 1999: 37) handelt es sich bei den genannten gesetzlichen Grundlagen lediglich um Kann- Vorschriften, sodass die beauftragenden Stellen, insbesondere Staatsanwaltschaft und Gericht, über Ermessenentscheidungen das Aufgabenspektrum der GH erheblich beeinflussen, was auch innerhalb der verschiedenen Gerichtshilfestellen zu stark variierenden Aufgabenfeldern führt (vgl. Cornel et al. 2009: 174). Gleichzeitig scheint es vermessen eine generelle Beauftragung der GH zu fordern, da die Motivation der Tatbegehung oder die Persönlichkeit des Täters nicht pauschal bewertet werden können (vgl. Koch 1999: 37). Rahn schlägt daher eine Generalklausel vor, nach der die GH zu beauftragen ist, „wenn in der Tat oder der Person des Täters Besonderheiten erkennbar werden, die Zweifel aufkommen lassen, ob ohne Erforschung seiner Persönlichkeit und der Lebensumstände eine gerechte Entscheidung getroffen werden kann.“ (Rahn zit. nach Koch 1999: 37). Grundsätzlich empfiehlt es sich, die GH mit Blick auf die Prozessökonomie und einer sachgemäßen Fallbehandlung so frühzeitig einzubeziehen, dass die Folgekontrolle so effektiv wie möglich erfolgen kann, um so beispielsweise die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschuldigten im Vorfeld zu erkunden, um eine verhältnismäßige Festsetzung der Tagessatzhöhe zu erreichen (vgl. Cornell et al. 2009: 175).

Historische Entwicklung

Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich allmählich ein humanitärer und anthroposophischer Grundgedanke, in dem der Mensch stärker in den Mittelpunkt der Strafverfolgung rückte. Dazu bedurfte es entsprechenden Informationen zum persönlichen Werdegang, den Lebensumständen sowie den Beweggründen für eine Tat (vgl. Koch 1999: 15).

Diesbezüglich bat bereits 1841 in Boston/USA der Privatmann John Augustus nach der Schuldigsprechung eines Mitbürgers um die Strafaussetzung und berichtete einige Wochen später bei einem erneuten Termin über die Persönlichkeit und das soziale Umfeld des Straffälligen mit dem Erfolg, dass die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gleichzeitig legte J. Augustus hiermit den Ursprung für die Bewährungs- und Gerichtshilfe (vgl. Koch 1999: 15). 1915 wurde in Bielefeld durch den Geheimrat Bozi ein weiterer Grundstein für die GH gelegt, indem er die „Zentralstelle für Soziale Gerichtshilfe“ gründete (vgl. Koch 1999:15). Gemeinsam mit dem evangelischen Theologen von Bodelschwingh erreichte Bozi, dass „besserungsfähige“ Bettler und Landstreicher nicht in Arbeitshäuser verbracht wurden (vgl. Koch 1999: 16).

Die positiven Erfahrungen mit dem „Bielefelder System“ führten dazu, dass bereits 1916 in Preußen auf ministerieller Anordnung die amtliche Begründung der GH erfolgte (vgl. Koch 1999:16). Einige Jahre später entstanden bereits mehrere Gerichtshilfestellen, so 1921 in Halle, 1922 in Kassel und 1924 in Magdeburg. Träger waren überwiegend Justizbehörden, aber auch freie Träger erfüllten die Aufgaben. Vor allem durch das Engagement von Oberstaatsanwalt Noetzel, der als Vizepräsident des „Deutschen Reichsverbandes für Gerichtshilfe, Gefangenen- und Entlassenenfürsorge“ Vorreiter für die GH und Strafrechtspflege wurde, konnte die GH weiter profitieren (vgl. Koch 1999:16). Dem §160 StPO wurden entsprechende Änderungen zur Einbindung der GH zugeführt, die eine große Ähnlichkeit mit dem jetzigen Text des §160 StPO aufweisen (vgl. Koch 1999: 16f).

1933 gab es bereits ca. 250 Gerichtshilfestellen, die mit etwa 300 Gerichtshelfern besetzt waren und durch die Nationalsozialisten wieder vollständig aufgelöst wurden. Lediglich die GH in Hamburg unterlag nicht dem Einfluss des Nationalsozialismus. 1937 wurde die Arbeit der GH in Ansätzen von ehrenamtlichen Helfern wieder aufgenommen, jedoch wich diese Arbeit erheblich vom sozialen Gerichtshilfegedanken ab (vgl. Koch 1999: 17). Nach 1945 musste die GH vollkommen neu aufgebaut werden, wozu der wissenschaftliche Diskurs um eine Etablierung der GH zur Wiederbelebung des Gerichtshilfegedanken vor allem in den Stadtstaaten beitrug. Nach der Einführung der GH in Augsburg, Osnabrück, Ulm und Bonn wurde 1968 von der Justizministerkonferenz die Einbeziehung der GH deutschlandweit empfohlen (vgl. Koch 1999:18). Ab dem 01.01.1975 wurde die GH in den §§ 160 Abs.3 und 463 StPO verankert und bundesweit eingeführt, nachdem das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB) im März 1974 erlassen wurde. Dies war der Beginn der flächendeckenden Einführung der GH für Erwachsende in der Bundesrepublik Deutschland. In der DDR hingegen existierte zu dieser Zeit die GH noch nicht. Eine Einführung erfolgte in den neuen Bundesländern 1991 (vgl. Koch 1999:18).

