Kriminalitätstheorien: Unterschied zwischen den Versionen

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1. Allgemeine Kriminalitätstheorien
'''1. Allgemeine Kriminalitätstheorien'''


Die Allgemeinen Kriminalitätstheorien lassen sich in vier Kategorien unterteilen: die täterorientierten Ansätze, die gesellschaftsorientierten Ansätze, die sog. Kombinantionsansätze und die opferorientierte Ansätze.
Die Allgemeinen Kriminalitätstheorien lassen sich in vier Kategorien unterteilen: die täterorientierten Ansätze, die gesellschaftsorientierten Ansätze, die sog. Kombinantionsansätze und die opferorientierte Ansätze.
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''1.1 Täterorientierte Kriminalitätstheorien''''
'''''1.1 Täterorientierte Kriminalitätstheorien'''''




1.1.1  Biologische Kriminalitätstheorien
'''1.1.1  Biologische Kriminalitätstheorien'''


Grundannahme: Kriminalität ist genetisch bedingt
Grundannahme: Kriminalität ist genetisch bedingt




1.1.1.1 Die Lehre vom geborenen Verbrecher  (Lombroso 1894)
'''1.1.1.1 Die Lehre vom geborenen Verbrecher  (Lombroso 1894)'''
 
In seinem Werk (l'uomo delinquente, der verbrecherische Mensch, 1876) stellte Lombroso die These auf, dass man einen Verbrecher an äußeren Merkmalen (Stigmata) erkennen könne.
In seinem Werk (l'uomo delinquente, der verbrecherische Mensch, 1876) stellte Lombroso die These auf, dass man einen Verbrecher an äußeren Merkmalen (Stigmata) erkennen könne.


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1.1.1.2 Zwillingsforschung (Johannes Lange 1929, Friedrich Stumpfl 1936)
'''1.1.1.2 Zwillingsforschung (Johannes Lange 1929, Friedrich Stumpfl 1936)'''


In der Zwillingsforschung geht man davon aus, dass der Einfluss von Erbanlagen durch den Vergleich der sozialen Entwicklung von eineiigen und zweieiigen  bestimmt werden kann.
In der Zwillingsforschung geht man davon aus, dass der Einfluss von Erbanlagen durch den Vergleich der sozialen Entwicklung von eineiigen und zweieiigen  bestimmt werden kann.
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1.1.1.3 Adoptionsforschung (Mednick, Gabrielle, Hutchings 1982, Crowe 1972)
'''1.1.1.3 Adoptionsforschung (Mednick, Gabrielle, Hutchings 1982, Crowe 1972)'''


In der Adoptionsforschung wird untersucht, ob Adoptierte, deren Eltern kriminell waren eher kriminell werden, als solche, deren Eltern nicht kriminell waren.
In der Adoptionsforschung wird untersucht, ob Adoptierte, deren Eltern kriminell waren eher kriminell werden, als solche, deren Eltern nicht kriminell waren.
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1.1.2 Psychologische Kriminalitätstheorien
'''1.1.2 Psychologische Kriminalitätstheorien'''


Grundannahme: Kriminalität entsteht im Zusammenhang mit der Persönlichkeit einer Person (Störung der Psyche). Soziologische Aspekte spielen lediglich eine untergeordnete Rolle.
Grundannahme: Kriminalität entsteht im Zusammenhang mit der Persönlichkeit einer Person (Störung der Psyche). Soziologische Aspekte spielen lediglich eine untergeordnete Rolle.




1.1.2.1 Psychoanalytisches Persönlichkeitsmodell (Siegmund Freud 1915)
'''1.1.2.1 Psychoanalytisches Persönlichkeitsmodell (Siegmund Freud 1915)'''


Freud unterschied die menschliche Psyche in Bewusstsein, Vorbewusstsein und Unbewusstsein. Das Unbewusstsein beinhaltet Erlebnisse, Gefühle und Wünsche, die als bedrohlich oder beschämend empfunden und deswegen verdrängt werden. Neben dem Verdrängten wird nach Freud auch alles Erlebte, primitive Motive, Triebe, Sexualität und Aggression im Unbewusstsein gespeichert. Diesen Teil des Unbewusstseins nennt Freud "Es-Instanz".
Freud unterschied die menschliche Psyche in Bewusstsein, Vorbewusstsein und Unbewusstsein. Das Unbewusstsein beinhaltet Erlebnisse, Gefühle und Wünsche, die als bedrohlich oder beschämend empfunden und deswegen verdrängt werden. Neben dem Verdrängten wird nach Freud auch alles Erlebte, primitive Motive, Triebe, Sexualität und Aggression im Unbewusstsein gespeichert. Diesen Teil des Unbewusstseins nennt Freud "Es-Instanz".
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1.1.2.2 Theorie der latenten Verwahrlosung (Aichborn 1925)
'''1.1.2.2 Theorie der latenten Verwahrlosung (Aichborn 1925)'''


