Abschaffung der Gefängnisse: Unterschied zwischen den Versionen

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Rund drei Jahrzehnt ist es her, dass Gilles Deleuze erklärte: "Wir befinden uns in einer allgemeinen Krise aller Einschließungsmilieus" - und damit natürlich auch in einer Krise des Gefängnisses, des Einschließungsmilieus "schlechthin". Eine Reform nach der anderen werde für notwendig erklärt: "Aber jeder weiß, daß diese Institutionen über kurz oder lang am Ende sind. Es handelt sich nur noch darum, ihre Agonie zu verwalten und die Leute zu beschäftigen, bis die neuen Kräfte, die schon an die Türe klopfen, ihren Platz eingenommen haben." Die Kontrollgesellschaften, so Deleuze (1990), seien schon längst dabei, die Disziplinargesellschaften abzulösen.


::Wir befinden uns in einer allgemeinen Krise aller Einschließungsmilieus (...). Eine Reform nach der anderen wird (...) für notwendig erklärt (...). Aber jeder weiß, daß diese Institutionen über kurz oder lang am Ende sind. Es handelt sich nur noch darum, ihre Agonie zu verwalten und die Leute zu beschäftigen, bis die neuen Kräfte, die schon an die Türe klopfen, ihren Platz eingenommen haben. Die Kontrollgesellschaften sind dabei, die Disziplinargesellschaften abzulösen.
Nun steht zwar die ''Überwindung der Mauern'' (Mathiesen 1979, Lindenberg 1992) weder für heute noch für morgen auf der To-Do-Liste fortschrittlicher Bewegungen (oder gar der kritischen Kriminologie). Auch ''vom Ende des Strafvollzugs'' (Schumann et al. 1988) ist aktuell noch wenig zu bemerken. Doch wenn nicht alles täuscht, dann werden zumindest im Ausland inzwischen die Möglichkeit und Dringlichkeit der Abschaffung des Gefängnisses wieder verstärkt thematisiert - etwa in den USA (Davis 2003) und Mexiko (Gómez Jaramillo 2008), aber auch in Italien (Ferrari 2015, Pavarini & Ferrari 2018), Frankreich (Onfray et al. 2014), Großbritannien (Scott 2012, 2018) und Brasilien (Genelhú 2018). Das ist alles andere als belanglos.  


::::Gilles Deleuze, Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. L'autre journal, Nr. I, Mai 1990.
Allein schon die radikale Infragestellung von Idee und Praxis der Freiheitsstrafe markiert einen gedanklichen Horizont von größter Bedeutung. Wo immer wir es mit rechtlich fundierten repressiven Zwangsverhältnissen zu tun haben - ob bei der Sklaverei, der Leibeigenschaft, der Entrechtung von Minderheiten oder im Bereich staatlichen Strafens - ist das alltagstranszendierende Denken, ist die abolitionistische Vorstellungskraft, ist die Pflege der abolitionistischen Phantasie eine notwendige Vorbedingung für deren Überwindung in der Realität. Nur wer es vermag, von der Arbeitshypothese der Illegitimität, der Überwindungsbedürftigkeit und der Abschaffbarkeit repressiver Verhältnisse auszugehen, wird überhaupt in der Lage sein, sich dem Anschein der Natürlichkeit und Unabänderlichkeit solcher Institutionen und damit auch der Indienstnahme durch diese zu entziehen. Mehr noch: das ''primum movens'' aller gesellschaftlichen Veränderung ist immer noch der Mensch: allein und in Gruppen, Koalitionen und Bewegungen. Sie alle können aber nur auf der Grundlage entweder von Gehorsam gegenüber Autoritäten oder von Glaubenssystemen agieren - von Überzeugungen darüber, wo ihre Interessen liegen, aber auch von Überzeugungen in Bezug auf die Beschaffenheit der Gesellschaft, in der sie leben möchten.


Das Gefängnis ist das Einschließungsmilieu schlechthin. Die ''Überwindung der Mauern'' (Mathiesen 1979, Lindenberg 1992) steht zwar weder für heute noch für morgen auf der To-Do-Liste der kritischen Kriminologie. Auch ''vom Ende des Strafvollzugs'' (Schumann et al. 1988) ist wenig zu bemerken. Doch immerhin tut sich etwas in der Literatur: Möglichkeit und Dringlichkeit seiner Abschaffung werden mittlerweile wieder verstärkt thematisiert - in den USA (Davis 2003) und Mexiko (Gómez Jaramillo 2008), aber auch in Italien (Ferrari 2015, Pavarini & Ferrari 2018), Frankreich (Onfray et al. 2014), Großbritannien (Scott 2012, 2018) und Brasilien (Genelhú 2018). Das ist alles andere als belanglos.  
Die Geschichte der abolitionistischen Kämpfe ist reich an Beispielen für das politische Potential transzendierend-antizipierenden Denkens. Zu einer Zeit, in der die Sklaverei noch als unabschaffbar und Abolitionisten als Spinner galten, war es - um nur einen Fall zu nennen - die beharrliche Dekonstruktion der die Sklaverei rechtfertigenden Diskurse durch Thomas Clarkson (dessen lateinische Dissertation in Cambridge einen Preis gewann), die ihm überhaupt erst die Energie und Überzeugungskraft verlieh, Mitstreiter zu gewinnen und sein Leben in den Dienst jener zunächst so utopisch erscheinenden Forderung nach dem Ende der Sklaverei zu stellen - und dieser Sache damit national wie international eine Überzeugungskraft zu verleihen, die gegen größte Widerstände und nach zahlreichen vergeblichen Anläufen zu dem zunächst noch fast undenkbar erscheinenden Erfolg führen sollte (Hochschild 2007).  


