Armut: Unterschied zwischen den Versionen

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Alltagssprachlich ist Armut verknüpft mit Not, Elend und Hunger genauso wie mit Verwahrlosung, Obdachlosigkeit und abweichendem Verhalten (Groenemeyer 1999, S. 270).
 
"Alltagssprachlich ist Armut verknüpft mit Not, Elend und Hunger genauso wie mit Verwahrlosung, Obdachlosigkeit und abweichendem Verhalten" (Groenemeyer 1999, S. 270).
Eine Reihe von Kriminalitätstheorien beziehen sich auf Armut und Unterschichten bzw. stellen einen vermeintlich ursächlichen Zusammenhang her zwischen Armut, Unterschicht und Kriminalität oder betrachten Armut zumindest als kriminogenen Faktor.
Eine Reihe von Kriminalitätstheorien beziehen sich auf Armut und Unterschichten bzw. stellen einen vermeintlich ursächlichen Zusammenhang her zwischen Armut, Unterschicht und Kriminalität oder betrachten Armut zumindest als kriminogenen Faktor.


==Allgemeines==
==Allgemeines==
===Etymologie===
===Etymologie===
Armut ist ein altes Substantiv zu ''arm''. Die Wortherkunft von arm ist unsicher. Es wird je nach Annahme der Wortherkunft gedeutet mit vereinsamt, unglücklich, auflösen, trennen, in Trümmer gehen, zurücklassen, verwaist oder elend (Kluge 2011, S. 60 f.).
Armut ist ein altes Substantiv zu ''arm''. Die Wortherkunft von arm ist unsicher. Es wird je nach Annahme der Wortherkunft gedeutet mit vereinsamt, unglücklich, auflösen, trennen, in Trümmer gehen, zurücklassen, verwaist oder elend (vgl. Kluge 2011, S. 60 f.).


===Definitionen===
===Definitionen===
Allgemein bezeichnet Armut einen Zustand des Mangels an lebenswichtigen Gütern und Ressourcen. Dabei wird unterschieden zwischen absoluter und relativer Armut. Absolute Armut ist, zumindest teilweise, gleichzusetzen mit dem Kampf ums Überleben. Relative Armut hingegen variiert mit dem Wohlfahrtsniveau einer Gesellschaft. Hier bezieht sich die relative Armut auf Gruppen in einer Gesellschaft, die an oder unterhalb der Schwelle einer menschenwürdigen Existenz leben. Armut wird demnach über ein soziokulturelles Existenzminimum definiert. Es handelt sich also um einen relationalen Begriff, dessen Inhalt mit der historischen Entwicklung von Gesellschaften verändert wird. Armut bleibt damit keineswegs beschränkt auf Einkommen und materielle Güter, sondern sie ist als ein mehrdimensionales, auch soziales und kulturelles Phänomen zu sehen, das geringe Bildungschancen und den (Selbst-)Ausschluss von politischer Partizipation ebenso umfasst wie den Mangel an reichen sozialen Beziehungen (vgl. Dörre 2011, S. 20 f.).
Allgemein bezeichnet Armut einen Zustand des Mangels an lebenswichtigen Gütern und Ressourcen. Dabei wird unterschieden zwischen absoluter und relativer Armut. Absolute Armut ist, zumindest teilweise, gleichzusetzen mit dem Kampf ums Überleben. Relative Armut hingegen variiert mit dem Wohlfahrtsniveau einer Gesellschaft. Hier bezieht sich die relative Armut auf Gruppen in einer Gesellschaft, die an oder unterhalb der Schwelle einer menschenwürdigen Existenz leben. Armut wird demnach über ein soziokulturelles Existenzminimum definiert. Es handelt sich also um einen relationalen Begriff, dessen Inhalt mit der historischen Entwicklung von Gesellschaften verändert wird. Armut bleibt damit keineswegs beschränkt auf Einkommen und materielle Güter, sondern sie ist als ein mehrdimensionales, auch soziales und kulturelles Phänomen zu sehen, das geringe Bildungschancen und den (Selbst-)Ausschluss von politischer Partizipation ebenso umfasst wie den Mangel an reichen sozialen Beziehungen (vgl. Dörre 2011, S. 20 f.).
Die relative Armut kann mit unterschiedlichen Indikatoren gemessen werden. Mit dem vergleichsweise einfachen Ansatz zur Einkommensarmut oder mit erheblich komplexeren Konzepten von Deprivation, Lebenslagen oder Chancenverwirklichung (vgl. Geißler 2011, S. 202).
Die relative Armut kann mit unterschiedlichen Indikatoren gemessen werden. Mit dem vergleichsweise einfachen Ansatz zur Einkommensarmut oder mit erheblich komplexeren Konzepten von Deprivation, Lebenslagen oder Chancenverwirklichung (vgl. Geißler 2011, S. 202).
Mit dem Konzept der Einkommensarmut wird unterschieden zwischen unterschiedlichen Armutsgrenzen. Die Situation von Personen, denen weniger als 40 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung steht, wird als strenge Armut bezeichnet. Daneben wird die 50 Prozent-Grenze bzw. im internationalen Vergleich häufig die 60 Prozent-Grenze verwendet um Personen als arm bzw. als armutsgefährdet zu bezeichnen (vgl. Rössel 2009, S. 252 f.).
Mit dem Konzept der Einkommensarmut wird unterschieden zwischen unterschiedlichen Armutsgrenzen. Die Situation von Personen, denen weniger als 40 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung steht, wird als strenge Armut bezeichnet. Daneben wird die 50 Prozent-Grenze bzw. im internationalen Vergleich häufig die 60 Prozent-Grenze verwendet um Personen als arm bzw. als armutsgefährdet zu bezeichnen (vgl. Rössel 2009, S. 252 f.).