Definition: "Verwahrlosung ist eine im Charakter unsozial oder antisozial ausgeprägte innere Einstellung des Einzelnen gegenüber geschriebenen oder ungeschriebenen Sitten in der Gesellschaft, in der er lebt."
Definition: "Verwahrlosung ist eine im Charakter unsozial oder antisozial ausgeprägte innere Einstellung des Einzelnen gegenüber geschriebenen oder ungeschriebenen Sitten in der Gesellschaft, in der er lebt."
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1.1.3 Sozialpsychologische Kriminalitätstheorien
'''1.1.3 Sozialpsychologische Kriminalitätstheorien'''


Grundannahme: Kriminalität entsteht im Zusammenhang mit der Persönlichkeit einer Person (Störung der Psyche). Soziologische Aspekte sind bei der Entstehung von Kriminalität ebenfalls von Bedeutung.
Grundannahme: Kriminalität entsteht im Zusammenhang mit der Persönlichkeit einer Person (Störung der Psyche). Soziologische Aspekte sind bei der Entstehung von Kriminalität ebenfalls von Bedeutung.




1.1.3.1 Theorie der Differenziellen Assoziation (Sutherland 1883-1950) (Lerntheorie)
'''1.1.3.1 Theorie der Differenziellen Assoziation (Sutherland 1883-1950) (Lerntheorie)'''


Die Theorie der Differenziellen Assoziation nach E. Sutherland geht davon aus, dass Kriminalität eine Folge der Aneignung krimineller Verhaltensmuster in Interaktion mit anderen Personen ist.
Die Theorie der Differenziellen Assoziation nach E. Sutherland geht davon aus, dass Kriminalität eine Folge der Aneignung krimineller Verhaltensmuster in Interaktion mit anderen Personen ist.
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1.1.3.2 Theorie der Differenziellen Identifikation (Glaser 1956) (Lerntheorie)
'''1.1.3.2 Theorie der Differenziellen Identifikation (Glaser 1956) (Lerntheorie)'''


Dieser Ansatz geht davon aus, dass der generelle Kontakt zu einer delinquenten Person oder Gruppe nicht ausreicht um selbst delinquent zu werden. Vielmehr bedarf es dem Kontakt zu ganz bestimmten Personen, nämlich jenen, die als Vorbilder (Idole) für die eigenen Motive und Verhaltensweisen herangezogen werden.
Dieser Ansatz geht davon aus, dass der generelle Kontakt zu einer delinquenten Person oder Gruppe nicht ausreicht um selbst delinquent zu werden. Vielmehr bedarf es dem Kontakt zu ganz bestimmten Personen, nämlich jenen, die als Vorbilder (Idole) für die eigenen Motive und Verhaltensweisen herangezogen werden.




 
'''1.1.3.3 Soziale Bindungstheorie (Hirschi 1969) (Kontrolltheorie)'''
 
 
1.1.3.3 Soziale Bindungstheorie (Hirschi 1969) (Kontrolltheorie)


Nach Hirschi ist Devianz selbstverständlich, Konformität muss gelernt werden. Das Individuum wird dabei prinzipiell als "a-soziales", "a-moralisches" aggressives und impulsives Wesen gedacht, welches während der Sozialisation an gesellschaftliche Normen gebunden wird. Dieses geschieht auf vier Ebenen:
Nach Hirschi ist Devianz selbstverständlich, Konformität muss gelernt werden. Das Individuum wird dabei prinzipiell als "a-soziales", "a-moralisches" aggressives und impulsives Wesen gedacht, welches während der Sozialisation an gesellschaftliche Normen gebunden wird. Dieses geschieht auf vier Ebenen:
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1.1.3.4 Halttheorie (Reiss 1951, Reckless 1961, Hirschi 1969) (Kontrolltheorie)
'''1.1.3.4 Halttheorie (Reiss 1951, Reckless 1961, Hirschi 1969) (Kontrolltheorie)'''