Denn allein schon die radikale Infragestellung von Idee und Praxis der Freiheitsstrafe markiert einen gedanklichen Horizont von größter Bedeutung. Wo immer wir es mit rechtlich fundierten repressiven Zwangsverhältnissen zu tun haben - ob bei der Sklaverei, der Leibeigenschaft, der Entrechtung von Minderheiten oder im Bereich staatlichen Strafens - ist das alltagstranszendierende Denken, ist die abolitionistische Vorstellungskraft, die Pflege der abolitionistischen Phantasie, ''condition sine qua non'' für deren Überwindung. Nur wer abolitionistisch zu denken sich traut, d.h., wer es vermag, von der Arbeitshypothese der Illegitimität, der Überwindungsbedürftigkeit und der Abschaffbarkeit repressiver Verhältnisse auszugehen, wird überhaupt in der Lage sein, sich dem Anschein der Natürlichkeit und Unabänderlichkeit solcher Institutionen und damit auch der Indienstnahme durch diese zu entziehen. Mehr noch: das ''primum movens'' aller gesellschaftlichen Veränderung ist immer noch der Mensch, sind Gruppen, Koalitionen und Bewegungen. Sie alle können aber nur auf der Grundlage entweder von Gehorsam gegenüber Autoritäten oder von Glaubenssystemen agieren - von Überzeugungen darüber, wo ihre Interessen liegen, aber auch von Überzeugungen in Bezug auf die Beschaffenheit der Gesellschaft, in der sie leben möchten. Die Geschichte der abolitionistischen Kämpfe ist reich an Beispielen für das politische Potential eines solchen transzendierenden und antizipierenden Denkens. Zu einer Zeit, in der die Sklaverei noch als unabschaffbar und Abolitionisten als Spinner galten, war es - um nur einen Fall zu nennen - die beharrliche Dekonstruktion der die Sklaverei rechtfertigenden Diskurse durch Thomas Clarkson (dessen lateinische Dissertation in Cambridge einen Preis gewann), die ihm überhaupt erst die Energie und Überzeugungskraft verlieh, Mitstreiter zu gewinnen und sein Leben in den Dienst jener zunächst so utopisch erscheinenden Forderung nach dem Ende der Sklaverei zu stellen - und dieser Sache damit national wie international eine Überzeugungskraft zu verleihen, die gegen größte Widerstände und nach zahlreichen vergeblichen Anläufen dann doch zum Erfolg führte (Hochschild 2007).
Aus der Geschichte des Kampfes gegen den transatlantischen Sklavenhandel lässt sich für unser Thema vor allem eines lernen: Repressive Institutionen können so obsolet sein wie sie wollen - von alleine werden sie nie weichen. Dazu bedarf es zunächst und vor allem der Dekonstruktion ihrer legitimierenden Narrative. Im Fall des Strafvollzugs sind das die Geschichten vom quantitativen und qualitativen Erfolg der Institution. Und vom Strafvollzug als notwendigem Übel. Auf den ersten Blick sind alle drei nicht leicht zu widerlegen. Denn es stimmt ja: der moderne Strafvollzug (d.h. die um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert religiös-humanistisch begründete und auf die Besserung der Gefangenen abzielende Sanktionsform) war und ist ein gigantischer organisatorischer Erfolg: was um 1795 mit einigen wenigen Zellen in Philadelphia (USA) begann, ist heute ein weltumspannendes Gefängnissystem mit über zehn Millionen Insassen an jedem beliebigen Tag des Jahres. Kein Wunder, möchte man denken, dass die weltweite Nachfrage nach Gefängnisplätzen zu immer größeren Neubauprogrammen führt und dass der Staat sich mancherorts inzwischen auch der zusätzlichen Unterstützung durch private Gefängnis-Unternehmen zu versichern sucht. In qualitativer Hinsicht präsentiert sich der Strafvollzug als ein lernfähiges System mit einer tadellosen Humanisierungsgeschichte: immerhin erkannte man den Irrtum, der in der anfänglichen Hoffnung auf Besserung durch strenge Einzelhaft lag, immerhin kam dann das auburnsche System, das irische Progressivsystem und der Einzug des Behandlungsgedankens und der Resozialisierung bis hin zu sozialtherapeutischen Abteilungen und Anstalten, halboffenen und offenen Formen des Vollzugs. Was will man mehr? Von Unmenschlichkeit keine Spur. Und worin, bitte schön, sollte denn die Alternative zum Gefängnis bestehen? 


