Moralisch korrektes Töten

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Moralisch korrektes Töten ist der Titel eines 2005 erschienenen Buches von Uwe Steinhoff. Die Diskussion der Ethik des Krieges und des Terrorismus stellt, wie Steinhoff im Vorwort erklärt, ein Zwischenergebnis seiner Beschäftigung mit den ethischen Aspekten der politischen Gewalt dar. Die Beschäftigung mit diesem Teilgebiet sei durch die Anschläge auf das World Trade Center im Jahr 2001 und dem folgenden "War on Terror" besonders angespornt worden. Trotz der Bezüge zum aktuellen politischen Geschehen sei es jedoch das Ziel des Buches, die Ethik des Krieges und des Terrorismus grundsätzlich zu klären.

Dabei wendet sich Steinhoff gegen die vorherrschende Doppelmoral in der Beurteilung von Krieg und Terrorismus. Diese zeige sich darin, dass die Bezeichnung einer Handlung als "terroristisch" oder "nicht terroristisch" nicht an Eigenschaften der Handlung festgemacht werde, sondern an Eigenschaften ihres Urhebers. Gleichzeitig sei die Bezeichnung als "terroristisch" immer zugleich ein Unwerturteil: Terrorismus könne niemals moralisch gerechtfertigt sein. Deshalb würden nur die Handlungen des jeweiligen politischen Gegners als terroristisch bezeichnet. Steinhoff hingegen strebt eine wertfreie Definition von "Terrorismus" an, und versucht zu zeigen, dass Terrorismus unter bestimmten Umständen moralisch gerechtfertigt sein kann.

Steinhoff setzt sich in diesem Buch mit den Positionen zweier Theorierichtungen der moralphilosophischen Diskussion des Krieges und des Terrorismus auseinander, die er beide zurückweist: die Theorie des gerechten Krieges und den Pazifismus. Ziel seiner Analyse ist eine Ethik des Krieges auf der Grundlage einer "aufgeklärten, liberalen und individualrechtlichen Perspektive".

Die Vertreter der Theorie des gerechten Krieges schlagen eine Unterscheidung zwischen dem jus ad bellum (Rechtmäßigkeit des Kriegseintritts bzw. des Fortsetzens des Krieges) und des jus in bello (Rechtmäßigkeit der Kriegsführung) vor, und nennen für diese jeweils spezifische Kriterien. Steinhoff konstruiert seine Ethik des Krieges auf der Grundlage der Diskussion dieser Kriterien. Anschließend wendet er die aufgestellten Prinzipien auf die Strategie des Terrorismus an.

Jus ad bellum

Vertreter der Theorie des gerechten Krieges nennen gewöhnlich sechs Kriterien für die Berechtigung zum Kriegseintritt bzw. zum Fortsetzen des Krieges:

  1. Der Kriegseintritt wurde von einer legitimen Autorität beschlossen.
  2. Es besteht ein gerechter Grund zum Kriegseintritt wie zum Beispiel die Verteidigung gegen einen Aggressor.
  3. Der Krieg wird mit gerechten Absichten geführt - also im Sinne des gerechten Grundes und ohne den Plan, sich darüber hinaus einen Vorteil wie die Aneignung von Ressourcen oder der Machtsteigerung zu verschaffen.
  4. Der Krieg erfüllt die Bedingung der Proportionalität. Er ist verhältnismäßig, richtet also nicht mehr Unheil an als er abwendet.
  5. Es besteht die Aussicht auf Sieg.
  6. Der Krieg ist das letzte Mittel (ultima ratio).

Steinhoff diskutiert diese Kriterien und kommt zu dem Ergebnis, dass lediglich die Kriterien des gerechten Grundes und der gerechten Absicht eigenständige Kriterien für die Rechtmäßigkeit des Kriegseintritts darstellen. Das Kriterium der legitimen Autorität hält er für nicht zutreffend. Die Proportionalität, die Aussicht auf Sieg und das Fehlen erfolgversprechender Alternativen sind zwar moralisch relevant, stellen jedoch keine eigenständigen Kriterien dar, sondern sind der Bewertung des Kriegsgrundes untergeordnet.

