Bindungstheorie: Unterschied zwischen den Versionen

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Unterschieden wurden bei Kindern in den ersten Untersuchungen von Ainsworth sichere und unsichere (unsicher-vermeidend oder unsicher-ambivalent) Bindungen. Main fand später zusätzlich ein Desorganisationsmuster von Bindung, das selbst nicht als Bindungsrepräsentation angesehen wird. Während die sichere Bindung jedenfalls als Ressource eines Kindes bei der Bewältigung kritischer Lebensereignisse gewertet werden kann, ist das Risikopotential der unsicheren Bindungsrepräsentationen nicht eindeutig. Als kritisches Signal einer erheblichen Störung in der Beziehung zur Bindungsperson - in der Regel Angst vor der Bindungsperson - werden Zeichen von Desorganisation eingeordnet.
Unterschieden wurden bei Kindern in den ersten Untersuchungen von Ainsworth sichere und unsichere (unsicher-vermeidend oder unsicher-ambivalent) Bindungen. Main fand später zusätzlich ein Desorganisationsmuster von Bindung, das selbst nicht als Bindungsrepräsentation angesehen wird. Während die sichere Bindung jedenfalls als Ressource eines Kindes bei der Bewältigung kritischer Lebensereignisse gewertet werden kann, ist das Risikopotential der unsicheren Bindungsrepräsentationen nicht eindeutig. Als kritisches Signal einer erheblichen Störung in der Beziehung zur Bindungsperson - in der Regel Angst vor der Bindungsperson - werden Zeichen von Desorganisation eingeordnet.


Die Bindungstheorie ist durch verschiedene, speziell zu ihrer Überprüfung entwickelte '''Diagnosemethoden''' ("Fremde Situation", Geschichtenergänzungsverfahren, Bindungsinterview für Zehnjährige, Child Attachment Interview, Adult Attachment Interview u.a.) in verschiedenen Kulturen und zum Teil in Längsschnittstudien (eine der längsten die noch laufende Bielefelder Längsschnittstudie von Grossmann & Grossmann; vgl. SPANGLER & GROSSMANN in: SPANGLER & ZIMMERMANN, 1995, S.50ff) untersucht worden.
Die Bindungstheorie ist durch verschiedene, speziell zu ihrer Überprüfung entwickelte '''Diagnosemethoden''' untersucht worden. Die bekanntesten sind die "Fremde Situation" für einjährige Kinder und das Adult Attachment Interview für Erwachsene ab etwa 16 Jahren. Es haben sich fast überall ähnliche '''Verteilungen''' gefunden:  
Es haben sich fast überall ähnliche '''Verteilungen''' gefunden:  
50-60% aller untersuchten Kinder weisen eine Repräsentation sicherer Bindung auf, etwa 30-40% sind unsicher-vermeidend und etwa 10-20% unsicher-ambivalent. Ein desorganisiertes Muster von Bindung wurde ggf. jeweils zusätzlich codiert. Die festgestellten Bindungsmuster erwiesen sich in den Längsschnittstudien als sehr stabil, sobald sie sich ab dem Alter von etwa zwei Jahren festigen und als Bindungsrepräsentation bzw. "inneres Arbeitsmodell von Bindung" gesehen werden können. Auch bei Erwachsenen findet man in der Regel Korrelate der Bindungsrepräsentationen ihrer Kindheit.
50-60% aller untersuchten Kinder weisen eine Repräsentation sicherer Bindung auf, etwa 30-40% sind unsicher-vermeidend und etwa 10-20% unsicher-ambivalent (das Desorganisationsmuster wurde ggf. jeweils zusätzlich codiert). Die festgestellten Bindungsmuster erwiesen sich in den Längsschnittstudien als sehr stabil, sobald sie sich ab dem Alter von etwa zwei Jahren festigen und als Bindungsrepräsentation bzw. "inneres Arbeitsmodell von Bindung" gesehen werden können. Auch bei Erwachsenen findet man in der Regel Korrelate der Bindungsrepräsentationen ihrer Kindheit.


