Feindstrafrecht

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siehe auch: Feindstrafrecht und souveräne Polizei in Lateinamerika

Der Begriff des Feindstrafrechtes bezeichnet eine Rechtsmaterie, in welcher dem Abweichler der Personenstatus abgesprochen wird. Der Täter kann damit zum Feind diminuiert werden, mit dem Ziel die von ihm ausgehende Gefahr zu bekämpfen - insbesondere mit physischen Zwang bis hin zum Krieg.[1]

Der von Dr. Günther Jakobs 1985 in einem Aufsatz mit dem Titel Kriminalisierung im Vorfeld von Rechtsgutverletzungen[2] eingeführte Begriff des Feindstrafrechts ist demnach ein Mittel der Gefahrenabwehr sowie Abschreckung und setzt bei dessen konsequenter Anwendung die Exkludierung von bestimmten Individuen oder Gruppen aus dem als Gegenpol zu verstehenden Bürgerstrafrecht voraus.


Jakob`s Lehre und Kritik

In seinem 1985 erschienen Aufsatz setzt sich Jakobs rechtsdogmatisch mit dem Phänomen des Feindstrafrechts auseinander, indem er die Illegitimität der Kriminalisierung von Vorfeldverhalten im deutschen Strafgesetzbuches bestimmt.[3] Und feststellt, dass die dort zu findenden Tendenzen feindstrafrechtlicher Natur sind und eine Rechtsmaterie eigener Art bezeichnen, welche den Rechtsgüterschutz optimieren - im Gegenzug zum Bürgerstrafrecht, welches die Freiheitsphären der Bürger des Staates zur Grundlage hat.[4] Diese Tendenzen sind dort verortet, wo materielle Vorbereitungen für eine Straftat kriminalisiert werden noch während "das Vorbereitungsverhalten im Privatbereich vollzogen"[5] wird. Dies ist in einem freiheitlichen Staat wie der Bundesrepublik Deutschland mit seinem Grundgesetz dem Sinn nach nicht legitimierbar, exisitiert aber in der Praxis und "verschleiert" den Übertritt über die Grenzen eines freiheitlichen Staates[6] und birgt ebenso die Gefahren, dass wenn der Rechtsgüterschutz weitere Optimierung im StGB erfährt, der Täter zunehmend als Feind mit abnehmenden Internbereich bzw. Privatheit definiert wird [7] und "auf diesem Weg [...] alles Strafrecht zum Feindstrafrecht" wird, bis hin, dass vor einer Kriminalisierung von Gedanken kein Halt gemacht werden müsste[8].

Um diesem Dilemma zu entgehen, bedarf es seiner Meinung nach einer Trennung des "Täters als Rechtsgutfeind" und des "Täters als Bürger" und zwar in Form eines extra kodierten Feindstrafrechts abgetrennt vom Bürgerstrafrecht. Dieses dann "nur als ein ausnahmsweise geltendes Notstandsstrafrecht" legitimierbare Recht findet dort seine Anwendung, wo Gefahr besteht, dass "Normen, die für einen freiheitlichen Staat unverzichtbar sind, ihre Geltungskraft verlieren, wenn man mit der Repression wartet, bis der Täter aus seiner Privatheit heraustritt".[9]


Der Begriff Feindstrafrecht wurde 1985 vom Bonner Strafrechtsprofessor Günther Jakobs geprägt. Im Gegensatz zum klassischen Bürgerstrafrecht, das auf die Motivation des straffällig gewordenen Mitbürgers abzielt und ihn zu (re-) sozialisieren trachtet, richtet sich das Feindstrafrecht gegen Individuen, die hartnäckig und unbelehrbar rechtsfeindlich eingestellt sind und die deshalb eine dauerhafte Gefahrenquelle darstellen. Wegen seiner konstant rechtsfeindlichen Einstellung ist der Feind keine Person im Sinne des Rechts. Es geht nicht um Resozialisierung von Personen, sondern um Bekämpfung von Gefahren: „Bürgerstrafrecht erhält die Normgeltung, Feindstrafrecht (...) bekämpft Gefahren“, bzw.: "Der prinzipiell Abweichende bietet keine Garantie personalen Verhaltens; deshalb kann er nicht als Bürger behandelt, sondern muß als Feind bekriegt werden" (Jakobs 2004: 90). Elemente des Feindstrafrechts fand Jakobs schon 1985 im geltenden Strafgesetzbuch, etwa in der Sicherungsverwahrung (§ 61 Nr. 3 und § 66 StGB) und der Strafbarkeit der bloßen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB).

Nach dem 11. September 2001 stand der Begriff des Feindstrafrechts im Mittelpunkt einer Kontroverse um die Bewahrung rechtsstaatlicher Garantien im Kampf gegen den Terrorismus. Die große Mehrheit der deutschsprachigen Strafrechtswissenschaftler, die sich an der Diskussion beteiligten, lehnten feindstrafrechtliche Regelungen strikt ab (vgl. Vormbaum 2009).