Legitime Autorität

Das erste genannte Kriterium für einen gerechten Krieg lautet, dass der Krieg von einer legitimen Autorität beschlossen wurde. So argumentiert Coates beispielsweise, dass dieses Prinzip den Versuch darstelle, private Kriege und den Terrorismus zu bekämpfen, indem es ein öffentliches Gewaltmonopol konstituiere. Es sei somit eine Voraussetzung für die zivile Gesellschaft. Legitime Gewalt könne folglich nur öffentliche Gewalt sein.

Steinhoff setzt diesem Argument entgegen, dass das Durchbrechen dieses Gewaltmonopols ebenfalls eine historische und unumgehbare Voraussetzung für die Demokratisierung sei, Beispiele hierfür seien die Durchsetzung der Demokratie gegen den Absolutismus in Frankreich oder die Unabhängigkeit der USA von Großbritannien.

Er betrachtet das Prinzip der legitimen Autorität nicht als Garant der zivilen Gesellschaft, sondern vielmehr als ein Relikt des Mittelalters, das dessen anti-individualistisches und kollektivistisches Vorurteil widerspiegle. Im Mittelalter existierten noch keine Individualrechte, und folglich auch nicht das Recht des Einzelnen, seine Rechte gegen andere - auch den Staat - mit Gewalt durchzusetzen, wenn diese sie missachteten.

Steinhoff weist das Prinzip der legitimen Autorität als Kriterium eines gerechten Krieges zurück, weil es auf der Vorstellung beruht, der Staat könne Rechte haben, die der Einzelne nicht hat. Er bezieht sich an dieser Stelle auf Locke, demzufolge die Gemeinschaft nur Rechte haben könne, welche ihm die Mitglieder übertragen hätten. Hat die Gemeinschaft unter bestimmten Umständen ein "Recht auf Krieg", so hat der Einzelne dieses Recht ebenfalls, es ist also in erster Linie ein Individualrecht. Die Theorie des gerechten Krieges hat folglich Privatkriege zu Unrecht ausgeschlossen.

Das Prinzip der legitimen Autorität habe lediglich eine sinnvolle Funktion, wenn es innerhalb einer Gesellschaft um den Eintritt in einen öffentlichen Krieg gehe. Da öffentliche Kriege im Gegensatz zu Privatkriegen im Namen der gesamten Gemeinschaft geführt werden, dürfe in diesem Fall nicht der Einzelne für die Gemeinschaft über einen Kriegseintritt entscheiden.

Gerechter Grund (nebst Unterkriterien) und gerechte Absicht

Die verbleibenden Kriterien diskutiert Steinhoff mit dem Ziel einer logischen Reorganisation. Als Kriterien für die Zulässigkeit eines Krieges kommen seiner Ansicht nach nur der gerechte Grund und die gerechte Absicht in Frage. Die Kriterien der Proportionalität, Erfolgsaussicht und des letzten Mittels seien keine unabhängigen Kriterien, sondern lediglich Unterkriterien des gerechten Grundes.

Diese Abhängigkeit der Kriterien ergibt sich aus dem Umstand, dass nicht jeder gerechte Grund gleichermaßen Gewalthandlungen zu legitimieren vermag. Vielmehr ist es genau der Grund des Krieges, welcher Proportionalitätserwägungen unterzogen werden muss. Dabei muss geprüft werden, ob der Kriegsgrund hinreichend schwerwiegend ist, um die erwarteten Kosten - z.B. der Leben unschuldiger Opfer eines Krieges - hinzunehmen. Wird diese Frage verneint, liegt zwar ein gerechter, aber kein hinreichender Grund vor, und der Krieg ist somit nicht zulässig. Insofern ist die Proportionalitätserwägung kein logisch unabhängiges Kriterium, sondern ist dem Kriterium des gerechten Grundes untergeordnet.