Wie ist es nun um die Freiheitsstrafe bestellt? Wie steht es um die Argumente, die sich gegen sie auffahren lassen? Wie steht es um die Chance ihrer Abschaffung? Und vor allem: müsste man sich nicht jetzt schon überlegen, was an ihre Stelle treten könnte/sollte? Was sagt die kritische Kriminologie? Was könnte, was müsste sie sagen?
Einerseits weist die moderne Freiheitsstrafe - also die um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert religiös-humanistisch begründete und auf die Besserung der Gefangenen abzielende Sanktionsform - alle Elemente einer großen Erfolgsgeschichte auf. In quantitativer Hinsicht sowieso. Denn was um 1795 mit einigen wenigen Zellen in Philadelphia (USA) begann, hat sich über die ganze Welt verbreitet und umfasst heute an jedem beliebigen Tag des Jahres mehr als zehn Millionen Menschen. Aber auch in qualitativer Hinsicht. Denn allem Anschein nach haben wir es hier ja mit einem durch kontinuierliche Evaluationen und Reformanstrengungen lernenden System zu tun, das sich von der irrigen Hoffnung auf Besserung durch strenge Einzelhaft zu befreien und in großen Schritten bis zum modernen Resozialisierungs-Vollzug mit seinen vielen Lockerungen und Eingliederungshilfen zu entwickeln wusste. Kein Wunder, möchte man denken, dass die weltweite Nachfrage nach Gefängnisplätzen zu immer größeren Neubauprogrammen führt und dass der Staat sich mancherorts inzwischen auch der zusätzlichen Unterstützung durch private Gefängnis-Unternehmen zu versichern sucht.


Andererseits muss der Blick auf die globale Realität des Strafvollzugs ernüchtern. Denn im Weltmaßstab spielen die Gefängnisse in Europa und Australien eine untergeordnete, diejenigen in Afrika, Asien und den Amerikas hingegen die entscheidende Rolle, weil sie es sind, in denen sich die überwältigende Mehrheit der Gefangenen befindet. Es ist das Ensemble der afrikanischen, asiatischen und amerikanischen Gefängnisse, das das Bild, die Realität und das Wesen des Strafvollzugs der Gegenwart ausmacht. Und dort sieht alles anders aus. Vor allem passt dort das Schema von Fortschritt und Humanisierung nicht. Eher schon scheint sich alles in einem Teufelskreis zu bewegen, wenn nicht sogar in zwei. Erstens ist man da wieder dort angelangt, wo John Howard einst begann: bei der Massenverwahrung ohne Sinn und Verstand, ohne Anspruch auf Resozialisierung und ohne Empathie. Gestank, Misshandlung, Enge und Gewalt, die der Beschreibung spotten - in Afrika und Asien, in Lateinamerika und auf eigene Art auch in der ''mass incarceration'' in den USA. Hier schließt sich der Kreis von der Skandalisierung der bloßen Verwahrung im späten 18. Jahrhundert über das ''rehabilitative ideal'' und dessen Niedergang (Allen 1981) zurück zur kümmerungsbefreiten Massenverwahrung. Zweitens schließt sich aber auch der Kreis der Einzelhaft: das ''solitary system''####, Wir sind aber nicht nur wieder dort, wo alles begann, sondern selbst die Geschichte der zunehmenden Liberalisierung des pennsylvanischen Vollzugs wird hier brutal entmystifiziert. Sowohl in den Kerkern Afrikas und Asiens als auch im ultratechnizistischen Strafvollzug der USA ist seit einigen Jahrzehnten zu bemerken, wie sich auch hier der Kreis zu schließen beginnt. Wer in armen Ländern das Pech hat, überhaupt noch als Individuum wahrgenommen zu werden, den erwarten nur allzu häufig Extraqualen wie im Black Beach Gefängnis von Äquatorialguinea im südsaharischen Afrika - systematische Folter und die Versagung von Körperhygiene und ärztlicher Hilfe, ununterbrochener angeketteter Zellenaufenthalt und Unterversorgung mit Nahrung bis zum Verhungern (einige der Gefangenen sitzen dort ein, weil sie 2004 an einem Putschversuch gegen Präsidenten des Landes, einen ehemaligen Leiter genau dieser Anstalt, beteiligt waren). Und wer in den USA nicht als Nummer in der Massenverwahrung landet, den erwartet die Heimsuchung der Isolationsfolter in Supermax Prisons und den sogenannten CMUs, den Communication Management Units. Da ist sie wieder: die Einzelhaft pur und grausam, nur diesmal ohne die gutwillige Naivität ihrer damaligen Erfinder - diesmal auch als Folter gemeint.
Andererseits muss der Blick auf die globale Realität des Strafvollzugs ernüchtern. Denn im Weltmaßstab spielen die Gefängnisse in Europa und Australien eine untergeordnete, diejenigen in Afrika, Asien und den Amerikas hingegen die entscheidende Rolle, weil sie es sind, in denen sich die überwältigende Mehrheit der Gefangenen befindet. Es ist das Ensemble der afrikanischen, asiatischen und amerikanischen Gefängnisse, das das Bild, die Realität und das Wesen des Strafvollzugs der Gegenwart ausmacht. Und dort sieht alles anders aus. Vor allem passt dort das Schema von Fortschritt und Humanisierung nicht. Eher schon scheint sich alles in einem Teufelskreis zu bewegen, wenn nicht sogar in zwei. Erstens ist man da wieder dort angelangt, wo John Howard einst begann: bei der Massenverwahrung ohne Sinn und Verstand, ohne Anspruch auf Resozialisierung und ohne Empathie. Gestank, Misshandlung, Enge und Gewalt, die der Beschreibung spotten - in Afrika und Asien, in Lateinamerika und auf eigene Art auch in der ''mass incarceration'' in den USA. Hier schließt sich der Kreis von der Skandalisierung der bloßen Verwahrung im späten 18. Jahrhundert über das ''rehabilitative ideal'' und dessen Niedergang (Allen 1981) zurück zur kümmerungsbefreiten Massenverwahrung. Zweitens schließt sich aber auch der Kreis der Einzelhaft: das ''solitary system''####, Wir sind aber nicht nur wieder dort, wo alles begann, sondern selbst die Geschichte der zunehmenden Liberalisierung des pennsylvanischen Vollzugs wird hier brutal entmystifiziert. Sowohl in den Kerkern Afrikas und Asiens als auch im ultratechnizistischen Strafvollzug der USA ist seit einigen Jahrzehnten zu bemerken, wie sich auch hier der Kreis zu schließen beginnt. Wer in armen Ländern das Pech hat, überhaupt noch als Individuum wahrgenommen zu werden, den erwarten nur allzu häufig Extraqualen wie im Black Beach Gefängnis von Äquatorialguinea im südsaharischen Afrika - systematische Folter und die Versagung von Körperhygiene und ärztlicher Hilfe, ununterbrochener angeketteter Zellenaufenthalt und Unterversorgung mit Nahrung bis zum Verhungern (einige der Gefangenen sitzen dort ein, weil sie 2004 an einem Putschversuch gegen Präsidenten des Landes, einen ehemaligen Leiter genau dieser Anstalt, beteiligt waren). Und wer in den USA nicht als Nummer in der Massenverwahrung landet, den erwartet die Heimsuchung der Isolationsfolter in Supermax Prisons und den sogenannten CMUs, den Communication Management Units. Da ist sie wieder: die Einzelhaft pur und grausam, nur diesmal ohne die gutwillige Naivität ihrer damaligen Erfinder - diesmal auch als Folter gemeint.
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*Allen, Francis A. (1981) The Decline of the Rehabilitative Ideal: Penal Policy and Social Purpose. New Haven: Yale University Press
*Allen, Francis A. (1981) The Decline of the Rehabilitative Ideal: Penal Policy and Social Purpose. New Haven: Yale University Press
*Davis, Angela Y. Are Prisons Obsolete?
*Davis, Angela Y. Are Prisons Obsolete?
*Deleuze, Gilles (1990) Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. L'autre journal, Nr. I, Mai.
*Gómez Jaramillo, Alejandro (2008) Un mundo sin cárceles es posible. México: Ediciones Coyoacán
*Gómez Jaramillo, Alejandro (2008) Un mundo sin cárceles es posible. México: Ediciones Coyoacán
*Hochschild, Adam (2007) Sprengt die Ketten. Der entscheidende Kampf um die Abschaffung der Sklaverei. Stuttgart: Klett-Cotta.
*Hochschild, Adam (2007) Sprengt die Ketten. Der entscheidende Kampf um die Abschaffung der Sklaverei. Stuttgart: Klett-Cotta.
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*[[Frank Tannenbaum]]
*[[Frank Tannenbaum]]
*[[Gilles Deleuze]]
*[[Gilles Deleuze]]
Wie ist es nun um die Freiheitsstrafe bestellt? Wie steht es um die Argumente, die sich gegen sie auffahren lassen? Wie steht es um die Chance ihrer Abschaffung? Und vor allem: müsste man sich nicht jetzt schon überlegen, was an ihre Stelle treten könnte/sollte? Was sagt die kritische Kriminologie? Was könnte, was müsste sie sagen?