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Zu allen Zeiten wurde Armut in Verbindung gebracht mit Kriminalität bzw. wurde Armen eine erhöhte Kriminalität unterstellt. Albrecht erinnert daran, dass Armut und die Folgen von Armut die ersten Anknüpfungspunkte für Freiheitsentzug und die Entstehung entsprechender Institutionen waren. Bettler, Prostituierte, Nichtsesshafte und Vagabunden wurden in der Vormoderne entsprechenden Disziplinierungsversuchen in Spinn- und Arbeitshäusern unterzogen. Das Zuchthaus als Vorläufer des modernen Gefängnisses war der Ort für Disziplinierung zur Arbeit und Unterbringung von Armen. Während des Industrialisierungsprozesses und der Entwicklung moderner Gesellschaften wurden Arme als „Lumpenproletariat“  (Marx 1971, S. 536) und „gefährliche Klasse“ eingeordnet (vgl. Albrecht 2011, S. 113).
Zu allen Zeiten wurde Armut in Verbindung gebracht mit Kriminalität bzw. wurde Armen eine erhöhte Kriminalität unterstellt. Albrecht erinnert daran, dass Armut und die Folgen von Armut die ersten Anknüpfungspunkte für Freiheitsentzug und die Entstehung entsprechender Institutionen waren. Bettler, Prostituierte, Nichtsesshafte und Vagabunden wurden in der Vormoderne entsprechenden Disziplinierungsversuchen in Spinn- und Arbeitshäusern unterzogen. Das Zuchthaus als Vorläufer des modernen Gefängnisses war der Ort für Disziplinierung zur Arbeit und Unterbringung von Armen. Während des Industrialisierungsprozesses und der Entwicklung moderner Gesellschaften wurden Arme als „Lumpenproletariat“  (Marx 1971, S. 536) und „gefährliche Klasse“ eingeordnet (vgl. Albrecht 2011, S. 113).


