Terrorliste der EU

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Terrorliste der EU ist eine pauschale Bezeichnung für zwei Namensverzeichnisse von terrorverdächtigen Personen und Organisationen, die zwar beide letztlich auf die UNO zurück gehen, in ihrer Entstehung und ihren Konsequenzen aber nicht unbedeutende Unterschiede aufweisen.

Die Terrorliste der EU im engeren Sinne ist dasjenige Verzeichnis, das von einem europäischen Expertengremium im Auftrag des (Minister-) Rates der EU zusammengestellt wurde, zweimal jährlich aktualisiert und politisch vom Rat verantwortet wird. Der Auftrag zur Erstellung einer solchen Liste kam allerdings vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Insofern handelt es sich bei der EU-Terrorliste im engeren Sinne um eine "halb-autonome" Terrorliste.

Die Terrorliste der EU im weiteren Sinne ist dasjenige Verzeichnis, das ohne Veränderung den jeweiligen Stand der Terrorliste der Vereinten Nationen wiederholt und in der Form einer EU-Verordnung zu europäischem Recht macht. Insofern handelt es sich um eine "unselbständige" Terrorliste der EU.

In die Listen aufgenommene Personen und Organisationen sind einem drakonischen Sanktionssystem - insbesondere in der Form eines umfassenden Finanzboykotts - unterworfen. Die Kriterien, nach denen die Listen erstellt werden, sind undurchsichtig. Auf die Liste zu kommen oder von der Liste gestrichen zu werden, hängt nicht zuletzt von politischen Opportunitätserwägungen, Aushandlungsprozessen usw. ab. Es gibt keine Durchführungsbestimmungen, nicht einmal Empfehlungen zu den Terrorlisten. Sie wirken allein durch ihre Abschreckungswirkung gegenüber allen, die sich an einem Totalboykott nicht beteiligen wollen oder sich fahrlässig auf Kontakte einlassen, etwa weil sie von der Aufnahme einer Person oder Firma in die Terrorliste nichts erfahren haben.

Die Aufnahme auf die Liste hat gravierende Rechtsfolgen ökonomischer und damit auch sozialer Art. Die Finanz-Restriktionen umfassen

  • das sog. Einfrieren von Guthaben und die Entziehung der Verfügungsgewalt über andere ökonomische Ressourcen (= Einfriergebot) und
  • das Verbot, den Betroffenen ein Gehalt oder sonstige Geldleistungen zu zahlen, einen Kredit oder eine Schenkung zu gewähren oder sonstige Ressourcen zur Verfügung zu stellen (= Bereitstellungsverbot).

Etwas plastischer ausgedrückt:

  • "Den gelisteten Personen oder Unternehmen dürfen keinerlei Gelder zur Verfügung gestellt werden. Eine gelistete Person darf zwar für ein Unternehmen arbeiten, das Unternehmen darf dem Betreffenden aber kein Geld und auch keinen anderen wirtschaftlichen Vorteil zur Verfügung stellen. Eine Meldepflicht schreibt zudem vor, dass Unternehmen, Institutionen, Behörden und auch Privatpersonen, die in geschäftlichen Kontakt mit solch einer Person kommen, dieses umgehend melden müssen. Europaratsermittler Dick Marty bezeichnete dahingegend die Listung einer Person als zivile Todesstrafe, da eine gelistete Person praktisch rechtlos gestellt (wird)" (Berner 2008).
  • "Wer einmal auf der Liste steht, hat kaum mehr eine Chance auf ein normales Leben. Er ist quasi vogelfrei, wird politisch geächtet, wirtschaftlich ruiniert und sozial isoliert. Das gesamte Vermögen wird eingefroren, alle Konten und Kreditkarten werden gesperrt, Barmittel beschlagnahmt, Arbeits- und Geschäftsverträge faktisch aufhoben; weder Arbeitsentgelt noch staatliche Sozialleistungen dürfen noch ausbezahlt werden; hinzu kommen Passentzug und Ausreisesperre sowie Überwachungs- und Fahndungsmaßnahmen. Mit Verweis auf die Terrorliste werden Wohnungsdurchsuchungen, Beschlagnahmungen oder Festnahmen begründet. Zu den Fernwirkungen zählen die Verweigerung von Einbürgerungen und Asylanerkennungen sowie der Widerruf des Asylstatus von Mitgliedern oder Anhängern gelisteter Gruppen" (Gössner 2009).

