Abolitionsrecht: Unterschied zwischen den Versionen

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Das aus der römisch-rechtlichen [[abolitio]] hergeleitete '''Abolitionsrecht''' ist die Befugnis des Landesherrn, ein Strafverfahren noch vor der Urteilsverkündung niederzuschlagen. Das Abolitionsrecht manifestiert, dass der Souverän (Kaiser, König, Fürst) über dem Recht steht. Es hat seinen Platz im Staatsrecht des Absolutismus. Mit dem Übergang zur konstitutionellen Monarchie (und gegebenenfalls zur Demokratie) verliert das Abolitionsrecht seine Legitimation. So gehörte das Abolitionsrecht denn auch zu den ersten Institutionen, die durch die revolutionäre Nationalversammlung (die sich am 17.6.1789 gebildet hatte) schon im Juni 1789 abgeschafft wurden (s. [[lettre d'abolition]]).   
Das aus der römisch-rechtlichen [[abolitio]] hergeleitete '''Abolitionsrecht''' ist die Befugnis des Landesherrn, ein Strafverfahren noch vor der Urteilsverkündung niederzuschlagen. Das landesherrliche Abolitionsrecht manifestierte die Stellung des absoluten Herrschers über dem Recht. Dementsprechend verlor es mit dem Übergang zur konstitutionellen Monarchie bzw. zur republikanischen Staatsform seine Legitimation. Die Abschaffung des landesherrlichen Abolitionsrechts gehörte zu den ersten Beschlüssen der am 17.6.1789 gebildeten französischen Nationalversammlung (s. [[lettre d'abolition]]).   


In Preußen, wo das Abolitionsrecht dem "Oberhaupte des Staates unmittelbar" schon 1717 ausdrücklich zugesprochen worden war, hielt sich das Abolitionsrecht bis in das 19. Jahrhundert und überdauerte sogar die Reichsgründung von 1871, obwohl zum Beispiel die bayerische Verfassung dem König schon 1808 ausdrücklich untersagt hatte, anhängige Verfahren zu behindern oder zu beenden oder gar eine Partei ihrem gesetzlichen Richter zu entziehen. Da sich der Machthaber im NS-Staat ebenfalls wieder jede Intervention in laufende Verfahren vorbehielt, fand das exekutive Abolitionsrecht in Deutschland erst in der Bundesrepublik sein Ende.
== Deutschland ==


*Die Einzelabolition als Freistellung eines Angeklagten von Strafverfolgung mitten in einem laufenden Verfahren ist seither unzulässig.
In Preußen, wo das Abolitionsrecht dem "Oberhaupte des Staates unmittelbar" 1717 ausdrücklich zugesprochen worden war, hielt es sich bis in das 19. Jahrhundert und überdauerte die Reichsgründung von 1871.  
*Für die Niederschlagung einer unbestimmten Vielzahl schwebender Verfahren (Generalabolition) bedarf es seither wie für Amnestien jeweils eines förmlichen Gesetzes. Zu dieser Art gnadenweiser Einstellung laufender Verfahren kommt es etwa zur Erleichterung des Übergangs, wenn ein bis dato strafbedrohtes Verhalten durch ein Reformgesetz von einem bestimmten Zeitpunkt an entkriminalisiert wird. In einem solchen Fall können die nach dem noch geltenden Gesetz bereits Verurteilten von einem Amnestiegesetz profitieren und diejenigen, deren Verfahren noch laufen, von einem Abolitionsgesetz. Ein Beispiel dafür ist das [http://de.wikipedia.org/wiki/Straffreiheitsgesetz#Straffreiheitsgesetz_vom_20._Mai_1970_.28BGBl._I_S._509.29.5B5.5D Straffreiheitsgesetz von 1970].


