Religionen

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Religionen finden sich bei allen Völkern und zu allen Zeiten, einen religionslosen Zustand der gesamten Menschheit kennt weder die Geschichte noch die Vorgeschichte (Brugger 1981).

Etymologie

Das Wort „religio“ hat seinen Ursprung im Lateinischen und dort die unterschiedlichsten Bedeutungen: „Heiligkeit“, "Gottesfurcht“, "Frömmigkeit", „Gottesdienst“, „Verehrung“, „heiliger Eid“, aber auch "Rücksicht", "Bedenken", „Skrupel", „Gewissenhaftigkeit" oder „Aberglaube“ (Stowasser 1998). In der Regel wurde darunter die Verpflichtung zur kultisch-rituellen Verehrung der Götter verstanden. Die weitere Etymologie des Begriffs ist nicht mit Sicherheit geklärt. (Theologische Realenzyklopädie, Bearbeiter: Ahn)

Der Begriff „religio“ ist kein Terminus altrömischer Religion. Die frühesten Belege finden sich vielmehr erst in den Komödien des Plautus (ca. 250-184 v. Chr.) und in den politischen Reden des Konservativen Cato (234-149 v. Chr.). Nach Cicero (106-43 v. Chr.) geht „religio“ zurück auf „relegere“, was wörtlich "wieder aufwickeln", im übertragenen Sinn "immer wieder durchgehen, überdenken" bedeutet. Cicero dachte dabei an den Tempelkult, der eine gewissenhafte Beachtung dessen, was die Götter von den Menschen verlangen, erforderte (Cicero: De Natura Deorum = Von der Natur der Götter). Der frühe christliche Kirchenvater Lactantius (ca. 250-ca. 320) führte das Wort dagegen zurück auf „religare“, d.h. "an-, zurückbinden, verbunden sein, festhalten, an etwas festmachen". Er betonte als Christ die Verbundenheit mit und das Festhalten an Gott (Lactantius: Divinae Institutiones = Göttliche Unterweisungen).

Definitionen

Der Begriff „Religion“ umfasst gemeinhin eine Welterklärung bzw. eine Ordnung zur Lebensbewältigung. Das „für wahr halten“ der Existenz von einem oder mehreren transzendenten Wesen (Götter, Geister, Ahnen), Prinzipien oder Realitäten (Nirvana, Jenseits) wird meist als „Glaube“ bezeichnet.

Allerdings gibt es in den Geisteswissenschaften erhebliche Kontroversen um die Definition. Da der Begriff von der christlichen Philosophie eingeführt wurde, sind zwar Gemeinsamkeiten z.B. mit Naturreligionen vorhanden, jedoch passt er nicht in jedem Fall. Deshalb steht eine allgemeingültige Definition bis heute aus (Theologische Realenzyklopädie, Bearbeiter: Ahn). Es gibt lediglich verschiedene Ansätze, z.B.:

a) Émile Durkheim (1858-1917): Religion trägt zur Festigung sozialer Strukturen, aber auch zur Stabilisierung des Einzelnen bei (funktionalistischer Religionsbegriff).

b) Ferdinand Tönnies (1855-1936): Er unterscheidet „Gesellschaft“ und „Gemeinschaft“ und betont die sinnstiftende Funktion von Religion als typisch "gemeinschaftlich". Religiöse Gemeinschaften dienen demnach der kulturellen Bindung des Individuums. Sie verlieren in der Moderne zugunsten der Prägung durch die Gesellschaft an Bedeutung für den Einzelnen. Es folgt gegenwärtig einem Zeitalter der Gemeinschaft ein Zeitalter der Gesellschaft, in der die Funktion der Religion nunmehr von der öffentlichen Meinung übernommen werde (soziologischer Ansatz). (Tönnies 1887)

c) Max Weber (1864-1920): Er nimmt eine Unterscheidung zwischen „Religion“ und „Magie“ vor. Religion sei ein dauerhaftes System, dessen Vertreter gesellschaftlichen Einfluss anstreben; Magie hingegen sei von vorübergehender Natur und für den Moment faszinierend (soziologischer Ansatz). (Weber 1915-1919)

d) Erich Fromm (1900-1980): Religion sei jedes von einer Gruppe geteilte System des Denkens und Handelns, das dem Einzelnen einen Rahmen der Orientierung und ein Objekt der Hingabe biete, wobei die Hingabe zentraler Mittelpunkt im Gegensatz zum Wissen sei (sozialpsychologischer Religionsbegriff). (Fromm 1949)

