Moralische Panik: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Geschichte und Bedeutung'''
'''Geschichte und Bedeutung'''
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Auf das Phänomen „Moral Panic“ wurde erstmalig von dem britischen Soziologe Jock Young im Jahr 1971 Bezug genommen.<ref Name="Thomson" /> Dieser stellte einen Zusammenhang zwischen der, unter Befürchtungen geführten Diskussion über einen Anstieg der statistischen Daten zum Missbrauch von Drogen und dem verstärkten Aufgebot von Polizeieinsätzen sowie dem Anstieg von gerichtlichen Verurteilungen, in diesem Bereich her. (Young 1971 aus Cohen, Images of Deviance, Harmondsowrth, Thompson 1998) Systematisch führte Stephen Cohen in seinem 1972 veröffentlichten Werk [[''Folk devils and Moral Panics'']] in das Konzept der moralischen Panik ein. Dabei fokussiert er hauptsächlich die Reaktion der [[Medien]] und das Verhalten der politischen sowie öffentlichen Akteure von Jugendlichen, sogenannten [[''Moods and Rockers'']], in den 1960-er Jahren in Großbritannien.<ref Name= "Thomson" />
Auf das Phänomen ''Moral Panic'' wurde erstmalig von dem britischen Soziologe Jock Young im Jahr 1971 Bezug genommen.<ref Name="Thomson" /> Dieser stellte einen Zusammenhang zwischen der, unter Befürchtungen geführten Diskussion über einen Anstieg der statistischen Daten zum Missbrauch von Drogen und dem verstärkten Aufgebot von Polizeieinsätzen sowie dem Anstieg von gerichtlichen Verurteilungen, in diesem Bereich her. <ref>Young,Jock:The role of the Police as Amplifiers of Deviancy, Negotiators of Reality and Translators of Fantasy:Some consequences of our present system of drug control as seen in Notting Hill, In:Cohen,Stanley: Images of Deviance, Penguin Books,Harmondsoworth,1971 S.27-62 </ref> Systematisch führte Stephen Cohen in seinem 1972 veröffentlichten Werk [[''Folk devils and Moral Panics'']] in das Konzept der moralischen Panik ein. Dabei fokussiert er hauptsächlich die Reaktion der [[Medien]] und das Verhalten der politischen sowie öffentlichen Akteure von Jugendlichen, sogenannten [[''Moods and Rockers'']], in den 1960-er Jahren in Großbritannien.<ref Name= "Thomson" />


'''[[Stanley Cohen]]: ''Folk Devils and Moral Panics'''
'''[[Stanley Cohen]]: ''Folk Devils and Moral Panics'''
In ''Folk Devils and Moral Panics'' analysiert Stanley Cohen den Ausbruch einer moralischen Panik ausgelöst durch das deviante Verhalten jugendlicher Gruppen in britischen Kleinstädten. Auslöser der Panik war ein größerer Straßenkampf in ''Clacton'', einem Küstenort in Großbritannien. Am Karsamstag im Jahr 1964 wurde Clacton Schauplatz einer Aufruhr von Jugendlichen. Es fand ein Streit darüber statt, dass ein Barbesitzer die Bedienung einer Gruppe Jugendlicher verweigerte. Daraufhin entwickelte sich ein Handgemenge, ein Pistolenschuss wurde abgegeben und eine Scheibe im Wert von 500 Pfund zerbrach. Die Polizei inhaftierte im Folgenden ca. 100 Jugendliche aufgrund missbräuchlichen Verhaltens gegenüber der Polizei.<ref Name=''The Inventory''>Cohen Stanley,''The Inventory''In:Folk Devils and Moral Panics, 2002,Routledge, London, S.16-34)</ref> Die Reaktion der britischen Medien auf diesen Vorfall war enorm. Bis auf die britische [[''Times'']] befand sich das Ereignis auf allen Titelseiten. Dem [[Spiraleffekt]] folgend wurden jugendliche Gruppen, als ''Mods and Rockers'' bezeichnet und als gefährliche ''Folk Devils'' deklariert.<ref> Thomson, Kenneth: ''The Classic Moral Panic - Mods and Rockers'' In:''Moral Panics'', 1998, Routledge, New York S. 31 f.</ref> Cohen ging bei seiner Analyse von einem Stufenmodell aus, welches aus dem Bereich des [[''Katastrophenverhalten'']] stammt. Demzufolge ereignete sich bei den Vorfällen in Clacton zunächst eine anfänglich, deviante Phase, welche in eine Phase der Beständigkeit überging. Hierbei analysierte Cohen die Rolle der Medien nach drei Kriterien.  