Darüber hinaus hat die Terrorliste der EU noch weitere Auswirkungen auf die Betroffenen und auf Dritte, die mit den Betroffenen in Kontakt stehen. Unklarheit besteht über die Rechtsnatur der Terrorliste und über ihre Vereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Prinzipien. Seit 2004 werden allmählich rechtsstaatliche Elemente in diese Sanktionsregime eingeführt. Gegenwärtig (2009) gibt es für Betroffene erste Ansätze rechtlicher Überprüfungsmöglichkeiten.

Nach 7 Jahren ohne Rechtsmittel-Möglichkeit führte das Urteil des EuGH vom 03.09.2008 dazu, dass die Aufnahme in die EU-Terrorliste begründet und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen werden muss. Auf diese Weise erwirkte ein in den Niederlanden lebender Marokkaner, der 2006 in Rotterdam wegen Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe verurteilt und sogleich auch auf die EU-Terror-Liste gesetzt worden war, nach seinem Freispruch im Berufungsverfahren (2008) auch die Streichung von der Terrorliste. Allerdings billigte ihm der EuGH keine Entschädigung zu.


Die unselbständige Terrorliste

Die unselbständige Terrorliste entstand durch die Übernahme des ersten UNO-Sanktionsregimes gegen die Taliban, Osama bin Laden, die Mitglieder und Gefolgsleute der Al Qaida sowie deren Unterstützer seitens der Europäischen Union. Diese Übernahme erfolgte durch die EG-Verordnung Nr. 881/2002. Alle Aktualisierungen der vom Sanktionsausschuss des UNO-Sicherheitsrats erstellten Liste werden eins zu eins von der EU übernommen. In der Fassung vom 20.02.2008 enthielt die in Anhang I zur EU-Verordnung befindliche und im Internet zugängliche Liste 370 Personen- und 112 Organisations-Namen. Eine neuere Fassung stammt vom 13.10.2009.

Die unselbständige Terrorliste führt über die Finanzrestriktionen hinaus auch zu einem umfassenden Verbot der Einreise in und der Durchreise durch Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen (= Reiseverbot).

Wer auf die Liste kommt, entscheidet nicht die EU, sondern sog. 1267-Sanktionsausschuss (des Sicherheitsrats) der Vereinten Nationen nach einem Verfahren, das sich im Laufe der Jahre rechtsstaatlichen Mindestanforderungen annähert. War das Verfahren zunächst ähnlich wie ein mittelalterliches Geheimverfahren organisiert, so brachten Sicherheitsratsresolutionen aus den Jahren 2004 (Nr. 1526), 2005 (Nr. 1617) und 2006 (Nr. 1735) deutliche Verbesserungen. Betroffene werden inzwischen von ihrer Listung benachrichtigt; man teilt ihnen eine Begründung mit und informiert sie über die das Verfahren des Ausschusses zur Prüfung von Anträgen auf Streichung von der Liste. Für Mitgliedsländer, die jemanden auf die Liste setzen lassen wollen, gibt es inzwischen ein Antragsformular (Anlage I der Sicherheitsratsresolution 1735/2006).

Auch lässt der Sicherheitsrat die Liste seit 2007 jährlich zirkulieren. Dabei kann jedes Mitglied des Sanktionsausschusses eine Prüfung von Fällen vorschlagen, die seit mindestens 4 Jahren nicht mehr überprüft worden waren. Im Jahre 2007 wurde bei insgesamt rund 500 Namen nur ein Name zur Prüfung vorgeschlagen.

Betroffene können seit 2006 (Resolution 1730) auch selbst gegen die Nennung ihres Namens auf der Liste vorgehen, indem sie sich an den speziell geschaffenen Focal Point bei der UNO wenden. Dies ist allerdings kein wirklicher Rechtsweg, denn die Entscheidung darüber, ob jemand gestrichen wird, liegt weiterhin beim Sanktionsausschuss. Zudem bleibt, wer gestrichen wird, auf einer Liste frei einsehbar, auf der Personen und Organisationen aufgezählt sind "that have been removed from the list pursuant to a decision by the Al-Qaida and Taliban Sanctions Committee".