e) Clifford Geertz (geb. 1926): „Religion“ sei ein kulturell geschaffenes Symbolsystem, das versuche, dauerhafte Stimmungen und Motivationen im Menschen zu schaffen, indem es eine allgemeine Seinsordnung formuliere. Die Vorstellung von der Welt werde zum Abbild der tatsächlichen Gegebenheiten einer Lebensform, die Präferenzen einer Kultur erschienen dadurch als Notwendigkeit. Es liege damit eine Übertragbarkeit von Symbolsystem und Kulturprozess vor, so dass Religionen nicht nur Welterklärungsmodelle bieten, sondern auch soziale und psychologische Prozesse gestalten. Durch die unterschiedlichen Religionen werde eine Vielfalt unterschiedlicher Stimmungen und Motivationen erzeugt, sodass es nicht möglich sei, die Bedeutsamkeit von Religion in ethischer oder funktionaler Hinsicht festzulegen. (Geertz 1973)

Im Deutschen sind ferner die Begriffe „Religion“ und „Religiosität“ zu unterscheiden. „Religion“ beschreibt ein System - also das Äußerliche, Strukturelle, Gemeinschaftliche -, während „Religiosität“ auf das Subjektiv-Individuelle bezogen ist, insbesondere auf das Erleben des Einzelnen. Der Begriff „Religiosität“ wird erst seit Ende des 18. Jh. (nach der Aufklärung) verwendet, als sich der Blick von der öffentlichen Ausübung auf das Private, die Anschauung des Individuums verlagert. Es bezeichnet den Beginn der Säkularisierung in der westlichen Welt.

Als die fünf Weltreligionen werden gemeinhin bezeichnet: Christentum (ca. 2,1 Milliarden Menschen), Islam (ca. 1,3 Milliarden), Hinduismus (ca. 900 Millionen), Buddhismus (knapp 380 Millionen) und Judentum (ca. 14 Millionen). (Zugehörigkeitsstand 2005: http://www.adherents.com/Religions_By_Adherents.html; http://www.gordonconwell.edu/ockenga/globalchristianity/resources.htm)

Begriffsgeschichte

Der Begriff selbst wurde vom Christentum und der ihm angegliederten abendländischen Philosophie im Ansatz eingeführt und wird heute grundsätzlich auf alle Glaubensformen angewandt (Theologische Realenzyklopädie, Bearbeiter: Ahn).

Vor allem die Kirchenväter Lactantius und Augustinus (354-430) wollten einen Begriff zur Unterscheidung der christlichen Gottes- von der heidnischen Götterverehrung und führten ihn nach Etablierung des Christentums als Staatsreligion ein. Bei den in den nächsten Jahrhunderten seltenen Kontakten des Christentums mit Fremdreligionen, z.B. dem Islam, wurden diese nicht als Religion bezeichnet. Der Begriff „religio“ wurde außerdem im Mittelalter vor allem für den Ordensstand benutzt, was sich bis auf den heutigen Tag im katholischen Kirchenrecht fortgeführt hat. (Theologische Realenzyklopädie, Bearbeiter: Ahn, Wagner)

Bei den im 15.-17. Jahrhundert häufiger werdenden Kontakten mit anderen Kulturen wurden nur anscheinend passende Phänomene unter Religion definiert. Nach der Reformation näherte sich der Begriff jedoch langsam unserem heutigen an: zunächst verstand man darunter Lehren, die, je nach Auffassung, entweder richtig oder falsch sein sollten. (Theologische Realenzyklopädie, Bearbeiter: Ahn)

In der Aufklärung und mit der Verwissenschaftlichung im 19. Jahrhundert entwickelte sich ein abstrakterer Religionsbegriff, auf den die gegenwärtigen Definitionsansätze zurückgehen. Er konnte geöffnet werden für Bekenntnisse und Kultformen fremder Kulturen, d.h. er umfasste nun auch die Form der Verehrung von Göttern und Gottheiten. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde mehr und mehr deutlich, dass der Begriff zu eng gefasst war, was am Anfang des 20. Jahrhunderts dazu führte, dass eine Erweiterung auf nichtpersonelle Komponenten vorgeschlagen wurde. Dieser neue Begriff mit der Umfassung der transzendenten Wirklichkeit gelangte Mitte des 20. Jahrhunderts nach Deutschland. (Theologische Realenzyklopädie, Bearbeiter: Ahn)

Zusammenhang mit anderen Begriffen

In einem näheren kriminologischen Zusammenhang stehen insbesondere die Begriffe Gewalt, Fanatismus, Fundamentalismus, Terror, Terrorismus, Krieg, (extremistische) Kriminalität, Satanismus, Opfer, Märtyrer und Suizid.