In ''Folk Devils and Moral Panics'' analysiert Stanley Cohen den Ausbruch einer moralischen Panik ausgelöst durch das deviante Verhalten jugendlicher Gruppen in britischen Kleinstädten. Auslöser der Panik war ein größerer Straßenkampf in ''Clacton'', einem Küstenort in Großbritannien. Am Karsamstag im Jahr 1964 wurde ''Clacton'' Schauplatz einer Aufruhr von Jugendlichen. Es fand ein Streit darüber statt, dass ein Barbesitzer die Bedienung einer Gruppe Jugendlicher verweigerte. Daraufhin entwickelte sich ein Handgemenge, ein Pistolenschuss wurde abgegeben und eine Scheibe im Wert von 500 Pfund zerbrach. Die Polizei inhaftierte im Folgenden ca. 100 Jugendliche aufgrund missbräuchlichen Verhaltens gegenüber der Polizei.<ref name=''The Inventory''>Cohen Stanley,''The Inventory''In:Folk Devils and Moral Panics, 2002,Routledge, London, S.16-34)</ref> Die Reaktion der britischen Medien auf diesen Vorfall war enorm. Bis auf die britische [[''Times'']] befand sich das Ereignis auf allen Titelseiten. Dem [[Spiraleffekt]] folgend wurden jugendliche Gruppen, als ''Mods and Rockers'' bezeichnet und als gefährliche ''Folk Devils'' deklariert.<ref> Thomson, Kenneth: ''The Classic Moral Panic - Mods and Rockers'' In:''Moral Panics'', 1998, Routledge, New York S. 31 f.</ref> Cohen ging bei seiner Analyse von einem Stufenmodell aus, welches aus dem Bereich des [[''Katastrophenverhalten'']] stammt. Demzufolge ereignete sich bei den Vorfällen in Clacton zunächst eine anfänglich, deviante Phase, welche in eine Phase der Beständigkeit überging. Hierbei analysierte Cohen die Rolle der Medien nach drei Kriterien.  
# Übertreibung und Verzerrung: Cohen konnte in den Medienberichten ein breite Verwendung von melodramatischem Vokabular und sensationslüsternen Schlagzeilen erkennen. Außerdem wurden fälschliche Aussagen gemacht. Beispielsweise schrieb eine Zeitung, dass die Fenster aller Diskotheken zerbrochen waren. Faktisch gab es in Clacton aber nur eine Diskothek bei der nur einzelne Fenster zu Bruch gegangen waren. <ref Name="The role of the Media"> Thomson, Kenneth: ''The Role of the Media'' In:''Moral Panics'', 1998, Routledge, New York S. 33 f.</ref>
# Übertreibung und Verzerrung: Cohen konnte in den Medienberichten ein breite Verwendung von melodramatischem Vokabular und sensationslüsternen Schlagzeilen erkennen. Außerdem wurden fälschliche Aussagen gemacht. Beispielsweise schrieb eine Zeitung, dass die Fenster aller Diskotheken zerbrochen waren. Faktisch gab es in Clacton aber nur eine Diskothek bei der nur einzelne Fenster zu Bruch gegangen waren. <ref Name="The role of the Media"> Thomson, Kenneth: ''The Role of the Media'' In:''Moral Panics'', 1998, Routledge, New York S. 33 f.</ref>
# Prognosen: Die Zeitungen meldeten Prognosen über mögliche Wiederholungen und Ausbreitungen solcher Unruhen. Dabei gingen sie sogar von Verschlimmerungen der Situation und einer Bedrohung des Friedens aus.<ref Name="The role fo the Media"/>  
# Prognosen: Die Zeitungen meldeten Prognosen über mögliche Wiederholungen und Ausbreitungen solcher Unruhen. Dabei gingen sie sogar von Verschlimmerungen der Situation und einer Bedrohung des Friedens aus.<ref Name="The role fo the Media"/>  
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'''Bedeutung im Kontext aktueller Forschung'''
'''Bedeutung im Kontext aktueller Forschung'''


