Strategie der Spannung

Aus Krimpedia – das Kriminologie-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
  • Zur weiteren Bearbeitung und Ergänzung geeignet


Die Strategie der Spannung als politischer Begriff bezeichnet die von staatlichen Organen geförderten bzw. ausgeführten Maßnahmen zur Angstschürung oder Verunsicherung der eigenen Bevölkerung bzw. des eigenen Staates. Die Verantwortung für solche Taten soll auf bestimmte politische, ethnische oder religiöse Gruppen gelenkt werden, um diese politisch oder moralisch zu schwächen. Zudem kann eine Strategie der Spannung der Rechtfertigung staatlicher repressiver Handlungen und Eingriffe dienen, indem das Verlangen der Bevölkerung nach staatlicher Intervention gestärkt wird.

Eine Strategie der Spannung wird hierfür unter strenger Geheimhaltung durchgeführt und ist daher oft schwer zu ermitteln. Es scheinen jedoch nachweisbare Fälle zu existieren, so etwa in Westeuropa.

Terror als politisches Instrument, Angst als Waffe

Nach dem Historiker Daniele Ganser, Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Sicherheitsstudien der ETH Zürich, eignet sich „Terror (...) mehr als irgendeine andere militärische Strategie dazu, die Bevölkerung zu manipulieren.“ (Ganser, 2004, S.2)

Die Motivation einer Strategie der Spannung kann sich aus einer von staatlichen Eliten wahrgenommenen Bedrohung durch gesellschaftliche, politische oder wirtschaftliche Veränderungen ergeben, die zu Machtverlust führen könnten (wie etwa demokratische Bewegungen in einer Diktatur, Kommunismus, ethnische Spannungen...). Auch die Ablenkung von akuten oder strukturellen Problemen eines Staatswesens oder einer Regierung ist als Hintergrund denkbar. Durch die Erzeugung von Unsicherheit in der Bevölkerung soll der Ruf nach einem starken Staat unterstützt werden.

The methods to create and manipulate fear also involve terrorism (sometimes state-sponsored) and may target domestic populations in order to make them receptive or hostile to certain political or economic policies.“ (Ganser, 2005b, S. 43)

Inwieweit eine Strategie der Spannung als teilweise staatlich geförderter Akt bzw. in Form eines politischen Instruments als terroristisches Vorgehen bezeichnet werden kann, ist Sache der Auslegung.

Strategie der Spannung in Italien

Ablauf und Aufdeckung

Der größte Fall einer Strategie der Spannung bezieht sich auf die „strategia della tensione“ Ende des 20. Jahrhunderts in Italien. Hier sollen terroristische Aktivitäten von den italienischen Geheimdiensten, der NATO/CIA-Geheimorganisation Gladio und der Geheimloge Propaganda Due in Zusammenarbeit mit Rechtsorientierten des Landes inszeniert worden sein (so genannte „Stay-behind-Operationen), mit dem Ziel die öffentliche Stimmung zu Ungunsten der linksorientierten Politik zu beeinflussen, insbesondere um eine Regierungsbeteiligung der Kommunistischen Partei Italiens zu verhindern.

Der italienische Untersuchungsrichter Felice Casso untersuchte in den 1980er Jahren den Prozess um ein Bombenattentat aus dem Jahr 1972 in Italien. Für den Anschlag wurde zunächst die linksorientierte Organisation Rote Brigaden verantwortlich gemacht. Die während der Untersuchung aufgedeckten Unstimmigkeiten führten zu dem rechtsradikal zuzuordnenden Aktivisten Vincenzo Vinciguerra, der im Zuge seines Geständnisses auf eine umfassende Strategie von Personen aus dem Staatsapparat hinter dem Attentat hinwies. Casson ermittelte daraufhin weitere politisch motivierte, scheinbar von den Geheimdiensten der NATO/CIA unterstützte terroristische Aktivitäten, die von den 1960er bis 1990er Jahren in Italien unter anderem von der Gruppe Ordine Nuovo unternommen und durch das Verbreiten von falschen Informationen auf politisch linksorientierte Organisationen umgelenkt worden sein sollen. Diese vermeintliche Strategie, deren Aufdeckung zu einer Staatskrise in Italien geführt hatte, wurde später strategia della tensione (Strategie der Spannung) genannt.

Mutmaßliche Verstrickung anderer europäischer Länder und (fehlende) Aufklärung

Daniele Ganser fand in seinem Forschungsprojekt zu den Nato-Geheimarmeen und Terroranschlägen im Kalten Krieg (s.u.) Anzeichen dafür, dass es neben der Operation in Italien ähnliche Netzwerke in Frankreich, Deutschland, Griechenland, Holland, Belgien, Spanien, Portugal, Norwegen, Luxemburg, Dänemark, Österreich, Finnland, Schweden und der Schweiz gab.

Die NATO Geheimarmeen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg vom US Geheimdienst CIA zusammen mit dem Englischen Geheimdienst MI6 aufgebaut, um im Falle einer Sowjetischen Invasion und Besetzung der Länder Westeuropas als Guerilla zu kämpfen und zusammen mit den regulären Truppen der NATO Westeuropa wieder zu befreien.