Auch die Kriterien des letzten Mittels und der Erfolgsaussicht können nicht als unabhängige Kriterien beibehalten werden. Vielmehr stellen sie ihrerseits Unterkriterien der Bedingung der Proportionalität dar. Um gerechtfertigt zu sein, muss ein Krieg nicht das letzte Mittel darstellen, denn auch unter der Annahme alternativer Mittel kann der Krieg das geringere Übel sein. So führen beispielsweise wirtschaftliche Sanktionen oft zu mehr unschuldigen Todesopfern als eine militärische Intervention. Folglich ist das Kriterium des letzten Mittels ebenfalls Teil der Proportionalitätserwägung, da geprüft werden muss, ob es eine Alternative gibt, die weniger moralische Kosten verursacht. Auch die Bedingung der Erfolgsaussicht wird Proportionalitätserwägungen ausgesetzt. Denn unter besonderen Umständen wie der Verteidigung gegen einen Aggressor, kann ein Krieg auch ohne Aussicht auf Erfolg gerecht sein.

Jus in bello

Die zentrale Frage der Rechtmäßigkeit der Kriegsführung lautet folgendermaßen: "Wen, falls überhaupt, darf man im Krieg töten (und warum)?" (49). Um eine Antwort auf diese Frage zu geben, wird gewöhnlich zwischen Schuldigen und Nichtschuldigen, beziehungsweise Kombattanten und Nicht-Kombattanten unterschieden (z.B. im Kriegsrecht), und auch Steinhoff folgt dieser Unterscheidung. Dieser zufolge sind Personen, die sich aktiv am Kriegsgeschehen beteiligen, Kombattanten. Dazu gehören nicht nur "die im engeren Sinne Kämpfenden [...] sondern auch deren Befehlshaber - Präsidenten und Minister in zivil eingeschlossen" (93). Alle anderen vom Krieg betroffenen Personen sind Nicht-Kombattanten.

Auf die Diskussion der Probleme dieser Unterscheidung sowie der moralischen Beurteilung der Tötung von Kombattanten soll in diesem Artikel nicht weiter eingegangen werden. Steinhoff kommt zu dem Schluss, dass die Tötung von Kombattanten unter Berücksichtigung der Kriterien des jus ad bellum moralisch gerechtfertigt sei. Dies legitimiert er unter Berufung auf die Prinzipien der Selbstverteidigung und des rechtfertigenden Notstands (siehe Kapitel 4).

In diesem Artikel soll hingegen die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Tötung von Nicht-Kombattanten aufgegriffen werden. Für die Bewertung moderner Kriege, bei denen immer auch Zivilisten getötet werden, ist diese Frage besonders relevant. Steinhoff diskutiert in diesem Zusammenhang die Lehre von der doppelten Wirkung und das absolute Tötungsverbot der Pazifisten, welche er beide zurückweist. Er kommt zu dem Schluss, dass Nicht-Kombattanten keine legitimen Angriffsziele darstellen. Trotzdem könne ihre Tötung unter bestimmten Umständen moralisch gerechtfertigt sein.

Die Lehre von der doppelten Wirkung

Das Prinzip der Immunität Unschuldiger bzw. von Nichtkombattanten geht auf Thomas von Aquins Lehre der doppelten Wirkung zurück. Aquin hatte darauf hingewiesen, dass Handlungen mehrere Wirkungen haben können. Folglich kann eine Handlung einerseits die vom Handelnden erwünschte Wirkung haben, andererseits jedoch auch unintendierte Nebenwirkungen.

Aus dieser Unterscheidung der Handlungsfolgen schließt Aquin, dass die absichtliche Tötung oder Verletzung unschuldiger Personen moralisch nicht gerechtfertigt ist. Dabei sei es irrelevant, ob diese absichtliche Handlung einen Selbstzweck darstelle, oder als Mittel zur Erreichung des gewünschten Zweckes eingesetzt werde. Die bloße Inkaufnahme der unintendierten Tötung - sogenannten "Kollateralschäden" - könne hingegen gerecht sein, wenn die vorausgesehenen schlechten Folgen in einem akzeptablen Verhältnis zum guten Zweck stünden.

Die Vertreter der Theorie des gerechten Krieges beziehen sich auf Aquins Lehre von der doppelten Wirkung, und erklären die Kriegsführung, die sich an das besagte Prinzip hält, für gerecht. Auf diese Weise wird argumentiert, dass beispielsweise der Abwurf einer Bombe auf eine gegnerische Munitionsfabrik gerecht sein könne, auch wenn dieser die Tötung von Unschuldigen zur Folge habe, da das Ziel des Angriffs die Munitionsfabrik sei und die getöteten Personen lediglich eine Nebenfolge dieses Angriffs darstellten. Die Bombenangriffe der Alliierten auf deutsche Städte im zweiten Weltkrieg hingegen, bei denen das erklärte Ziel die Tötung von Zivilisten war, sei nicht gerecht.