Das Konzept der ''Moral Panic'' entstand in den 1960-er aus der Verbindung von Theorieströmungen aus der [[kritischen Soziologie]],der [[Labeling Theorie]] und den [[''cultural politics'']] <ref name="Einleitung">Cohen, Stanley:''Introduction to the Third Edition''In:''Folk Devils and Moral Panics'', 2002, Routledge, London, S. vii-xxiv</ref>  
Das Konzept der ''Moral Panic'' entstand in den 1960-er aus der Verbindung von Theorieströmungen aus der [[kritischen Soziologie]],der [[Labeling Theorie]] und den [[''cultural politics'']] <ref name="Einleitung">Cohen, Stanley:''Introduction to the Third Edition''In:''Folk Devils and Moral Panics'', 2002, Routledge, London, S. vii-xxiv, S. xxii </ref>  
Stanley Cohen benennt in der Einleitung zu ''Folk Devils and Moral Panics'' in der dritten Auflage aus dem Jahr 2002 einen aktualisierten Forschungskontext. Nach wie vor ist das Konzept der moralischen Panik in den [[Media and Cultural Studies]], in der [[Diskursanalyse]] sowie in der [[Soziologie über deviantes Verhalten]] präsent.
Stanley Cohen benennt in der Einleitung zu ''Folk Devils and Moral Panics'' in der dritten Auflage aus dem Jahr 2002 einen aktualisierten Forschungskontext. Nach wie vor ist das Konzept der moralischen Panik in den [[Media and Cultural Studies]], in der [[Diskursanalyse]] sowie in der [[Soziologie über deviantes Verhalten]] präsent.
Cohen fasst zudem sieben Cluster sozialer Identitäten zusammen, in dessen Umfeld moralische Panik öfter auftreten:  
Er fasst zudem sieben Cluster sozialer Identitäten zusammen, in dessen Umfeld moralische Panik häufig auftritt:  
* junge, gewaltbereite Männer aus der [[Arbeiterklasse]]
* junge, gewaltbereite Männer aus der [[Arbeiterklasse]]
* schulische Gewalt, Mobbing und Amokläufe
* schulische Gewalt, Mobbing und Amokläufe
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== Medien ==
== Medien ==
Medien stellen in der Verbreitung moralischer Erregung eine Kernposition dar. Dabei funktionieren sie nach ihren eigenen Spielregeln. Die Informationsgewinnung in modernen Gesellschaften verläuft über den zweiten Weg, d.h. bevor die Informationen an die Öffentlichkeit gelangen wurden sie zuvor von politischen und kommerziellen Beschränkungen geformt. Ein Zitat von Cohen benennt diesen Umstand: ''"(…) this means that the information has been subject to alternative definitions of what constitutes news and how it should be gathered and presented."'' <ref name="Mass Media">Cohen Stanley:''Deviance and Moral Panics''In:''Folk Devils and Moral Panics'', 2002,Routledge, London, S.1-16 </ref>. Die [[Medienberichterstattung]] weist zudem hohe Auswirkungen auf die emotionale Gefühlslage ihrer Leserschaft auf. Meistens hinterlässt sie in der Darstellung ihrer Geschichten unklare Gefühlslagen, welche für den weiteren Verlauf einer moralischen Panik wesentlich sind. Darüber Hinaus weisen Medienberichten die Herstellung von Mythen (''myth-making'') auf und folgen einem stereotypen Muster. <ref> Goode, Erich/ Ben- Yehuda Nachman: ''Enter Stanley Cohen'' In: ''Moral Panics: the social construction of deviance'', 1994, Blackwell Publishing, Malden S. 24 f. </ref>