Zusammenhang in der materiellen Realität

Es gibt sowohl konstruktive als auch destruktive Auswirkungen der Religion auf den Menschen. Als konstruktiv und positiv können insbesondere hilfreiche Strukturvorgaben, Moral und Ethik einschließlich solcher Eigenschaften wie Barmherzigkeit und Fürsorge gewertet werden, die in der Geschichte für die Schaffung von sozialen und bildenden Einrichtungen und auch für ein starkes Friedensengagement gesorgt haben. An destruktiven und negativen Auswirkungen sind vor allem (Religions-) Kriege zwischen Staaten, Terrorismus als im weitesten Sinne Verbreitung von Furcht und Schrecken und ganz allgemein Gewalt als Schädigung eines anderen zu nennen. Dabei wird häufig auf sehr brutale und symbolisch bedeutsame Rituale oder Ziele zurückgegriffen, die entweder besonders demütigen, quälen oder viele Menschen töten sollen (umfangreich dazu auch Juergensmeyer 2004).

Das von der Religion geprägte Rechts- und / oder Strafsystem ist grundsätzlich neutral zu sehen. Es kann in seiner Ausprägung und Interpretation den Menschen Rechte verleihen und machtbegrenzend sein oder im Gegenteil mehr Gelegenheit zum Missbrauch geben und als grausam zu bewerten sein (etwa anhand der Menschenrechte).


Bei allen Unterschieden zwischen ihnen scheint keine Religion trotz ihres Bemühens um Minderung von Verbrechen und Schuld (Brugger 1981) vor destruktiven Auswirkungen auf ihre Anhänger gefeit zu sein. Für die fünf Weltreligionen im folgenden Beispiele:


a) Islam

Der Islam besitzt Elemente sowohl für den Krieg als auch für den Frieden. Der sog. „große Dschihad“ des Koran ist vor allem als Kampf gegen sein niederes Selbst zu verstehen, aber auch als „kleiner Dschihad“ gegen äußere Feinde, der nach Mohammeds Tod häufig mit religiöser Weihe hochstilisiert wurde. Die militärische Expansion insbesondere in Arabien, Persien, dem Nahen Osten, Nordafrika bis hin nach Spanien betraf in diesen ersten Jahrhunderten zwar mehr die politische und wirtschaftliche und nicht eine zwangsmissionierende Ausbreitung des Islam, doch wurden die genannten Länder in der folgenden Zeit auch religiös erobert. In der neuen Interpretation des letzten Jahrhunderts wird aus dem „kleinen Dschihad“ die Pflicht zum Befreiungskampf gegen Kolonialmächte und allgemein gegen ungerechte Herrscher und Systeme. Gewalt ist dabei als notwendiges Übel zur Bekämpfung der gottes-feindlichen Kräfte in der Welt zu sehen. (Klöcker/Tworuschka/Tworuschka 1995; Heine 1996)

Als Beispiele für Terrorismus können insbesondere Selbstmordattentate genannt werden, die uns spätestens seit dem 11.09.2001 mit dem Anschlag auf das World-Trade-Center in New York (Terrorgruppe: Al-Quaida) mehr beschäftigen. Vorangegangen waren zahlreiche andere Anschläge, so etwa 1993 ebenfalls auf das World-Trade-Center sowie Ende der 1990er Jahre auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania. In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends sind es nach wie vor die Attentate in Israel (vor allem der Hamas) und im von westlichen Alliierten besetzten Irak, die für Schlagzeilen sorgen.

Die Gewaltbereitschaft beim Einzelnen betrachtet, fällt auf, dass schon im Elternhaus eine stärkere Viktimisierung sowie eine höhere Akzeptanz der Gewalt zumindest bei Ehrdelikten gegeben ist (ausführlich Wetzels/Brettfeld 2003). Als besonders extreme Form sind dabei die sog. „Ehrenmorde“ zu nennen, bei denen Frauen aus muslimischen Familien von deren Mitgliedern getötet werden, weil sie die Familie entehrt hätten. In den ersten Monaten des Jahres 2005 gab es allein in Berlin vier solcher Fälle.

