Frank Tannenbaum (* 04.03.1893 in Brod, Österreich-Ungarn; heute [Brody, Ukraine] † 01.06.1969 in New York City) war ein US-amerikanischer Professor für Kriminologie (ab 1932) und für lateinamerikanische Geschichte (von 1935-65), der als junger Mann auch selbst eine Zeit im Gefängnis verbracht hatte. Als Anführer einer "Armee von Arbeitslosen", die mit der Forderung nach Essen und Unterkunft die katholische Sankt Alphonsus Kirche am West Broadway besetzte, wurde er 1914 zu einem Jahr Gefängnis und einer Geldstrafe von 500 $ verurteilt.

Die Familie Tannenbaum (Eltern, Frank und zwei jüngere Geschwister) war 1904/05 von Ostgalizien nach Massachussetts gekommen und 1913 nach New York umgezogen. In New York kam Frank in Kontakt mit dem Zentrum das US-Anarchismus, der Ferrer Modern School, und lernte Emma Goldman kennen. Er engagierte sich bei den International Workers of the World (IWW), den sog. Wobblies, verbüßte seine Strafe auf Blackwell's Island und konnte aufgrund einer Empfehlung des ehemaligen Gefängniswärters in Sing-Sing, Thomas M. Osborne, ein Studium an der Columbia University aufnehmen. Seine Studien schloss er 1927 mit einem PhD in Wirtschaftswissenschaften (Brookings Institution, Washington, D.C.) ab.

Er zog nach Mexiko, wo er u.a. als Berater des mexikanischen Präsidenten Lázaro Cárdenas tätig war.

  • 1932 wurde Tannenbaum Professor für Kriminologie an der Cornell University (1935 dann Professor für lateinamerikanische Geschichte an der Columbia University).
  • 1938 erschien sein Werk "Crime and the Community", in dem er die Bedeutung der sozialen Reaktion auf Abweichung für die Verfestigung devianter Identität betonte.

Werk

Tannenbaum studierte das Werk von George Herbert Mead - darunter auch "The Psychology of Punitive Justice" - und entwickelte unter anderem auf dieser Basis sein zentrales kriminologisches Werk, "Crime and the Community" von 1938, in dem er seine Konzeption der „Dramatisierung des Bösen“ darstellte und auf der Basis des Symbolischen Interaktionismus zu ersten Formulierungen eines etikettierungstheoretischen Ansatzes gelangte. Unter anderem enthielt dieses Buch die prägnante Formulierung "The criminal becomes bad because he is defined as bad".[1] Allerdings griffen die späteren Vertreter des Labeling-Approaches (E. M. Lemert, Howard S. Becker) vorwiegend nicht direkt auf Tannenbaums Ausführungen zurück, sondern begründeten ihren Ansatz mehr oder minder unter direktem Rückgriff auf Mead oder andere Mead-Schüler. Wenn Tannenbaum heute oft übersehen oder nur als Vorläufer der kriminalsoziologischen Labeling-Perspektive eingestuft wird, so ist das genau genommen nicht ganz gerecht und auch nicht ganz korrekt.[2]

Zitate

  • "THE YOUNG DELINQUENT BECOMES BAD BECAUSE HE IS DEFINED AS BAD AND BECAUSE HE IS NOT BELIEVED IF HE IS GOOD"
  • (Getting caught as a turning point):

"THE BOY, NO DIFFERENT FROM THE REST OF HIS GANG, SUDDENLY BECOMES THE CENTER OF A MAJOR DRAMA..."

  • "THE PROCESS OF MAKING THE CRIMINAL, THEREFORE, IS A PROCESS OF TAGGING, DEFINING, IDENTIFYING, SEGREGATING, DESCRIBING, EMPHASIZING, MAKING CONSCIOUS AND SELF-CONSCIOUS; IT BECOMES A WAY OF STIMULATING, SUGGESTING, EMPHASIZING, AND EVOKING THE VERY TRAITS THAT ARE COMPLAINED OF."
  • "THE WAY OUT IS THROUGH A REFUSAL TO DRAMATIZE THE EVIL. THE LESS SAID ABOUT IT THE BETTER. THE MORE SAID ABOUT SOMETHING ELSE, STILL BETTER."

Publikationen von Frank Tannenbaum

  • Wall shadows: a study in American prisons. New York: G.P. Putnam's sons, 1922.
  • Crime and the Community, London 1938.
  • Slave and citizen, New York 1947.
  • Mexiko, the Struggle for Peace and Bread, New York 1951 (dt. 1967).
  • Eine Philosophie der Arbeit, Nürnberg 1954 (zuerst engl. 1951).
  • Ten Keys to Latin America, New York 1963.

Einzelnachweise

  • [1] Frank Tannenbaum, Crime and the Community, London 1938, S. 17.
  • [2] Siegfried Lamnek, Theorien abweichenden Verhaltens, 7. Aufl., München 2001, S. 219.

Weblinks

  • Literatur von und über Frank Tannenbaum im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
  • Delpar, Helen (1988) Frank Tannenbaum: The Making of a Mexicanist, 1914-1933. The Americas. Vol. 45, No. 2 (October), pp. 153-171.
  • Hale, Charles A. (1995) Frank Tannenbaum and the Mexican Revolution. The Hispanic American Historical Review Vol. 75, No. 2 (May, 1995), pp. 215-246
  • Frank Tannenbaum. The Making of a Mexicanist, 1914-1933. [[1]]
  • Frank Tannenbaum [[2]]
  • Nachruf in der New York Times von Carter B. Horsley (1969) Dr. Frank Tannenbaum, 76, Dies ..[[3]]
  • Tannenbaum, Frank Encyclopedia of the Harlem Renaissance
  • Ross, Stanley R. (1969) Frank Tannenbaum (1893-1969) The Hispanic American Historical Review Vol. 50, No. 2 (May, 1970), pp. 345-348 [[4]]
  • Thompson, Charles Willis (1914) So-Called I.W.W. Raids ... [[5]]
  • Winn, Peter (2010) Frank Tannenbaum Reconsidered. International Labor and Working-Class History (2010), 77: 109-114 Cambridge University Press doi: 10.1017/S0147547909990275 [[6]]