Fritz Sack beschreibt in ''Prävention – ein alter Gedanke in neuem Gewand'' diese „dangerous classes“, letztlich diese „armen Klassen“, insbesondere das städtische Industrieproletariat als Zugehörige zu einer „sozialen“ Klasse und Adressat strafrechtlicher Sozialkontrolle. Das Strafrecht wurde demnach eingesetzt als Herrschaftsmittel der besitzenden Klassen gegen das erstarkende Industrieproletariat. Im Zuge der Entstehung des modernen Wohlfahrtsstaates und der Akzeptanz und Anerkennung der gefährlichen, der kriminellen, der arbeitenden Klasse wurde schließlich ein Modus außerstrafrechtlicher sozialer Kontrolle politisch intendiert (vgl. Sack 1995, S. 442 f.).
Sack beschreibt in ''Prävention – ein alter Gedanke in neuem Gewand'' diese „dangerous classes“, letztlich diese „armen Klassen“, insbesondere das städtische Industrieproletariat als Zugehörige zu einer „sozialen“ Klasse und Adressat strafrechtlicher Sozialkontrolle. Das Strafrecht wurde demnach eingesetzt als Herrschaftsmittel der besitzenden Klassen gegen das erstarkende Industrieproletariat. Im Zuge der Entstehung des modernen Wohlfahrtsstaates und der Akzeptanz und Anerkennung der gefährlichen, der kriminellen, der arbeitenden Klasse wurde schließlich ein Modus außerstrafrechtlicher sozialer Kontrolle politisch intendiert (vgl. Sack 1995, S. 442 f.).


===Kriminalitätstheorien===
===Kriminalitätstheorien===
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=====Anomietheorie nach Merton=====
=====Anomietheorie nach Merton=====
Hauptvertreter der Anomietheorie ist Robert K. Merton. Er bezeichnet Anomie, was allgemein soviel wie Norm-, Regel- oder Gesetzeslosigkeit bedeutet,  als Zusammenbruch der kulturellen Struktur, der besonders dort erfolgt, wo eine scharfe Diskrepanz besteht zwischen kulturellen Normen und Zielen einerseits und den sozial strukturierten Möglichkeiten, in Übereinstimmung hiermit zu handeln, andererseits. Die Sozialstruktur gerät in Spannung zu den kulturellen Werten einer Gesellschaft (vgl. Merton 1974, S. 292). In dieser Gesellschaft wird ein ungewöhnlich starker Nachdruck auf bestimmte Ziele (Wohlstand, Macht) gelegt (ebd. 1974, S. 289).
Hauptvertreter der Anomietheorie ist Robert K. Merton. Er bezeichnet Anomie, was allgemein soviel wie Norm-, Regel- oder Gesetzeslosigkeit bedeutet,  als Zusammenbruch der kulturellen Struktur, der besonders dort erfolgt, wo eine scharfe Diskrepanz besteht zwischen kulturellen Normen und Zielen einerseits und den sozial strukturierten Möglichkeiten, in Übereinstimmung hiermit zu handeln, andererseits. Die Sozialstruktur gerät in Spannung zu den kulturellen Werten einer Gesellschaft (vgl. Merton 1974, S. 292). In dieser Gesellschaft wird ein ungewöhnlich starker Nachdruck auf bestimmte Ziele (Wohlstand, Macht) gelegt (vgl. Merton 1974, S. 289).
Der stärkste Druck, die größte Spannung, zu einem abweichenden Verhalten liegt dabei auf den niederen Schichten (ebd. 1974, S. 296).
 
Dieser kulturelle Nachdruck also stellt an die Angehörigen der unteren Schichten miteinander unvereinbare Anforderungen, woraus sich schließlich eine höhere Rate abweichenden Verhaltens ergibt (ebd. 1974, S. 297).
Der stärkste Druck, die größte Spannung, zu einem abweichenden Verhalten liegt dabei auf den niederen Schichten.
Dieser kulturelle Nachdruck also stellt an die Angehörigen der unteren Schichten miteinander unvereinbare Anforderungen, woraus sich schließlich eine höhere Rate abweichenden Verhaltens ergibt (vgl. Merton 1974, S. 296 f.).