::Jede Strafe, die nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, sagt der große Montesquieu, ist tyrannisch; ein Satz, der wie folgt sich verallgemeinern lässt: jeder Akt der Herrschaft eines Menschen über einen Menschen, der nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, ist tyrannisch.  
::Jede Strafe, die nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, sagt der große Montesquieu, ist tyrannisch; ein Satz, der wie folgt sich verallgemeinern lässt: jeder Akt der Herrschaft eines Menschen über einen Menschen, der nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, ist tyrannisch.  


::::Cesar Beccaria, Über Verbrechen und Strafen. Livorno 1764 (dt. Ausgabe von 1966: 12)
::::Cesar Beccaria, Über Verbrechen und Strafen. Livorno 1764 (dt. Ausgabe von 1966: 12)

Version vom 4. Mai 2018, 14:04 Uhr

Rund drei Jahrzehnt ist es her, dass Gilles Deleuze erklärte: "Wir befinden uns in einer allgemeinen Krise aller Einschließungsmilieus" - und damit natürlich auch in einer Krise des Gefängnisses, des Einschließungsmilieus "schlechthin". Eine Reform nach der anderen werde für notwendig erklärt: "Aber jeder weiß, daß diese Institutionen über kurz oder lang am Ende sind. Es handelt sich nur noch darum, ihre Agonie zu verwalten und die Leute zu beschäftigen, bis die neuen Kräfte, die schon an die Türe klopfen, ihren Platz eingenommen haben." Die Kontrollgesellschaften, so Deleuze (1990), seien schon längst dabei, die Disziplinargesellschaften abzulösen.