Medien stellen in der Verbreitung moralischer Erregung eine Kernposition dar. Dabei funktionieren sie nach ihren eigenen Spielregeln. Die Informationsgewinnung in modernen Gesellschaften verläuft über den zweiten Weg, d.h. bevor die Informationen an die Öffentlichkeit gelangen wurden sie zuvor von politischen und kommerziellen Beschränkungen geformt. Ein Zitat von Cohen benennt diesen Umstand: ''"(…) this means that the information has been subject to alternative definitions of what constitutes news and how it should be gathered and presented."'' <ref name="Mass Media">Cohen Stanley:''Deviance and Moral Panics''In:''Folk Devils and Moral Panics'', 2002,Routledge, London, S.1-16 </ref>. Die [[Medienberichterstattung]] weist zudem hohe Auswirkungen auf die emotionale Gefühlslage ihrer Leserschaft auf. Meistens hinterlässt sie in der Darstellung ihrer Geschichten unklare Gefühlslagen, welche für den weiteren Verlauf einer moralischen Panik wesentlich sind. Darüber Hinaus weisen Medienberichten die Herstellung von Mythen (''myth-making'') auf und folgen einem stereotypen Muster. <ref> Goode, Erich/ Ben- Yehuda Nachman: ''Enter Stanley Cohen'' In: ''Moral Panics: the social construction of deviance'', 1994, Blackwell Publishing, Malden S. 24 f. </ref>
Die mediale Berichterstattung steht auch in Verbindung mit einem verzeichneten Anstieg von devianten Verhalten. Hierbei stellt [[''Leslie T. Wilkins'']] in seinem Buch: ''Social deviance: social policy, action and research'' eine Reaktionsverkettung zwischen der medialen Berichterstattung, der gesellschaftlichen Reaktion und dem Anstieg von Devianz her.<ref> Wilkins, Leslie T.:"Social deviance: social policy, action and research'', 1964, London Travistock, Kap. 4 </ref>
Die mediale Berichterstattung steht auch in Verbindung mit einem verzeichneten Anstieg von devianten Verhalten. Hierbei stellt [[''Leslie T. Wilkins'']] in seinem Buch: ''Social deviance: social policy, action and research'' eine Reaktionsverkettung zwischen der medialen Berichterstattung, der gesellschaftlichen Reaktion und dem Anstieg von Devianz her.<ref> Wilkins, Leslie T.:'' A general Theory of Deviance'' In:"Social deviance: social policy, action and research'', 1964, London Travistock,Kap. 4 S.45-104 </ref>


== Öffentlichkeit ==
== Öffentlichkeit ==
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Bei einer Katastrophenmentalität werden Parallelen zum Verhalten bei Naturkatastrophen sichtbar. Dies wird beispielsweise an relevanten Verhaltensweisen, die vor, während und nach Naturkatastrophen auftreten, deutlich. Beispielsweise treten Vorhersagen über einen bevorstehenden Untergang auf und es findet eine Sensibilisierung für mögliche Signale statt. Zudem werden vermehrt Überreaktionen, Gerüchte über mögliche Ereignisse oder Auslöser von Fehlalarm ersichtlich.<ref>Cohen Stanley,''The Control Agents''In:Folk Devils and Moral Panics, 2002,Routledge, London, S. 144-48)</ref>  
Bei einer Katastrophenmentalität werden Parallelen zum Verhalten bei Naturkatastrophen sichtbar. Dies wird beispielsweise an relevanten Verhaltensweisen, die vor, während und nach Naturkatastrophen auftreten, deutlich. Beispielsweise treten Vorhersagen über einen bevorstehenden Untergang auf und es findet eine Sensibilisierung für mögliche Signale statt. Zudem werden vermehrt Überreaktionen, Gerüchte über mögliche Ereignisse oder Auslöser von Fehlalarm ersichtlich.<ref>Cohen Stanley,''The Control Agents''In:Folk Devils and Moral Panics, 2002,Routledge, London, S. 144-48)</ref>  


