Unterwelt

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Etymologie

unter: mittelhochdeutsch under, althochdeutsch untar, unterhalb. Welt: mittelhochdeutsch: welt, wer(e)lt, althochdeutsch weralt, altniederfränkisch werold. Aus westgermanisch wira-aldo für Zeitalter, Welt, auch in altenglisch weorold, altfriesisch warld. Zusammensetzung aus germanisch Wera - Mann, Mensch und ein Wort für Alter: mittelhochdeutsch alt, altsächsisch ald, aus westgotisch alda. Ursprünglich ist Welt eine Bezeichung für eine Bevölkerung. (vgl. Kluge 2002)


Definition(en)

  1. Das Reich jenseits der Lebenden in der Mythologie aller Kulturen. In der Griechischen und in der Römischen Mythologie liegt das Reich der Toten (Hades) unterhalb der Erde der Lebenden.
  2. Der Bereich, die Region oder Unterkunft, die sich unterhalb der Erdoberfläche befindet.
  3. Die gegenüberliegende Seite der Erde.
  4. Verbrecherwelten, Verbrecherkeise, Halbwelten, Personengruppen, die sich der Kriminalität und dem Laster widmen. Hier insbesondere: Organisierte Kriminalität, Mafia.
  5. Veraltet auch der Bereich unterhalb des Himmels: Die Erde.

(vgl. The American Heritage Dictionary of the English Language 2000)

Die Unterwelt in Mythologie und Religion

Die Unterwelt wird in allen alten Kulturen als unangenehmer Ort jenseits des Lebens beschrieben. Archäologische Funde aus dem Alten Orient (2. Jahrtausend v. Chr.) zeigen Fahrten des Königs Urnammu von Ur, der in der Unterwelt bewirtet wird und nicht in die Oberwelt zurückkehren darf (vgl. Vogrimler 1994). Der antike griechische Dichter Homer (7./8. Jh. v. Chr.) erzählt von der Unterwelt im Odysseus Epos. In der griechischen Mythologie herrschen Hades und Persephone über die Unterwelt. Der Totenfährmann Charon rudert die Verstorbenen über den Fluß Styx an die Tore der Unterwelt (Hades). Kerberos, der dreiköpfige Höllenhund, bewacht die Tore. Unterhalb Hades befindet sich die noch finstere Unterwelt Tartaros. In diesem Bereich werden Gestalten, die gegen die Götter gehandelt haben, von Zeus gefangen gehalten. Ab dem 5. Jahrhundet vor Christus vermitteln die Etrusker den Römern Ideen der griechischen Mythologie. In der römischen Mythologie heißt der Gott der Unterwelt Pluto (auch Dis Pater oder Orcus genannt) (vgl.Kerényi1998, Vorgrimler 1994, Küppers 2001). In der ägyptischen Mythologie wird die Unterwelt Amenthes oder Duat genannt, ihr Herrscher ist Osiris (vgl. Assmann 2001). In der nordischen Mythologie wird Helheim von der Göttin Hel beherrscht (vgl. Page 2002). In der buddhistischen Mythologie ist Yama der Herrscher über die Unterwelt Naraka. Yami, seine Schwester, herrscht über die weiblichen Höllenbewohner. Naraka ist eine von drei negativen Existenzweisen und beschreibt einen Bewußtseinszustand. Naraka ist als Ort der Qual endlich, d.h. eine Wiedergeburt ist möglich (vgl. Ehrhard/ Fischer-Schreiber 1992).

Im Christentum gilt die Unterwelt als die Hölle Gottes. Sie ist der Ort aller bösen Kreaturen und der Strafort zur ewigen Verdammnis (vgl. Vorgrimler 1994). Im Islam ist Djahannam der Name der Unterwelt. Dajahannam wird im Koran einerseits als Ungeheuer/ Tier und andererseits ähnlich der antiken Vorstellung von der Unterwelt dargestellt (vgl. Wensinck/ Kramers 1976). Im Judentum wird die Unterwelt als Scheol bezeichnet. Der Scheol liegt nach den Vorstellungen des Buches Hiob tiefer als das Urmeer und ist die Stätte des völligen Dunkels (vgl. Jüdisches Lexikon 1982).