Steinhoff konstruiert die zwei folgenden Beispiele, in welchen jeweils die Tötung einer unschuldigen Person zur Rettung vieler Menschen nötig ist. Einmal ist die Tötung jedoch das Mittel, mit dem der Tod der geretteten Menschen abgewendet wird, im anderen Beispiel ist sie lediglich die Nebenfolge. Dieses Beispiel soll zeigen, dass die von der Lehre von der doppelten Wirkung benutzte Unterscheidung zwischen Mitteln bzw. Zwecken und Nebenfolgen nicht moralisch relevant ist.

Nehmen wir an, aus einem Versuchslabor in der Wildnis sind zwei virenverseuchte Katzen entkommen. Werden sie nicht bis spätestens Punkt sechs Uhr abends getötet, werden die Viren aus dem Katzenkörper austreten und im Laufe der Zeit Millionen von Menschen töten. Zwei Jäger sind den Katzen auf der Spur. Wenige Sekunden vor sechs befinden sich die beiden in zwei verschiedenen Steinbrüchen in nichtsdestoweniger erstaunlich ähnlichen Situationen (wer philosophische Beispiele kennt, wird freilich nicht erstaunt sein). Vor dem Dynamitlager, einer alten Bretterbude, sitzt eine der Katzen. Gleichzeitig kommt der Sprengmeister mit einer Ampulle Nitroglyzerin aus dem Lager heraus. (64-65)

Jäger A befindet sich nah genug an der Katze, um sie direkt zu erschießen. Er weiß allerdings, dass die Kugel die Katze durchdringen, die Bretterbude treffen und das Dynamit zur Explosion bringen wird, wodurch auch der Sprengmeister getötet wird. Jäger B hingegen befindet sich zu weit weg von der Katze, um sie direkt zu erschießen. Alternativ kann er jedoch den Sprengmeister erschießen. Der Jäger weiß, dass dieser als Folge das Nitroglyzerin fallen lassen würde, dieses explodieren und damit auch die Katze töten würde.

Beide Jäger verfahren erfolgreich nach ihrem jeweiligen Plan und retten damit Millionen von Menschen das Leben. Beide handeln in der besten Absicht, bedauern zutiefst den Tod des Sprengmeisters (und vielleicht sogar den der Katze) und verhalten sich verhältnismäßig (ein Menschenleben und ein Katzenleben gegen Millionen Menschenleben). (65)

Jäger A tötet den Sprengmeister lediglich als Nebenfolge der Tötung der Katze; seine Handlung ist folglich im Sinne der Lehre von der doppelten Wirkung moralisch gerechtfertigt. Jäger B hingegen tötet den Sprengmeister direkt, und nimmt seinen Tod folglich nicht nur in Kauf, sondern beabsichtigt ihn als Mittel zur Tötung der Katze; seine Handlung ist im Sinne der Lehre von der doppelten Wirkung nicht moralisch gerechtfertigt.

Steinhoff hingegen ist der Auffassung, die geschilderten Situationen wiesen aufgrund des identischen Ausgangs keinen moralisch relevanten Unterschied auf. Folglich bewiese das Beispiel, dass die Lehre von der doppelten Wirkung falsch sei.

Pazifismus

Auch Pazifisten lehnen die Lehre von der doppelten Wirkung ab. Sie betonen vielmehr die Absolutheit des Tötungsverbots, und halten deshalb jedwede wissentliche Tötung, und folglich auch jedwede Kriegsteilnahme, für nicht zulässig.

Dies führte zu dem Einwand, dass einige Kriege notwendig seien, um einen Aggressor an der Tötung Unschuldiger zu hindern - z.B. im Fall eines Genozids. Darauf antwortet der Pazifist Robert L. Holmes, der Einwand beruhe auf zwei Annahmen, die widerlegt werden könnten:

  1. Es gibt keine moralische Unterscheidung zwischen Töten und sterben lassen.
  2. Die Konsequenz der Weigerung, militärisch zu intervenieren, ist die, dass Unschuldige durch den Aggressor getötet werden.