Eine Logik, welche die Dynamik der moralischen Panik außerdem tangiert, liegt in der [[Tabuisierung]] von Handlungen. Sobald Handlungen tabuisiert werden scheint eine kollektive Übereinstimmung darüber zu bestehen. (siehe auch: A.R. Radcliffe- Brown, „Taboo“ in Reader in Comparative Religion, ed. William A. Lessa and Evon Z. Vogt (Evanston Ill. :Harper and Row 1979)
Eine Logik, welche die Dynamik der moralischen Panik außerdem tangiert, liegt in der [[Tabuisierung]] von Handlungen. Sobald Handlungen tabuisiert werden scheint eine kollektive Übereinstimmung darüber zu bestehen.<ref>Lancaster, Roger N.:''Panic: A Guide to the Uses of Fear" In: Sex Panic and the Punitive State,2011,University of California Press, London, S.23- 38 < /ref> <ref group=Anmerkungen> siehe auch: A.R. Radcliffe- Brown, „Taboo“ in Reader in Comparative Religion, ed. William A. Lessa and Evon Z. Vogt Evanston Ill. :Harper and Row 1979, S.46-56 < /ref>


5. Erklärungsansätze
5. Erklärungsansätze
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* Risikogesellschaft
* Risikogesellschaft
Ein Erklärungsansatz für die Entwicklung moralischer Panik liegt in der sich immerfort modernisierenden Gesellschaft. In diesem Zusammenhang wird die [[Theorie der Risikogesellschaft]] nach [[Ulrich Beck]]herangezogen.<ref group="Einzelnachweis">Beck,Ulrich:''Risk Society:towards a new modernity'',1992; Sage, London</ref><ref group="Anmerkung">Zur aktuellen Weiterentwicklung der Theorie über die Risikogesellschaft von Ulrich Beck siehe auch Beck, Ulrich: ''Risikogesellschaft:auf dem Weg in eine andere Moderne, 2010, Suhrkamp, Frankfurt am Main</ref>
Ein Erklärungsansatz für die Entwicklung moralischer Panik liegt in der sich immerfort modernisierenden Gesellschaft. In diesem Zusammenhang wird die [[Theorie der Risikogesellschaft]] nach [[Ulrich Beck]]herangezogen.<ref group="Einzelnachweis">Beck,Ulrich:''Risk Society:towards a new modernity'',1992; Sage, London</ref><ref group="Anmerkung">Zur aktuellen Weiterentwicklung der Theorie über die Risikogesellschaft von Ulrich Beck siehe auch Beck, Ulrich: ''Risikogesellschaft:auf dem Weg in eine andere Moderne, 2010, Suhrkamp, Frankfurt am Main</ref>
Darin wird davon ausgegangen, dass durch die Produktion von erhöhtem Risiko auch das Bewusstsein über mögliche Risiken ansteigt, welches letztendlich zu einer veränderten sozialen und politischen Dynamik führt. (Thomson s.22) Diese Dynamik drückt sich laut Stanley Cohen darin aus, dass  eine Kultur der Unsicherheit, Furcht und Schikanierung entsteht, welche auch in Strategien der Kriminalitätsbekämpfung zum Ausdruck kommt. <ref group="neue Theorien">Cohen Stanley,''Introduction to the Third Edition''In:Folk Devils and Moral Panics, 2002,Routledge, London, S.xxv </ref> Das globale Ausmaß der sich entwickelnden Risikogesellschaft erzeugt überdies eine neue Kulisse für das Auftreten moralischer Panik.<ref group="neue Theorien">Cohen Stanley,''Introduction to the Third Edition''In:Folk Devils and Moral Panics, 2002,Routledge, London, S.xxvi </ref>
