Edwin Sutherland: Unterschied zwischen den Versionen

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Die "Theorie der differentiellen Kontakte" wurde ab Ende der 20er Jahre von Sutherland erarbeitet, allerdings erst in den 30er Jahren veröffentlicht.  
Die "Theorie der differentiellen Kontakte" wurde ab Ende der 20er Jahre von Sutherland erarbeitet, allerdings erst in den 30er Jahren veröffentlicht.  


Sutherland geht davon aus, das kriminelles Verhalten in Interaktion mit anderen Personen in einem Kommunikationsprozess gelernt wird. Aus dieser Annahme erklärt sich der Name der Theorie: Unter Kontakte, die teilweise mit Assoziationen übersetzt werden, sind Kontakte zu anderen Personen bzw. Verhaltensmustern gemeint. Das Erlernen krimineller Verhaltensweisen findet nach Sutherland hauptsächlich in kleinen persönlichen Gruppen statt. Den Medien misst er nur eine relativ unbedeutende Rolle bei der Entstehung kriminellen Verhaltens bei.  
Sutherland geht davon aus, das kriminelles Verhalten in Interaktion mit anderen Personen in einem Kommunikationsprozess gelernt wird. Aus dieser Annahme erklärt sich der Name der Theorie: Unter Kontakte, die teilweise mit Assoziationen übersetzt werden, sind Kontakte zu anderen Personen bzw. Verhaltensmustern gemeint. Das Erlernen krimineller Verhaltensweisen findet nach Sutherland hauptsächlich in kleinen persönlichen Gruppen statt. Den Medien misst er nur eine relativ unbedeutende Rolle bei der Entstehung kriminellen Verhaltens bei.


Wichtig ist für Sutherland, was gelernt werden muss, damit es zu kriminellem Verhalten kommt. Für ihn schließt das Lernen kriminellen Verhaltens zweierlei ein: das Erlernen der Techniken zur Ausführung des Verbrechens und das Erlernen der spezifischen Richtung von Motiven, Trieben, Rationalisierungen (d. h. verstandesmäßigen Rechtfertigungen) und Attitüden (Einstellungen). Welche spezifische Richtung die Motive und Triebe nehmen, ob sie also mehr zu normkonformem oder zu normabweichendem Verhalten drängen, ist dabei von der Bedeutung abhängig, die die unmittelbare Umgebung des Betreffenden den Rechtsnormen beimisst. Aus diesen Vorüberlegungen leitet Sutherland seine zentrale These ab:
Der eigentliche Prozess des Lernens unterscheidet sich nach Sutherland im Falle des Erlernens kriminellen Verhaltens nicht von anderen Lernprozessen und gestaltet sich demnach mitunter auch mühsam und langwierig.
 
Wichtig ist für Sutherland, was gelernt werden muss, damit es zu kriminellem Verhalten kommt. Für ihn schließt das Lernen kriminellen Verhaltens zweierlei ein:  
- das Erlernen der Techniken zur Ausführung des Verbrechens (die sog. ''modi operandi'') und  
- das Erlernen der spezifischen Richtung von Motiven, Trieben, Rationalisierungen (d. h. verstandesmäßigen Rechtfertigungen) und Attitüden (Einstellungen).  
Welche spezifische Richtung die Motive und Triebe nehmen, ob sie also mehr zu normkonformem oder zu normabweichendem Verhalten drängen, ist dabei von der Bedeutung abhängig, die die unmittelbare Umgebung des Betreffenden den Rechtsnormen beimisst. Aus diesen Vorüberlegungen leitet Sutherland seine zentrale These ab:


„Eine Person wird delinquent infolge des Überwiegens der die Verletzung begünstigenden Einstellungen über jene, die Gesetzesverletzungen negativ beurteilen.“
„Eine Person wird delinquent infolge des Überwiegens der die Verletzung begünstigenden Einstellungen über jene, die Gesetzesverletzungen negativ beurteilen.“


Er geht dabei davon aus, dass jeder Mensch sowohl kriminalitätsbegünstigende als auch konformes Verhalten begünstigende Kontakte habe (dies ist mit dem Begriff der „differentiellen“ Kontakte gemeint), und dass es für die Frage, ob ein Mensch selbst kriminell werde, auf das Überwiegen der kriminalitätsbegünstigenden Kontakte ankomme. Welche Art von Kontakten überwiege, sei von der Häufigkeit, Dauer, Priorität und Intensität der Kontakte abhängig.  
Er geht dabei davon aus, dass jeder Mensch sowohl kriminalitätsbegünstigende als auch konformes Verhalten begünstigende Kontakte habe (dies ist mit dem Begriff der „differentiellen“ Kontakte gemeint), und dass es für die Frage, ob ein Mensch selbst kriminell werde, auf das Überwiegen der kriminalitätsbegünstigenden Kontakte ankomme. Welche Art von Kontakten überwiege, sei von der Häufigkeit, Dauer, Priorität und Intensität der Kontakte abhängig. Die Interaktion und Kommunikation innerhalb einer kriminellen Gruppenkultur ist demnach für ihn die Voraussetzung für kriminelles Verhalten. Sutherland schließt somit ein kriminelles Verhalten aus, wenn der Person nicht zuvor durch die Kommunikation mit bestimmten Gruppen ein solches Verhalten beigebracht wurde.
 
Schließlich begründet er die individuellen Unterschiede in Bezug auf kriminelles Verhalten damit, dass die unterschiedlichen, also differentiellen Kontakte der Menschen aufgrund ihrer Verschiedenheit automatisch auch zu einer unterschiedlichen Distribution kriminellen oder konformen Verhaltens sowohl innerhalb des Individuums als auch daraus folgend in der Gesellschaft führen.