Aktuell gibt auch das islamische Recht, die sog. „Scharia“, eine Zusammensetzung aus Koran, Überlieferung des Propheten, Tradition und Rechtsprechung, Anlass zu Diskussionen. Die Umsetzung und Interpretation ist entsprechend den verschiedenen Rechtsschulen sehr unterschiedlich: teilweise auf das Zivilrecht beschränkt, kommt es z.B. in Saudi-Arabien, dem Sudan und im muslimischen Teil Nigerias vollständig zu Anwendung. Im Iran sind schon rein religiöse Vorschriften wie die Art der Bekleidung Grund für vehemente Strafverfolgung. Drakonische Strafen wie Amputationen und Steinigungen gelten mehr zur Abschreckung, doch der Sudan machte von Verstümmelungen gerade in den 1980er Jahren Gebrauch (Kaiser 1993). Als Beispiel aus Nigeria sei die schwangere Amina Lawal genannt, die 2002 wegen Geschlechtsverkehrs mit ihrem Freund gesteinigt werden sollte. Außerdem werden die strengen Schutzvorschriften für den Angeklagten häufig außer Acht gelassen. (s. auch „Die Zeit“ vom 23.03.2006: „Zum Frieden verdammt“ von Charolotte Wiedemann)


b) Christentum

Jesus als Begründer des Christentums verkündete das Reich Gottes als Friedensreich und forderte zu Gewaltverzicht auf. Er ging über das Gebot der Nächstenliebe hinaus und forderte die Feindesliebe. Krieg war deshalb immer Streitpunkt im Christentum. Der Kirchenvater Augustinus (354-430) etablierte den vorherrschenden Strang der bedingten Kriegsbejahung mit Hinweis auf den gerechten Krieg. Daraus wurde die Rechtfertigung für die Kreuzzüge und die Reconquista und Conquista Spaniens gezogen (auch Deschner ab 1996). Der Begründer der Reformation Martin Luther führte dies weiter, jedoch lehnt der linke Rand des Protestantismus Kriegsdienst bis heute streng ab. (Klöcker/Tworuschka/Tworuschka 1995)

Als Beispiele für die zahllosen Religionskriege des Mittelalters seien der Schmalkaldische Krieg (Kaiser gegen den evangelischen Bund, Ende: Augsburger Religionsfrieden), die Französischen Religionskriege (1562-1598/1629) mit der Bartholomäusnacht, der Niederländische Unabhängigkeitskrieg (1568-1648), die Irischen Aufstände gegen die Englische Krone (1579, 1598, 1641, 1689) und natürlich der 30-jährige (1618-1648) sowie der 7-jährige Krieg (1756-1763) genannt. Als Funktion der Kriege kann die Konfessions- und Staatenbildung genannt werden, wobei es jedoch vor allem um die religiöse Wahrheitsfrage ging. Die Aufklärung mit dem Toleranzgedanken beendete diese Art der Konfliktlösung in Europa. (Theologische Realenzyklopädie, Bearbeiter: Burkhardt)

Anfang des neuen Jahrtausends ist ein aktuelles Beispiel der Irak-Krieg, der vom amerikanischen Präsidenten G.W. Bush als „neuer Kreuzzug“ begonnen wurde und dem ein christliches Sendungsbewusstsein mit einer Aufteilung der Welt in „gut“ und „böse“ zugrunde liegt. Auch die Konflikte und Gräuel im Jugoslawien-Krieg sind noch gegenwärtig.

Als Beispiel für den Terrorismus kann man den Nordirland-Konflikt zwischen katholischen Iren und protestantischen Engländern anführen, der ebenfalls mit religiösen Begründungen geschmückt ist (Juergensmeyer 2004). Der christliche Fundamentalismus vor allem in den USA ruft zu Mord an Abtreibungsärzten auf und begeht Bombenanschläge auf Abtreibungskliniken (Juergensmeyer 2004). Die „Christian-Identity-Bewegung“ ist antisemitisch und rassistisch, einzelne Anhänger neigen zu Gewalttaten, wie das Bombenattentat auf Regierungsgebäude in Oklahoma City belegt (Juergensmeyer 2004). Auch der Ku-Kux-Klan sieht sich selbst als radikale christliche Organisation, da die arische Rasse als wahre Nachfolger der verlorenen Stämme Israels zu sehen sei und die heutigen Juden als Kinder der Finsternis verdammt wären.

