Frank Tannenbaum: Unterschied zwischen den Versionen

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Der heute nur noch in Expertenkreisen bekannte einstige Anarchist und Strafgefangene '''Frank Tannenbaum''' (* 04.03.1893 in Brod, Österreich-Ungarn; heute [http://de.wikipedia.org/wiki/Brody_(Ukraine)| Brody, Ukraine]  † 01.06.1969 in New York City) war einer der Pioniere einer symbolisch-interaktionistischen Kriminologie. Er studierte nach seiner Haftentlassung unter anderem bei John Dewey, einem Freund und Kollegen von [[George Herbert Mead]] - und vielleicht auch bei Mead selbst; jedenfalls kannte er dessen Werke und vor allem auch "The Psychology of Punitive Justice" - und entwickelte unter anderem auf dieser Basis sein zentrales kriminologisches Werk, "Crime and the Community" von 1938, in dem er seine Konzeption der „Dramatisierung des Bösen“ darstellte und auf der Basis des [[Symbolischer Interaktionismus|Symbolischen Interaktionismus]] zu ersten Formulierungen eines [[Labelling Approach|etikettierungstheoretischen Ansatzes]] gelangte. Unter anderem enthielt dieses Buch die prägnante Formulierung "The young delinquent becomes bad because he is defined as bad" (1938: 17). Während [[Howard S. Becker]] in seinen "Außenseitern" ausdrücklich auf Tannenbaum und Lemert aufbaut, erklärte Lemert (in: Laub 1979), weder er noch Becker seien sich, als sie ihre Theorien entwickelten, der Werke Tannenbaums bewusst gewesen. Dazu mag beigetragen haben, dass Tannenbaum seine kriminologischen Schriften in großem Abstand vor und nach seiner Rolle als Kriminologieprofessor publizierte. So wird er denn in der Gegenwart "eher als ein Vorläufer denn als eigentlicher Vertreter der kriminalsoziologischen Labeling-Perspektive eingestuft" (Lamnek 2001: 219). Überlebt haben aus seinem kriminologischen Werk die Formulierung "The criminal becomes bad because he is defined as bad" (Tannenbaum 1938: 17) und seine These, dass es gerade die Aufmerksamkeit des Justizsystems für die Jugenddelinquenz sei, die das Phänomen ungewollt verschärfe, da die "Dramatisierung des Bösen" (dramatization of evil) die Abweichler dazu bringe, sich selbst mit ihrer Rolle als Straftäter zu identifizieren.  
Der Anarchist, Strafgefangene, Kriminologieprofessor und Mexikanologe '''Frank Tannenbaum''' (* 04.03.1893 in Brod, Österreich-Ungarn; heute [http://de.wikipedia.org/wiki/Brody_(Ukraine)| Brody, Ukraine]  † 01.06.1969 in New York City) war einer der Pioniere einer symbolisch-interaktionistischen Kriminologie.
 
Tannenbaum studierte nach seiner Haftentlassung unter anderem bei John Dewey, einem Freund und Kollegen von [[George Herbert Mead]] - und vielleicht auch bei Mead selbst; jedenfalls kannte er dessen Werke und vor allem auch "The Psychology of Punitive Justice" - und entwickelte unter anderem auf dieser Basis sein zentrales kriminologisches Werk, "Crime and the Community" von 1938, in dem er seine Konzeption der „Dramatisierung des Bösen“ darstellte und auf der Basis des [[Symbolischer Interaktionismus|Symbolischen Interaktionismus]] zu ersten Formulierungen eines [[Labelling Approach|etikettierungstheoretischen Ansatzes]] gelangte.
 
Während [[Howard S. Becker]] in seinen "Außenseitern" ausdrücklich auf Tannenbaum und Lemert aufbaut, erklärte Lemert (in: Laub 1979), weder er noch Becker seien sich, als sie ihre Theorien entwickelten, der Werke Tannenbaums bewusst gewesen. Dazu mag beigetragen haben, dass Tannenbaum seine kriminologischen Schriften in großem Abstand vor und nach seiner Rolle als Kriminologieprofessor publizierte. So wird er denn in der Gegenwart "eher als ein Vorläufer denn als eigentlicher Vertreter der kriminalsoziologischen Labeling-Perspektive eingestuft" (Lamnek 2001: 219).
 
Überlebt haben aus seinem kriminologischen Werk die Formulierung "The criminal becomes bad because he is defined as bad" (Tannenbaum 1938: 17) und seine These, dass es gerade die Aufmerksamkeit des Justizsystems für die Jugenddelinquenz sei, die das Phänomen ungewollt verschärfe, da die "Dramatisierung des Bösen" (dramatization of evil) die Abweichler dazu bringe, sich selbst mit ihrer Rolle als Straftäter zu identifizieren.  




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== Publikationen über Frank Tannenbaum ==
== Publikationen über Frank Tannenbaum ==
*Avrich, Paul (2006) The Modern School Movement, AK Press (204 f.).
*Avrich, Paul (2006) The Modern School Movement, AK Press (204 f.).
== Zitate ==
In seiner Titelgeschichte über das "Olympia-Land Mexiko" zitierte [http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45465472.html DER SPIEGEL in Heft 2/1968] den Mexikanologen Frank Tannenbaum mit einem Psychogramm des Mexikaners:
"Psychologisch gesehen", so analysiert der amerikanische Mexikanologe Frank Tannenbaum, "liegt der Einstellung der Mexikaner zum Leben etwas Krankhaftes zugrunde, Das ganze Leben ist durch die Erwartung einer unvorhergesehenen Rechtsverletzung, Gewaltanwendung oder eines plötzlichen Todes belastet. Jede Existenz treibt am Rande der Katastrophe. Die Drohung des Todes ist so gegenwärtig, daß sein tatsächliches gewaltsames Eintreten als etwas Selbstverständliches hingenommen wird; es hinterläßt daher auch viel weniger Entsetzen als In anderen zivilisierten Gesellschaften. Die Mexikaner leben in einer Welt, In der der Glaube an Ihre Mitmenschen nahezu zerbrochen ist. Sie wissen, daß Tragödien und Tod an jeder Ecke lauern. Es Ist kein Zufall, daß die Bewohner von Gebirgsgegenden dem scheidenden Fremden mit den Worten Glück wünschen: 'Möge Gott mit dir sein, und möge dir nichts Neues widerfahren'."


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