Darin wird davon ausgegangen, dass durch die Produktion von erhöhtem Risiko auch das Bewusstsein über mögliche Risiken ansteigt, welches letztendlich zu einer veränderten sozialen und politischen Dynamik führt. <ref> Thompson,Kenneth:''Risk Society''In:Moral Panics,1998,Routledge,London S.22 < /ref> Diese Dynamik drückt sich laut Stanley Cohen darin aus, dass  eine Kultur der Unsicherheit, Furcht und Schikanierung entsteht, welche auch in Strategien der Kriminalitätsbekämpfung zum Ausdruck kommt. <ref group="neue Theorien">Cohen Stanley,''Introduction to the Third Edition''In:Folk Devils and Moral Panics, 2002,Routledge, London, S.xxv </ref> Das globale Ausmaß der sich entwickelnden Risikogesellschaft erzeugt überdies eine neue Kulisse für das Auftreten moralischer Panik.<ref group="neue Theorien">Cohen Stanley,''Introduction to the Third Edition''In:Folk Devils and Moral Panics, 2002,Routledge, London, S.xxvi </ref> Eine Zusammendenken von Risikogesellschaft und moralischer Panik befürwortet David Garland in einem Artikel von 2008. Er sieht in der Beziehung von objektiven Risiken (z.B. Naturkatastrophen, Epidemien, technologische Katastrophen) und subjektiven Risiken (z.B.kriminelles Verhalten, Kindesmissbrauch, schulische Gewalt) interessante Verbindungen. Ihm zufolge endet eine auf objektive Risiken zurückzuführende Panik oft in der Frage nach moralischer Lebensführung.<ref>Garland,David (Garland S.27)


*[[Sozialkonstruktivismus]]:Wissenschaftliche Forschungen aus dem Bereich des Sozialkonstruktivismus stellen brauchbare Modelle zur Untersuchung unterschiedlicher Forderungen einzelner Parteien (Interessengruppen, soziale Gruppen etc.) vor dem Hintergrund der Konstruktion neuer Problemkategorien zur Verfügung.<ref group="neue Theorien">Cohen,Stanley:''Introduction to the Third Edition''In:''Folk Devils and Moral Panics'',2002; Routledge, London S.xxii</ref> Dabei können die Forderungen der Antragssteller und die sozialen Problematiken vor dem Hintergrund sozialer Konstruktion betrachtet werden. Moralische Panik wird in Zusammenhang als Teil eines Gesamtprozesses sozialer Konstruktion verstanden.<ref group="neue Theorien">Cohen Stanley,''Introduction to the Third Edition''In:Folk Devils and Moral Panics,2002,Routledge, London, S.xxiii</ref>
*[[Sozialkonstruktivismus]]:Wissenschaftliche Forschungen aus dem Bereich des Sozialkonstruktivismus stellen brauchbare Modelle zur Untersuchung unterschiedlicher Forderungen einzelner Parteien (Interessengruppen, soziale Gruppen etc.) vor dem Hintergrund der Konstruktion neuer Problemkategorien zur Verfügung.<ref group="neue Theorien">Cohen,Stanley:''Introduction to the Third Edition''In:''Folk Devils and Moral Panics'',2002; Routledge, London S.xxii</ref> Dabei können die Forderungen der Antragssteller und die sozialen Problematiken vor dem Hintergrund sozialer Konstruktion betrachtet werden. Moralische Panik wird in Zusammenhang als Teil eines Gesamtprozesses sozialer Konstruktion verstanden.<ref group="neue Theorien">Cohen Stanley,''Introduction to the Third Edition''In:Folk Devils and Moral Panics,2002,Routledge, London, S.xxiii</ref>
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* [[Diskursanalyse]]
* [[Diskursanalyse]]
Auch unter dem diskurstheoretischen Ansatz von [[Michel Focault]] wird versucht das Phänomen moralischer Panik zu erklären. Dabei werden Diskurse,  über Sexualität oder Drogenmissbrauch, als Repräsentanten von Machtkämpfen über moralische Regelungen gesehen. Aufgrund der Vielzahl der in einer modernen Gesellschaft geführten Diskurse können Elemente aus diesen Diskursen von den Medien aufgenommen und somit in den Dynamisierungsprozess einer moralischen Panik eingeführt werden.  