Für sonstige Gewaltausbrüche in der Vergangenheit seien als Beispiele die Judenverfolgungen des Mittelalters und die gewaltsame Missionierung durch viele Jahrhunderte hindurch genannt. Aktuell wurden in den 1990er Jahren von Kanzeln in Namibia Homosexuelle für die Dürre verantwortlich gemacht, wonach es zu Gewalttätigkeiten gegen diese kam.

Das Rechtssystem im Mittelater sorgte in Inquisitionsprozessen für Folter jeder erdenklichen Art, Hexen wurden nach verschiedenen Schätzungen zu Hunderttausenden oder Millionen verbrannt. Auch führten religiöse Vorschriften im Gottesstaat Zwinglis zu vehementen Verfolgungen etwa wegen Tanz.


c) Judentum

Das hebräische Wort für Frieden (Shalom) ist einer der Namen Gottes. Spätestens seit der Zeit der Propheten gehörte der Frieden zu den wesentlichen religiösen Anschauungen Israels und ist von erheblicher Bedeutung für die messianische Zukunft, wenn der Messias als „Friedefürst“ erscheinen wird. Jedoch ist das Judentum keine pazifistische Religion, nur willkürliches Töten ist nicht erlaubt. Die Wahrung menschlichen Lebens stellt nach den Rabbinern eine Pflicht dar, was auf das Volk übertragen im Falle eines Angriffskrieges militärische Verteidigung erfordert. (Klöcker/Tworuschka/Tworuschka 1995)

Als Beispiele für Kriege seien die in der Tora beschriebenen Vertreibungen und Eroberungen im z.T. heutigen israelischen Staatsgebiet genannt.

Das erste Selbstmordattentat der Geschichte wurde vermutlich von Samson begangen, der die Säulenhalle der Philister einstürzen ließ und viele Menschen mit sich in den Tod nahm. Mit dem Massaker in einer Moschee am Patriarchengrab wollte Baruch Goldstein an die Juden appellieren, sich auf ihre Traditionen zu besinnen (Juergensmeyer 2004).

Die Ermordung des Friedensnobelpreisträgers Yitzhak Rabins geschah durch einen fundamentalistischen Juden.


d) Buddhismus

Der Buddhismus basiert auf dem Gebot den Nichtverletzens, nicht einmal mit Worten. Die Feindesliebe ist dabei Prinzip. Eine rechte Lehre in dem Sinne gibt es nicht, jeder muss selbst erkennen, was ihm nützlich ist. (Klöcker/Tworuschka/Tworuschka 1995)

In der Praxis jedoch existierten Kolonialherrschaft und erzwungene Missionsverträge, die zur Entstehung des politischen Buddhismus beigetragen haben. Unabhängigkeitsbewegungen wollten nicht-buddhistische Kolonialmächte vertreiben, um den Buddhismus als Staatsreligion einzuführen. Es gab deshalb nicht nur Krieg gegen christliche Kolonialmächte, sondern auch die Bruderkriege gegen Burma und Thailand. (Klöcker/Tworuschka/Tworuschka 1995) In buddhistischen Legenden der Pali-Chroniken wird über triumphale Schlachten buddhistischer Könige berichtet (Juergensmeyer 2004).

Der japanische Lotos-Buddhismus (gegründet im 13. Jh.) hatte einen hohen Wahrheitsanspruch und demzufolge ein hohes Aggressionspotential, der mit gewaltsamen Enteignungen fremder Religonstempel u.ä. einherging. Aktuell ist der Hokke-Buddhismus zu nennen, der eine enge Verknüpfung von Religion und Politik vorsieht und teilweise fanatische Ableger hat, die zu Gewalt bereit sind. (Klöcker/Tworuschka/Tworuschka 1995)


e) Hinduismus

Der Hinduismus hat eine mystische Toleranztradition mit Absolutheitsanspruch, d.h. hinter aller Vielfalt der Götter verbirgt sich doch letztlich eine Einheit. (Klöcker/Tworuschka/Tworuschka 1995) Die großen indischen Epen Ramayana und Mahabharata hingegen mit ihren endlosen kriegerischen Konflikten und militärischen Intrigen haben die daraus hervorgegangene Hindu-Kultur stark geprägt (Juergensmeyer 2004).

Als Beispiele für sehr blutige Konflikte ist die Aufteilung von 1947 in islamische (Pakistan, Bangladesh) und hinduistische (Indien) Staaten zu sehen.

Auch Anfang des 20. Jh.s gab es Anschläge von Hindus auf Muslime und seltener Christen in Indien.

Der Friedensaktivist des passiven Widerstandes Mohandas (Mahatma) Ghandi wurde 1948 von einem nationalistischen Hindu-Fanatiker ermordet.