Die Halttheorie versucht zu erklären, welche Faktoren die Kriminalitätsentstehung verhindern. Sie geht davon aus, dass konformes Verhalten durch einen inneren und äußeren Halt bedingt wird, wobei der innere Halt u.a. aus einer gelungenen Sozialisation und Erziehung resultiert und er äußere Halt durch u.a. durch Freunde, Gruppe und Religiosität geprägt wird.
Die Halttheorie versucht zu erklären, welche Faktoren die Kriminalitätsentstehung verhindern. Sie geht davon aus, dass konformes Verhalten durch einen inneren und äußeren Halt bedingt wird, wobei der innere Halt u.a. aus einer gelungenen Sozialisation und Erziehung resultiert und er äußere Halt durch u.a. durch Freunde, Gruppe und Religiosität geprägt wird.
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1.1.3.5 Theorie des rationalen Wahlhandelns (rational choice) (Becker 1974, Cornish/Clarke 1986)
'''1.1.3.5 Theorie des rationalen Wahlhandelns (rational choice) (Becker 1974, Cornish/Clarke 1986)'''


So wie die beiden o.g. Kontrolltheorien (1.1.3.3/1.1.3.4) versucht auch diese Theorie zu erklären, warum Individuen keine Verbrechen begehen.
So wie die beiden o.g. Kontrolltheorien (1.1.3.3/1.1.3.4) versucht auch diese Theorie zu erklären, warum Individuen keine Verbrechen begehen.
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1.2 Gesellschaftsorientierte Kriminalitätstheorien
'''''1.2 Gesellschaftsorientierte Kriminalitätstheorien'''''




1.2.1 Soziologische Kriminalitätstheorien
'''1.2.1 Soziologische Kriminalitätstheorien'''


Grundannahme: Der soziologische Aspekt ist entschiedenes Kriterium bei der Entstehung von Kriminalität.
Grundannahme: Der soziologische Aspekt ist entschiedenes Kriterium bei der Entstehung von Kriminalität.




1.2.1.1 Theorie der (delinquenten) Subkultur (Albert Cohen 1955)
'''1.2.1.1 Theorie der (delinquenten) Subkultur (Albert Cohen 1955)'''


Die Theorie der delinquenten Subkultur fokussiert die Angehörigen der Unterschicht.
Die Theorie der delinquenten Subkultur fokussiert die Angehörigen der Unterschicht.
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1.2.1.2 Theorie der sozialen Desorganisation (Trasher, Shaw 1929)
'''1.2.1.2 Theorie der sozialen Desorganisation (Trasher, Shaw 1929)'''


Die Theorie der sozialen Desorganisation geht davon aus, dass die Belastung mit Kriminalität umso höher ist, je näher ein Gebiet am Stadtzentrum liegt.
Die Theorie der sozialen Desorganisation geht davon aus, dass die Belastung mit Kriminalität umso höher ist, je näher ein Gebiet am Stadtzentrum liegt.
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1.2.1.3 Anomietheorie  
'''1.2.1.3 Anomietheorie'''


Durckheim (1893)
Durckheim (1893)
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''1.2.2 Etikettierungstheorie''''
'''''1.2.2 Etikettierungstheorie'''''


1.2.2.1 Labeling Approach (Becker 1963/ Vorreiter: Tannenbaum 1938)
'''1.2.2.1 Labeling Approach (Becker 1963/ Vorreiter: Tannenbaum 1938)'''


Vertreter des Labeling Approach gehen davon aus, dass kriminelles Verhalten nicht durch das soziale Versagen von Menschen entsteht, sondern durch spezielle Zuschreibungsprozesse der Instanzen sozialer Kontrolle (Justiz/Polizei).
Vertreter des Labeling Approach gehen davon aus, dass kriminelles Verhalten nicht durch das soziale Versagen von Menschen entsteht, sondern durch spezielle Zuschreibungsprozesse der Instanzen sozialer Kontrolle (Justiz/Polizei).
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''1.3 Kombinationsansätze''
'''''1.3 Kombinationsansätze'''''




1.3.1 Mehrfaktorenansatz (Liszt 1905, Göppinger 1983)
'''1.3.1 Mehrfaktorenansatz (Liszt 1905, Göppinger 1983)'''


Der Mehrfaktorenansatz geht davon aus, dass verschiedene Faktoren bei der Entstehung kriminellen Verhaltens zusammenwirken. Er erfasst unterschiedliche Umwelteinflüsse, Anlagefaktoren und spezielle Persönlichkeitsmerkmale des Straftäters.
Der Mehrfaktorenansatz geht davon aus, dass verschiedene Faktoren bei der Entstehung kriminellen Verhaltens zusammenwirken. Er erfasst unterschiedliche Umwelteinflüsse, Anlagefaktoren und spezielle Persönlichkeitsmerkmale des Straftäters.
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1.3.2 The General Theory of Crime
'''1.3.2 The General Theory of Crime'''