Individuen, welche die Terrorliste, die der Terrorliste zugrunde liegenden Resolutionen oder einzelne Listungen rechtlich überprüfen lassen möchten, steht weder auf der Ebene der UNO noch auf der Ebene eines internationalen Gerichtshofs der Rechtsweg frei. Während Individuen also neuerdings durch Sanktionen der UNO direkt benachteiligt werden können, sind sie als aktive Träger von Rechten im Völkerrecht noch nicht wahrgenommen worden, sondern bleiben weiterhin als Angehörige ihrer jeweiligen Staaten "mediatisiert".


Die halbautonome Terrorliste

Die halb-autonome EU-Terrorliste besteht aus einem Namensverzeichnis, das auf der Grundlage von Einschätzungen europäischer Sicherheitsexperten vom Minister-Rat der EU geschaffen wurde und halbjährlich aktualisiert wird. Halbautonom ist diese Liste, weil mit ihr und mit der EU-Verordnung, auf der sie beruht, lediglich einer Verpflichtung aus der UNO-Resolution Nr. 1373/2001 nachgekommen wird. In dieser Resolution verpflichtete der UN-Sicherheitsrat die Mitgliedsstaaten, über den bereits in der UNO-Terrorliste erfassten Personenkreis hinaus grundsätzlich alle Finanzmittel von Personen und Institutionen zu sperren, die nach Ansicht der jeweiligen Mitgliedsstaaten terroristische Straftaten begehen, versuchen, erleichtern oder anderweitig unterstützen. Insofern kommt die EU mit ihrer eigenen Terrorliste (der EU-Terrorliste im engeren Sinne) nur einer von der UNO auferlegten Verpflichtung zur eigenständigen Auflistung weiterer Terrorverdächtiger nach. Aufnahme und Entfernung von Personen erfolgen auf andere Weise als bei der UNO-Terrorliste. Auch ergeben sich aus der halb-autonomen EU-Terrorliste andere Rechtsschutz-Möglichkeiten.

Die halbautonome EU-Terrorliste geht auf die Sicherheitsrats-Resolution 1371 (2001) zurück, welche den Mitgliedsstaaten der UNO die Aufgabe stellte, in eigener Regie Personen und Institutionen auszuwählen, die terroristische Straftaten begehen, vesuchen, erleichtern oder anderweitig unterstützen. In Erfüllung dieses Auftrags schuf sich die EU zunächst mit dem "Gemeinsamen Standpunkt des Rates" 2001/931/GASP einen Beschluss und darauf aufbauend mit der EG-Verordnung 2580/2001 eine eigene Terrorliste, die der EU-Minister-Rat selbst (mittels eines wohl hauptsächlich aus Geheimdienstexperten bestehenden Gremiums) verwaltet und aktualisiert. Auch diese Liste ist im Internet frei zugänglich. Die Konsequenzen einer Listung in diesem Verzeichnis sind grundsätzlich identisch mit denen auf der anderen Liste: auch hier werden die wirtschaftlichen Ressourcen eingefroren; auch dürfen keine wirtschaftlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Allerdings beinhaltet dieses Sanktionsregime keine Reiseverbote.

Anfangs (Dezember 2001) befand sich auf der Liste etwa ein Dutzend Organisationen (z.B. ETA, Real IRA ...); am 02.05.2002 kamen arabische Einzelpersonen und einige Organisationen wie die PKK dazu - und zwar ungeachtet der Tatsache, dass im EU-Staat Deutschland der dafür zuständige Generalbundesanwalt die PKK schon seit 1997 ausdrücklich als "nicht mehr terroristisch" eingestuft hatte. Mitte 2002 wurden die FARC und die Al-Aksa-Brigaden aufgenommen. Am 20.12.2007 befanden sich auf der Liste 54 Personen und 48 Organisationen; am 15.06.2009 waren es 57 Personen und 47 Gruppen.

Es gibt einen Link, in dem die Rede ist von einer Liste - Bestandteil der Verordnung (EG) Nr. 501/2009 des Rates zur Durchführung von Artikel 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2009 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus - deren aktualisierte Fassung am 16.06.2009 die Zahl von 26 Personen- und 29 Organisations-Namen enthielt (http://www.bundesbank.de/download/finanzsanktionen/verordnung/vo_eg_501_2009.pdf; 29.10.09).


