Subjektorientierte Drogenhilfe

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Subjektorientierte Drogenhilfe gründet auf den theoretischen Grundsätzen der Kritischen Psychologie und zielt darauf ab, die Ansätze der akzeptanzorientierte Drogenarbeit zu präzisieren und zu ergänzen.

Entwicklung und Praxis der subjektorientierten Drogenhilfe

Erste Ideen zur Subjektorientierten Drogenhilfe wurden bereits in den frühen 2000ern Jahren von Studenten entwickelt, die im Drogenhilfeberich Erfahrungen gemacht und sich im Ausbildungsprojekt subjektwissenschaftliche Berufspraxis an der FU zusammemgefunden hatten. Aufgrund ihrer Kritik an den bestehenden abstinenz- und Teilen der akzeptanzorientierten Drogenhilfeansätze entwickelte diese Gruppe den Ansatz der subjektorientierten Drogenhilfe basierend auf den Grundannahmen der Kritischen Psychologie. Die Kritische Psychologie nimmt im Gegensatz zur traditionellen Psychologie die gesellschaftlichen Verhältnisse und Lebensbedingungen in den Blickpunkt zu der sich das Subjekt bewusst verhalten kann.Hierbei stellt sie das Subjekt in eine reziproke Beziehung zu seiner Umwelt in der sich dann individuelle Handlungsmöglichkeiten entwickeln.Handlungsleitend ist dabei die Idee, dass Menschen durch Drogenkonsum zwar subjektiv Verfügungsmacht über ihr eigenes Leben gewinnen, die aber mit einer realen Verfügung über Lebensbedingungen und gesellschaftlicher Teilhabe in keinem Verhältis steht. Die Frage, warum Menschen unter bestimmten Lebensbedingungen den Drogenkonsum als subjektiv funktionalere Handlungsmöglichkeit erleben als andere, gilt es zu ergründen. Auf dieser Grundlage können in einem Prozess der Selbstverständigung auch erst Handlungsmöglichkeiten erschlossen werden.

Im Projekt Selbstverständigung über Drogengebrauch fanden sich dann Psychologen,Mediziner,Sozialarbeiter und Studenten dieser Fachrichtungen zusammen, um die theoretischen Überlegungen praktisch zu realisieren. Ausgehend von der Annahme, dass jede menschliche Handlung und somit auch der Konsum von Drogen subjektiv begründet ist wurde dieses Projekt dazu initiiert um mit Menschen in einer Art Selbsthilfe- und Forschungsgruppe über Probleme, die im Zusammenhang mit dem eigenen Drogenkonsum stehen, ins Gespräch zu kommen und sich über diese zu verständigen. Begründet heißt in diesem Zusammenhang, dass aus der Sicht des/der Konsument_in Bedingungen - Situationen, Lebensumstände etc. - existieren, unter denen der Konsum von Drogen eine begründete Alternative ist. (www.sd-verein.de/prosd/prosdkonzept) Es folgten verschiedene Publikationen und wissenschaftliche Arbeiten.

Praxis

Im Jahr 2008 wurde der Verein Subjektorientierte Drogenhilfe e.V. (SD e.V.) gegründet, der die Arbeit in verschiedenen Projekten koordinieren und die theoretische Arbeit voranbringen will. Die Projekte sind im Einzelnen:

  • ProSD: Projekt Selbstverständigung über Drogengebrauch und die darin entwickelte Selbsthilfe- und Forschungsgruppe
  • JuSD: Jugendarbeit und subjektorientierte Drogenhilfe ist ein Projekt, das sich speziell an Jugendliche aus Berlin-Neukölln richtet und diese über den Umgang mit Drogen berät und informiert, aber auch bei Konflikten mit Justizbehörden, Eltern, Schule u.a. in Bezug auf ihren Drogenkonsum
  • FruSD: dient zur Vernetzung von Professionellen aus der Drogenhilfearbeit, die die Umstrukturierung und Bedingungen im derzeitigen Drogenhilfesystem kritisch betrachten, sich darüber austauschen und nach Lösungen suchen möchten
  • Ponyhof: Einzelfallhilfe zur individuellen Unterstützung bei Problemen mit der Alltags- und Lebensbewältigung, die aus aktuellem oder vergangenem Drogenkonsum resultieren
  • Forschung: der SD e.V. hat es sich zur Aufgabe gemacht mit Hilfe von partizipativen Forschungsmethoden mit den Klienten als mitforschende Subjekte, die mit den professionellen die Begründungszusammenhänge im Kontext ihrer eigenen Erfahrungen in und mit den gesellschaftlichen Verhältnissen erforschen um an einer emanzipativen Lösung zu arbeiten