Der Übergang vom meist willkürlich einzelfallbezogenen exekutiven Abolitionsrecht zum abstrakt-generellen Gesetz, das von einem demokratisch legitimierten Parlament verabschiedet wird, bedeutet in gewisser Weise zugleich den Übergang vom Abolitionsrecht zur Abolitionsgesetzgebung. Wo die Lehren und Bestrebungen des Abolitionismus Erfolge zeitigen, tun sie dies deshalb auf dem Wege über die Gesetzgebung: wo es gelang, bestimmte Sanktionsformen wie z.B. die Todesstrafe, das Zuchthaus oder das Arbeitshaus abzuschaffen, erfolgte das jeweils auf der Grundlage eines entpsrechenden Gesetzes.
In Bayern hatte die Verfassung dem König 1808 ausdrücklich untersagt, anhängige Verfahren zu behindern oder zu beenden oder gar eine Partei ihrem gesetzlichen Richter zu entziehen. Im Vorwort zu seinem Werk über das Abolitionsrecht erklärte Joseph Heimberger 1901 darin ein Modell für eine reichseinheitliche Lösung: "Angesichts der grossen Unzuträglichkeiten, die aus der tiefgehenden Rechtsverschiedenheit zwischen den einzelnen Staaten entspringen, und der Bestrittenheit sämtlicher in Betracht kommenden Fragen, sowohl der Grund- wie der Einzelfragen, drängte sich mir die Überzeugung auf, dass eine einheitliche Regelung des Abolitionsrechtes auf die Dauer kaum entbehrt werden könne. Sollte man einer künftigen Regelung etwa den Gedanken zu Grunde legen, welchen der König von Bayern in der Konstitution vom 1. Mai 1808 als erster der deutschen Fürsten aussprach: „Der König kann in Kriminalsachen Gnade erteilen, die Strafe erlassen oder mildern, aber in keinem Fall irgend eine anhängige Streitsache oder angefangene Untersuchung hemmen", so wäre dies bei den modernen Anschauungen über die Ausübung des Gnadenrechts vor Fällung des Urteils als ein erfreulicher Fortschritt zu begrüssen."


Joseph Heimberger erklärte 1901 im Vorwort seiner Monografie bezüglich des Deutschen Reiches:
In der Bundesrepublik Deutschland ist die Einzelabolition als Freistellung eines Angeklagten von Strafverfolgung mitten in einem laufenden Verfahren unzulässig.


:"Angesichts der grossen Unzuträglichkeiten, die aus der tiefgehenden Rechtsverschiedenheit zwischen den einzelnen Staaten entspringen, und der Bestrittenheit sämtlicher in Betracht kommenden Fragen, sowohl der Grund- wie der Einzelfragen, drängte sich mir die Überzeugung auf, dass eine einheitliche Regelung des Abolitionsrechtes auf die Dauer kaum entbehrt werden könne. Sollte man einer künftigen Regelung etwa den Gedanken zu Grunde legen, welchen der König von Bayern in der Konstitution vom 1. Mai 1808 als erster der deutschen Fürsten aussprach: „Der König kann in Kriminalsachen Gnade erteilen, die Strafe erlassen oder mildern, aber in keinem Fall irgend eine anhängige Streitsache oder angefangene Untersuchung hemmen", so wäre dies bei den modernen Anschauungen über die Ausübung des Gnadenrechts vor Fällung des Urteils als ein erfreulicher Fortschritt zu begrüssen."
Für die Niederschlagung einer unbestimmten Vielzahl schwebender Verfahren (Generalabolition) bedarf es wie für Amnestien eines förmlichen Gesetzes.
 
Zu dieser Art gnadenweiser Einstellung laufender Verfahren kommt es etwa zur Erleichterung des Übergangs, wenn ein bis dato strafbedrohtes Verhalten durch ein Reformgesetz von einem bestimmten Zeitpunkt an entkriminalisiert wird.
 
In einem solchen Fall können die nach dem noch geltenden Gesetz bereits Verurteilten von einem Amnestiegesetz profitieren und diejenigen, deren Verfahren noch laufen, von einem Abolitionsgesetz. Ein Beispiel dafür ist das [http://de.wikipedia.org/wiki/Straffreiheitsgesetz#Straffreiheitsgesetz_vom_20._Mai_1970_.28BGBl._I_S._509.29.5B5.5D Straffreiheitsgesetz von 1970].
 
 
Insofern gibt es das Abolitionsrecht auch im demokratischen Rechtsstaat. Autor der Abolition ist das Volk (als Souverän). Benefiziar ist die Allgemeinheit (durch Abschaffung einer Institution des Rechtszwangs wie z.B. einer bestimmten Strafart; s. ([[Abolitionismus]]).  