Während Jakobs das Feindstrafrecht erstens in außergewöhnlichen Gefährdungslagen für zulässig und zweitens die Voraussetzungen einer solchen Gefährdungslage spätestens seit dem 11. September 2001 auch empirisch für gegeben hält, hatte der spätere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda (1966: 11), schon im Rahmen der Diskussion um die Notstandsgesetze in den 1960er Jahren festgestellt: „Gegen den Notstand muß Vorsorge getroffen werden; aber das darf nicht so geschehen, daß hierdurch die freiheitlich demokratische Grundordnung, deren Schutz alle Verteidigungsmaßnahmen dienen sollen, verloren geht. Sonst könnte der Rechtsstaat (...) vielleicht nach außen erfolgreich verteidigt werden, würde aber zugleich im Inneren tödlich getroffen werden und müßte so auch dann untergehen (...).“

Kennzeichen des Feindstafrechts

  1. Weite Vorverlegung der Strafbarkeit (Wendung des Blicks von der geschehenen auf eine kommende Tat). Beispiel: Tatbestände der Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen (§§129, 129a StGB) oder des Anbaus von Betäubungsmitteln (§§30 Abs.1 Nr.1, 31 Abs.1 Nr.1 BtMG). Jakobs (1985: 753) schreibt dazu: "Der Täter wird nur dadurch definiert, dass er dem Rechtsgut gefährlich werden kann, wobei sich der Beginn der Gefahr potentiell grenzenlos vorverlagern lässt. Der Täter hat keine Privatsphäre, keinen Bereich eines noch-nicht-sozial-relevanten Verhaltens, sondern ist nur Gefahrenquelle, mit anderen Worten, Feind des Rechtsguts."
  2. Keine der Vorverlagerung proportionale Reduktion der Strafe.
  3. Übergang von der Strafrechtsgesetzgebung zur Bekämpfungsgesetzgebung. Beispiele: Wirtschaftskriminalität, Terrorismus, organisierte Kriminalität und auch Sexualdelikte.
  4. Abbau prozessualer Garantien. Beispiel: Kontaktsperre (§§31 ff. EGGVG)

Einzelnachweise

  1. Günther Jakobs Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht In: Ritsumeikan Law Review. Nummer 21, 2004, S.93 und 97
  2. Günther Jakobs Kriminalisierung im Vorfeld von Rechtsgutverletzungen In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Nummer 97, Heft 4, 1985, S. 751 bis 785
  3. Günther Jakobs Kriminalisierung im Vorfeld von Rechtsgutverletzungen In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Nummer 97, Heft 4, 1985, S. 752
  4. Günther Jakobs Kriminalisierung im Vorfeld von Rechtsgutverletzungen In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Nummer 97, Heft 4, 1985, S. 756
  5. Günther Jakobs Kriminalisierung im Vorfeld von Rechtsgutverletzungen In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Nummer 97, Heft 4, 1985, S. 756f.
  6. Günther Jakobs Kriminalisierung im Vorfeld von Rechtsgutverletzungen In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Nummer 97, Heft 4, 1985, S. 784
  7. Günther Jakobs Kriminalisierung im Vorfeld von Rechtsgutverletzungen In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Nummer 97, Heft 4, 1985, S. 751 und 784
  8. Günther Jakobs Kriminalisierung im Vorfeld von Rechtsgutverletzungen In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Nummer 97, Heft 4, 1985, S. 757 und 778
  9. Günther Jakobs Kriminalisierung im Vorfeld von Rechtsgutverletzungen In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Nummer 97, Heft 4, 1985, S. 753 und 784