Abgrenzung zu anderen Drogenhilfeansätzen

Der subjektorientierte Ansatz lehnt sowohl den hegemonialen Suchtbegriff, der den Konsumenten zum Objekt reduziert und die Droge quasi zum Subjektstatus erhebt, als auch den Krankheitsbegriff den der Suchtbegriff impliziert, als solches ab. Dies ist einer der Hauptkritikpunkte an der Sichtweise der abstinenzorientierten Drogenhilfe. Die Subjekte sind dann nur noch als Reaktionen auf chemische Substanzen relevant (vgl Braun & Gekeler 1988, 149ff) Demgegegenüber versucht die subjektorientierte Drogenhilfe den Menschen durch die (Selbst-) Verständigung mit anderen Betroffenen dazu zu befähigen seine (Lebens-) Bedingungen und die gesellschaftliche Kontextualisierung ihres Drogenkonsums zu verstehen und eine (gemeinschaftliche) Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten hierdurch sichtbar zu machen. Die subjektiv empfundenen Probleme müssen nicht im Konsum selbst liegen, sondern können sich in Bezug auf den staatlichen Repressionapparat oder auch sozialen Kontakten ergeben. Die Kritik der akzeptanzorientierten an der abstinenzorientierten Drogenhilfe teilt die subjektorientierte Drogenhilfe. Jedoch wird an diesem Ansatz der mangelhafte Bezug zu gesellschaftlichen Verhältnissen im Bezug auf Drogenkonsum und -problematiken kritisiert. Die zunehmende Weitergabe staatlicher Interessen an das Klientel und der eher normative Auftrag der unter anderem durch Vorgaben aus der Finanzierungssituation der akzeptanzorientierten Institutionen entsteht, werden ebenso bemängelt. Außerdem ist in diesem Konzept der Begriff des Subjekts nur unzureichend theoretisch definiert worden. Dies kann in der praktischen Umsetzung zu einer Personalisierung der Probleme führen und ist somit wiederum nicht kompatibel mit dem Ansatz der subjektorientierten Drogenhilfe.

Kriminologisch relevante Aspekte der subjektorientierten Drogenhilfe

Zunächst ist die Ablehnung des Begriffes Sucht, der negativ konnotiert ist und das Verstoßen gegen eine soziale Norm impliziert ein wichtiger Schritt in Richtung Entstigmatisierung. Der Begriff Sucht wird mit den Teilnehmenden kritisch reflektiert und es wird versucht die (gesellschaftspolitische) Funktionalität zu ermitteln und in der Folge zu dekonstruieren. Durch die Negation normativer Ansichten in der Drogenarbeit können soziale (Macht-)Verhältnisse in Frage gestellt und der Drogengebrauch kontextualisiert werden. So können sich die Betroffenen emanzipieren um ihre Interessen/Bedürfnissen im besten Fall auch gesellschaftspolitisch formulieren. Der SD e.V. setzt sich in der praktischen Arbeit, wie auch in Veröffentlichungen und Vorträgen für eine Entkriminalisierung des Drogenkonsums und -besitzes ein. Die Legalisierung von Besitz und Handel mit Cannabisprodukten wird ebenso gefordert. Dahingegen wird die Forderung einer Legalisierung aller Drogen im Verein kontrovers diskutiert, da dies möglicherweise einer kritisch zu betrachtenden Öffnung für legale Märkte in bestimmten Produktions- und Arbeitsbedingungen Vorschub leisten könnte. So könnten z.B. besonders physisch und psychisch anstrengende arbeitende Menschen unter Druck geraten mit Hilfe von „aufputschenden“ Drogen ihre Arbeitsleistung steigern zu „müssen“. Der Gebrauch, die „Verordnung“ des Konsums von solchen Drogen wurde in der Vergangenheit auch bereits so verwendet bevor die Prohibition in Kraft trat. Beispiele hierfür sind Fabrikarbeiter und Soldaten um sie leistungsfähiger zu machen. Auf der anderen Seite ist der Drogenhandel mit seinen immanenten mafiösen Strukturen, wie er gegenwärtig besteht, zu kritisieren, da er vielen Menschen schadet, den Konsumenten, wie auch denen in den drogenproduzierenden Gebieten. Diese sozialen Konsequenzen könnten nur durch eine Legalisierung gelöst werden.