Merton schränkt dies aber selbst ein, indem er konstatiert, dass weder Armut allein, noch ihre Verknüpfung mit beschränkten Chancen unterschiedliche Korrelationen (mit Kriminalität) erklären. Erst wenn die gesamte Konstellation, nämlich Armut, Begrenzung der Chancen und die Bedeutung kultureller Ziele, der außergewöhnliche kulturelle Nachdruck, betrachtet wird, kann von einem höherem korrelieren zwischen Armut und Verbrechen in der jeweiligen Gesellschaft gesprochen werden (ebd. 1974, S. 299).
Merton schränkt dies aber selbst ein, indem er konstatiert, dass weder Armut allein, noch ihre Verknüpfung mit beschränkten Chancen unterschiedliche Korrelationen (mit Kriminalität) erklären. Erst wenn die gesamte Konstellation, nämlich Armut, Begrenzung der Chancen und die Bedeutung kultureller Ziele, der außergewöhnliche kulturelle Nachdruck, betrachtet wird, kann von einem höherem Korrelieren zwischen Armut und Verbrechen in der jeweiligen Gesellschaft gesprochen werden (vgl. Merton 1974, S. 299).


=====Theorie der delinquenten Subkultur nach Cohen=====
=====Theorie der delinquenten Subkultur nach Cohen=====
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====Labeling-Ansatz nach Sack====
====Labeling-Ansatz nach Sack====
Fritz Sack skizziert in ''Neue Perspektiven in der Kriminologie'' einen Ansatz zu einer Soziologie des abweichenden Verhaltens. Das Problem der Armut stellt sich auch im Labeling-Ansatz von Fritz Sack insofern er Kriminalität als negatives Gut konzipiert, welches ebenso wie Privilegien ein Produkt gesellschaftlicher Auseinandersetzungen ist. Kriminalität korreliert nach Sack besonders hoch mit der Schichtzugehörigkeit und der Zerrüttung einer Familie. Sack beschreibt, dass zwar 80-90 Prozent der Mitglieder der Gesellschaft schon etwas getan haben, das ein Gesetz unter Strafe stellt, aber nur ein kleiner Prozentsatz dieser Handlungen tatsächlich in die staatliche Sanktionsmühle gerät. Er beschreibt also einen Prozess des Herausfilterns, einen Selektionsprozess, wonach besonders Individuen aus den unteren Schichten in zerrütteten Familien mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu rechnen haben, in die Mühlen der staatlichen Sanktionsinstanzen zu geraten und letztlich als kriminell definiert zu werden. Insofern sind also besonders die genannten Individuen der Unterschicht von der Zuschreibung „kriminell“ betroffen (vgl. Sack, 1968, S. 463 ff.).
Fritz Sack skizziert in ''Neue Perspektiven in der Kriminologie'' einen Ansatz zu einer Soziologie des abweichenden Verhaltens. Das Problem der Armut stellt sich auch im Labeling-Ansatz von Sack insofern er Kriminalität als negatives Gut konzipiert, welches ebenso wie Privilegien ein Produkt gesellschaftlicher Auseinandersetzungen ist. Kriminalität korreliert nach Sack besonders hoch mit der Schichtzugehörigkeit und der Zerrüttung einer Familie. Sack beschreibt, dass zwar 80-90 Prozent der Mitglieder der Gesellschaft schon etwas getan haben, das ein Gesetz unter Strafe stellt, aber nur ein kleiner Prozentsatz dieser Handlungen tatsächlich in die staatliche Sanktionsmühle gerät. Er beschreibt also einen Prozess des Herausfilterns, einen Selektionsprozess, wonach besonders Individuen aus den unteren Schichten in zerrütteten Familien mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu rechnen haben, in die Mühlen der staatlichen Sanktionsinstanzen zu geraten und letztlich als kriminell definiert zu werden. Insofern sind also besonders die genannten Individuen der Unterschicht von der Zuschreibung „kriminell“ betroffen (vgl. Sack 1968, S. 463 ff.).