Pazifisten widersprechen der ersten Annahme vehement. Ihrer Meinung nach ist es moralisch deutlich weniger verwerflich, jemanden sterben zu lassen, als ihn zu töten. Gegen die zweite Annahme führt Holmes die Unterscheidung zwischen vermittelten und unvermittelten Handlungskonsequenzen an. Unvermittelte Handlungskonsequenzen sind solche, die sich aus den Handlungen allein aufgrund der Naturgesetze ergeben. Vermittelte Konsequenzen hängen hingegen zusätzlich von den Entscheidungen anderer ab. Im geschilderten Fall der Tötung Unschuldiger durch einen Aggressor handelt es sich lediglich um eine vermittelte Handlungskonsequenz desjenigen, der sich gegen eine kriegerische Intervention entscheidet, und folglich sei sie ihm nicht anzulasten.

Steinhoff widerspricht dieser Argumentation in beiden Punkten. Im Falle der Unterlassung einer kriegerischen Intervention sei die Tötung Unschuldiger seitens des Aggressors zwar lediglich eine vermittelte Handlungskonsequenz. Trotzdem gehöre die Unterlassungshandlung zu den kausalen Faktoren, die zusammen mit anderen Faktoren das Ergebnis herbeigeführt hätten. Sie habe die Tötung zwar nicht bewirkt, aber immerhin ermöglicht. Auch die moralische Unterscheidung zwischen dem Töten und dem sterben lassen weist Steinhoff zurück.

Folglich kommt Steinhoff entgegen der pazifistischen Position zu dem Ergebnis, dass das Recht auf Leben der Unschuldigen nicht absolut gelte. Obwohl die Tötung Unschuldiger eine schlechte Handlung darstelle, könne sie aufgrund von Proportionalitätserwägungen moralisch gerechtfertigt sein.

Der gerechtfertigte Krieg

Als Alternative zur Lehre von der doppelten Wirkung sowie des Pazifismus schlägt Steinhoff zur Determinierung der Rechtmäßigkeit der Tötung von Unschuldigen die Wechselwirkung von zwei Rechten bzw. Prinzipien vor:

  • Das (nicht absolute) Recht, gegen Angreifer und Bedrohungen vorzugehen. Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Wird dieses bedroht, hat der Mensch das Recht darauf, den Aggressor anzugreifen, um sein Lebensrecht zu verteidigen.
  • Das Prinzip, dass Individualrechte nicht allein deshalb geopfert werden dürfen, weil dies den Interessen vieler dient.

Im Katzen-Beispiel konfligiert das Lebensrecht des Sprengmeisters mit den Interessen von Millionen Menschen sowie mit dem Recht auf einen Angriff auf die Bedrohung. Die Handlungen beider Jäger sind erlaubt, weil das Recht, gegen die Bedrohung durch die Katze vorzugehen, und das Lebensinteresse der gefährdeten Personen in Kombination gegenüber dem Lebensrecht des Sprengmeisters überwiegen.

Eine moralische Rechtfertigung der Tötung des (unschuldigen) Sprengmeisters allein aus dem Grund der Rettung von noch mehr unschuldigen Menschen, die von Konsequentialisten aus utilitaristischen Erwägungen vorgeschlagen wird, lehnt Steinhoff jedoch ab. Das Lebensrecht des Einzelnen ist ein Individualrecht und schränkt das Mehrheitsprinzip ein.

Die Ablehnung sowohl der Lehre von der doppelten Wirkung als auch des Pazifismus führt zu einem moralischen Dilemma. Auf der einen Seite ist die Tötung Unschuldiger schlecht, und auch die Einhaltung des Prinzips der Lehre von der doppelten Wirkung kann dies nicht ändern. Andererseits gibt es Situationen, in denen der Krieg und die Tötung Unschuldiger aufgrund von Proportionalitätserwägungen geboten scheint. Auch diese Erwägung kann jedoch nichts daran ändern, dass die Tötung Unschuldiger eine schuldhafte Handlung bleibt.