Nun steht zwar die Überwindung der Mauern (Mathiesen 1979, Lindenberg 1992) weder für heute noch für morgen auf der To-Do-Liste fortschrittlicher Bewegungen (oder gar der kritischen Kriminologie). Auch vom Ende des Strafvollzugs (Schumann et al. 1988) ist aktuell noch wenig zu bemerken. Doch wenn nicht alles täuscht, dann werden zumindest im Ausland inzwischen die Möglichkeit und Dringlichkeit der Abschaffung des Gefängnisses wieder verstärkt thematisiert - etwa in den USA (Davis 2003) und Mexiko (Gómez Jaramillo 2008), aber auch in Italien (Ferrari 2015, Pavarini & Ferrari 2018), Frankreich (Onfray et al. 2014), Großbritannien (Scott 2012, 2018) und Brasilien (Genelhú 2018). Das ist alles andere als belanglos.

Allein schon die radikale Infragestellung von Idee und Praxis der Freiheitsstrafe markiert einen gedanklichen Horizont von größter Bedeutung. Wo immer wir es mit rechtlich fundierten repressiven Zwangsverhältnissen zu tun haben - ob bei der Sklaverei, der Leibeigenschaft, der Entrechtung von Minderheiten oder im Bereich staatlichen Strafens - ist das alltagstranszendierende Denken, ist die abolitionistische Vorstellungskraft, ist die Pflege der abolitionistischen Phantasie eine notwendige Vorbedingung für deren Überwindung in der Realität. Nur wer es vermag, von der Arbeitshypothese der Illegitimität, der Überwindungsbedürftigkeit und der Abschaffbarkeit repressiver Verhältnisse auszugehen, wird überhaupt in der Lage sein, sich dem Anschein der Natürlichkeit und Unabänderlichkeit solcher Institutionen und damit auch der Indienstnahme durch diese zu entziehen. Mehr noch: das primum movens aller gesellschaftlichen Veränderung ist immer noch der Mensch: allein und in Gruppen, Koalitionen und Bewegungen. Sie alle können aber nur auf der Grundlage entweder von Gehorsam gegenüber Autoritäten oder von Glaubenssystemen agieren - von Überzeugungen darüber, wo ihre Interessen liegen, aber auch von Überzeugungen in Bezug auf die Beschaffenheit der Gesellschaft, in der sie leben möchten.

Die Geschichte der abolitionistischen Kämpfe ist reich an Beispielen für das politische Potential transzendierend-antizipierenden Denkens. Zu einer Zeit, in der die Sklaverei noch als unabschaffbar und Abolitionisten als Spinner galten, war es - um nur einen Fall zu nennen - die beharrliche Dekonstruktion der die Sklaverei rechtfertigenden Diskurse durch Thomas Clarkson (dessen lateinische Dissertation in Cambridge einen Preis gewann), die ihm überhaupt erst die Energie und Überzeugungskraft verlieh, Mitstreiter zu gewinnen und sein Leben in den Dienst jener zunächst so utopisch erscheinenden Forderung nach dem Ende der Sklaverei zu stellen - und dieser Sache damit national wie international eine Überzeugungskraft zu verleihen, die gegen größte Widerstände und nach zahlreichen vergeblichen Anläufen zu dem zunächst noch fast undenkbar erscheinenden Erfolg führen sollte (Hochschild 2007).

Aus der Geschichte des Kampfes gegen den transatlantischen Sklavenhandel lässt sich für unser Thema vor allem eines lernen: Repressive Institutionen können so obsolet sein wie sie wollen - von alleine werden sie nie weichen. Dazu bedarf es zunächst und vor allem der Dekonstruktion ihrer legitimierenden Narrative. Im Fall des Strafvollzugs sind das die Geschichten vom quantitativen und qualitativen Erfolg der Institution. Und vom Strafvollzug als notwendigem Übel. Auf den ersten Blick sind alle drei nicht leicht zu widerlegen. Denn es stimmt ja: der moderne Strafvollzug (d.h. die um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert religiös-humanistisch begründete und auf die Besserung der Gefangenen abzielende Sanktionsform) war und ist ein gigantischer organisatorischer Erfolg: was um 1795 mit einigen wenigen Zellen in Philadelphia (USA) begann, ist heute ein weltumspannendes Gefängnissystem mit über zehn Millionen Insassen an jedem beliebigen Tag des Jahres. Kein Wunder, möchte man denken, dass die weltweite Nachfrage nach Gefängnisplätzen zu immer größeren Neubauprogrammen führt und dass der Staat sich mancherorts inzwischen auch der zusätzlichen Unterstützung durch private Gefängnis-Unternehmen zu versichern sucht. In qualitativer Hinsicht präsentiert sich der Strafvollzug als ein lernfähiges System mit einer tadellosen Humanisierungsgeschichte: immerhin erkannte man den Irrtum, der in der anfänglichen Hoffnung auf Besserung durch strenge Einzelhaft lag, immerhin kam dann das auburnsche System, das irische Progressivsystem und der Einzug des Behandlungsgedankens und der Resozialisierung bis hin zu sozialtherapeutischen Abteilungen und Anstalten, halboffenen und offenen Formen des Vollzugs. Was will man mehr? Von Unmenschlichkeit keine Spur. Und worin, bitte schön, sollte denn die Alternative zum Gefängnis bestehen?