Die Witwenverbrennung kann ferner als grausame hinduistische Tradtion angesehen werden.

Kriminologische Relevanz

Jede Religion tendiert dazu, sich nicht als eine unter vielen, sondern als die einzig richtige Religion zu sehen und die Anhänger von anderen Religionen als verblendete, ignorante oder verdammenswerte Ungläubige. Das wiederum kann zu nachhaltigen Spannungen zwischen Religionsgemeinschaften führen und religiös motivierte Delikte begünstigen.

Karfreitagsfürbitte für die Juden

Die katholische (und altkatholische sowie die anglikanische) Kirche kennt z.B. die Karfreitagsfürbitte für die Juden als eine der Großen Fürbitten in der Karfreitagsliturgie. Seit 750 bezeichnet die Karfreitagsfürbitte Juden als treulos ("perfidis") und ihren Glauben als iudaica perfidia („jüdische Treulosigkeit“). Die Betenden bitten Gott, die Juden der „Verblendung ihres Volkes“ und „Finsternis“ zu entreißen; seit 800 sollten die Gläubigen ausschließlich bei dieser Fürbitte nicht niederknien und kein Amen sprechen. 1570 legte Papst Pius V. diese Fassung fest, die bis 1956 unverändert gültig blieb. Schrittweise Veränderungen führten 1970 zu ihrer heute gültigen Fassung, welche die Erwählung Israels betont und nicht um Erkenntnis Christi bittet, sondern um Treue der Juden zu Gottes Bund und Liebe zu seinem Namen - das Judentum mithin anerkennt. 1984 wurde auch eine lateinische Fassung nach der Liturgie von 1962 (wieder) möglich und seit 2007 wurde deren Anwendung durch Papst Benedikt XVI. erleichtert. 2008 formulierte der Papst diese Fassung neu, so dass der Einleitungssatz nunmehr wieder um "Erleuchtung der Juden zur Erkenntnis Christi, des Retters aller Menschen" bittet. Diese Reformulierung rief Störungen im katholisch-jüdischen Dialog hervor.

Alenu-Gebet

Das tägliche jüdische Alenu-Gebet bittet u.a. um die Vertilgung der "Nichtse" vom Erdboden: "Und darum warten wir, Ewiger, unser Gott, bald zu schauen die Verherrlichung deiner Macht, abzutun die Götzen, weg von der Erde, und die Elim, vertilgt sollen sie werden (....) es sollen erkennen und wissen alle Bewohner des Erdkreises: dass dir sich beuge jedes Knie, dass dir schwöre jede Zunge; vor dir, Ewiger, unser Gott, sollen sich beugen und niederfallen und der Ehre deines Namens Verehrung zollen und aufnehmen sie alle das Joch deines Reiches, und du sollst herrschen über sie bald für immer und ewig" (Hirsch 1963: 33 f.).


Die Frage, ob Religion die Ursache der Gewalt oder nur ihre Rechtfertigung ist, wird dabei unterschiedlich beantwortet:

Der Philosoph Arthur Schopenhauer z.B. vertritt die ältere These, dass Religion die Ursache der Gewalt darstellt (Schopenhauer 1999).

Der Soziologe Mark Juergensmeyer dagegen als Vertreter der heute vorherrschenden These von der nebensächlichen Rolle der Religion als bloßer Legitimationsmöglichkeit für Gewalt sieht die Ursachen derselben in den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen, genauer: in dem Zustand der Macht- und Hoffnungslosigkeit. Vor allem in Weltgegenden mit gescheiterter Modernisierung und noch nicht vorhandener Demokratie seien Gestaltungs- und Erfolgsmöglichkeiten sehr begrenzt, womit Gewalt zur Ermächtigungserfahrung werde. Dies könne aber auch in anderen festgefahrenen Konflikten gelten, die nicht in absehbarer Zeit noch zu realistischen Bedingungen gewonnen werden könnten. Nur weil dazu auch ein sonstiges Kampfszenario wie ein Feindbild gehöre, komme es zum Rückgriff auf die Religion. Da der metaphysische Kampf „Gut gegen Böse“ fast jeder Religion immanent sei, erlebe sich der Akteur in diesem Szenario immer als äußerst bedeutend in dem kosmischen, d.h. übernatürlichen Krieg. Die Brutalität religiöser Gewalt resultiere demnach daraus, dass die religiös besetzten Bilder eines absoluten kosmischen Krieges ohne Kompromissmöglichkeit in den Dienst weltlicher, politischer Kämpfe gestellt würden. (Juergensmeyer 2004)