Die Kriterien der Aufnahme und Streichung gelten als undurchsichtig. Auch werden Urteile der zuständigen Europäischen Gerichte missachtet. Im September 2008 standen zum Beispiel die Hisbollah nicht auf der EU-Terrorliste, wohl aber die Iranischen Volksmudschaheddin (PMOI), obwohl der Europäische Gerichtshof (EuGH) die im Jahre 2002 erfolgte Aufnahme der PMOI auf die Liste für nichtig erklärt hatte.

Die Voraussetzungen für eine Aufnahme in die Liste waren in Artikel 4 des Gemeinsamen Standpunktes nur vage umschrieben. Erst Jahre später wurde eine "Arbeitsgruppe zur Durchführung des Gemeinsamen Standpunktes 2001/931/GASP über die Anwendung von spezifischen Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus" eingerichtet, die "vollkommen geheim" (Macke 2008) die halbjährliche Aktualisierung der Liste durch eigene Auflistungs- und Streichungs-Vorschläge vorbereiten soll.

Eine Benachrichtigung der Betroffenen war ursprünglich nicht vorgesehen. Durch das Volksmudschaheddin-Urteil des EuG vom 2.12.2006, das deren Aufnahme für nichtig erklärte, änderte sich das. Seit 2007 ist es vorgesehen, die Betroffenen nach erfolgtem Einfrieren ihrer Finanzen zu benachrichtigen. Eine Anhörung ist nicht vorgesehen. Schon seit 2001 ist eine halbjährliche Überprüfung der Liste von der EU vorgesehen.


Rechte der Betroffenen

(1) Anträge auf Entfernung von der EU-Terrorliste

Bis heute gibt es keine reguläre Möglichkeit für ein Individuum, sich gegen die Aufnahme auf die Liste oder gegen den Verbleib auf der Liste zur Wehr zu setzen. Individuen dürfen nur mittels eines gut begründeten Antrags eine erneute Prüfung ihres Falles erbitten. Dieser Antrag ist an das Generalsekretariat des Rates zu richten, wird an eine Arbeitsgruppe weitergeleitet, die ihn binnen 15 Tagen bearbeitet und daraufhin dem Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten (COREPER) eine Beschlussempfehlung unterbreitet. "Im Unterschied zur Situation bei der UN-Terrorliste kann bei der EU-Terrorliste das Fehlen eines spezifischen Rechtsbehelfs indessen über Nichtigkeitsklagen gem. Art. 230 IV EGV gegen EG-Verordnung und Listungsbeschluss des Rates kompensiert werden. Dies liegt daran, dass bei der EU-Terrorliste die Verbindung zum UN-Recht 'gelockert' ist, da der Europäischen Union hier ein größerer Umsetzungsspielraum verblieb" (Macke 2008).

Klagen der Stichting Al Aqsa, von Herrn Sison und von den iranischen Volksmudschaheddin vor dem EuG auf Entfernung von der EU-Terrorliste waren erfolgreich.


(2) Anträge auf Freigabe von Mitteln für das tägliche Leben

Eine Freigabeklausel für Grundbedürfnisse, zur Bezahlung von Steuern, Pflichtversicherungsprämien, Kontoführungsgebühren und Strom- und Wasserrechnungen usw. enthält Artikel 5 (2) der EG-Verordnung 2580/2001. Anders als bei der UN-Terrorliste ist eine Freigabe von Mitteln zur Bezahlung von Rechtsanwälten nicht vorgesehen. Anträge auf Freigabe von Geldern werden in Deutschland von der Deutschen Bundesbank entgegengenommen. Geht es um die Freigabe anderer wirtschaftlicher Ressourcen, so ist der Adressat das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Bei Versicherungen ist es das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen. Anders als bei der UN-Terrorliste können diese Behörden selbst entscheiden. Das schließt allerdings eventuelle Konsultationen mit anderen Behörden und Staaten nicht aus.