Andererseits muss der Blick auf die globale Realität des Strafvollzugs ernüchtern. Denn im Weltmaßstab spielen die Gefängnisse in Europa und Australien eine untergeordnete, diejenigen in Afrika, Asien und den Amerikas hingegen die entscheidende Rolle, weil sie es sind, in denen sich die überwältigende Mehrheit der Gefangenen befindet. Es ist das Ensemble der afrikanischen, asiatischen und amerikanischen Gefängnisse, das das Bild, die Realität und das Wesen des Strafvollzugs der Gegenwart ausmacht. Und dort sieht alles anders aus. Vor allem passt dort das Schema von Fortschritt und Humanisierung nicht. Eher schon scheint sich alles in einem Teufelskreis zu bewegen, wenn nicht sogar in zwei. Erstens ist man da wieder dort angelangt, wo John Howard einst begann: bei der Massenverwahrung ohne Sinn und Verstand, ohne Anspruch auf Resozialisierung und ohne Empathie. Gestank, Misshandlung, Enge und Gewalt, die der Beschreibung spotten - in Afrika und Asien, in Lateinamerika und auf eigene Art auch in der mass incarceration in den USA. Hier schließt sich der Kreis von der Skandalisierung der bloßen Verwahrung im späten 18. Jahrhundert über das rehabilitative ideal und dessen Niedergang (Allen 1981) zurück zur kümmerungsbefreiten Massenverwahrung. Zweitens schließt sich aber auch der Kreis der Einzelhaft: das solitary system####, Wir sind aber nicht nur wieder dort, wo alles begann, sondern selbst die Geschichte der zunehmenden Liberalisierung des pennsylvanischen Vollzugs wird hier brutal entmystifiziert. Sowohl in den Kerkern Afrikas und Asiens als auch im ultratechnizistischen Strafvollzug der USA ist seit einigen Jahrzehnten zu bemerken, wie sich auch hier der Kreis zu schließen beginnt. Wer in armen Ländern das Pech hat, überhaupt noch als Individuum wahrgenommen zu werden, den erwarten nur allzu häufig Extraqualen wie im Black Beach Gefängnis von Äquatorialguinea im südsaharischen Afrika - systematische Folter und die Versagung von Körperhygiene und ärztlicher Hilfe, ununterbrochener angeketteter Zellenaufenthalt und Unterversorgung mit Nahrung bis zum Verhungern (einige der Gefangenen sitzen dort ein, weil sie 2004 an einem Putschversuch gegen Präsidenten des Landes, einen ehemaligen Leiter genau dieser Anstalt, beteiligt waren). Und wer in den USA nicht als Nummer in der Massenverwahrung landet, den erwartet die Heimsuchung der Isolationsfolter in Supermax Prisons und den sogenannten CMUs, den Communication Management Units. Da ist sie wieder: die Einzelhaft pur und grausam, nur diesmal ohne die gutwillige Naivität ihrer damaligen Erfinder - diesmal auch als Folter gemeint.

ie Behauptung eines Fortschritts im Strafvollzug Erfolgsgeschichte spielt sich das, was das Gefängnis heute in Wirklichkeit ist, wo also die weitaus meisten Gefangenen sitzen Vor 50 Jahren wehte ein frischer und wohlgemuter Reformwind durch die Korridore der Justizministerien: alte Zöpfe wollte man abschneiden, entbehrliche Gesetze streichen und den Strafvollzug durch Behandlungsmaßnahmen aller Art humanisieren. Etwas weiter links davon dachte man auch schon ans Abschaffen. Und wie man es auch drehen oder wenden mochte: die Zukunft schien jedenfalls in der Überwindung des Verwahrvollzugs und einem Bedeutungsverlust des Gefängnisses zu liegen. Gab es nicht schon Staaten - Nachbarstaaten! - in denen die Gefangenenraten schon unter 30, wenn nicht sogar unter 20 Gefangene auf jeweils 100 000 Einwohner gesunken waren? Da bedurfte es nur wenig Phantasie, um sich das Ende einer Epoche vorzustellen: das Ende der Freiheitsstrafe - und den Beginn einer neuen Zeit. Einer Zeit der Behandlung in Freiheit. Wer für das community treatment noch nicht in Frage käme, könnte und würde wohl in krankenhausähnlichen forensischen Behandlungszentren untergebracht werden, alles andere ginge ambulant.