====Räumlicher Ansatz nach Häussermann und Kronauer====
====Räumlicher Ansatz nach Häussermann und Kronauer====
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Einkommensverteilung sowie einer Zunahme von Armut. Betroffene Menschen müssen aufgrund des Verlustes des Arbeitsplatzes und der damit einhergehenden Verschlechterung ihrer monetären Ressourcen ihre bisherige Wohnung aufgeben und in andere, niedere Quartiere ausweichen. Armut hat den Autoren zufolge soziale und kulturelle Folgen, die in Ausgrenzung und Exklusion münden. Um eine solche Situation meistern zu können, spielt es demnach eine Rolle, in welchen räumlichen Zusammenhängen die Menschen leben, die in Armut geraten sind. Die Nachbarschaft, das Quartier, stellt einen Raum dar, der soziale und materielle Ressourcen bereitstellt oder den Zugang dazu erschwert oder verhindert. Das Wohnen in einem Quartier, in dem sich benachteiligte Haushalte konzentrieren kann Armut verstärken und Ausgrenzungstendenzen unterstützen (vgl. Häussermann/Kronauer 2009, S. 113).   
Einkommensverteilung sowie einer Zunahme von Armut. Betroffene Menschen müssen aufgrund des Verlustes des Arbeitsplatzes und der damit einhergehenden Verschlechterung ihrer monetären Ressourcen ihre bisherige Wohnung aufgeben und in andere, niedere Quartiere ausweichen. Armut hat den Autoren zufolge soziale und kulturelle Folgen, die in Ausgrenzung und Exklusion münden. Um eine solche Situation meistern zu können, spielt es demnach eine Rolle, in welchen räumlichen Zusammenhängen die Menschen leben, die in Armut geraten sind. Die Nachbarschaft, das Quartier, stellt einen Raum dar, der soziale und materielle Ressourcen bereitstellt oder den Zugang dazu erschwert oder verhindert. Das Wohnen in einem Quartier, in dem sich benachteiligte Haushalte konzentrieren kann Armut verstärken und Ausgrenzungstendenzen unterstützen (vgl. Häussermann/Kronauer 2009, S. 113).   


Effekte eines Quartiers können demnach in drei Dimensionen gruppiert werden (vgl. Häussermann/Kronauer 2009, S. 121).
Effekte eines Quartiers können demnach in ''drei Dimensionen'' gruppiert werden (vgl. Häussermann/Kronauer 2009, S. 121).  
 
Das ''soziale Milieu'' wird von Modernisierungsverlierern, sozial Auffälligen und sozial Diskriminierten geprägt. Es entsteht demnach eine Dominanz abweichender Normen, die als Anpassungsdruck wirkt und zu einer dominanten Kultur abweichenden Verhaltens führt. Kinder und Jugendliche erlernen abweichendes Verhalten als normal, da ihnen wirklich normale Rollenmodelle fehlen (Theorie des sozialen Lernens). Erwachsene werden ebenfalls negativ beeinflusst. Ihre Kontakte konzentrieren sich auf das Quartier, welches sie selten verlassen. Kontakte zu Angehörigen integrierter Gruppen werden abgebaut, sodass die Qualität der Kontaktnetze schwindet (Netzwerktheorie) (vgl. ebd. 2009, S. 122 f.).
 
''Materiell'' wird das Quartier benachteiligt durch eine Reduktion von Investitionen in die Infrastruktur sowie die Reduktion von Angeboten an Waren und Dienstleistungen, sodass insgesamt nur eine geringe Vielfalt von Einrichtungen für Konsum, Unterhaltung und Freizeit im Quartier besteht. Es entsteht schließlich ein Eindruck von Ärmlichkeit, der Vermüllung und Verwahrlosung der öffentlichen Räume (vgl. ebd. 2009, S. 125).