Kriminalpolitische Relevanz

Die kriminalpolitische Relevanz der GH ist im Gegensatz zur Bewährungshilfe immer noch umstritten. Die ADG e.V. (Arbeitsgemeinschaft Deutscher Gerichtshilfe) schreibt der GH eine „überragende Bedeutung innerhalb der Strafrechtspflege“ (Cornell et al. 2009: 176) zu, jedoch ist die personelle Ausstattung und die zahlenmäßige Beauftragung gering (vgl. Cornell et al. 2009: 176). Auch ist die GH im Bereich der sozialwissenschaftlichen Forschung nur wenig vertreten, sodass auch die Arbeit der GH vorerst nur unsicher eingeschätzt werden kann (vgl. Cornell et al. 2009: 176).

Die Entwicklung hin vom Tat- zum Täterstrafrecht bildet die Grundlage für die Arbeit der GH. Die GH hat die Aufgabe, die Persönlichkeit des Beschuldigten mit Blick auf die rechtsrelevanten Tatsachen zu ermitteln und die erforderlichen Informationen betreffend der Lebenssituation zum Tatzeitpunkt und zum Verurteilungszeitpunkt zu erforschen (vgl. Cornell et al. 2009: 177).

Die Diskrepanz zwischen der Aufgabenbeschreibung und der relativ geringen Inanspruchnahme der GH ergibt sich u.a. aufgrund der geringen rechtlichen Grundlagen, die nur unverbindliche Regelungen für die GH darstellen (vgl. Feuerheim 2011: 383). Ein weiterer Aspekt stellt die relative Unbekanntheit der GH selbst unter Strafjuristen dar, da sie in der juristischen Ausbildung keine Erwähnung findet (vgl. Cornell et al. 2009: 177). Daher werden in schwierigen Fällen eher Gutachter und Sachverständiger hinzugezogen anstelle von Gerichtshelfern (vgl. Cornell et al. 2009: 177).

Um die Situation der GH zu verbessern, lässt sich ein zunehmender Trend der Zusammenlegung der GH und der Bewährungshilfe zum Allgemeinen Sozialen Dienst der Justiz verzeichnen. Die neuen Bundesländer verfügen allesamt über den Allgemeinen Sozialen Dienst der Justiz und zunehmend folgen die alten Bundesländer mit dem Ziel der durchgehenden Betreuung, des effizienten Ressourceneinsatzes und der Erzielung von Synergieeffekten (vgl. Cornell et al. 2009: 177). Seitens der Gerichtshelfer wird dieser überwiegend kritisch gesehen. Die fakultative gesetzliche Einschaltung, der geringe Bekanntheitsgrad, die fehlende Einsicht potenzieller Auftraggeber und der Wechsel des Dienstherrn von Staatsanwaltschaft zu Landgericht führe aus Sicht der Gerichtshelfer eher zu einem Rückgang der Beauftragung, sodass die Aufgaben der GH im Allgemeinen Sozialen Dienst der Justiz sich auflösen werden (vgl. Kurze 1999: 128). Die unterschiedliche Ausgestaltung des Allgemeinen Sozialen Dienstes der Justiz innerhalb der einzelnen Bundesländern und teilweise der unterschiedlichen Behörden lassen eine verlässliche wissenschaftliche Aussage nur schwerlich treffen (vgl. Kurze 1999: 129).

Weblinks

DBH- Fachverband für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik [1]

ADG- Arbeitsgemeinschaft Deutscher Gerichtshilfe e.V. [2]

Literatur

Cornell, Heinz et. al. (2009): Resozialisierung. Handbuch. 3. Aufl. Baden-Baden.

Feuerhelm, Wolfgang (2011): „Jugendgerichtshilfe-Gerichtshilfe“. In: Bieker, Rudolf; Floerecke, Peter (Hg.) (2011): Träger, Arbeitsfelder und Zielgruppen der Sozialen Arbeit. Stuttgart. 373- 385.

Koch, Veronika (1999): Erwachsenengerichtshilfe. Eine Einführung für die soziale Arbeit. Opladen.

Kurze, Martin (1999): Soziale Arbeit und Strafjustiz. Eine Untersuchung zur Arbeit von Gerichtshilfe, Bewährungshilfe, Führungsaufsicht. Wiesbaden.

Riekenbrauk, Klaus (2011): Strafrecht und Soziale Arbeit. Eine Einführung für Studium und Praxis. 4.Aufl. Köln.