The idea (...) was based on the fear of a communist invasion and occupation, or the take over of power by the Communist parties in Western Europe.“ (Ganser, 2005a, S. 70)

Washington, London und der italienische militärische Geheimdienst befürchteten, dass der Einzug der Kommunisten in die Regierung die NATO von innen heraus schwächen könnte. Um dies zu verhindern, wurde das Volk manipuliert (...)“, woraufhin es „selber nach mehr Polizei, weniger Freiheitsrechten und mehr Überwachung durch die Nachrichtendienste verlangte.“ (Ganser, 2004, S. 2)

Neben der Guerilla-Funktion sollen die Geheimarmeen in einigen Ländern scheinbar auch mit dem Instrument der verdeckten Kriegsführung in den politischen Prozess eingegriffen haben. Unter den angewandten Mitteln werden auch Folter genannt. Ob die Geheimarmeen ebenfalls an Terroranschlägen beteiligt waren bleibt umstritten. (Zu einer ausführlichen Abhandlung über die Aktivitäten der oben genannten Staaten siehe etwa Ganser, 2005a, S. 71-91, zu Schweden siehe Deland & Ganser, 2010, S. 20-39)

Das Europäische Parlament drückte nach einer Sonderdebatte am 22. November 1990 Protest gegen das Vorgehen der Geheimdienste und der NATO aus und forderte die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zur Aufklärung auf:

These organisations operated and continue to operate completely outside the law since they are not subject to any parliamentary control (and) called for a full investigation into the nature, structure, aims and all other aspects of these clandestine organisations.“ (Debates of the European Parliament, Official transcripts, November 22, 1990; zit. nach Ganser, 2005a, S. 70)

Dieser Forderung soll bis auf parlamentarische Untersuchungen in Italien, Belgien (und der Schweiz) jedoch bislang nicht nachgekommen worden sein. Die NATO äußerte sich seither nicht zu den Vorwürfen geheimer militärischer Aktionen und ihrer Verbindung zu den Geheimarmeen dieser Zeit.

Aktualität

Eine Strategie der Spannung ist auch in den heutigen Zeiten der politischen Umbrüche im arabischen Raum oder im westlichen Krieg gegen Terrorismus denkbar, um ein Klima in der Bevölkerung zu erzeugen, in dem strengere Sicherheitsgesetzte oder Kriegseinsätze legitimiert werden können.

The weapon of fear is still being used today by number of international actors in the context of the so-called war on terrorism (...). Without fear (...) the war on terrorism could not succeed“ (Ganser, 2005b, S. 43)

Ganser zieht daher die Bilanz: „In this age of global concern about terrorism, in which secret services are thought of as part of the solution and not as part of the problem, it is greatly upsetting to discover that Western Europe and the United States collaborated in establishing secret armed networks which in the majority of countries are suspected of having had links to acts of terrorism“ (Ganser, 2005a, S. 91)

Literatur

  • Andromidas, Dean (1993): Strategie der Spannung. Probleme der inneren Sicherheit: Extremismus, Terrorismus, organisierte Kriminalität: eine Studie. Wiesbaden: Executive-Intelligence-Review-Nachrichtenagentur (EIRNA)
  • Deland, Mats & Ganser, Daniele (2010): Die geheime Armee der Nato im neutralen Schweden. In: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies, Vol 4, No.2/2010, S. 20-39. Dt. PDF abgerufen am 16. Januar 2012
  • Ganser, Daniele (2004): Nato-Geheimarmeen und ihr Terror. In: Der Bund. Bern 20. Dezember 2004 PDF, abgerufen am 05. Januar 2012.
  • Ganser, Daniele (2005a). Terrorism in Western Europe. An Approach to NATO’s Secret Stay-Behind Armies. In: The Whitehead Journal of Diplomacy and International Relations, 02/2005, S. 69-97. Engl. PDF abgerufen am 16. Januar 2012
  • Ganser, Daniele (2005b): Fear as a Weapon. The Effects of Psychological Warfare on Domestic and International Politics. In: World Affairs, 9, Nr. 4, 2005, S. 28–44. Engl. PDF abgerufen am 05. Januar 2012
  • Ganser, Daniele (2005c): Nato’s Secret Armies: Operation Gladio and Terrorism in Western Europe. London: Frank Cass.
  • Ganser, Daniele (2006): The CIA in Western Europe and the Abuse of Human Rights. An Approach to NATO’s Secret Stay-Behind Armies. In: Intelligence and National Security, S. 760-781 Engl. PDF abgerufen am 16. Januar 2012
  • Hess, Henner (2006): Italien: Die ambivalente Revolte. In: Ders. u.a.: Angriff auf das Herz des Staates. Soziale Entwicklung und Terrorismus. Bd. 2, Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 9-166.
  • Igel, Regine (2006): Terrorjahre. Die dunkle Seite der CIA in Italien. München: Herbig.
  • Igel, Regine (2007): Linksterrorismus fremdgesteuert? Zur Kooperation von RAF, Roten Brigaden, CIA und KGB,s. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 10/2007. PDF abgerufen am 20. Januar 2012

Weblinks