Die Erforschung von Bindungsrepräsentationen ist relativ aufwändig: die genannten Verfahren müssen alle individuell mit Probanden durchgeführt werden und erfordern zudem ein ausgiebiges Training der Testdurchführenden, da alle Verfahren auch die Auswertung von Verhaltens- und Interaktionsbeobachtungen erfordern. Es dürfte damit zusammen hängen, dass außerhalb der großen Längsschnittstudien zu Einzelfragen je eher kleine und wenig repräsentative Samples untersucht wurden.
Die Erforschung von Bindungsrepräsentationen ist relativ aufwändig: die genannten Verfahren müssen alle individuell mit Probanden durchgeführt werden und erfordern zudem ein ausgiebiges Training der Testdurchführenden, da alle Verfahren auch die Auswertung von Verhaltens- und Interaktionsbeobachtungen erfordern. Es dürfte damit zusammen hängen, dass außerhalb der großen Längsschnittstudien zu Einzelfragen je eher kleine und wenig repräsentative Samples untersucht wurden.


===Bindungsstörungen===
===Bindungsstörungen===
Neben den Arbeitsmodellen von Bindung, die als adaptiv bezeichnet werden können (sicher, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent) wurden in allen Untersuchungsgruppen immer wieder auch Kinder mit Bindungsstörungen gesehen. Die Interaktionen zwischen Kind und Bindungsperson waren bei ihnen keiner der bekannten Kategorien zuzuordnen und wurden wegen ihrer durchweg unangemessenen Strukturen als pathologisch angesehen. Die Bindungsstörung ist ein strukturiertes, (mehr oder weniger gut) organisiertes, wenn auch maladaptives Bindungsverhalten, das in verschiedenen Bezugssystemen gleichermaßen zu beobachten ist. Bindungsstörung wird auch als "schwerwiegende Fragmentierung bis Zerstörung des inneren Arbeitsmodells von Bindung" bezeichnet (BRISCH in: BRISCH & HELLBRÜGGE, 2003, S.108f). Bei der Bindungsstörung ist in einer Stresssituation das Bindungssystem zwar voll aktiviert (z.B. maximale körperliche Erregung), aber die Bindungsperson wird nicht erfolgreich aufgesucht, um die Erregung zu mindern. Es bleibt so bei einem chronisch höhten Stressniveau. Je nach Alter des Kindes kann das gravierende Folgen z.B. im Hirnstoffwechsel haben (vgl. HIMPEL & HÜTHER 2004).  
Neben den Arbeitsmodellen von Bindung, die als adaptiv bezeichnet werden können (sicher, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent) wurden in allen Untersuchungsgruppen immer wieder auch Kinder mit Bindungsstörungen gesehen. Die Interaktionen zwischen Kind und Bindungsperson waren bei ihnen keiner der bekannten Kategorien zuzuordnen und wurden wegen ihrer durchweg unangemessenen Strukturen als pathologisch angesehen. Die Bindungsstörung ist ein strukturiertes, (mehr oder weniger gut) organisiertes, wenn auch maladaptives Bindungsverhalten, das in verschiedenen Bezugssystemen gleichermaßen zu beobachten ist. Bindungsstörung wird auch als "schwerwiegende Fragmentierung bis Zerstörung des inneren Arbeitsmodells von Bindung" bezeichnet (BRISCH in: BRISCH & HELLBRÜGGE, 2003, S.108f). Bei der Bindungsstörung ist in einer Stresssituation das Bindungssystem zwar voll aktiviert (z.B. maximale körperliche Erregung), aber die Bindungsperson wird nicht erfolgreich aufgesucht, um die Erregung zu mindern. Es bleibt so bei einem chronisch erhöhten Stressniveau. Je nach Alter des Kindes kann das gravierende Folgen z.B. im Hirnstoffwechsel haben (vgl. HIMPEL & HÜTHER 2004).  


Die Bindungsstörung erscheint auch in der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10), und zwar als "Reaktive Bindungsstörung des Kindesalters" (F94.1) bzw. als "Bindungsstörung des Kindesalters mit Enthemmung" (F94.2). Die Systematik dieser Störungen bezieht sich allenfalls indirekt auf die Grundlagen der Bindungsforschung im hier beschriebenen Sinn.
Die Bindungsstörung erscheint auch in der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10), und zwar als "Reaktive Bindungsstörung des Kindesalters" (F94.1) bzw. als "Bindungsstörung des Kindesalters mit Enthemmung" (F94.2). Die Systematik dieser Störungen bezieht sich allenfalls indirekt auf die Grundlagen der Bindungsforschung im hier beschriebenen Sinn.
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