SET-FREE

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SET-FREE (engl.: to set free/frei lassen) ist die Bezeichnung eines christlich orientierten Netzwerks für Gefangene, das Projekte in Gefängnissen aufbaut oder fördert, die möglichst viele Ehrenamtliche einbeziehen und auf eine verantwortliche Beteiligung von Gefangenen abzielen. Weitere Anliegen sind, die Bedeutung von Spiritualität und Arbeit herauszuarbeiten und in Gesellschaft, Politik und Fachkreisen darauf aufmerksam zu machen. In der Vision von SET-FREE werden diese Anliegen wie folgt ausgedrückt: "Wir haben den Traum von einer Gesellschaft der Barmherzigkeit, die den Menschen hinter Gittern eine Chance zur Umkehr gibt und die es möglich macht, dass aus Straftätern Täter der Liebe werden."

Geschichte

Entstehung

SET-FREE wurde 2008 von Conny Schöllkopf (Erzieherin), Angelika Lang (Dipl. Sozial.-päd.) und Pedro M. J. Holzhey (Dipl.-Ing., noch in Haft) in einer bayerischen Justizvollzugsanstalt gegründet. Die genannten Personen gehören der EMMAUS-Bewegung Deutschland an. Sie kommen selbst aus dem Hintergrund einer früheren Zugehörigkeit zu einer Subkultur bzw. Inhaftierung. Inspiriert wurde die Gründung vom Besuch der christlichen Gefangenenhilfsorganisation APAC (Associação de Proteção e Assistência aos Condenados, übersetzt Vereinigung zum Schutz und zur Unterstützung von Strafgefangenen) in Itaúna/Brasilien. Anliegen der Gründung von SET-FREE war es, soziale Arbeit aus dem christlichen Glauben zu praktizieren und damit die Gefängnisarbeit der EMMAUS-Bewegung, einer rein ehrenamtlichen Arbeit, zu erweitern und zu professionalisieren. 2006 startete ein Projekt in einer deutschen Justizvollzugsanstalt, die für die Gründung von SET-FREE Pilotfunktion hatte. Erstmals wurden die verschiedenen Elemente des Resozialisierungsprogramms in einem Gefängnis entfaltet. Im Herbst 2008 erschien das Konzept von APAC in dem Buch „Straftäter verändern – Eine Einführung in das APAC-Programm“ von Dr. Mário Ottoboni ins Deutsche übersetzt im Buchhandel. Ebenfalls 2008 startete ein weiteres Projekt in der JVA Straubing, das inzwischen eine Art "Leuchtturmfunktion" hat, weil dort das Ziel der verantwortlichen Beteiligung von Gefangenen am Projekt am stärksten umgesetzt ist.

Wurzeln

SET-FREE hat seine Wurzeln in der EMMAUS-Bewegung Deutschland, die von Jan Rainer Hermanns gegründet wurde. Eine geplante Reportage des Journalisten Hermanns über die Jesus People (die Überschrift der Reportage stand bereits fest: "Religion wieder Opium für das Volk"), führte ihn zur Auseinandersetzung mit sich selbst und seinem Glauben. Die darauffolgende Begegnung mit den Jesus People, die vielfach aus der Drogenszene kamen, hinterließ einen so tiefen Eindruck in seinem Leben, dass er seinen journalistischen Beruf aufgab und Sozialarbeit studierte. Er übte seinen Beruf 1976 bis 1983 in der Jugendstrafanstalt Ebrach aus. Hier ging er mit jungen Gefangenen neue Wege der Resozialisierung. In der JVA Ebrach begann er auch seine soziale Arbeit mit geistlichen Elementen zu verbinden. Dananch erweiterte er seine Arbeit und setzte sich bundesweit für Gefangene und Menschen vom Rand der Gesellschaft ein. Daraus entstand in den 80er Jahren die EMMAUS-Bewegung Deutschland, die derzeit in etwa 20 deutschen Gefängnissen christlich geprägte Gesprächsgruppen anbietet.

