Politisch motivierte Kriminalität

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WIRD BEARBEITET VON SUSANNE F.

Politisch motivierte Kriminalität (PMK) ist eine von deutschen Sicherheitsbehörden geprägte und entsprechend definierte Begrifflichkeit. Als solche definierte politisch motivierte Straftaten werden durch den Kriminalpolizeilichen Meldedienst – politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) erfasst. Die Polizeibehörden des Bundes und der Länder sowie die zuständigen Innenministerien verfolgen bei der Erhebung der PMK-Daten ähnliche Ziele wie bei der Erfassung anderer Kriminalitätsformen in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Es gilt Auskunft zu geben über „die Entwicklung und die Struktur der Kriminalität, ihre Gefährdungspotenziale sowie über die Ausübung der offiziellen Kriminalitätskontrolle und deren Erfolg“ (vgl. Singer). Der PMK wird seitens staatlicher Behörden jedoch ein besonderer Stellenwert eingeräumt, denn „im Gegensatz zur Allgemeinkriminalität bedrohen politisch motivierte Straftaten vor allem die demokratischen Grundlagen unseres Gemeinwesens und die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.“ (Bundesministerium des Innern 2015)


Entwicklungen I: Reform 2001

Die als politisch motiviert eingestuften Delikte wurden bis 2001 als Staatsschutzdelikte klassifiziert und erfasst. Gegenstand der Erfassung waren ausschließlich Straftaten die sich „gegen den Bestand oder die verfassungsmäßige Ordnung des Staates richteten sowie diejenigen, die ein politisches Element in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland als Ganzes oder eines ihrer Teile enthielten“. Grundlage war die Identifizierung einer „extremistischen Motivation“ hinter der jeweiligen Tat. (vgl. Singer) Nachdem im Jahr 2000 der Tagesspiegel und die Frankfurter Rundschau Dokumentationen über Todesopfer rechter Gewalt publizierten aus denen hervorging, dass es in Deutschland zwischen 1990 und 2000 mindestens 93 statt der vom Bundeskriminalamt angegebenen 24 Todesopfer im PMK-Phänomenbereich rechts zu beklagen gab, geriet das Erfassungssystem in die Kritik. Kurz darauf erging ein Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder zum 1. Januar 2001 ein neues Definitionssystem nebst Kriminalpolizeilichen Meldedienst einzurichten. Ziele der Reform waren, die Qualität der Datenerhebung zu verbessern, z.B. Tat-, Täter- und Opfermerkmale mehrdimensional zu erfassen, auszuwerten und dabei den Schwerpunkt auf die tatauslösende Motivation zu legen. Auch sollten bundeseinheitliche Verfahrensweisen und eine entsprechende Qualitätskontrolle implementiert werden.


Definitionen

Der PMK werden seit 2001 Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie

  • den demokratischen Willenbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politische Entscheidungen richten,
  • sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesenmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben
  • durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
  • gegen eine Person gerichtet sind und die Tathandlung mit ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder ihrem äußeren Erscheinungsbild, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrem gesellschaftlichen Status im Kausalzusammenhang steht, bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/ Sache oder ein Objekt richtet.

Erfasst werden auch Staatschutzdelikte, bei denen keine politische Motivation festgestellt werden kann, z.B. in Fällen von Friedens- und Hochverrat, Gefährdung des demokratischen Rechtstaates, Landesverrat, Bildung einer terroristischen Vereinigung. (Vgl. LFV Sachsen)


Phänomenbereiche

Die Behörden unterteilen PMK in vier Phänomenbereiche.