'''Kritik'''  
'''Kritik'''  


Empirisch ist die Theorie nur schwer zu überprüfen, da Sutherland keine genauen Angaben dazu macht, wie die kriminalitätsbegünstigenden Kontakte beschaffen sein müssen, damit sie die gegenläufigen, konformes Verhalten begünstigenden Kontakte überwiegen. Der vage Hinweis auf „Häufigkeit, Dauer, Priorität und Intensität“ lässt offen, wie sich diese Kategorien zueinander verhalten. Auch in theoretischer Hinsicht ist die Theorie Einwänden ausgesetzt, denn sie lässt offen, wie die kriminalitätsbegünstigenden Kontakte zustande kommen. Sozialstrukturelle Aspekte, wie sie insbersondere von der Anomietheorie thematisiert worden sind, werden von Sutherland vernachlässigt. Zudem fällt es schwer, mit Sutherlands Theorie die Kriminalität von solchen Tätern zu erklären, die allenfalls über geringe Kontakte zum kriminalitätsbegünstigenden Milieu verfügen; angesprochen ist insbesondere der Bereich der Wirtschaftskriminalität, der wesentlich durch rein ökonomische Überlegungen und Gewinnerwartungen geprägt ist. Der gewichtigste Einwand, der sich aus heutiger Sicht gegen Sutherlands Theorie erheben lässt, geht indessen dahin, dass ihr jeder Bezug zu den Prinzipien fehlt, die die allgemeine Lernpsychologie  zur Erklärung von Lernvorgängen entwickelt hat. Diesem Einwand trägt die erst später entwickelte Theorie des sozialen Lernens von Akers Rechnung.  
Empirisch ist die Theorie nur schwer zu überprüfen, da Sutherland keine genauen Angaben dazu macht, wie die kriminalitätsbegünstigenden Kontakte beschaffen sein müssen, damit sie die gegenläufigen, konformes Verhalten begünstigenden Kontakte überwiegen. Der vage Hinweis auf „Häufigkeit, Dauer, Priorität und Intensität“ lässt offen, wie sich diese Kategorien zueinander verhalten. Auch in theoretischer Hinsicht ist die Theorie Einwänden ausgesetzt, denn sie lässt offen, wie die kriminalitätsbegünstigenden Kontakte zustande kommen. Sozialstrukturelle Aspekte, wie sie insbesondere von der Anomietheorie thematisiert worden sind, werden von Sutherland vernachlässigt. Zudem fällt es schwer, mit Sutherlands Theorie die Kriminalität von solchen Tätern zu erklären, die allenfalls über geringe Kontakte zum kriminalitätsbegünstigenden Milieu verfügen; angesprochen ist insbesondere der Bereich der Wirtschaftskriminalität, der wesentlich durch rein ökonomische Überlegungen und Gewinnerwartungen geprägt ist. Ähnliche Probleme ergeben sich hinsichtlich der Begründung solcher Kriminalitäsformen wie Affekt- und Triebtaten, die sich nicht zwingend auf Gruppenkommunikation zurückführen lassen. Ferner wird - wie oben angedeutet - die Bedeutung und Vorbild- sowie Orientierungsfunktion der Medien noch nicht entsprechend ihrer Relevanz berücksichtigt. Der gewichtigste Einwand, der sich aus heutiger Sicht gegen Sutherlands Theorie erheben lässt, geht indessen dahin, dass ihr jeder Bezug zu den Prinzipien fehlt, die die allgemeine Lernpsychologie  zur Erklärung von Lernvorgängen entwickelt hat. Diesem Einwand trägt die erst später entwickelte Theorie des sozialen Lernens von Akers Rechnung.  


'''Weiterentwicklung'''  
'''Weiterentwicklung'''  
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Die "Therorie der Neutralisationstechniken" von Gresham Sykes und David Matza greift die Frage auf, was gelernt werden muss? Sie knüpft dabei an Sutherlands Begriff der "Rationlalisierung" an, die hier "Neutralisierung" genannt wird. Die Antwort wird in den subjektiven Rechtfertigungen (Ausreden), den Neutralisationstechniken gesehen.   
Die "Therorie der Neutralisationstechniken" von Gresham Sykes und David Matza greift die Frage auf, was gelernt werden muss? Sie knüpft dabei an Sutherlands Begriff der "Rationlalisierung" an, die hier "Neutralisierung" genannt wird. Die Antwort wird in den subjektiven Rechtfertigungen (Ausreden), den Neutralisationstechniken gesehen.   


Ebenso folgten zahlreiche Weiterentwicklungen Sutherlands Theorie mit entsprechenden Theorien. Beispielsweise schufen Albert K. Cohen, Richard A. Cloward, und Lloyd E. Ohlin die "Theorie vom straffälligen Bandenverhalten" durch die Kombination der "Theorie differentiellen Kontakte" mit Robert K. Mertons "Anomietheorie".  
Ebenso folgten zahlreiche Weiterentwicklungen Sutherlands Theorie mit entsprechenden Theorien. Beispielsweise schufen Albert K. Cohen, Richard A. Cloward, und Lloyd E. Ohlin die "Theorie vom straffälligen Bandenverhalten" durch die Kombination der "Theorie differentiellen Kontakte" mit Robert K. Mertons "Anomietheorie".


=== White Collar Crime ===
=== White Collar Crime ===
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