Anzeigeverhalten

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Definitionen

```Anzeigeverhalten´´´ als Begriff aus dem Diensthundewesen Anzeigeverhalten ist die Reaktion, die ein Hund ausführt, um anzuzeigen, wo sich ein versteckter Gegenstand befindet. Die Suche von Gegenständen oder Personen mittels Diensthunden ist Bestandteil polizeilicher Arbeit (Personen-, Drogen-, Sprengstoff-, Leichensuche etc.).

```Anzeigeverhalten´´´ als Teilbereich der Viktimologie Anzeigeverhalten ist die Bereitschaft, eine selbst erlittene oder beobachtete Viktimisierung der Polizei oder Staatsanwaltschaft zu melden und resultiert aus dem Zusammenwirken unterschiedlicher Variablen. Es hat eine zentrale Bedeutung im Viktimisierungsprozess und ist abhängig von den

  • gesellschaftlichen Rahmenbedingungen,
  • Eigenschaften und Einstellungen des Opfers,
  • Eigenschaften und Umständen der Deliktsituation sowie
  • Eigenschaften des Täters.

Das Anzeigeverhalten der Bevölkerung ist einer der Einflussfaktoren auf die Entwicklung der PKS-Zahlen und damit entscheidend für die Hell-Dunkelfeldrelation. Erkenntnisse zum Anzeigeverhalten werden aus Statistiken, Studien und Opferbefragungen gewonnen. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf dieses Verständnis von Anzeigeverhalten.

Anzeigen einer Straftat – Strafanzeige

Jeder Bürger kann einen Sachverhalt, der seiner Einschätzung nach einen Straftatbestand erfüllt mündlich oder schriftlich (auch anonym) an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden (Polizei, Staatsanwaltschaft) melden. Die Polizei ist verpflichtet jeder Anzeige nachzugehen (§ 163 StPO). Anzeigepflicht besteht in Deutschland lediglich für Beamte der Strafverfolgungsbehörden. Ausnahme ist die Planung bestimmter Straftaten (§138 StGB), die von jedem angezeigt werden muss.

Anzeigen sind mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen der anzeigenden Opfer verbunden. Da es sich bei den meisten der angezeigten Straftaten um Eigentumsdelikte handelt, steht bei den wenigsten Opfern der Wunsch nach Bestrafung des Täters, sondern vielmehr die Wiedergutmachung im Vordergrund.

Die überwiegende Mehrheit aller Anzeigen erfolgt auf Initiative des Opfers oder Personen, die die Opferinteressen wahrnehmen. Zu Anzeigen durch die Polizei selbst oder Dritte kommt es kaum. Zeugen nehmen nicht nur erheblich weniger Delikte wahr als direkt Betroffene, sondern neigen auch dazu, ihre Beobachtungen seltener der Polizei mitzuteilen.

Damit ist das Opfer die bedeutendste Determinante im Anzeigeverhalten. Ausnahme: opferlose Delikte, wie BtMG-Verstöße.

Determinanten des Anzeigeverhaltens

  • Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Das Anzeigeverhalten basiert auf den gesellschaftlich akzeptierten und gelebten Vorstellungen von Recht und Unrecht. Strafrechtsnormen, polizeiliche Kontrolle und Verfolgungsintensität sowie die Medienpräsenz bedingen das Anzeigeverhalten und den individuellen Umgang mit delinquenten Verhaltensweisen. Aufgrund von (sub)kulturellen Differenzen kann es zu Fehlinterpretationen von Situationen und Verhaltensweisen kommen, wenn sich schicht- oder gruppenspezifische Definitionen von Eigentum und Situationen unterscheiden.

Weitere Kategorien, die das Anzeigeverhalten beeinflussen und ihre bedeutendsten Variablen im Überblick:

  • Eigenschaften und Einstellungen des Opfers

Das Opfer ist die bedeutendste Determinante im Anzeigeverhalten. Es entscheidet, ob eine Straftat angezeigt wird oder nicht. Opfervariablen, die die Anzeigewahrscheinlichkeit maßgeblich bestimmen sind:

  • Alter des Opfers
  • Geschlecht des Opfers
  • Ethnie des Opfers
  • Sozioökonomischer Status des Opfers
  • Einstellungen und Erfahrungen des Opfers
  • Eigenschaften und Umstände der Deliktsituation