Bei der General Theory of Crime handelt es sich ebenfalls um einen multifaktoriellen Ansatz.
Bei der General Theory of Crime handelt es sich ebenfalls um einen multifaktoriellen Ansatz.
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''1.4 Opferorientierte Ansätze''
'''''1.4 Opferorientierte Ansätze'''''


Die opferorientierten bzw. viktimologischen Ansätze gehen davon aus, dass bestimmte Konstellationen das Risiko Opfer kriminellen Verhaltens zu werden erhöhen.
Die opferorientierten bzw. viktimologischen Ansätze gehen davon aus, dass bestimmte Konstellationen das Risiko Opfer kriminellen Verhaltens zu werden erhöhen.




1.4.1 Die Routine Activity Theory
'''1.4.1 Die Routine Activity Theory'''


Nach der Routine Activity Theory hängt das Viktimisierungsrisiko mit bestimmten Alltagstätigkeiten des Opfers, wie z.B. Arbeiten oder Ausgehen zusammen. Das Risiko Opfer eines Verbrechens zu werden ist umso höher, je mehr Zeit man in „riskanten Umgebungen“ verbringt. Dieses Risiko erhöht sich nach der Theorie, wenn es erstens eine Person gibt, die bereit ist ein Verbrechen zu begehen (motivated offender), zweitens die Rechtsgüter des potentiellen Opfers Anreize für ein Verbrechen bieten (availability of a suitable target) und drittens die Rechtsgüter des potentiellen Opfers nicht hinreichend geschützt sind ( absence of a capable guardian).
Nach der Routine Activity Theory hängt das Viktimisierungsrisiko mit bestimmten Alltagstätigkeiten des Opfers, wie z.B. Arbeiten oder Ausgehen zusammen. Das Risiko Opfer eines Verbrechens zu werden ist umso höher, je mehr Zeit man in „riskanten Umgebungen“ verbringt. Dieses Risiko erhöht sich nach der Theorie, wenn es erstens eine Person gibt, die bereit ist ein Verbrechen zu begehen (motivated offender), zweitens die Rechtsgüter des potentiellen Opfers Anreize für ein Verbrechen bieten (availability of a suitable target) und drittens die Rechtsgüter des potentiellen Opfers nicht hinreichend geschützt sind ( absence of a capable guardian).
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1.4.2 Theorie der erlernten Hilflosigkeit
'''1.4.2 Theorie der erlernten Hilflosigkeit'''


Die Theorie der erlernten Hilflosigkeit geht davon aus, das Menschen, die lange Zeit oder mehrfach eine traumatisierende Situation durchlebt haben, nach Beendigung dieser Situation nicht mehr in der Lage sind, sich „normal“ zu verhalten, da durch die Täter das Selbstwertgefühl des Opfers zerstört und die Angstgefühle verstärkt werden. Diese Umstände erhöhen die Re-Viktimisierungswahrscheinlichkeit.
Die Theorie der erlernten Hilflosigkeit geht davon aus, das Menschen, die lange Zeit oder mehrfach eine traumatisierende Situation durchlebt haben, nach Beendigung dieser Situation nicht mehr in der Lage sind, sich „normal“ zu verhalten, da durch die Täter das Selbstwertgefühl des Opfers zerstört und die Angstgefühle verstärkt werden. Diese Umstände erhöhen die Re-Viktimisierungswahrscheinlichkeit.




1.4.3. Die „kulturelle“ Viktimisierungstheorie
'''1.4.3. Die „kulturelle“ Viktimisierungstheorie'''


Nach der „Kulturellen“ Viktimisierungstheorie sind solche Menschen besonders opferanfällig, die sich aufgrund ihrer Andersartigkeit von anderen Menschen unterscheiden und durch diese Andersartigkeit Haßverbrechen auslösen. Hierzu zählen vor allem ethnische oder religiöse Minderheiten und Menschen, die sich durch ihre Lebensweise (Obdachlose) oder ihre sexuellen Vorlieben (Homosexuelle) von Anderen unterschieden.
Nach der „Kulturellen“ Viktimisierungstheorie sind solche Menschen besonders opferanfällig, die sich aufgrund ihrer Andersartigkeit von anderen Menschen unterscheiden und durch diese Andersartigkeit Haßverbrechen auslösen. Hierzu zählen vor allem ethnische oder religiöse Minderheiten und Menschen, die sich durch ihre Lebensweise (Obdachlose) oder ihre sexuellen Vorlieben (Homosexuelle) von Anderen unterschieden.
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