Aber irgend etwas stimmte an der ganzen Krankheitsmetapher und manchmal arg euphemistischen Behandlungsrhetorik womöglich auch nicht. Als erste machten Marlene Stein-Hilbers und Wolf Lange (im KrimJ 1973) darauf aufmerksam. Auch wenn sie noch ein Fragezeichen hinter die "Abkehr von der Behandlungsideologie" setzten, die sie in Skandinavien beobachtet hatten und von der sie nicht ohne Sympathie berichteten. Nicht ahnend, was sich in der Folgezeit aus den USA kommend aus der neuen Nüchternheit ("Nothing Works", 1974) und Straf-Ehrlichkeit (Truth in Sentencing) an Härte und sogar Brutalität im Strafen entwickeln sollte: extreme Mindeststrafen, grenzenlose Höchststrafen, Masseneinsperrungen und die Normalisierung von Menschenrechtsverletzungen durch extreme Haftbedingungen. Im Diskurs des vollzugspolitischen Backlash ging es um gerechte Vergeltung und die verdiente Strafe, um die Unschädlichmachung der "dangerous few", aus denen dank Drogen- und Terrorismus-Gesetzen aber im Handumdrehen "more and more" wurden. Heute gelten 100 Gefangene auf 100 000 Einwohner als normal und 200 als akzeptabel. Manche Staaten erreichen Gefangenenraten von 500, 600 oder 700. Weltweit boomt der Strafvollzug. An jedem beliebigen Tag des Jahres sitzen gegenwärtig über 10 Millionen Menschen hinter Gittern. So viele wie noch nie in der Geschichte der Menschheit.

Vor bald 250 Jahren gab es die ersten Anzeichen für ein kommendes Ereignis, das Michel Foucault später einmal (1975) als "die Geburt des Gefängnisses" bezeichnen sollte. John Howard, seit 1773 High Sheriff von Bedfordshire, begann das Werk seines Lebens. Er, der selbst eine Zeit in französischen Kerkern verbracht hatte, begann, sich persönlich ein Bild von den Verhältnissen in den Gefängnissen seiner Zeit zu machen. Erst in seinem Bezirk, dann in seinem Land, dann in ganze Europa. Zum Schluß hatte er 80 000 km zurückgelegt. Als er die Gefängnisse in der Ukraine besuchte, holte er sich Typhus und starb am 20. Januar 1790 - in demselben Jahr, in dem auf der Grundlage seiner Berichte und Anregungen in Philadelphia, USA, der Beschluss zum Bau des ersten modernen Zellengefängnisses mit dem Ziel der Besserung der Gefangenen gefasst werden sollte. Die unhygienische und lebensgefährliche Sammelverwahrung alten Stils sollte beendet, die hygienische Einzelzelle und der Besserungsvollzug durch strenge Einzelhaft sollten eingeführt werden. Seither, so ein weit verbreiteter Glaube, habe sich der Strafvollzug stetig verbessert: immer mehr Kontaktmöglichkeiten der Gefangenen untereinander, immer mehr Didaktik der Wiedereingliederung durch Stufenstrafvollzug, Lockerungen und die schrittweise Öffnung der Anstalten nach innen und außen (halboffener und offener Vollzug). Zwei Jahrhunderte des langsamen, aber stetigen Fortschritts. Wer's glaubt, wird selig.

Die Wahrheit über den Strafvollzug liegt nicht in seiner Selbstdarstellung und nicht im Narrativ über seine Fortschritte. Sie liegt auch erst recht nicht in Europa und in den Verhältnissen, die es hier zu loben und zu tadeln gibt. Die Wahrheit über den Strafvollzug liegt in den Verhältnissen, so wie sie sich mehrheitlich oder durchschnittlich für die Gefangenen in der ganzen Welt darstellen: in Afrika und den Amerikas, in Asien und Australien und Europa - wobei die beiden letztgenannten Kontinente noch am ehesten als Sonderfälle von geringer quantitativer Bedeutung außer Betracht bleiben könnten, ohne das Gesamtbild allzu stark zu verfälschen. Die Gefängnisse in Afrika, Asien und den Amerikas aber sprechen jeder Fortschrittsideologie Hohn. Was man dort beobachten kann, ist die Wiederkehr des Gleichen und die Renaissance all dessen, was schon die Gefängnisse vor 200 Jahren kennzeichnete. Zum einen die Wiederkehr der Sammelverwahrung unter unmöglichen Zuständen in großen unhygienischen und lebensgefährlichen Massenunterkünften - also im Grunde genommen dessen, was John Howard damals anprangerte und abschaffen wollte. Man lese nur die Berichte über die Gefängnisse in Brasilien - etwa "Welcome to the Middle Ages" aus dem Jahr 2017 oder die über die Haftbedingungen in Thailand oder auf den Philippinen. Oder die Länderberichte ###. Zum anderen die Wiederkehr der strengen Einzelhaft - also genau der Haft, die als Reaktion auf die Sammelverwahrung von den Quäkern eingeführt worden war und die dann aufgrund ihrer ganz eigenen Unmenschlichkeit durch Stufenvollzug und Lockerungen etc. überwunden worden war. Beschreibungen der neuen Einzelhaft-Verhältnisse erinnern tatsächlich an diejenigen des Walnut Street Prison in den 1790er Jahren und des Eastern State Penitentiary von Pennsylvania, dessen Besuch Charles Dickens 1842 zu dem Kommentar veranlasste ###.


Vor 100 Jahren hatte Frank Tannenbaum den ersten Schritt auf dem Weg zum (womöglich weltweit ersten) convict criminologist schon hinter sich. Im besonders kalten Winter von 1913/14 hatte Tannenbaum eine neue Idee, wie man das Schicksal der Hungernden und Ausgebeuteten für die Öffentlichkeit zu einem Thema machen könnte. Den Anlass dazu hatte wohl der damalige US-Präsident Taft geliefert, als er bei einer Veranstaltung in der Cooper Union in Manhattan auf die Frage eines Arbeitslosen: "If I need a job and there aren't any - what do I do?" geantwortet hatte: "God knows - I don't."