Weblinks

Literatur

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  • Braun, Karl-Heinz & Gekeler, Gerd (1983): Psychische Verelendung, Heroinabhängigkeit, Subjektentwicklung. Köln (Pahl-Rugenstein).
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  • Happel, Hans-Volker (1991): Selbstorganisierter Ausstieg – eine (Grat-) Wanderung zwischen Lust und Frust, Zwang und Drang, Lex und Sex, Wollen und Sollen. In: akzept e.V. (Hg.): Leben mit Drogen. Dokumentation des 1. Kongresses des akzept e.V. Berlin (VWB), S. 25–37.
  • Harding, Wayne M. (1982): Kontrollierter Heroingenuß – ein Widerspruch aus der Subkultur gegenüber herkömmlichem kulturellen Denken. In: Völger, Gisela & Welck, Karin (Hg.): Rausch und Realität – Drogen im Kulturvergleich – 3 Bände. Reinbek bei Hamburg (Rowohlt), S. 1217–1232.
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  • Herwig-Lempp, Johannes (1994): Von der Sucht zur Selbstbestimmung. Dortmund (VWB).
  • Holzkamp, Klaus (1983): Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/M. (Campus).
  • Holzkamp, Klaus (1993): Lernen – Subjektwissenschaftliche Grundlegung. Frankfurt/M. (Campus).
  • Kappeler, Manfred (2001): Leitideen und Strategien im Umgang mit Genuß und Risiken. In: akzept e.V. (Hg.): Gesellschaft mit Drogen – Akzeptanz im Wandel. Berlin (VWB), S. 279–290.
  • Legnaro, Aldo (2001): Sucht in den Zeiten der Flexibilisierung. In: akzept e.V. (Hg.): Gesellschaft mit Drogen – Akzeptanz im Wandel, Dokumentationsband zum 6. Internationalen akzept Drogenkongress. Berlin (VWB), S. 83–92.
  • Leune, Jost (1999): Akzeptanz- und Abstinenzorientierung: kein Gegensatz. In: Sahler, Irmgard & Scherer, Hanfried (Hg.): Toleranz – Neue Ansätze in der Drogen-Diskussion. Wiesbaden (Ingo Koch), S. 80–93.
  • Markard, Morus (1988): Kategorien, Theorie und Empirie in der subjektwissenschaftlichen Forschung. In: Dehler, Joseph & Wetzel, Konstanze (Hg.): Zum Verhältnis von Theorie und Praxis in der Psychologie. Marburg (va&g), S. 49–80.
  • Christoph Vandreier (2010)in: Dege, Martin, Grallert, Till, Dege, Carmen & Chimirri, Niklas (Hrsg), Können marginalisierte widersprechen? – Zum politischen Potenzial der Sozialwissenschaften, S. 201-217. Gießen: Psychozozial-Verlag
  • Christoph Vandreier (2011):Entwicklung und Probleme der akzeptanzorientierten Drogenhilfe in: Weber, Klaus (Hrsg), Sucht – Texte Kritische Psychologie 2, S. 101-129. Hamburg: Argument Verlag
  • Christoph Vandreier (2011): Wer braucht Sucht? Zur Relevanz von Wulffs Thesen für eine subjektorientierte Drogenhilfe in: Weber, Klaus (Hrsg), Sucht – Texte Kritische Psychologie 2, S. 130-154. Hamburg: Argument Verlag


--Jana Krystlik 13:01, 6. Apr. 2012 (CEST)