Programm

Das Resozialisierungsprogramm von SET-FREE beinhaltet verschiedene Aspekte, die nachfolgend erläutert werden. Es wird stark betont, dass die unterschiedlichen Elemente aufeinander aufbauen, sich gegenseitig bedingen und ihre Kraft nur in einem Miteinander entfalten. Unter "SET-FREE Projekt" wird das Zusammenwirken verschiedener aufeinander aufbauender Gruppenangebote und Kurse im Gefängnis sowie unterstützende Hilfe im Rahmen des Übergangsmanagements verstanden.

Hineinwirken in die Subkultur - "Die Kompetenz der Betroffenen"

In Blockveranstaltungen, sog. "Begegnungswochen", wird versucht, Gefangene zu einem persönlichen Weg des Neuanfangs ohne Straftaten zu motivieren und damit in die Subkultur eines Gefängnisses hineinzuwirken. Dies geschieht u. a. durch die Beteiligung von Haftentlassenen, die von ihrem eigenen Leben berichten. Dadurch werden Identifikationsprozesse angestrebt, die bei den Gefangenen sowohl Offenheit und Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben als auch Perspektiven für ein straffreies Leben vermitteln sollen. Zudem wird versucht, Insassenführer für die Mitarbeit im Projekt zu gewinnen. Dahinter steht die Annahme, dass Resozialisierungsangebote umso mehr Einfluss in einer Haftanstalt gewinnen und damit auch "erfolgreich" sind, je mehr sie von Führungspersonen der Subkultur mitgetragen werden.

Christlicher Glaube als Angebot

Alle Gruppenangebote und Kurse basieren auf christlichen Wertvorstellungen. Zudem wird der christliche Glaube als Möglichkeit der persönlichen Lebensgestaltung angeboten. Es wird davon ausgegangen, dass Spiritualität bei der Resozialisierung von Gefangenen einen wesentlichen Beitrag leisten kann und dass durch einen Bezug zu einer Höheren Macht oder Gott eine Stabilisierung des Lebens erreicht wird, z. B. aufgrund perönlicher Erfahrungen von Liebe, Geborgenheit und Vergebung der Schuld. Zudem werden mit dem christlichen Glauben verbundene Wertvorstellungen vermittelt, die den Prozess einer persönlichen Veränderung weiter unterstützen sollen.

Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte

Mithilfe eines Programms für psychosoziale Selbsthilfegruppen (Endlich-Leben Programm) wird angeboten, an sog. "schädlichen Verhaltensmustern" oder "Überlebensstrategien" zu arbeiten und "neue Verhaltensmuster" einzuüben. Die Gruppen sind auf der Tradition der 12-Schritte der Anonymen Selbsthilfegruppen aufgebaut. Langfristiges Ziel dieser Gruppen ist auch der Aufbau einer positiven Gruppenkultur als Kontrapunkt zum Lebensumfeld der Subkultur im Gefängnis. Durch die Gruppe(n) soll ein Schutzraum entstehen, der es möglich macht, dass sozial anerkannte Normen und Werte praktiziert und internalisiert werden können.

Aktivierung statt Versorgung - Übertragung von Verantwortung

Es wird darauf hingearbeitet, dass Gefangene im Projekt Verantwortung übernehmen und dass sie an ihre Mitgefangenen das weitergeben, was sie selbst als "heilend" und verändernd in ihrem Leben erfahren haben. Dadurch soll eine Identifikation mit der Projektarbeit und zugleich mit den Zielen der Resozialisierung erreicht werden. Zum anderen soll diese Vorgehensweise der Multiplikation dienen. Mit der verantwortlichen Beteiligung von Gefangenen soll zudem eine Möglichkeit geschaffen werden, weiter in die Subkultur der entsprechenden Haftanstalt hineinzuwirken.