Aufgrund dieses Dilemmas kommt Steinhoff zu dem Schluss, dass es keinen gerechten Krieg geben könne. Ein Krieg könne allenfalls gerechtfertigt sein - und zwar als das kleinere Übel. Er fügt hinzu:

Diese Unterscheidung ist keine Haarspalterei, sondern praktisch sehr bedeutsam. Denn die Einsicht, daß ein Krieg, und hat er noch so hehre Ziele, immer ein Übel ist und jene, die an ihm teilhaben oder ihn unterstützen, sich schuldig machen, führt statt zu selbstgerechtem heroischen und moralischen Triumphalismus zu einer der Tragik angemesseneren, bescheideneren und nachdenklicheren Haltung, welche dazu beitragen kann, das Ausmaß des Übels mehr und mehr einzuschränken. Da es sich aber, wie gesagt, um ein Dilemma handelt, haben umgekehrt auch absolutistische Pazifisten keinen sonderlichen Grund, sich für ihre vermeintlich überlegene Moral auf die Schulter zu klopfen. Weder können Soldaten und deren Befehlshaber in bezug auf die von ihnen "kollateral" getöteten Unschuldigen ihre Hände in Unschuld waschen […], noch können das Pazifisten in bezug auf die von ihnen sterben gelassenen Unschuldigen. (Wessen Schuld größer ist, läßt sich jeweils nur unter Berücksichtigung der Fakten des konkreten Falls entscheiden und nicht in abstracto) (88).

Die Ethik des Terrorismus

Zunächst diskutiert Steinhoff verschiedene Terrorismus-Definitionen, und präsentiert als Ergebnis die folgende Definition:

Terrorismus ist die Strategie der wiederholten, durch entsprechende Taten glaubhaften Drohung mit der gleichfalls wiederholten Tötung oder schweren Verletzung Unschuldiger oder der Zerstörung oder schweren Schädigung von deren Eigentum, um andere als die direkten Opfer der Gewalt einzuschüchtern, zu bedrohen oder sonstwie zu beeindrucken. Terroristische Akte sind diejenigen schweren Angriffe auf Unschuldige oder deren Eigentum, welche Teil einer solchen Strategie sind. (162)

Die oben beschriebene Zurückweisung der Lehre von der doppelten Wirkung hat nicht nur Auswirkungen auf die moralische Beurteilung des Krieges, sondern auch auf die des Terrorismus. Der Lehre von der doppelten Wirkung zufolge sind terroristische Akte immer unzulässig, da sie den Tod oder die schwere Verletzung Unschuldiger als Mittel zur Erreichung eines Zieles benutzen.

Steinhoffs Argumentation bezüglich der Beurteilung des Tötens Unschuldiger im Krieg kann ebenfalls nicht zur Legitimation von terroristischen Akten herangezogen werden, denn zur Legitimierung jener Tötungshandlungen ist das Recht auf den Angriff gegen Aggressoren oder Bedrohungen erforderlich. Im Falle terroristischer Akte liegt dies nicht vor, denn gemeint ist mit diesem Recht ausschließlich der direkte physische Angriff, nicht der psychische Angriff. Terrorismus besteht - wie in der Definition ersichtlich - aber gerade darin, die Aggressoren psychisch anzugreifen mittels des physischen Angriffs auf unschuldige Dritte.

Steinhoff ist jedoch davon überzeugt, dass die kategorische Ablehnung des Terrorismus, vertreten zum Beispiel von Georg Meggle, nicht richtig sei. Denn Meggle entgehe,

daß seiner Definition zufolge auch die Gesetzgeber, welche ein Justizsystem mit Straf- und Prozeßrecht einsetzen, um Verbrecher zu bestrafen und potentielle Delinquenten von Verbrechen abzuschrecken, damit einen starken terroristischen Akt begehen. Denn selbst wenn sie sich bemühen, die Gefahr, mit ihrem Akt Unschuldige zu treffen, zu minimieren, so wissen sie doch, daß diese Gefahr niemals ganz beseitigt werden kann, mehr noch, daß tatsächlich immer wieder auch Unschuldige getroffen werden. (163)

Dass diese abschreckende Wirkung (deterritio) des Justizsystems jedoch gerechtfertigt sei, gebe einen Hinweis darauf, dass die These der kategorischen Illegitimität nicht richtig sei. Im Anschluss diskutiert Steinhoff im Wesentlichen zwei Rechtfertigungsmöglichkeiten: die ausgleichende Gerechtigkeit (ablehnend) und den rechtfertigenden Notstand (zustimmend).

