Nationalsozialistischer Untergrund

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Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) war die Selbstbezeichnung einer mit Personen aus der Szene der sog. Freien Kameradschaften vernetzten Gruppe, deren drei Mitglieder Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe vor ihrem Untertauchen Teil des Thüringer Heimatschutzes

einer Nachfolgerorganisation der „Anti-Antifa-Ostthüringen“ mit Zentrum in Jena

gewesen waren und die von 1998 bis 2011 unter falschen Namen in Chemnitz und (seit 2008) in Zwickau wohnten, (seit 2007) gelegentlich zusammen auf Fehmarn Urlaub machten und trotz zahlreicher Morde und Banküberfälle

(dem Trio wird die Ermordung von acht türkischstämmigen Kleingezerbetreibenden und einem griechischen Migranten in den Jahren 2000 bis 2006 sowie der Mord an einer Polizistin im Jahre 2007 vorgeworfen; daneben wird es für 14 Banküberfälle, einen Sprengstoff- und einen Nagelbombenanschlag verantwortlich gemacht)

sowie dauernder Beobachtung durch den Verfassungsschutz fast 14 Jahre lang der Öffentlichkeit und insbesondere den Strafverfolgungsbehörden unbekannt blieb.

So wurde die Existenz der Gruppe der Polizei und der breiten Öffentlichkeit erst im Nachhinein bekannt, nämlich nachdem Beate Zschäpe nach dem Tod der beiden Männer am 4.11.2011 ein Bekennervideo auf DVD verschickt und sich am 8.11.2011 der Polizei gestellt hatte. Die allmähliche Aufdeckung enger Verbindungen zu Verfassungsschützern sorgte für einen politischen Skandal, in dessen Verlauf trotz oder wegen behordlicher Obstruktionsversuche mehrere Bundes- und Landesbeamte ihrer Ämter verlustig gingen.

Vorgeschichte

Im Plattenbaustadtteil Jena-Winzerla war der Winzerclub ein Treffpunkt der rechten Szene, darunter von Mitgliedern der Anti-Antifa Ostthüringen und des Thüringer Heimatschutzes. Dort trafen sich Boehnhardt und Mundlos und fielen bald sowohl dem Verfassungsschutz als auch der Polizei auf. 1998 durchsuchte die Polizei Wohnung und Garage der Eltern von Uwe Böhnhardt und fand in dessen Zimmer ein kopiertes Vernehmungsprotokoll aus dem Jahre 1997, das Böhnhardt, André Kapke und den V-Mann Tino Brandt belastete; Böhnhardt persönlich brachte die Polizeibeamten zu einer weiteren, von Zschäpe angemieteten Garage mit Rohrbomben, Sprengstoff und Propagandamaterial, um dann aber zu verschwinden.

Die Entscheidung für den Untergrund war die Folge von Haftbefehlen gegen Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos. Dabei half ihnen der Blood & Honour Aktivist Thomas R.; die drei wohnten in den Jahren darauf unter falschen Identitäten in mehreren Städten.

Aufdeckung

Als sich am 8. November 2011 Beate Zschäpe der Polizei stellte, fügten sich langsam die erstaunlichsten Puzzleteile zusammen. Man hatte am 4. November 2011 in einem ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach die Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gefunden; das Wohnmobil war wegen eines Banküberfalls vom selben Tag gesucht worden. In dem Wohnmobil fand man auch die Dienstwaffen zweier Polizisten, die im Rahmen des „Heilbronner Polizistenmordes“ gestohlen worden waren; am 4. November 2011 war es zudem zu einer Explosion im Wohnhaus von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gekommen: dort wurden weitere Waffen und eine selbstproduzierte DVD gefunden. Eine Waffe war die Tatwaffe bei den von der Sonderkommission "Bosporus" untersuchten Taten (bei denen die Polizei auf eine Verstrickung der Opfer in Drogendelikte getippt und nie eine Spur gefunden hatte; die zahlreichen und gutbezahlten V-Leute des Verfassungsschutzes, die mehr wussten - ein V-Mann war während eines Mordes sogar am Tatort gewesen - hatten kein Wort gesagt.

Das Bekennervideo

In der DVD bekannte sich die Gruppierung „Nationalsozialistischer Untergrund“ zu diesen Morden und weiteren Anschlägen, unter anderem auch zu dem Mord an einer Heilbronner Polizistin. Durch die DVD geleitet ein aus Film und Fernsehen bekannter Rosaroter Panther, der auch in der postmodernen Rhizom-Theorie eine Rolle spielt. Gezeigt werden Portraitbilder der Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds, Bilder-Collagen aus Medienberichten über die Taten und auch aus der Trauerfeier für die ermordete Polizistin. In einem Standbild wird das Selbstverständnis der Gruppierung dargelegt: (…)ein Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz – Taten statt Worte – Solange sich keine grundlegenden Änderungen in der Politik, Presse und Meinungsfreiheit vollziehen, werden die Aktivitäten weitergeführt.

Rolle des thüringischen und hessischen Verfassungsschutzes

In der ausgebrannten Wohnung in Zwickau wurden neben Waffen auch sogenannte „legale illegale Ausweise“, d.h. von Geheimdiensten ausgestellte Dokumente zur Etablierung einer Tarnidentität, gefunden. Entsprechende Ausweise hatten auch führende Köpfe des Thüringer Heimatschutzes gehabt, die als V-Männer des thüringischen Verfassungsschutzes tätig gewesen waren.

Das Paradox des NSU ist die Tatsache, dass das Trio dem thüringischen Verfassungsschutz bekannt war (es gab 24 Akten über die betroffenen Personen), sie aber über 13 Jahre trotz Beobachtung durch V-Leute nicht gefunden werden konnten. Zwei Leiter des thüringischen Verfassungsschutzes, Helmut Roewer und Peter Nocken, gerieten darüber in die Kritik.

Roewer warb 1994 den späteren Chef des Thüringer Heimatschutzes Tino Brandt als V-Mann an und stattete ihn mit bis zu 200.000 D-Mark aus, die Brandt maßgeblich zur Verbreitung rechtsextremer Propaganda nutzte.

Roewer trat zurück und veröffentlichte ein Buch unter dem Titel „Die Rote Kapelle und andere Geheimdienstmythen“. Sein Nachfolger Nocken stellte Tino Brandt wieder als V-Mann ein. Während seiner Amtszeit kam es zu einem Anschlag auf eine Moschee in Gera - einer der drei Täter galt als V-Mann des Verfassungsschutzes. Am 6.4.2006 war ein Mitarbeiter des fhessischen Verfassungsschutzes am Tatort anwesend, als der NSU den Betreiber eines Internetcafes in Kassel erschoss.

Danach gab es keinen weiteren NSU-Mord an Personen mit Migrationshintergrund.

Weblinks und Literatur

Siehe auch