1. PMK – rechts werden Straftaten zugeordnet, „wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung (z.B. nach Art der Themenfelder) einer ‚rechten’ Orientierung zuzurechnen sind (...). Insbesondere sind Taten dazu zu rechnen, wenn Bezüge zu völkischem Nationalismus, Rassismus, Sozialdarwinismus oder Nationalsozialismus ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren“), (Vgl LFV Sachsen, S.242)
2. PMK – links werden Straftaten zugeordnet, „wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte :dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung (z.B. nach Art der Themenfelder) einer ‚linken’ Orientierung zuzurechnen sind :(...). Insbesondere sind Taten dazu zu rechnen, wenn Bezüge zu Anarchismus oder Kommunismus (einschließlich Marxismus) ganz oder nur :teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren“) (ebd.)
3. PMK – Ausländer werden Straftaten zugeordnet, „wenn in Würdigung der Umstände der Tat oder der Erkenntnisse über den Täter :Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die durch eine nichtdeutsche Herkunft geprägte Einstellung des Täters entscheidend für die Tatbegehung :war, insbesondere wenn sie darauf gerichtet sind,
- Verhältnisse und Entwicklungen im In- und Ausland oder
- aus dem Ausland Verhältnisse und Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland
...zu beeinflussen.“ (Vgl. LFV Sachsen)
4. PMK – sonstige - „Unter den Punkt ‚Sonstige’ fallen Delikte, die nach Würdigung der Umstände der Tat bzw. des Täters nicht eindeutig :einem spezifischen Phänomenbereich zugeordnet werden können.“ (Bundesministerium des Inneren/ Bundesministerium der Justiz, S.135)

Eine bundeseinheitliche Definition der Phänomenbereiche existiert nicht, die Formulierungen variieren in Begriffswahl und Struktur in den Veröffentlichungen diverser Bundes- und Landesbehörden.


Kategorien

Deliktqualität

Die PMK wird in vier Deliktqualitäten unterteilt.

1. Propagandadelikte – gemäß den §86, 86a StGB
2. Politisch motivierte Kriminalität (ohne Propagandadelikte)
3. Gewaltkriminalität - als tatspezifische Teilmenge der PMK wird die politisch motivierte Gewaltkriminalität (PMK/Gewalt) erhoben, die eine „besondere Gewaltbereitschaft der Straftäter erkennen lässt“ und die unterteilt ist in Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Brand- und Sprengstoffdelikte, Landfriedensbruch, gefährliche Eingriffe in den Schiffs-, Luft,- Bahn-und Straßenverkehr, Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsdelikte, Sexualdelikte.

Der Gewaltbegriff der PMK differiert damit wesentlich von jenem der Polizeilichen Kriminalstatistik. Er erfasst gegenüber der PKS bedeutend mehr Delikte, teilweise ganze Tatbestandsgruppen, bspw. im Bereich der Widerstandsdelikte oder des Landfriedensbruchs.

4. Terrorismus - terroristische Straftaten werden den Paragraphen 129a, 129b StGB folgend kategorisiert. Weiterhin werden die §§ 89a, 89b und 91 StGB dem Terrorismus zugeordnet.

Themenfelder und Politischer Kalender

PMK-Delikte werden verschiedenen Themenfeldern zugeordnet. Dazu gehörigen beispielsweise Hasskriminalität (u.a. fremdenfeindliche Straftaten, antisemitische Straftaten), Kernenergie, Separatismus oder Konfrontationsgewalt. Der umfassende Themenfeldkatalog und ein zugehöriger politischer Kalender, der die Zuordnung von Straftaten an bestimmten Tagen zu den Themenfeldern erleichtern soll, sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich.

Extremistische Qualität

Gesondert erhoben wird zudem die politisch motivierte extremistische Kriminalität. Hier handelt es sich um Delikte, bei „denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind.“ Der Begriff extremistische Kriminalität orientiert sich dabei am Extremismusbegriff der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. (vgl. LFV Sachsen, S. 241ff)

Internationale Bezüge

Zudem wird jedes Delikt auf das Vorhandensein so genannter internationaler Bezüge geprüft.


Erhebungsmodi und Veröffentlichung

Im Gegensatz zur Polizeilichen Kriminalstatistik handelt es sich bei der Statistik zur PMK um eine Eingangstatistik. Straftaten werden nicht nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen und vor Abgabe an Staatsanwaltschaft und Gerichte erhoben, sondern schon mit Aufnahme der polizeilichen Ermittlungen und damit bereits beim ersten Anfangsverdacht gesammelt.