Nun organisierte Tannenbaum sog. "sit-downs" von Arbeitslosen und Obdachlosen in Kirchen der Gutsituierten und forderten Unterkunft und Essen. So lange es sich um protestantische Kirchen handelte, verlief alles nach Plan. Mal wurde man abgewiesen, mal aber auch freundlich empfangen. So etwa in der Episcopal Church an der Lower Fifth Avenue. Die Zeitungen berichteten darüber und die Anliegen der Protestierer wurden zum öffentlichen Thema.

Am 4. März 1914 - Frank Tannenbaums 21. Geburtstag - ging es dann für die rund 200 Mitglieder von Tannenbaums "army of the unemployed" nicht mehr so glatt: erstmals hatte man sich mit der Sankt-Alphonsus-Kirche am West Broadway eine katholische Kirche ausgesucht. Die Bitte um Erlaubnis, für eine Nacht dort bleiben zu dürfen, wurde mit einem Ruf nach der Polizei beantwortet, die schließlich 189 Männer und eine Frau (Gussie Miller von der Ferrer School) festnahm.


Als Anführer erhielt Tannenbaum von Richter John A.L. Campbell die Höchststrafe von einem Jahr Gefängnis und 500 $ Geldbuße auferlegt. Die Buße wurde von der Ferrer Association, der Fraye Arbeter Shtime und dem Labor Defense Committee bezahlt. Aber die Freiheitsstrafe verbüßte er nahezu vollständig im Gefängnis von Blackwell's Island (heute: Roosevelt).

Zu seiner Verurteilung erklärte er, dass die Gesellschaft bereit sei, nahezu jedes Delikt zu vergeben, außer das der Verkündung eines neuen Evangeliums:

"That's my crime. I was going about telling people that the jobless must be housed and fed, and for that I got locked up." Wochenlange Massendemonstrationen in Manhattan (Union Square) mit Zehntausenden von Teilnehmern demonstrierten die Wirkung von Tannenbaums gewaltfreien Propagandaaktionen. In den Worten von Alexander Berkman hatten die Wobblie-Raids mehr zur Enttarnung religiöser Heuchelei beigetragen als Jahrzehnte der Aufklärungsarbeit durch Freidenker. Ein Gedicht von Adolph Wolff, das von manchen noch nach Jahrzehnten auswendig aufgesagt werden konnte, illustriert diese Wirkung:

"Degraded in the convict's stripes/He chafes behind the prison bars/And breathes the dungeon stench./Arrayed in sacerdotal garb/The priest is celebrating mass/Preaching to men the word of God./The potentate upon the bench/Wrapped in judiciary gown, he sits/A judge of fellow men./Yet would I rather be - /The dirt on the feet of a Tannenbaum/Than the soul/Of such a judge - of such a priest" (Avrich 2006: 2006 ff.).


In Ländern wie Brasilien ganze Idiotie: Brutstätten des organisierten Verbrechens

Tannenbaum

Deleuze: das Ende einer Epoche

Full Circle

Manifeste

Ebenen der Kritik von technisch-zweckrational bis ethisch

Strafen abschaffen? Mauz

steingewordene Riesenirrtümer

Literatur

  • Allen, Francis A. (1981) The Decline of the Rehabilitative Ideal: Penal Policy and Social Purpose. New Haven: Yale University Press
  • Davis, Angela Y. Are Prisons Obsolete?
  • Deleuze, Gilles (1990) Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. L'autre journal, Nr. I, Mai.
  • Gómez Jaramillo, Alejandro (2008) Un mundo sin cárceles es posible. México: Ediciones Coyoacán
  • Hochschild, Adam (2007) Sprengt die Ketten. Der entscheidende Kampf um die Abschaffung der Sklaverei. Stuttgart: Klett-Cotta.
  • Lindenberg, Michael (1992) Die Überwindung der Mauern: das elektronische Halsband. München: SPAK.
  • Schumann, Karl (1988) Eine Gesellschaft ohne Gefängnisse, in: Karl F. Schumann, Heinz Steinert, Michael Voß, Hg., Vom Ende des Strafvollzugs.
  • Scott, David (2012) Why Prison? Cambridge: Cambridge University Press
  • Scott, David (2018) Against Imprisonment: An Anthology of Abolitionist Essays. Waterside Press


Siehe auch

Wie ist es nun um die Freiheitsstrafe bestellt? Wie steht es um die Argumente, die sich gegen sie auffahren lassen? Wie steht es um die Chance ihrer Abschaffung? Und vor allem: müsste man sich nicht jetzt schon überlegen, was an ihre Stelle treten könnte/sollte? Was sagt die kritische Kriminologie? Was könnte, was müsste sie sagen?

Jede Strafe, die nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, sagt der große Montesquieu, ist tyrannisch; ein Satz, der wie folgt sich verallgemeinern lässt: jeder Akt der Herrschaft eines Menschen über einen Menschen, der nicht aus unausweichlicher Notwendigkeit folgt, ist tyrannisch.
Cesar Beccaria, Über Verbrechen und Strafen. Livorno 1764 (dt. Ausgabe von 1966: 12)