Ausgleichende Gerechtigkeit

Wenn eine unterlegene Partei, die überproportional viele Rechtverletzungen seitens einer überlegenen Partei erdulden musste, ihrerseits zu Rechtsverletzungen greift, um die überlegene Partei zur Einstellung ihrer Rechtsverletzungen zu bewegen, dann kann das Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia commutativa) laut Virginia Held die Rechtsverletzungen der Unterlegenen rechtfertigen.

Dass die unterlegene Partei eine Menge X von Rechtsverletzungen begeht, ist dann "gerechter", als wenn die überlegene Partei, die bereits die vorhergehenden Rechtsverletzungen beging, zu den bereits begangenen Rechtsverletzungen die Menge X von weiteren Rechtsverletzungen hinzufügte. In so einem Fall geht es nach dem Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit lediglich um eine ausgeglichene Verteilung der Rechtsverletzungen: "If we must have rights violations, a more equitable distribution of such violations is better than a less equitable distribution" (Held 1991: 78). Wenn zum Beispiel die Überlegenen in einem Konflikt andauernd Rechtsverletzungen begehen, die sich auch gegen Unschuldige richten, dann wäre auf der Grundlage des aristotelischen Prinzips der iustitia commutativa das Begehen vergleichbarer Rechtsverletzungen durch die Unterdrückten unter Umständen zu rechtfertigen.

Steinhoff lehnt die von Held vorgeschlagene Rechtfertigung des Terrorismus durch das Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit jedoch ab. Ausgleichende Gerechtigkeit mache nur in Nullsummenspielen Sinn, in denen bereits eine fesgesetzte Menge von Rechtsverletzungen gegeben ist, die nun auf verschiedene Gruppen verteilt werden muss. Dies ist beim Terrorismus jedoch nicht der Fall: wenn Mitglieder der in einem Konflikt unterlegenen Gruppe die Rechte von Mitgliedern der überlegenen Partei verletzen, handelt es sich nicht um die Umverteilung einer bereits feststehenden Zahl von Rechtsverletzungen, sie schaffen damit vielmehr neue. Diese Rechtsverletzungen sind nicht berechtigt, denn ein "Recht auf Gleichverteilung von Gewaltrisiken" gibt es nicht.

Mit dem Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit ließe sich lediglich der Angriff auf diejenigen Mitglieder der überlegenen Partei rechtfertigen, die Schuld an den vorangegangenen Rechtsverletzungen der unterlegenen Partei sind. Diese sind nämlich durch das Recht auf die Bestrafung der Schuldigen gedeckt, welches Steinhoffs Ansicht nach durchaus existiert - vorausgesetzt der Staat kann diese Aufgabe nicht übernehmen. Richten sich die Angriffe der unterlegenen Partei gegen schuldige Mitglieder der überlegenen Partei, handelt es sich jedoch nicht um Terrorismus im Sinne Steinhoffs Definition.

Der rechtfertigende Notstand

Ein Notstand ist eine Situation, in der eine Person oder Gruppe einer existenziellen Bedrohung ausgesetzt ist, gegen die sie sich nur mit Gewalt gegen den Aggressor schützen kann. Anders als in Notwehrsituationen handelt es sich nicht um einen gegenwärtigen Angriff, sondern eine gegenwärtige Gefahr.

In regulären Kriegen ist aufgrund der Prinzipien der Notwehr und des rechtfertigenden Notstandes die Tötung feindlicher Kombattanten, nicht aber unschuldiger Nicht-Kombattanten, gerechtfertigt. Befindet sich ein Individuum, eine Gemeinschaft oder ein Staat jedoch in solch einem Notstand und hat keine andere Möglichkeit, die Angriffe seitens des Aggressors zu stoppen, ist auch der Terrorismus durch den Notstand gerechtfertigt.

Literatur

  • Steinhoff, Uwe (2005): Moralisch korrektes Töten. Zur Ethik des Krieges und des Terrorismus. Neu-Isenburg: Melzer.

Weblinks

Diskussion zwischen Steinhoff und Oberhem in dessen Weblog [1]