Patenschaft und "Familie" als Leitmodell der Integration

Als Modell der Integration wird eine umfassenede Lebensbegleitung angestrebt, die nach den Prinzipien von Patenschaft und christlicher Gemeinde oder Gemeinschaft als "Familie" weit über eine fachliche Zuständigkeit hinausreicht. Das Ziel dabei ist der Aufbau von neuen Vertrauens- und Bezugspersonen bis hin zu einer Art "Ersatzfamilie". Mit dem Versuch, möglichst starke menschliche Bindungen zu knüpfen, soll auch die Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach der Haft vorbereitet und erleichtert werden. Zugleich sollen durch sog. Paten und ehrenamtliche Mitarbeiter, die ihren persönlichen Einfluss geltend machen können, die Zugangschancen zu Bildung und Arbeitsplätzen für die Gefangenen verbessert werden.

Öffentlichkeitsarbeit und Kriminalprävention mit Haftentlassenen

Zusammen mit Haftentlassenen werden Drogen- und Gewaltpräventionen an Schulen sowie Einsätze in der Öffenlichkeit und in christlichen Gemeinden durchgeführt. Diese sollen einerseits Haftentlassene in ihrem Selbstbewusstsein und in ihrer Entscheidung, straffrei zu leben, stärken; andererseits soll die Gesellschaft auf die Problematik von Menschen, die straffällig wurden, aufmerksam gemacht werden. Durch Beispiele gelungener Resozialisierung sowie öffentliches und soziales Engagement von Haftentlassenen wird versucht, auf die Meinungsbildung in der Öffentlichkeit Einfluss zu nehmen.

Gesellschaftspolitische Ziele

SET-FREE zielt neben der sozialen Gefängnisarbeit aus dem christlichen Glauben in der Außenwirkung auf folgende Ziele ab:

  • Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit für Resozialisierung als Kriminalprävention sowie für Restaurative Gerechtigkeit, die sowohl Opfer, Täter als auch das Gemeinwesen im Blick hat und die auf Wiedergutmachung und Wiedereingliederung statt auf Strafe abzielt.
  • Bewusstseinsbildung in Politik und Gesellschaft für die Notwendigkeit einer starken Beteiligung der Bevölkerung am Prozess der Resozialisierung, vor allem auch durch fachlich geschultes und ehrenamtliches Engagement.
  • Anerkennung der "Kompetenz der Betroffenen" im Bereich Strafvollzug und Resozialisierung und Appell zur Einbindung von Haftentlassenen in Resozialisierungsprogramme, sowohl ehrenamtlich als in einem Anstellungsverhältnis.
  • Schaffen von verschiedenen Ausbildungsmöglichkeiten für Gefangene und Haftentlassene im Bereich Resozialisierung und Arbeit in sozialen Brennpunkten, sowie die Möglichkeit, persönliches Engagement im Gefängnis als Praktikum für entsprechende Berufsausbildungen anzurechnen.
  • Politische Anerkennung von christlich orientierten Projekten im Gefängnis als alternative "Methode" der Resozialisierung.

Kooperationspartner und Unterstützerkreis

Alpha Deutschland: Christlicher Glaubensgrundkurs, der aus England stammt. Er wird dort in etwa 70% der Haftanstalten angeboten und von der Regierung gefördert.

APAC: (Associação de Proteção e Assistência aos Condenados, übersetzt Vereinigung zum Schutz und zur Unterstützung von Strafgefangenen) ist eine aus Brasilien stammende christliche Gefangenenhilfsorganisation, die einige Strafvollzugsanstalten betreibt, ohne Wachpersonal.

Arche e. V.: Verein, der in einem Secondhand-Laden und in einem Möbelgeschäft schwer vermittelbaren Menschen, u. a. auch Haftentlassenen, einen Arbeitsplatz anbietet.

Aufbruch-Leben: Seelsorgeprogramm zu den Themen "Gottesbeziehung und Reifung der Person", "Lebenskonflikte verstehen und vergeben", "Beziehungsfähigkeit aufbauen und leben".