Der Kriminologe Sebastian Scheerer gibt beiden Recht, da beide Thesen in der Sache beinahe dasselbe sagten. Auch Schopenhauer behaupte nicht, dass die letzte Ursache der Gewalt in der Religion liege: die Verführung der Religion, alles für erlaubt zu halten, bringe die Grausamkeit hervor. Dies würde auch Juergensmeyer nicht bestreiten, indem er in den religiösen Gewaltriten eine entscheidende Grundlage für den aktuellen religiösen Terrorismus sehe. Das bedeute, die Religion sei in jedem Fall als Zulieferer der Gewalt zu sehen, wobei die Aufrichtigkeit der Motive des Einzelnen nicht in Frage stünden. Vielmehr brächte jede Epoche ihre jeweiligen gesellschaftlichen Reservoirs ein, sei es Marxismus oder eine Religion, aus dem „Vokabular von Motiven“ (C.W. Mills). (Scheerer 2002)


Auch die andere zentrale Frage in diesem Zusammenhang nach der Allgemeinheit der Religion bzw. ob die Gewalt allen Religionen immanent ist oder nur den monotheistischen, wird mit entgegengesetzten Meinungen begegnet.

Der zur Verbreitung des Buddhismus in Europa wesentlich beitragende Schopenhauer ist der Ansicht, dass es besonders eine Gruppe von Religionen gäbe, die mit Gewalt in Verbindung stünden: die monotheistischen, d.h. der Islam, das Christentum und das Judentum. Das bedeutet, dass nicht die religiöse Wertbindung an sich, sondern speziell der absolute Wahrheitsanspruch des Monotheismus der Grund für Fundamentalismus und demzufolge die Gewaltbereitschaft darstelle (Schopenhauer 1999). René Girard engt den Kreis weiter ein, indem er dem Christentum im Gegensatz zu Judentum und Islam bescheinigt, durch den Opfertod Christi den Sündenbock-Zwang überwunden zu haben (Girard 1999). In einer weiteren Einschränkung könnte man den Fokus auf den Islam legen aufgrund dessen kollektiver Erfahrung verweigerter Anerkennung (Kolonialisierung, Imperialismus, Palästina, militärische Niederlagen).

Juergensmeyer vertritt dagegen die These, dass jede Religion die gleichen Szenarien liefern könne, da sie alle aus demselben mythologischen Fundus schöpften. Gerade die Weltreligionen ähnelten sich in ihrer Gewalttätigkeit erstaunlich. (Juergensmeyer 2004)

Wie oben unter 5. aufgezeigt, sind es nicht lediglich die monotheistischen Religionen, die zu Gewalt neigen, weswegen einer eindeutigen Beschränkung auf sie der Boden entzogen ist. Jedoch gibt es nach Scheerer trotzdem Unterschiede im Symbolhaushalt der einzelnen Religionen: z.B. habe der Islam eine sehr konkrete Paradiesvorstellung, die unter gegebenen Umständen einen Märtyrertod erleichtern könne. Besonders deutlich werde dies, wenn man spezifisch auf die Gewalt des Terrorismus schaue: diese Form der Gewalt müsse langfristig in Person und Handlung vorbereitet werden, während die allgemeine Gewalt sich häufig spontan entlade. Hier wird auf das größere Unrechtsbewusstsein und damit auf die höhere Verwerflichkeit bei der Tat angespielt. Das Sendungsbewusstsein und die Opferbereitschaft sei in wenigen Religionen von entsprechender Intensität und auch mit paradiesischen Jenseitsvorstellungen verknüpft, die dem Diesseits kaum einen Wert zumäßen. (Scheerer 2002)