Literatur

  • Aponte, Alejandro (2005) Derecho penal del enemigo o derecho penal del ciudadano. Bogotà: Temis.
  • Aponte, Alejandro (2004) Krieg und Feindstrafrecht. Überlegungen über das effiziente Feindstrafrecht anhand der Situation in Kolumbien, Baden-Baden: Nomos.
  • Aponte, Alejandro (2006) Krieg und Politik – Das politische Feindstrafrecht im Alltag, in: HRRS Ausgabe 8-9: 297-303.
  • Asholt, Martin (2011) Die Debatte über das „Feindstrafrecht” in Deutschland - Aufleben eines alten Dilemmas am Anfang des 21.Jahrhunderts? ZIS 180 - 192.
  • Bung, Jochen (2006) Feindstrafrecht als Theorie der Normgeltung und der Person. HRRS Februar: 63-71 (auch in: Uwer, Thomas, Hg., Bitte bewahren Sie Ruhe. Leben im Feindrechtsstaat. Berlin: Vereinigung Berliner Strafverteidiger)
  • Düx, Heinz (2003) Globale Sicherheitsgesetze und weltweite Erosion von Grundrechten, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 189-195.
  • Fraenkel, Ernst (1941) The Dual State - – A Contribution to the Theory of Dictatorship. New York, London, Toronto: Oxford University Press.
  • Fraenkel, Ernst (1974) Der Doppelstaat. Frankfurt a.M./Köln: Europäische Verlagsanstalt.
  • Fraenkel, Ernst (1999) Gesammelte Schriften, Bd. 2: Nationalsozialismus und Widerstand, hrsg. von Alexander von Brünneck, Baden-Baden: Nomos, S. 33-266 (= Doppelstaat 1974; für den „Urdoppelstaat“ vgl. ibid. S. 267-473).
  • Jakobs, Günther (1985) Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutverletzung, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW) 97: 751-785.
  • Jakobs, Günther (2000) Das Selbstverständnis der Strafrechtswissenschaft vor den Herausforderungen den Gegenwart, Kommentar, in: A. Eser, W. Hassemer, B. Burkhardt (Hg.), Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende. Rückbesinnung und Ausblick, München: C.H.Beck: 47-56.
  • Jakobs, Günther (2004a) Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht, in: HRRS Ausgabe 3/2004: 88-95.
  • Jakobs, Günther (2004b) Staatliche Strafe. Bedeutung und Zweck. (Vorträge G 390 der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften) Paderborn: 41 ff
  • Jakobs, Günther (2006) Feindstrafrecht? Eine Untersuchung zu den Bedingungen von Rechtlichkeit. HRR im Internet verfügbar unter: http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/06-08/index.php?sz=7, Zugriff 25.11.2011
  • Jakobs, Günther (2010) Zur Theorie des Feindstrafrechts, in: Rosenau/Kim (Hrsg.), Straftheorie und Strafgerechtigkeit, Frankfurt: 167-182.
  • Jakobs, Günther; Meliá, Manuel Cancio. Derecho penal del enemigo. Buenos Aires: Hammurabi, 2007.
  • Meliá, Manuel Cancio/Gómez-Jara Diez, Carlos, Hg. (2006) Derecho penal del enemigo. El discurso penal de la exclusión,; Madrid (Edisofer) y Buenos Aires-Montevideo (B de F)
  • Morquet, Geraldine Louisa (2009) Feindstrafrecht - Eine kritische Analyse. Berlin: Duncker & Humblot.
  • Moura, Paulo Ricardo Cursino de (2011) Direito Penal do Inimigo. Editora Magister - Porto Alegre - RS. Publicado em: 25 out. 2011. Disponível em: <http://www.editoramagister.com/doutrina_ler.php?id=1110>. Acesso em: 25 nov. 2011
  • Muñoz-Conde, Francisco (2007) Über das „Feindstrafrecht“, Münster: LIT 2007
  • Ooyen, Robert Chr. van (2007) Öffentliche Sicherheit und Freiheit. Politikwissenschaftliche Studien zu Staat, Polizei und wehrhafter Demokratie. Baden-Baden: Nomos.
  • Plaggenborg, Stefan (2006) Experiment Moderne. Der sowjetische Weg. Frankfurt/New York: Campus.
  • Prantl, Heribert (2008) Der Terrorist als Gesetzgeber. Wie man mit Angst Politik macht. München: Droemer.
  • Roxin, Claus (2006) Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. 1, 4. Aufl. 2006, Rn. 2/126 ff.
  • Santos. Juarez Cirino. O direito penal do inimigo – ou discurso do direito penal desigual. Disponível na Internet: http://www.icpcjur.com.br. Acesso em: 25 nov. 2011
  • Sauer, Dirk (2005) Das Strafrecht und die Feinde der offenen Gesellschaft, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1703 ff.
  • Scheerer, Sebastian (1980) Gesetzgebung im Belagerungszustand, in: Blankenburg, Erhard (Hg.): Politik der inneren Sicherheit, Frankfurt/M.: Suhrkamp: 120–168.
  • Sinn, Arndt (2006) Moderne Verbrechensverfolgung - auf dem Weg zu einem Feindstrafrecht? ZIS: 107-117
  • Staff, Ilse (2004) Im Niemandsland. Zeitschrift für Rechtsgeschichte 5: 207-215.
  • Víquez-Azofeifa, Karolina (2011) Die Rezeption des Feindstrafrechts in Lateinamerika. Jur. Diss. Hamburg.
  • Vormbaum, Thomas, Hg., unter Mitarbeit von Martin Asholt (2009) Kritik des Feindstrafrechts. Berlin: LIT.
  • Zöller, Mark A. (2009) Terrorismusstrafrecht. Ein Handbuch. Heidelberg usw.: C.F. Müller.

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