BFU e. V. (Bibelfernunterricht): Fernkurse aus den Bereichen Bibelkunde, Glaubenslehre, praktische Theologie usw. Der BFU bietet für Gefangene Stipendien an.

CVJM Hochschule: Geplante Zusammenarbeit in den Bereichen Ausbildung von Gefangenen und Haftentlassenen im sozial/christlichem Bereich und Ausbildung von Projektleitern für geplante APAC-Vollzugsabteilungen und SET-FREE-Projekte im Gefängnis.

EMMAUS-Bewegung Deutschland: Christliche Gruppenarbeit im Gefängnis, die in ca. 20 Haftanstalten bundesweit geistliche Gesprächsgruppen anbietet in denen etwa hundert ehrenamtliche Mitarbeiter engagiert sind.

Endlich-Leben Netzwerk: Kleingruppenarbeit auf der Basis von psychosozialen Selbsthilfegruppen, die auf der Tradition der 12-Schritte aufgebaut sind.

Förderverein SET-FREE: Verein mit dem Zweck, soziale Gefängnisarbeit aus dem christlichen Glauben zu fördern und zu verbreiten.

Tabor e. V.: Verein zur ganzheitlichen Unterstützung Strafentlassener und anderweitig sozial belasteter Menschen. Der Verein unterhält ein Haus in Moosach bei München, in dem Haftentlassene Aufnahme finden können.

x-pand Deutschland: Internationale Organisation, die Seminare im Bereich Persönlichkeitsentwicklung, Kreative Lebensplanung, Leiterschaft und Kommunikation auf der Basis von christlichen Werten und Überzeugungen durchführt.

Literatur

Bucher, A. (2007): Psychologie der Spiritualität. Weinheim, Basel: Beltz Verlag

Harbordt, S. (1972): Die Subkultur des Gefängnisses. Eine soziologische Studie zur Resozialisierung. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag

Hermanns, J.-R. (1971): Revolution zur Befreiung des Menschen - ein Plädoyer. Limburg: Lahn Verlag

Hermanns, J.-R. (2003): Ansätze christlicher Sozialarbeit - Soziale Arbeit aus dem Glauben. Freiburg im Breisgau: Lambertus Verlag

Holzenkamp, R. (2008): Die Wohngruppe `Suchtfrei leben´ des Blauen Kreuzes in der JVA Brandenburg. In: Forum Strafvollzug - Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe (Hrsg.), FS 4/2008, S. 159. Heimsheim: JVA Druckerei

Hürlimann, M. (1992): Führer und Einflussfaktoren in der Subkultur des Strafvollzugs. Pfaffenweiler: Centaurus-Verlagsgesellschaft

Lang, Angelika (2013): Wenig genutzte Ressourcen im Strafvollzug. Unv. Masterarbeit, Universität Hamburg, Institut für Kriminologische Sozialforschung

Ottoboni, M. (2008): Straftäter verändern - Eine Einführung in das APAC-Programm. Norderstedt: Books on Demand

Zehr, H. (2010): Fairsöhnt: Restaurative Gerechtigkeit. Wie Opfer und Täter heil werden können. Schwarzenfeld: Neufeld Verlag

Weblinks

Alpha im Gefängnis: http://www.alphakurs.de/gast/gefaengnis

APAC: http://www.apacitauna.com.br

EMMAUS-Bewegung Deutschland: http://www.emmausbewegung.de

Endlich-Leben Netzwerk: http://www.endlich-leben.net

Ex-Zuhälter liest in der JVA Luckau-Duben http://www.lr-online.de/regionen/luckau/Ex-Zuhaelter-liest-in-der-JVA-Luckau-Duben;art1062,2522680,0

Mein Leben ist ein Drahtseilakt http://www.stimme.de/heilbronn/nachrichten/kocher-jagst/sonstige;art1908,1225077

SET-FREE Das Netzwerk für Gefangene: http://www.set-free-network.de