Auch unter dem diskurstheoretischen Ansatz von [[Michel Focault]] wird versucht das Phänomen moralischer Panik zu erklären. Dabei werden Diskurse,  über Sexualität oder Drogenmissbrauch, als Repräsentanten von Machtkämpfen über moralische Regelungen gesehen. Aufgrund der Vielzahl der in einer modernen Gesellschaft geführten Diskurse können Elemente aus diesen Diskursen von den Medien aufgenommen und somit in den Dynamisierungsprozess einer moralischen Panik eingeführt werden.<ref>Thompson,Kenneth:''Discourses and Discursive Practices''In: Moral Panics, 1998, Routledge, London, S.24-26 < /ref>


*[[Psychoanalyse]]  
*[[Psychoanalyse]]  
Die Psychoanalyse bietet ebenfalls theoretische Instrumente für die Erklärung einer moralischen Panik: Unter Rückgriff auf [[Sigmund Freud]] steht moralische Panik häufig in Verbindung zur Verdrängung von Problematiken oder Konflikten. Dabei wird Panik oftmals als Ausdruck für irrationale, soziale oder unbewusste Ängste aufgefasst. Phantasie bestimmt ebenfalls eine bedeutende Komponente in der Entwicklung moralischer Panik. Durch den Zusatz der Imagination kann Panik innerhalb weniger Bewegungen über mögliche Gefahren ausbrechen  
Die Psychoanalyse bietet ebenfalls theoretische Instrumente für die Erklärung einer moralischen Panik: Unter Rückgriff auf [[Sigmund Freud]] steht moralische Panik häufig in Verbindung zur Verdrängung von Problematiken oder Konflikten. Dabei wird Panik oftmals als Ausdruck für irrationale, soziale oder unbewusste Ängste aufgefasst. Phantasie bestimmt ebenfalls eine bedeutende Komponente in der Entwicklung moralischer Panik. Durch den Zusatz der Imagination kann Panik innerhalb weniger Bewegungen über mögliche Gefahren ausbrechen  
Daraus ergibt sich die Verdichtung von real existierenden Bedrohungen und irrationalen Befürchtungen bedeuten komplexe Entitäten, die die Stofflichkeit moralischer Panik charakterisieren (Lancaster 23-25)
Daraus ergibt sich die Verdichtung von real existierenden Bedrohungen und irrationalen Befürchtungen bedeuten komplexe Entitäten, die die Stofflichkeit moralischer Panik charakterisieren.<ref>Lancaster, Roger N.:''Panic: A Guide to the Uses of Fear" In: Sex Panic and the Punitive State,2011,University of California Press, London, S.23- 38 < /ref>  23-25


          
          
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Die Validität des theoretischen Konzeptes der moralischen Panik bleibt von kritischer Seite her nicht unangefochten. P.A.J. Waddington kritisierte in einem Artikel, dass der Begriff der moralischen Panik nicht gelten kann, da der Aspekt der Proportionalität nicht auf messbare Bedingungen zurückzuführen ist wodurch es kein valides Kriterium besteht, zu welchem Zeitpunkt von einer moralischen Panik gesprochen werden kann. Weddington äußert sich dazu folgendermaßen: „ The ´principial difficulty` of the moral panic is in „establishing the comparison between the scale of the problem and the scale of response to it (…).“ (Weddington p. 246)  Auf diese Argumentation hin führen Yehuda und Goode folgende Gegenargumente ein: Zunächst sollte zwischen Bedrohungen, welche auf die Zukunft verweisen und nicht kalkulierbar sind (z.B. Klimawandel, Treibhauseffekt) und auf aktuelles Verhalten basierte und somit kalkulierbare (z.B. Drogenmissbrauch, sexueller Missbrauch) unterschieden werden.