Konsequenzen für Dritte

  • International tätige Unternehmen. Da Geschäftsbeziehungen zu Personen oder Organisationen, die auf einer Terrorliste stehen, verboten sind (widrigenfalls man selbst auf die Liste kommen kann), zahlen international aktive Unternehmen entweder durch die Anschaffung teurer Software und die Einstellung zusätzlicher Sicherheitskräfte oder dadurch, dass sie kostenintensive Schwierigkeiten bekommen - und erledigen jedenfalls auf eigene Kosten Aufgaben des Staates (vgl. Pergande 2009). Das Speditionsunternehmen Kühne & Nagel leistet sich notgedrungen teure computergestützte Überprüfungen aller seiner Geschäftspartner. Gleichzeitig beklagt sich die Firma, dass erstens andere Logistikunternehmen wie Bahn- und Briefbeförderungsunternehmen keine entsprechenden Überprüfungen durchführen und sich damit einen unlauteren Vorteil verschaffen - und dass zweitens im Ausland weniger streng und damit auch weniger kostenintensiv geprüft wird.
  • Gefängnis-Seelsorger kommen berufsbedingt mit Personen in Kontakt, die auf einer Terrorliste stehen und sich in Haft befinden. In Deutschland befinden sich (2009) immerhin 20 Gelistete in Haft. Kontakte mit diesen Personen sind riskant für die Seelsorger. Ein katholischer Gemeindereferent, der aufgrund seiner Eigenschaft als Gefängnisseelsorger in einem Düsseldorfer Al-Kaida-Prozess im Jahre 2006 die Aussage verweigert hatte, wehrte sich gegen das Ordnungsgeld von 750 Euro ebenso wie gegen die dann angedrohte maximale Beugehaft von sechs Monaten. Als er mit seiner Haltung auch vor den höchsten deutschen Gerichten nicht durchdrang, konnte er die Beugehaft durch seine Aussage abwenden, dass er für einen der drei Angeklagten in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal Versicherungsadressen im Internet recherchiert habe. Internetrecherchen, so das Oberlandesgericht, sei kein Element der Seelsorge. Den Vorwurf, dass er auch Briefe des Angeklagten an Versicherungen an der Postkontrolle der JVA vorbeigeschleust habe, bestritt der 45-Jährige. Der Seelsorger, der das Gericht als freier Mann verlassen konnte, erklärte: "Ich stehe nicht über dem Recht, und von daher muss ich mich dieser Entscheidung beugen."