Unterschiedliche Delikte weisen unterschiedliche Anzeigequoten auf. Diese Variablen haben einen Einfluss auf die Höhe der Anzeigerate:

  • Deliktart
  • Deliktschwere
  • Ort der Tat
  • Zeit der Tat
  • Anzahl der Täter
  • Zeugen
  • Institutionelle und rechtliche Rahmenbedingungen

Tätermerkmale haben einen Einfluss auf die Bewertung der Situation durch das Opfer und dessen Umgang mit dem Viktimisierungserlebnis. Tätereigenschaften, die sich auf die Anzeigeneigung auswirken sind:

  • Alter des Täters
  • Geschlecht des Täters
  • Ethnie des Täters
  • Sozialprestige des Täters
  • Delinquente Vorbelastung des Täters

Die Opfer-Täter-Beziehung wird durch Aspekte wie Art des Kontakts (beruflich oder privat), Intensität und Dauer der Beziehung bestimmt. Diesbezüglich wird die Anzeigerate vor allem durch den Bekanntheitsgrad zwischen Täter und Opfer bestimmt.

  • Regionale Unterschiede

Variablen die in diesen Zusammenhang eine Rolle spielen können sind:

  • Stadt-Land-Gefälle
  • Intraurbane Unterschiede

Alternativen zur Anzeigeerstattung

Bis zu einem gewissen Ausmaß kann schädigendes Verhalten ignoriert, bagatellisiert oder auch selber sanktioniert werden, wobei das Opfer in seinem sozialen Umfeld Unterstützung finden kann.

Als Alternativen zur Anzeigenerstattung hat das Opfer zwei Optionen:

  • Der Konflikt wird nicht ausgetragen.

Das Opfer kann resignieren, den Konflikt umdefinieren, ihn bagatellisieren oder den Konfliktgegner meiden.

oder

  • Der Konflikt wird zwischen Täter und Opfer ausgetragen.

Dabei kann das Opfer zur Selbsthilfe greifen oder eine informelle Konfliktregelung mit dem Täter erreichen (häufig mittels Vertrauenspersonen aus dem sozialen Nahraum des Opfers).

Motive für das Unterlassen einer Anzeige

Gründe für das Unterlassen einer Anzeige sind:

  • geringe Schadenshöhe,
  • vermutete Aussichtslosigkeit,
  • mangelndes Vertrauen in Polizei und Justiz,
  • Rücksichtnahme auf den Täter,
  • eine sich aufbauende oder vorhandene Beziehung zum Täter (privat oder beruflich),
  • Angst vor dem Täter,
  • Scham,
  • eigene Verstrickung in die Tat,
  • informelle Einigung
  • oder auch, dass sich das Opfer nicht geschädigt fühlt.

Theoretische Ansätze zur Erklärung des Anzeigeverhaltens

Sozialpsychologische Erklärungsansätze“ sind unter anderem:

  • dreistufiges sozialpsychologisches Modell (Definition, Bewertung, Entscheidung) von Ruback u.a. (1984);
  • Theorie einer rationalen Verlustminimierung (Kidd & Chayet, 1984);
  • Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger, 1957);

Soziologische Theorien“, die das Auftreten unterschiedlich hoher Anzeigequoten (Hell-Dunkelfeldrelation) erklären, sind unter anderem:

  • Theorie sozialer Konflikte (u.a Warner, 1989; Mansel, 2001)
  • Theorie der Sozialen Variation von formeller Sozialkontrolle (Black, 1976)
  • Theorie sozialer Desorganisation (Warner, 1989; Bursik & Grasmik, 1993)

Literatur

  • Köllisch, T.: „Vom Dunkelfeld ins Hellfeld. Anzeigeverhalten und Polizeikontakte bei Jugenddelinquenz“. Freiburg (Breisgau) 2004
  • Stephan, E.: „Die Stuttgarter Opferbefragung“. Wiesbaden 1976
  • Kropp, C,.: „Viktimologie – Die Lehre vom Opfer“. JuS, 45. Jg., 2005
  • Schneider, H.-J.: „Einführung in die Kriminologie“, 3.Aufl. 1993
  • Kiefl, W./ Lamnek, S.: „Soziologie des Opfers. Theorie, Methoden und Empirie der Viktimologie“. München 1986.