Irdische Unterwelten

Erz und Kohle aus dem Bergbau waren Grundsteine für die industrielle Revolution. Das Bergwerk wurde zum Sinnbild für eine künstliche Welt im Maschinenzeitalter. Der Vergleich von Industrie und Hölle war im 18. Jahrhundert weit verbreitet. Das Erscheinungsbild der frühen Industrialisierung mit seinen dunklen Schächten der Gruben, den kahlen Halden und dem rauchverdunkeltem Himmel förderte diesen Vergleich. Die erste industrielle Großstadt London wurde von Karl Rosenberg als Hades beschrieben. Karl Marx schrieb über seine Beobachtungen der Arbeitsverhältnisse in einer Zündholzmanufaktur: “Dante würde in dieser Manufaktur seine grausamsten Höllenphantasien übertroffen haben” (zit.nach Platthaus 2004: 32). Die Unterwelt wurde in diesen Vorstellungen auf die Erde geholt. Die Faszination der Unterwelten ist kennzeichnend für das 18. und 19. Jahrhundert. Neben den Erzählungen in der Literatur tauchten im 19.Jahrhundert die Wissenschaften der Tiefe auf: Archäologie und Geologie. Die Aufklärung, die Wissenschaften und die industrielle Revolution trugen dazu bei, die Unterwelt zu entzaubern. Im Klima der Aufklärung und der Industrialisierung wurde die Unterwelt Teil der Welt der Lebenden. Seit dem 18./19. Jahrhundert bezeichnet der Begriff der Unterwelt zunehmend die irdischen, kriminellen und kriminalisierten Gruppen, die zumeist durch Verbrechen, Kriminalisierungen und Armut gekennzeichnet waren (vgl. Platthaus 2004).


Berühmte Unterwelten

Sigmund Freud

Sigmund Freud gilt als der Entdecker des Unbewußten. Das Unbewußte ist das, was der Person des Menschen nicht (oder nicht mehr) bewußt ist, sie aber gleichwohl prägt und bestimmt. In die Kellergewölbe des Unbewußten werden die Triebe und Seelenregungen des Menschen verwiesen. Das "Ich" des Menschen kann diese im Unbewußten, im "Es", angesiedelten Kräfte nicht besiegen. Die verdrängte seelische ‘Unterwelt’ sucht immer neue Türen, um das Wachbewußtsein des Menschen zu durchkreuzen. Die Psychoanalyse kreiert zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Wissenschaft vom Unbewussten eine neue Unterwelt. Sie löst das vormals flächige Bild von Bewusstsein durch das „Tiefe der Psyche“ ab. Die Psyche, die Tiefe und das Unbewußte bilden einen dreidimensionalen Raum, der durch die zwei metaphorischen Felder der archäologischen Ausgrabung und der Unterwelt strukturiert wird. Tatsächlich versteht sich Freud als Archäologe. Es geht ihm um das Abtragen von Schichten, aus denen die Geschichten der Unterwelt, aus dem Unbewußten, sichtbar werden (vgl. Platthaus 2004).

Carl Gustav Jung

Carl Gustav Jung (*1875, + 1961) entwickelt die Idee des überpersönlichen, kollektiven Unbewußten, das seinen Ausdruck in Motiven und Gestalten der Mythologie findet. Diese zeitlosen Grundvorstellungen nennt er Archetypen. Diese Archetypen sind in das Bild der Unterwelt gefaßt. Der Abstieg in die Unterwelt des Unbewußten ist die Bedingung für den Wiederaufstieg zu einer erweiterten Bewußtheit (vgl. Platthaus 2004, Wilson 1987).