Einzelprobleme

  • Am 28.10.2002 geriet der in Utrecht im Exil lebende Filipino José Maria Sison, Gründungsvorsitzender der philippinischen kommunistischen Partei, auf Antrag der niederländischen Regierung auf die Terrorliste. Für den im Februar 2009 70 Jahre alt gewordenen Sison war es wie ein Geburtstagsgeschenk, als der Europäische Gerichtshof Erster Instanz die Listung am 30.09.2009 für rechtswidrig erklärte. Dem angeblichen Führer einer terroristischen Bewegung waren Sozialhilfe und Krankenversicherung gekündigt, sein Bankkonto war gesperrt worden - Auslandsreisen waren ihm untersagt gewesen.
  • Die "Iranischen Volksmudschahedin", eine Organisation, die schon in Opposition zum iranischen Schah-Regime und dann in Opposition zum Mullah-Regime stand und inzwischen der Gewalt abgeschworen haben will, stand lange auf der europäischen Terrorliste und wurde erst im Februar 2009 aufgrund von Verfahrensfehlern bei der Auflisten aus der Liste gestrichen. Die Volksmudschahedding waren gegen ihre Listung vor den EuGH gezogen. Sie erhielten ein Urteil zu ihren Gunsten. Doch die EU verhielt sich renitent. Der EuGH urteilte erneut und erneut blieb das Urteil ohne Folgen. Erst nach dem dritten Urteil des EuGH in derselben Sache und nach weiterer Wartezeit strich die EU-Kommission die Gruppe von der Liste. Eine Prozedur, welche die Frage nach Instrumenten rechtlichen Zwangs gegen renitente EU-Organe aufwerfen könnte.
  • Die iranische Staatsreederei steht auf den US-Listen. Eine Nichtbeachtung der US-Listen durch international tätige Firmen würde diese in Existenznot bringen, auch wenn sich die rechtliche Verpflichtungswirkung der US-Listen nicht auf andere Staaten erstreckt.
  • Der Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Dick Marty, bezeichnet die Aufnahme in eine solche Terrorliste im Zusammenhang mit dem Fall des Italieners ägyptischer Herkunft, Youssef Nada, als ein Beispiel von vielen für so etwas wie eine zivile Todesstrafe. Nada wurde von der CIA verdächtigt, zu den Finanzgebern der Anschläge vom 11. September 2001 zu gehören. Durch den Eintrag in eine Schwarze Liste wurde Nada geschäftlich ruiniert. Die von dem Betroffenen selbst geforderten vierjährige Ermittlungen der Schweizer Justiz konnten keinerlei Verdachtsmomente zu Tage fördern.
  • Der zunächst auf die UN-Terrorliste und bereits am 19. Oktober 2001 auch auf die EU-Terrorliste gesetzte saudi-arabische Geschäftsmann Yassin Abdullah Kadi klagte mit Erfolg vor dem Europäischen Gerichtshof gegen seine Aufnahme auf die EU-Terrorliste. Zwar hatte das Gericht erster Instanz die EU-Gerichtsbarkeit für letztlich unzuständig erklärt, weil die EU ja nicht selbst Recht setzte, sondern lediglich ihrer Verpflichtung zum Nachvollzug der Sicherheitsrats-Resolutionen nachkäme. Doch der Generalanwalt am Gerichtshof (Poiares Maduro) erklärte, dass auch der eminent politische Charakter der Maßnahme nicht dazu führen dürfe, "die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts auszuschalten und dem Einzelnen seine Grundrechte" - gemeint waren vor allem das Grundrecht auf Eigentum, der Anspruch auf rechtliches Gehör und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz - "zu entziehen". Am 3. September 2008 entschieden die Luxemburger Richter, dass die Konten Kadis und der in Schweden ansässigen Al-Barakaat-Stiftung zu unrecht gesperrt worden waren. Die Verordnung, mit der die EU entsprechenden Resolutionen des UN-Sicherheitsrates nach dem 11. September 2001 nachgekommen war, verstoße gegen Grundrechte. Die Kontrolle der Gültigkeit einer jeden Handlung der Gemeinschaft mit Blick auf die Grundrechte sei als Ausdruck einer Verfassungsgarantie in einer Rechtsgemeinschaft zu betrachten - einer Garantie, die isch aus dem EG-Vertrag als autonomen Rechtssystem ergebe und durch ein völkerrechtliches Abkkommen wie die UN-Charta niecht beeinträchtigt werden könne. Der Gerichtshof gab dem Rat drei Monate Zeit, die Verletzungen zu heilen. Zwar sei es verständlich, dass man Verdächtige nicht vorher von dem Verdacht informieren dürfe, doch sei es unerlässlich, Verdächtigen nach der Sperrung ihrer Konten die Gründe dafür darzulegen und ihnen Gelegenheit zur Verteidigung zu geben.
  • Nach 7 Jahren ohne Rechtsmittel-Möglichkeit führte ein Gerichtsurteil seit 2008 dazu, dass die Aufnahme in die EU-Terrorliste begründet und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen werden muss. Auf diese Weise erwirkte ein in den Niederlanden lebender Marokkaner, der 2006 in Rotterdam wegen Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe verurteilt und sogleich auch auf die EU-Terror-Liste gesetzt worden war, nach seinem Freispruch im Berufungsverfahren (2008) auch die Streichung von der Terrorliste. Allerdings billigte ihm der EuGH keine Entschädigung zu


Literatur

  • Gössner, Rolf (2009) EU-Terrorliste: Feindstrafrecht auf Europäisch. Blätter für deutsche und internationale Politik 3:13–16 (www.blaetter.de)
  • Pergande, Frank (2009) Die Tücken der Terrorlisten. Deutsche Unternehmen im Visier der Fahnder. FAZ 24.02.09: 3.
  • Rechtsschutz für Terrorverdächtige. FAZ 04.09.08: 4.

Weblinks

http://www.ausfuhrkontrolle.info/ausfuhrkontrolle/de/embargos/terrorismus/alquaida/vo2009_954.pdf http://www.ausfuhrkontrolle.info/ausfuhrkontrolle/de/embargos/terrorismus/alquaida/index.html (unselbständige Liste; 04.11.09).

  • EU-Terrorliste (halb-autonome) in der Fassung vom 15.06.2009:

http://www.statewatch.org/terrorlists/terrorlists.html (29.10.09). http://www.ausfuhrkontrolle.info/ausfuhrkontrolle/de/embargos/terrorismus/sonstige/index.html (halb-autonome; 04.11.09).