   
   
== Literatur ==
== Literatur ==
*[https://archive.org/stream/daslandesherrli00heimgoog/daslandesherrli00heimgoog_djvu.txt Heimberger, Joseph (1901) Das landesherrliche Abolitionsrecht. Leipzig: A. Deichert]
*[https://archive.org/stream/daslandesherrli00heimgoog/daslandesherrli00heimgoog_djvu.txt Heimberger, Joseph (1901) Das landesherrliche Abolitionsrecht. Leipzig: A. Deichert]

Version vom 30. Juni 2014, 09:33 Uhr

Das aus der römisch-rechtlichen abolitio hergeleitete Abolitionsrecht ist die Befugnis des Landesherrn, ein Strafverfahren noch vor der Urteilsverkündung niederzuschlagen. Das landesherrliche Abolitionsrecht manifestierte die Stellung des absoluten Herrschers über dem Recht. Dementsprechend verlor es mit dem Übergang zur konstitutionellen Monarchie bzw. zur republikanischen Staatsform seine Legitimation. Die Abschaffung des landesherrlichen Abolitionsrechts gehörte zu den ersten Beschlüssen der am 17.6.1789 gebildeten französischen Nationalversammlung (s. lettre d'abolition).

Deutschland

In Preußen, wo das Abolitionsrecht dem "Oberhaupte des Staates unmittelbar" 1717 ausdrücklich zugesprochen worden war, hielt es sich bis in das 19. Jahrhundert und überdauerte die Reichsgründung von 1871.

In Bayern hatte die Verfassung dem König 1808 ausdrücklich untersagt, anhängige Verfahren zu behindern oder zu beenden oder gar eine Partei ihrem gesetzlichen Richter zu entziehen. Im Vorwort zu seinem Werk über das Abolitionsrecht erklärte Joseph Heimberger 1901 darin ein Modell für eine reichseinheitliche Lösung: "Angesichts der grossen Unzuträglichkeiten, die aus der tiefgehenden Rechtsverschiedenheit zwischen den einzelnen Staaten entspringen, und der Bestrittenheit sämtlicher in Betracht kommenden Fragen, sowohl der Grund- wie der Einzelfragen, drängte sich mir die Überzeugung auf, dass eine einheitliche Regelung des Abolitionsrechtes auf die Dauer kaum entbehrt werden könne. Sollte man einer künftigen Regelung etwa den Gedanken zu Grunde legen, welchen der König von Bayern in der Konstitution vom 1. Mai 1808 als erster der deutschen Fürsten aussprach: „Der König kann in Kriminalsachen Gnade erteilen, die Strafe erlassen oder mildern, aber in keinem Fall irgend eine anhängige Streitsache oder angefangene Untersuchung hemmen", so wäre dies bei den modernen Anschauungen über die Ausübung des Gnadenrechts vor Fällung des Urteils als ein erfreulicher Fortschritt zu begrüssen."

In der Bundesrepublik Deutschland ist die Einzelabolition als Freistellung eines Angeklagten von Strafverfolgung mitten in einem laufenden Verfahren unzulässig.

Für die Niederschlagung einer unbestimmten Vielzahl schwebender Verfahren (Generalabolition) bedarf es wie für Amnestien eines förmlichen Gesetzes.

Zu dieser Art gnadenweiser Einstellung laufender Verfahren kommt es etwa zur Erleichterung des Übergangs, wenn ein bis dato strafbedrohtes Verhalten durch ein Reformgesetz von einem bestimmten Zeitpunkt an entkriminalisiert wird.

In einem solchen Fall können die nach dem noch geltenden Gesetz bereits Verurteilten von einem Amnestiegesetz profitieren und diejenigen, deren Verfahren noch laufen, von einem Abolitionsgesetz. Ein Beispiel dafür ist das Straffreiheitsgesetz von 1970.


Insofern gibt es das Abolitionsrecht auch im demokratischen Rechtsstaat. Autor der Abolition ist das Volk (als Souverän). Benefiziar ist die Allgemeinheit (durch Abschaffung einer Institution des Rechtszwangs wie z.B. einer bestimmten Strafart; s. (Abolitionismus).


Literatur