Die Fallzahlen werden von den Polizeibehörden der Länder erhoben und über die Landeskriminalämter dem Bundeskriminalamt zur bundesweiten Erfassung und Auswertung übermittelt. Die Auswertung erfolgt jährlich anhand der Zahlen des zurückliegenden Kalenderjahres. (Bundesministerium des Innern 2015)

Einige, ausgewählte Informationen zur PMK-Statistik werden jährlich durch eine Pressemitteilung des Bundesministers des Innern veröffentlicht. Weitere Daten von Landesbehörden bzw. den zuständigen Ministerien werden sporadisch und anlassbezogen der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Zudem findet sich eine regelmäßige jedoch auch selektive Darstellung von PMK Daten in den jährlichen Berichten der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Diese bezieht sich ausschließlich auf PMK extremistischer Qualität. Teilweise sorgen parlamentarische Anfragen an die jeweilig zuständigen Ministerien in Bund und Ländern für die Veröffentlichung von Daten und Lageeinschätzungen. Regelmäßige, umfassende, differenzierte und detaillierte Darstellungen der Erhebungsmodi und Daten zur PMK werden der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht.


Dateisysteme

Beim BKA werden Vorgänge und Datensätze in Zusammenarbeit mit anderen Behörden in unterschiedlichen Dateisystemen abgelegt. Dazu gehören: Zentraldatei LAPOS (Lagebild Auswertung politisch motivierte Straftaten); Verbunddatei INPOL Fall – Innere Sicherheit; Zentralstellendateien PMK-Links-Z und PMK-Rechts-Z; die Dateien Gewalttäter Links, Gewalttäter Rechts und Gewalttäter politisch motivierter Ausländerkriminalität; die Rechtsextremismusdatei RED, die Datenbank des Polizeilichen Informations- und Analyseverbunds (PIAV), Gemeinsame Ermittlungsdatei Großschadenslagen Terrorismus (GED), DAREX (Datenbank Rechtsextremismus), GAR – Fallanalyse, die Datei PMK-rechts-Übersicht offener Haftbefehle und StPO-Dateien. (vgl Deutscher Bundestag 2013b) Weitere Daten zu PMK werden von den Polizeibehörden der Länder und des Ämtern für Verfassungsschutz der Länder und des Bundes gespeichert.


Entwicklungen II – Überarbeitung seit 2015

Gemäß der Empfehlung des 2. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Bundestages zum NSU wurde eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Kriminalpolizeilicher Meldedienst – Politisch motivierte Kriminalität“ unter Federführung des BKA gegründet, deren Auftrag es ist, Teilbereiche des Meldedienstes und des Definitionssystems gemäß der Beschlusslage zu überarbeiten. (vgl. Deutscher Bundestag 2013a)


Weiterführende Literatur und Quellen

Bundesministerium des Innern / Bundesministerium der Justiz: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht, Paderborn, 2006, S.135

Heiner Busch: Die Polizei und ihre Statistik. Instrument der Erkenntnis, der Planung oder der Politik? in: Bürgerrechte und Polizei/CILIP (1/2004), Berlin 2004

Deutscher Bundestag: Beschluss und Bericht des 2. NSU Untersuchungsausschusses, Drucksache 17/14600, Berlin 2013 (a)

Deutscher Bundestag: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN , Drucksache17/14753, Berlin 2013 (b)

Heike Kleffner/ Marc Holzberger: War da was? – Reform der Erfassung rechter Straftaten in: Bürgerrechte und Polizei/CILIP (1/2004), Berlin 2004

Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen (LFV Sachsen): Sächsisches Handbuch zum Extremismus und zu sicherheitsgefährdenden Bestrebungen, Dresden 2009

Hans-Peter Singer: Erfassung der politisch motivierten Kriminalität in: Kriminalistik 1/2004, Heidelberg 2004, S. 32-37

Weiterführende Weblinks

Bundesministerium des Innern 2015 zu Politisch Motivierte Kriminalität: http://www.bmi.bund.de/DE/Themen/Sicherheit/Kriminalitaetsbekaempfung/Politisch-motivierte-Kriminalitaet/politisch-motivierte-kriminalitaet_node.html

Hinweise des BKA http://www.bka.de/nn_193232/DE/Publikationen/PolizeilicheKriminalstatistik/AllgemeineHinweise/allgemeineHinweise__node.html?__nnn=true

Text von Prof. Hajo Funke zu PMK https://hajofunke.wordpress.com/2012/08/01/definition-politisch-motivierter-kriminalitat-pmk/

Text von Netzpolitik zu Datenbanken der PMK https://netzpolitik.org/2015/nachhilfe-der-bundesdatenschutzbeauftragten-fuehrt-zu-90-schwund-in-polizeidatenbank-zu-linkem-aktivismus/