Politisch-publizistischer Verstärkerkreislauf

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Als politisch-publizistischer Verstärkerkreislauf wird ein Prozess bezeichnet, in dem sich Politik und Veröffentlichungsmedien gegenseitig beeinflussen bzw. verstärken. In diesem Prozess findet eine öffentliche Auseinandersetzung um eine Strafrechtsnorm durch Zuhilfenahme der Massenmedien statt.

Entwicklung des Begriffs

Der Begriff des politisch-publizistischen Verstärkerkreislaufs wurde durch Sebastian Scheerer geprägt, der 1978 einen Artikel im Kriminologischen Journal (KrimJ) unter der Überschrift "Der politisch-publizistische Verstärkerkreislauf. Zur Beeinflussung der Massenmedien im Prozeß strafrechtlicher Normgenese" veröffentlichte.[1]

Definition

Als politisch-publizistischer Verstärkerkreislauf wird ein Prozess bezeichnet, in dem sich Politik und Veröffentlichungsmedien gegenseitig beeinflussen bzw. verstärken. In diesem Prozess findet eine öffentliche, symbolische Auseinandersetzung um eine Strafrechtsnorm durch Zuhilfenahme der Massenmedien statt. Die Auseinandersetzung repräsentiert soziale Konflikte, durch die das Interesse der Medien an legislativen Fragen wächst. Die Normproduzenten haben ein reziprokes Interesse an der Einflussnahme auf die Berichterstattung der Massenmedien.

Ausgangslage

Zur Verdeutlichung des politisch-publizistischen Verstärkerkreislaufs stellte Scheerer in seinem Artikel beispielhaft die Situation von 1968/69 dar, als die Forderung nach der Entkriminalisierung des Haschischkonsums laut wurde. Um diese Forderung zu untermauern, nutzte die Studentenbewegung damals Presse und Rundfunk als Medien. Die Kritik an der Regierungspolitik wurde zudem in Taschenbüchern publiziert. Da die Politiker einen Legitimationsverlust befürchteten, sahen sie es im Gegenzug als ihre Aufgabe an, diese veröffentlichte Meinung zu entkräften. Die Umsetzung des Legitimationserhalts erfolgte durch Zuhilfenahme von offenen und verdeckten Strategien.


Offene Strategien:

  • Verschärfung der Strafandrohungen des Opiumgesetzes
  • Nutzung der Massenmedien zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung
  • Durchführung von Aufklärungsprogrammen


Verdeckte Strategien:

  • Einflussnahme durch gezielte Rauschmittelberichterstattung in Tages- und Wochenzeitungen
  • Angebot des Gesundheitsministeriums, Anti-Haschisch-Artikel kostenlos in Regional- und Heimatzeitungen abzudrucken


In einem ersten Schritt wurden die Strafandrohungen des Opiumgesetzes verschärft. Dies sollte zu einer Umkehr in der moralischen Bewertung des Haschischkonsums führen. Um diesen symbolischen Schritt zu kräftigen und die Gefährlichkeit der Drogen im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verankern, wurden die Massenmedien genutzt. So wurden u. a. Broschüren über die Gefahren des Haschischkonsums publiziert, deren wissenschaftliche Grundlage fragwürdig war. „DIE ZEIT“ veröffentlichte am 30.08.1974 den Artikel „Und Haschisch schadet doch“. [2]

Die publizierten Artikel sollten in der Öffentlichkeit eine abschreckende Wirkung erzielen und zu einer Änderung der moralischen Einstellung führen. Um den politisch-publizistischen Verstärkerkreislauf zu schließen, wurde die Wirksamkeit der meinungsbildenden Maßnahmen dadurch verstärkt, dass sich die Politiker auf die Berichterstattung in der Presse zurückbezogen.

Auswirkungen

Der gewaltige Umfang der politischen Aktionen, der die Schulung von Pädagogen beinhaltete sowie verschiedene offene und verdeckte Strategien, kostete Bund, Länder und Gemeinden 10 bis 20 Millionen DM. Der Erfolg der Aktionen lässt sich an den drei Kriterien von Noelle-Neumann beschreiben:

  • Vereinheitlichung der veröffentlichten Meinung (Konsonanz)
  • Intensität und Dauer der massenmedialen Beschäftigung (Kumulation)
  • Veränderung der öffentlichen Meinung (Öffentlichkeitseffekt) [3]

Nach diesen drei Kriterien war die Anti-Drogen-Kampagne erfolgreich. Während in anderen Ländern Entkriminalisierungsprozesse stattfanden, gab es in Deutschland schon 1973 kaum ein Medium mehr, dass sich für eine Lockerung der Drogengesetze einsetzte. In der Bevölkerung führte die Aktion zu starken Distanzierungsreaktionen, da die Mediendarstellungen eine Stigmatisierung der Drogenkonsumenten mit sich brachte. Die Zahl der probierwilligen Jugendlichen nahm stark ab.

Kriminologische Relevanz

Kriminalitätsdarstellungen in den Medien haben einen hohen Unterhaltungswert. Die Massenmedien spiegeln nicht die statistische Wirklichkeit von Kriminalität wider, sondern stellen diese falsch oder verzerrt dar. Obermöller und Gosch kritisieren, dass den Massenmedien oft die Objektivität und Sachlichkeit fehle. Die Massenmedien können beeinflussend wirken, weil sie dem Zuschauer Einblicke in viele verschiedene Lebenswelten verschaffen. Dadurch gestalten die Medien die Vorstellungen der sozialen Realität. Auch für Politiker stellen Massenmedien die wichtigsten Quellen für eine Kriminalitätsberichterstattung dar. Aus diesem Grund findet die verzerrte Darstellung von Kriminalität Eingang in politische Debatten. Die Berichterstattung führt dazu, dass Gesetze zur Bekämpfung von Kriminalität gerecht erscheinen. Der politisch-publizistische Verstärkerkreislauf lässt Kriminalität zu einem allumfassenden Problem und zur ubiquitären Bedrohung werden, der man scheinbar nur mit repressiven Gesetzen begegnen kann. Die durch den Verstärkerkreislauf gesteigerte Bedrohungseinschätzung liefert eine Begründung für den politischen Handlungsbedarf.

Weblinks

Literatur

  • Noelle-Neumann, E.: Kumulation, Konsonanz und Öffentlichkeitseffekt. Ein neuer Ansatz zur Analyse der Wirkung der Massenmedien, in: Publizistik Heft 1/1973, S. 26-55
  • Obermöller, B./ Gosch, M.: Kriminalitätsberichterstattung als kriminologisches Problem, in: Kritische Justiz Heft 1, 1995, Nomos Verlag, S. 45-59
  • Scheerer, S.: Der politisch-publizistische Verstärkerkreislauf, in: Kriminologisches Journal (KrimJ) 1978, Juventa Verlag, S.223-227