Die Validität des theoretischen Konzeptes der moralischen Panik bleibt von kritischer Seite her nicht unangefochten. Breite Kritik streute P.A.J. Waddington 1986 in seinem Artikel ''Mugging as a moral panic: a question of proportion''. Darin greift er die Argumentation der Autoren des Buches '' Policing the Crisis'' an. Diese geht darauf zurück, dass kriminelle Überfälle in Großbritannien von den dort herrschenden Eliten als so bedrohlich deklariert wurden, dass sich daraus eine moralische Panik entwickeln sollte. Diese sollte von der derzeitigen ökonomischen Krise ablenken. Darüber Hinaus bezeichnet Weddington moralische Panik eher als polemisches, denn als analytisches Konzept. (Weddington S. 258) Er geht darauf ein, dass der Begriff der moralischen Panik nicht gelten kann, da der Aspekt der Proportionalität auf nicht messbare Bedingungen zurückzuführen ist. Dadurch besteht kein valides Kriterium, welches eine gültige Aussage über das zeitliche Auftreten einer moralischen Panik wiedergeben könnte. Weddington äußert sich dazu folgendermaßen: „ The ´principial difficulty` of the moral panic is in „establishing the comparison between the scale of the problem and the scale of response to it (…).“ (Weddington p. 246)  Die Kritik des Aspektes der Disproportionalität greift Stanley Cohen in seiner überarbeiteten, dritten Auflage von ''Folk Devils and Moral Panics'' nochmals auf. Er argumentiert, dass das Kriterium der Proportionalität mit externen Verbindlichkeiten, wie Menschenrechten, Ziel sozialer Gleichheit oder sozialer Gerechtigkeit gedacht werden muss. (S. xxviii) Zudem geht er darauf ein, dass Messungen über Emotionen auf qualitativer Basis beruhen, welche auf sozialen Konstruktionen beruht. (S. xxix)
Interpretation der Beziehungen zwischen sozialen Objekten und Wahrnehmung bestimmt gesamtes Feld der Studien über soziale Konflikte
Häufig wird dem Konzept der moralischen Panik vorgeworfen, dass es sich dabei um ein werte-beladenes Konzept mit politischem Beigeschmack handelt. (S. xxxi) Cohen gesteht ein, dass das Konzept vor allem in links-liberalen Denkstrukturen Gebrauch findet (S. xxxi) und in der Vergangenheit häufig zur Untergrabung konservativer Ideologien angewendet wurde.(xxxiii) Dennoch geht Cohen davon aus, dass der Begriff neutral ist und in seiner Verwendung auch umgekehrt werden kann. Er definiert den Begriff in diesem Zusammenhang folgendermaßen: ''" (...)the term is not just value-laden but intended to be a critical tool to expose dominant interests and ideologies."''(Cohen S. xxxiii) Anmerkung: Siehe zur aktuellen Auseinandersetzung mit Cohens Überarbeitung auch: Garland, David: On the concept of Moral Panic: Crime, Media, Culture; April 2008, Sage http://cmc.sagepub.com/content/4/1/9.short, aufgerufen am 11.07.12
 




8.Literatur
8.Literatur
Weddington,  P.A.J. 1986 „Mugging as a moral panic: a question of proportion“ The british Journal of Sociology 37 (2) 245-59
Weddington,  P.A.J. 1986 „Mugging as a moral panic: a question of proportion“ The british Journal of Sociology 37 (2) 245-59
Jones, Brian J./Gallagher Bernard J./III/ and Mc. Falls Jr., Joseph A.: Toward a unified model for social problems theory, In: '' Journal for the Theory of Social Behaviour'' ,Nr. 19, 1989, S. 337 -56
9.Weblinks
9.Weblinks
10.Einzelnachweise
10.Einzelnachweise
Weddington,  P.A.J. 1986 „Mugging as a moral panic: a question of proportion“ The british Journal of Sociology 37 (2) 245-59
Weddington,  P.A.J. 1986 „Mugging as a moral panic: a question of proportion“ The british Journal of Sociology 37 (2) 245-59
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