''Symbolisch'' werden die Bewohner dieser Quartiere von außen stigmatisiert, was mit einer inneren Abwertung einhergeht. So wird die Bausubstanz vernachlässigt oder die Bewohner dieser Quartiere werden bei der Suche nach Ausbildungs- oder Arbeitsplätzen benachteiligt. Der Selbstwert der Bewohner sinkt entsprechend im Zeitverlauf (vgl. ebd. 2009, S. 126).
Das ''soziale Milieu'' wird von Modernisierungsverlierern, sozial Auffälligen und sozial Diskriminierten geprägt. Es entsteht demnach eine Dominanz abweichender Normen, die als Anpassungsdruck wirkt und zu einer dominanten Kultur abweichenden Verhaltens führt. Kinder und Jugendliche erlernen abweichendes Verhalten als normal, da ihnen wirklich normale Rollenmodelle fehlen (Theorie des sozialen Lernens). Erwachsene werden ebenfalls negativ beeinflusst. Ihre Kontakte konzentrieren sich auf das Quartier, welches sie selten verlassen. Kontakte zu Angehörigen integrierter Gruppen werden abgebaut, sodass die Qualität der Kontaktnetze schwindet (Netzwerktheorie) (vgl. Häussermann/Kronauer 2009, S. 122 f.).
''Materiell'' wird das Quartier benachteiligt durch eine Reduktion von Investitionen in die Infrastruktur sowie die Reduktion von Angeboten an Waren und Dienstleistungen, sodass insgesamt nur eine geringe Vielfalt von Einrichtungen für Konsum, Unterhaltung und Freizeit im Quartier besteht. Es entsteht schließlich ein Eindruck von Ärmlichkeit, der Vermüllung und Verwahrlosung der öffentlichen Räume.
''Symbolisch'' werden die Bewohner dieser Quartiere von außen stigmatisiert, was mit einer inneren Abwertung einhergeht. So wird die Bausubstanz vernachlässigt oder die Bewohner dieser Quartiere werden bei der Suche nach Ausbildungs- oder Arbeitsplätzen benachteiligt. Der Selbstwert der Bewohner sinkt entsprechend im Zeitverlauf (vgl. Häussermann/Kronauer 2009, S. 125 f.).


==Armut und Kriminalpolitik==
==Armut und Kriminalpolitik==
Der „moderne“ Wohlfahrtsstaat der 1960er und frühen 1970er Jahre und seine Kriminalpolitik war geprägt von „zivilisierten“ und „rationalen“ Strafpraktiken. Der Täter hatte einen Anspruch auf Rehabilitation und Reintegration. Er wurde in der Einsperrung human behandelt. Strafen dienten dem Schutz der Gesellschaft und dem Zweck der Besserung des Täters. Reaktive Formen staatlichen Eingreifens waren proaktiven Formen vorzuziehen. Dieses sozial-liberale kriminalpolitische Paradigma wurde seit Mitte der 1970er Jahre mehr und mehr infrage gestellt. Eine „postmoderne“ Zäsur folgte, vom Resozialisierungsmodell wurde zumindest teilweise abgerückt. Besserung wird demnach nicht länger als eine Frage der Fürsorge betrachtet, sondern vielmehr als eine Therapie der Härte. Marktorientierte neoliberale und expressive neokonservative Elemente fanden Berücksichtigung in der Strafpolitik. Insbesondere finden sich in den westeuropäischen Gefängnissen überproportional viele schwer oder nicht in den Arbeitsmarkt integrierbare Bevölkerungsgruppen, was  als Folge eines flexibilisierten Arbeitsmarktes und einer faktischen Politik der Bestrafung von Armut lesbar ist. Systematische Formen der Exklusion von „Überflüssigen“ setzten sich fort in Konzepten der räumlichen Segregation (vgl. Krasmann 2003, S.  53 ff.).
Der „moderne“ Wohlfahrtsstaat der 1960er und frühen 1970er Jahre und seine Kriminalpolitik war geprägt von „zivilisierten“ und „rationalen“ Strafpraktiken. Der Rechtsbrecher hatte einen Anspruch auf Rehabilitation und Reintegration. Er wurde in der Einsperrung human behandelt. Strafen dienten dem Schutz der Gesellschaft und dem Zweck der Besserung des Täters. Reaktive Formen staatlichen Eingreifens waren proaktiven Formen vorzuziehen. Dieses sozial-liberale kriminalpolitische Paradigma wurde seit Mitte der 1970er Jahre mehr und mehr infrage gestellt. Eine „postmoderne“ Zäsur folgte, vom Resozialisierungsmodell wurde zumindest teilweise abgerückt. Besserung wird demnach nicht länger als eine Frage der Fürsorge betrachtet, sondern vielmehr als eine Therapie der Härte. Marktorientierte neoliberale und expressive neokonservative Elemente fanden Berücksichtigung in der Strafpolitik. Insbesondere finden sich in den westeuropäischen Gefängnissen überproportional viele schwer oder nicht in den Arbeitsmarkt integrierbare Bevölkerungsgruppen, was  als Folge eines flexibilisierten Arbeitsmarktes und einer faktischen Politik der Bestrafung von Armut lesbar ist. Systematische Formen der Exklusion von „Überflüssigen“ setzten sich fort in Konzepten der räumlichen Segregation (vgl. Krasmann 2003, S.  53 ff.).