Jules Verne

Jules Vernes “Reise zum Mittelpunkt der Erde” berichtet von der Reise in die Unterwelt. Im Innern der Welt wird eine Welt der Vergangenheit entdeckt. Durch den Krater eines Vulkans gelangen die Protagonisten in eine Hohlwelt, in der sich die Flora und Fauna der Vorzeit befindet und die Menschen völlig losgelöst von der überirdischen Welt leben (vgl. Dehs 2005).

Al Capone und die amerikanische Unterwelt

Al (Alfonso) Capone (* 1899, +1947) ist die schillernste Figur der Chicagoer Unterwelt in den 20er und 30er Jahren. Er war in den Bereichen (Alkohol-) Schmuggel, Prostituion Geldwäsche und Glücksspiel während der Chicagoer Prohibitionsära (1920-1933) führend. Al Capone hielt seine Fassade als seriöser Geschäftsmann lange aufrecht. 1931-1939 saß er wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis. Seine Figur ist ein Mythos in Bezug auf die Unterwelt. Seine Geschichte taucht in zahlreichen Filmen und Romanen auf. Bereits ab dem ersten Jahr der Prohibition entstand eine große Anzahl illegalisierter Kneipen. Das Geschäft in der Unterwelt wuchs stetig. Ein Phänomen war, dass ein großer Anteil der Gäste Frauen waren, denen in den legalen Zeiten der Besuch von Bars verboten war. Die Belieferung dieser illegalen Kneipen wurde von Gangsterbanden kontrolliert. Der bekannteste Lieferant war Al Capone. Mit der Alkoholprohibition wurde die sizilianische Mafia zur dominanten Macht in der amerikanischen Unterwelt. Bestechung und Einschüchterung von Politikern, Polizisten und gerichtlichen Zeugen waren alltägliche Vorkommnisse. Banden lieferten sich am helllichten Tage Schießereien um Absatzmärkte (vgl. Schoenberg/ Schmidt 2001).


Zusammenhänge mit anderen Begriffen

Die folgenden Begriffe werden häufig als Synonyme verwendet:

  • Hades, Orkus, Schattenwelt, Schattenreich, Hölle, Totenreich, Halbwelt, Jenseits, Scheol, Abyss, Abgrund, Geisterwelt, Tantalus

Begriffsverwandtschaften:

  • Katabasis, Untergrund, Höhlen, Kanalisation, Metrosysteme, die Tauchwelt im Gewässer, Gräber

Zudem sind Ausdrücke wie “etwas geht in den Orkus” (bedeutet: etwas geht den Bach runter) oder “Tantalusqualen erleiden” dem Begriffskomplex entlehnt.

Aus kriminologischer Perspektive werden die Verbrecherwelt, das Verbrechertum, das Gangstertum, die Gaunerei, das Syndikat sowie Organisierte Kriminalität und die Mafia als Unterwelt bezeichnet. Die Unterwelt stellt sich in Szenen von Mafia, Geldwäscherei, Waffenhandel, Schmuggelei, Menschenhandel, Rotlichtmileu, Drogenhandel oder Glücksspiel dar. Aktuell wird der Begriff Unterwelt verstärkt als Synonym für Organisierte Kriminalität benutzt. Zudem bezeichnet 'online underworld' das Phänomen organisierter, flächendeckender Computerkriminalität. Medien sprechen von der 'politischen' und 'terroristischen Unterwelt'.

