Welt ohne Gefängnisse: Unterschied zwischen den Versionen

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Um der Vorstellungskraft auf die Sprünge zu helfen, kann es manchmal auch nützlich sein, einen Blick in die Geschichte zu werfen. Was die Gefängnisse angeht, so schrumpft ihr Ewigkeits-Nimbus ganz gehörig, wenn wir einen distanzierten Blick auf die Geschichte des homo sapiens sapiens werfen. Menschenartige Wesen mit dem Gattungsnamen "homo" begannen ihre Existenz auf der Erde vor etwa zwei bis drei Millionen Jahren. Den "homo sapiens" gibt es seit rund 250 000 Jahren. Vor 10 000 Jahren wurden die ersten Menschen sesshaft: sie lernten Ackerbau und Viehzucht und gründeten feste Siedlungen. Bis dahin und noch viele Jahrtausende länger war die Welt unzweifelhaft eine Welt ohne Gefängnisse. Es gab Konflikte und Sanktionen, aber es gab weder "Kriminalität" noch "Gefängnisse". Und dies nicht nur dem Namen nach, sondern die Konfliktregelung war eher einem zukunftsorientierten Heilungs- und Wiedergutmachungsprozess vergleichbar als einer heutigen Strafe. Das Gefängnis folgte erst auf die Geburt der modernen Kriminalstrafe. In Europa, belehrte uns Gotthold Bohne, entstanden die Gefängnisse erst zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert in Norditalien. Andere verweisen, wie in diesem Buch sehr schön nachzulesen ist, auf das Bridewell und die Amsterdamer Institutionen im späten 16. Jahrhundert. Foucault wiederum geht sogar bis zur Zeit der "Großen Transformation" von 1760 bis 1840, um die Geburt des Gefängnisses zu datieren (Bohne 1925; Foucault 2004).
Um der Vorstellungskraft auf die Sprünge zu helfen, kann es manchmal auch nützlich sein, einen Blick in die Geschichte zu werfen. Was die Gefängnisse angeht, so schrumpft ihr Ewigkeits-Nimbus ganz gehörig, wenn wir einen distanzierten Blick auf die Geschichte des homo sapiens sapiens werfen. Menschenartige Wesen mit dem Gattungsnamen "homo" begannen ihre Existenz auf der Erde vor etwa zwei bis drei Millionen Jahren. Den "homo sapiens" gibt es seit rund 250 000 Jahren. Vor 10 000 Jahren wurden die ersten Menschen sesshaft: sie lernten Ackerbau und Viehzucht und gründeten feste Siedlungen. Bis dahin und noch viele Jahrtausende länger war die Welt unzweifelhaft eine Welt ohne Gefängnisse. Es gab Konflikte und Sanktionen, aber es gab weder "Kriminalität" noch "Gefängnisse". Und dies nicht nur dem Namen nach, sondern die Konfliktregelung war eher einem zukunftsorientierten Heilungs- und Wiedergutmachungsprozess vergleichbar als einer heutigen Strafe. Das Gefängnis folgte erst auf die Geburt der modernen Kriminalstrafe. In Europa, belehrte uns Gotthold Bohne, entstanden die Gefängnisse erst zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert in Norditalien. Andere verweisen, wie in diesem Buch sehr schön nachzulesen ist, auf das Bridewell und die Amsterdamer Institutionen im späten 16. Jahrhundert. Foucault wiederum geht sogar bis zur Zeit der "Großen Transformation" von 1760 bis 1840, um die Geburt des Gefängnisses zu datieren (Bohne 1925; Foucault 2004).


Das Gefängnis ist also eine sehr junge Institution, und es gibt einige Hinweise darauf, dass sie auch nicht viel älter werden, sondern durch andere Formen der Sanktionierung und Konfliktregelung schon bald abgelöst werden wird. Schon Gilles Deleuze hatte vielleicht nicht unrecht, als er vor einigen Jahren erklärte: Wie viele andere Einschließungsmilieus ist das Gefängnis eine Einrichtung, die schon längst überholt ist und nur noch auf ihre Abschaffung wartet.  
Das Gefängnis ist also eine sehr junge Institution, und es gibt einige Hinweise darauf, dass sie auch nicht viel älter werden, sondern durch andere Formen der Sanktionierung und Konfliktregelung schon bald abgelöst werden wird. Schon Gilles Deleuze (1992) hatte vielleicht nicht unrecht, als er vor einigen Jahren erklärte: Wie viele andere Einschließungsmilieus ist das Gefängnis eine Einrichtung, die schon längst überholt ist und nur noch auf ihre Abschaffung wartet.  


Zweitens heißt es, eine Abschaffung der Gefängnisse sei deswegen unrealistisch, weil sie gar nicht isoliert durchzuführen sei, sondern als Voraussetzung eine Veränderung ganz anderer Strukturen der Gegenwartsgesellschaften erfordere. Ohne eine vorherige Veränderung der politischen und der ökonomischen Machtstrukturen sei die Abschaffung von Gefängnissen eine blanke Illusion.  
Zweitens heißt es, eine Abschaffung der Gefängnisse sei deswegen unrealistisch, weil sie gar nicht isoliert durchzuführen sei, sondern als Voraussetzung eine Veränderung ganz anderer Strukturen der Gegenwartsgesellschaften erfordere. Ohne eine vorherige Veränderung der politischen und der ökonomischen Machtstrukturen sei die Abschaffung von Gefängnissen eine blanke Illusion.  
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*Davis, Angela Y (2003) Are Prisons Obsolete? New York.
*Davis, Angela Y (2003) Are Prisons Obsolete? New York.
*Deleuze, Gilles (1992) Postscript on the Societies of Control. In: October, 59, S.3-7.


*Feest, Johannes & Bettina Paul (2008a) Editorial - Ist das Gefängnis noch zu retten? Kriminologisches Journal 40: 3-5.
*Feest, Johannes & Bettina Paul (2008a) Editorial - Ist das Gefängnis noch zu retten? Kriminologisches Journal 40: 3-5.
Anonymer Benutzer