Wacquant beschreibt in ''Bestrafen der Armen'' einen marktorientierten neoliberalen Staat in dem die zentrale Rolle der Wohlfahrt bei der Regulierung der marginalen Lohnarbeit und der Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung in den Niederungen des sozialen Raumes durch den energischen Einsatz von Polizei, Gericht und Gefängnis ersetzt und gebührend ergänzt wird. Der einfachen Beaufsichtigung der Armen durch den Wohlfahrtsstaat folgt demnach die doppelte Regulierung der Armut durch die konzentrierte Aktion der straforientierten „workfare“ und eine beflissene und angriffslustige Strafverfolgungsbürokratie (vgl. Wacquant 2009, S. 294).
Wacquant beschreibt in ''Bestrafen der Armen'' einen marktorientierten neoliberalen Staat in dem die zentrale Rolle der Wohlfahrt bei der Regulierung der marginalen Lohnarbeit und der Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung in den Niederungen des sozialen Raumes durch den energischen Einsatz von Polizei, Gericht und Gefängnis ersetzt und gebührend ergänzt wird. Der einfachen Beaufsichtigung der Armen durch den Wohlfahrtsstaat folgt demnach die doppelte Regulierung der Armut durch die konzentrierte Aktion der straforientierten „workfare“ und eine beflissene und angriffslustige Strafverfolgungsbürokratie (vgl. Wacquant 2009, S. 294).


==Literatur==
==Literatur==
* Albrecht, Hans-Jörg (2011): Bestrafung der Armen. Zu Zusammenhängen zwischen Armut, Kriminalität und Strafrechtsstaat, in: Dollinger, B./Schmidt-Semisch, H. (Hrsg.), Gerechte Ausgrenzung?, Wiesbaden, S. 111-129.
* Albrecht, Hans-Jörg (2011): Bestrafung der Armen. Zu Zusammenhängen zwischen Armut, Kriminalität und Strafrechtsstaat, in: Dollinger, Bernd/Schmidt-Semisch, Henning (Hrsg.), Gerechte Ausgrenzung?, Wiesbaden, S. 111-129.


* Burzan, Nicole (2011): Soziale Ungleichheit. Eine Einführung in die zentralen Theorien, 4. Auflage, Wiesbaden.
* Burzan, Nicole (2011): Soziale Ungleichheit. Eine Einführung in die zentralen Theorien, 4. Auflage, Wiesbaden.