Kriminologische Relevanz

In Literatur, (Kriminal-) Geschichte, Film und Computerspielen spielt die Unterwelt als Verbrecherwelt eine bedeutende Rolle und entwickelt hohe Anziehungskraft. Die Unterwelt ist gespeist aus vielen Bildern, Fantasien, Filmen, Berichten. Der emotionalisierte Begriff spielt auf das nicht eingelöste Glücksversprechen der bürgerlichen Welt an: Geld, Sex, Drogen, Rausch, Ruhm, Männlichkeiten, Macht und Leidenschaft. Dies ist gekoppelt an die Gefahrenseite der Unterwelt: Mord, Intrigen, Verrat, Frauen, Spannung, Gefängnis. Der Begriff der Unterwelt bleibt in der Kriminologie aufgrund der Wechselwirkung zwischen Faszination und Schrecken zentral. Seine Ausstrahlungskraft bestimmt das Denken über Kriminalität, schafft Geschichten und Mythen. Das Bild von den Unterwelten prägt Auffassungen von Verbrechen und bestimmt aktuelle Interpretationen von Kriminalität und Kriminellen. Der Begriff umschreibt eine Konstanz in unterschiedlichen Kontexten. Sein Inhalt der kriminellen und kriminalisierten Handlungen und Personen wird sich fortlaufend wandeln. Die Idee der Unterwelt bleibt ein zentrales Motiv für die Kriminologie.

Spielfilme zum Thema (Auswahl)

  • A bitter sweet life, Südkorea 2005, Regie: Kim Lee-Woon
  • Batman hält die Welt in Atem (Batman), USA 1966, Regie: Leslie H. Martinson
  • Corpse bright- Hochzeit mit einer Leiche, USA/UK 2005, Regie: Tim Burton
  • M- Eine Stadt sucht seinen Mörder, Deutschland 1931, Regie: Fritz Lang
  • Moulin Rouge, Australien/ USA 2001, Regie: Baz Luhrmann
  • Rächer der Unterwelt (The Killers), USA 1947, Regie: Robert Siodmak,
  • Underworld, UK/ D/ H / USA 2003, Regie: Len Wiseman


Literatur

  • Assmann, Jan (2001): Tod und Jenseits im Alten Ägypten, München
  • Dehs, Volker (2005) (Hg.): Verne, Jules (1895): Die Reise zum Mittelpunkt der Erde, Düsseldorf
  • DeLillo, Don (1998): Unterwelt, Köln
  • Ehrhard, Franz-Karl/ Fischer-Schreiber, Ingrid (1992): Das Lexikon des Buddhismus, Bern/München/ Wien
  • Evans, Richard J. (1988): The German Underworld: Deviants and Outcasts in German History, London/ New York
  • Glunk, R. Fritz (1999)(Hg.): Dantes Göttliche Komödie (Meisterwerke kurz und bündig), München/ Zürich
  • Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden.(1982), Original 1927, Königstein/Taunus
  • Kerényi, Karl (1998): Die Mythologie der Griechen - Die Götter- und Menschheitsgeschichten, München
  • Küppers, Jochem (2001): Tod, Unterwelt und Strafe im antiken Denken. In: Haupt, Barbara (2001)(Hg.): Endzeitvorstellungen, Düsseldorf
  • Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache (2002), 24. Auflage, Berlin/ New York
  • Page, Raymond I. (2002): Nordische Mythen, Stuttgart
  • Platthaus, Isabel (2004): Höllenfahrten. Die epische Katabasis und die Unterwelten der Moderne, München
  • Schoenberg, Robert J./Schmidt, Peter A.(2001): Al Capone: Die Biographie, Düsseldorf
  • The American Heritage Dictionary of the English Language (2000), Boston, U.S., 24. März 2006
  • Toth, Jennifer (1994): Der Untergrund in Geschichte, Literatur und Kultur. In: Toth, Jennifer (1994): Tunnelmenschen. Das Leben unter New York City, Berlin, 180-190
  • Vorgrimler, Herbert (1994): Geschichte der Hölle, München
  • Wensinck, A.J./ Kramers, J.H. (1976): Handwörterbuch des Islam, Leiden/ Netherlands
  • Wilson, Colin (1987): Herr der Unterwelt: C.G. Jung und das 20. Jahrhundert, München