Literatur

  • Brugger, Walter (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch, 16. Auflage, Freiburg i.Br. 1981 (allgemeine Infos)
  • Deschner, Karlheinz: Kriminalgeschichte des Christentums, mehrbändiges Werk, ab 1996 (umfassende Sammlung)
  • Fromm, Erich: Psychoanalyse und Religion, erstmals erschienen 1949 (Religion allgemein)
  • Geertz, Clifford: Interpretation of Culture, erstmals erschienen 1973 (Religion allgemein)
  • Girard, René: Das Heilige und die Gewalt, 3. Auflage, Frankfurt a.M. 1999
  • Heine, Peter: Konflikt der Kulturen oder Feindbild Islam, Alte Vorurteile – neue Klischees – reale Gefahren, Freiburg i.Br. 1996
  • Hirsch, Leo (1962) Jüdische Glaubenswelt. Gütersloh: Bertelsmann.
  • Juergensmeyer, Mark: Terror im Namen Gottes, Ein Blick hinter die Kulissen des gewalttätigen Fundamentalismus, Freiburg i.Br. 2004 (zur Vertiefung zu empfehlen)
  • Kaiser, Günther: Kriminologie – Eine Einführung in die Grundlagen, 9. Auflage, Heidelberg 1993 (allgemeines Lehrbuch)
  • Klöcker, Michael / Tworuschka, Monika / Tworuschka, Udo: Wörterbuch: Ethik der Weltreligionen, Die wichtigsten Unterschiede und Gemeinsamkeiten, Gütersloh 1995
  • Müller, Gerhard (Hrsg.): Theologische Realenzyklopädie, Walter de Gruyter, Berlin – New York 1997, Band XXVIII, Bearbeiter: Ahn, Gregor: I. Religionsgeschichtliches; Wagner, Falk: II. Theologiegeschichtliches und systematisch-theologisches; Burkhardt, Johannes: Religionskrieg
  • Stowasser, J.M. / Petschenig, M. / Skutsch, F.: Der kleine Stowasser – Lateinisch-Deutsches Schulwörterbuch, Wien-München 1998
  • Scheerer, Sebastian: Die Zukunft des Terrorismus – Drei Szenarien, 1. Auflage, Lüneburg 2002 (zur Vertiefung zu empfehlen)
  • Schopenhauer, Arthur: Parerga und Paralipomena: kleine philosophische Schriften (erstmals erschienen 1851), 2. Band, Über Religion, Zürich 1999, in: Arthur Schopenhauers Werke (hrsg. von Lütkehaus, Ludger)
  • Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft, erstmals erschienen 1887 (Religion allgemein)
  • Weber, Max: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen, erstmals erschienen 1915-1919 (Religion allgemein)
  • Wetzels, Peter / Brettfeld, Katrin: Auge um Auge, Zahn um Zahn? - Migration, Religion und Gewalt junger Menschen, Eine empirisch-kriminologische Analyse der Bedeutung persönlicher Religiosität für Gewalterfahrungen, -einstellungen und –handeln muslimischer junger Migranten im Vergleich zu Jugendlichen anderer religiöser Bekenntnisse, in: Hamburger Studien zur Kriminologie und Kriminalpolitik, Band 34, Münster 2003 (umfangreiche Studie, die auch auf den aktuellen Forschungsstand bei anderen Religionen eingeht)

Weiterführende Verweise

Nostalgisch zum Zusammenhang zwischen Kriminalität und Religionszugehörigkeit:

Fuld, Dr. Ludwig: Das jüdische Verbrecherthum, Eine Studie über den Zusammenhang zwischen Religion und Kriminalität, Leipzig 1885


Speziell zum Krisenherd Naher Osten:

Hansen, Astrid: Im Namen Gottes gegen den Frieden – Fundamentalismus im israelisch-palästinensischen Konflinkt, in: Schriften des Emil-Frank-Instituts, 1. Auflage, Trier 2004


Zum Thema politische Religion (einschließlich Nationalsozialismus):

http://de.wikipedia.org/wiki/Politische_Religion


Zu Jugendsekten und Satanismus:

Die Enquetekommission des Bundestages "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" von 1995 hat sich eingehend mit dem Gefährdungspotential verschiedener religiöser Gruppen beschäftigt. Sie hat zwar verschiedene Handlungsempfehlungen in Form von Gesetzesvorschlägen gegeben, bemerkenswert ist aber, dass diese wenig mit den zugrundeliegenden (teils im Auftrag der Enquetekommission erarbeiteten) wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Thema zu tun haben. (Siehe insbesondere das sehr aufschlußreiche Sondervotum von Hubert Seiwert und einer Grünen-Abgeordneten.) Da ein großer Teil der Kommissionsmitglieder den großen Kirchen und ihnen nahestehenden Interessenvertretern entstammen, ist es naheliegend, dass die Handlungsempfehlungen und einige nicht empirisch belegte Aussagen z.B. über satanistische Praktiken vor allem durch deren Einfluss in den Abschlussbericht gelangt sein könnten. Es scheint deshalb zumindest bis 1995 kein wesentlich erhöhtes Gefährungspotential durch religiöse Straftäter gegeben zu haben.