Terrorismus-Definitionen

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Terrorism is theatre (Brian Jenkins)

Terrorismus ist die maximale Explikation des Anderen im Hinblick auf seine Eliminierbarkeit (Peter Sloterdijk)


"Was bestimmte Aktionen zu „terroristischen“ und bestimmte Akteure zu „Terroristen“ macht, ist im politischen Alltag eine Frage der Definition durch den Betrachter. Terrorismus liegt, wie man’s von der Schönheit sagt, im Auge des Betrachters. Wen der Betrachter mit Wohlgefallen ansieht, den sieht er als Freiheitskämpfer, Revolutionär, Stadtguerillero, Kämpfer einer "bewaffneten Partei" (wie sich die italienischen Roten Brigaden sahen) oder als Gotteskrieger im Dschihad. Wen er als Feind sieht, den nennt er „Terrorist“ und ruft damit einen ganzen Hof von negativen Konnotationen auf, einen fix und fertig bereitliegenden Alltagsmythos. Ein solcher Alltagsmythos bietet einen Komplex von ausgewählten Informationen und Attitüden als Aussage über ein Objekt an, suggeriert, dass dieses Objekt so, wie es in der Aussage erscheint, auch in der Realität existiert als etwas Natürliches, So-Seiendes. Der Mythos unterschlägt, dass seine Aussage und das in ihr enthaltene Objekt etwas sozial Gemachtes sind, und er unterschlägt auch die unterschwellige Funktion gerade dieser sozialen Konstruktion von Wirklichkeit: Terrorismus ist das Böse, dessen Ursachen und Ziele eigentlich keine Diskussion verdienen. Der Terrorist wird, wie einst im 18. Jahrhundert der Pirat, zum hostis humani generis, zum Feind des Menschengeschlechts.

Das ist die eine Seite. Können wir nun nur über diesen Mythos sprechen, ihn phänomenologisch und ideologiekritisch analysieren, oder gibt es noch eine andere Seite, lässt sich hinter dem Sprachschleier des Diskurses auch ein Kern von Bezeichnetem ausmachen, ein Phänomen, das von anderen Phänomenen unterschieden ist? Wie immer im Falle der Labeling-Theorie muss man deren Grenzen sehen. Zwar hängt viel von der Definitionsmacht ab, aber auch große Macht kann ein bestimmtes Etikett nicht jedem beliebigen Phänomen aufdrücken. Das Label haftet nur, wenn das signifié in seiner deskriptiv zu erfassenden Erscheinung dem signifiant entgegenkommt. Neben den askriptiven hat „Terrorismus“ also deskriptive Elemente, und diese deskriptiven Elemente lassen sich etwa in folgender Definition fassen, die den Kern des Alltagsverständnisses erfasst und doch Wertungen zu vermeiden sucht: Terrorismus ist (1) eine Reihe von vorsätzlichen Akten direkter physischer Gewalt, die (2) punktuell und unvorhersehbar, aber systematisch (3) mit der Absicht psychischer Wirkung auf weit mehr Personen als nur die physisch getroffenen Opfer (4) im Rahmen einer politischen Strategie ausgeführt werden.

Die Definition soll der Verständigung darüber dienen, worüber wir reden, wenn wir von Terrorismus reden – sie soll nicht suggerieren, dass es Handlungen gäbe, die unabhängig von unseren Subsumtionen terroristische Handlungen wären, sie soll nur der Willkür der Subsumtion Grenzen setzen (bzw. die Grenzen zeigen, die in der Realität da sind). Sie soll auch nicht den fruchtbaren Gedanken abweisen, dass in der politischen Praxis Handlungen durch ihre Subsumtion unter den Begriff in ihrem weiteren Schicksal mitbestimmt werden: Was terroristisch genannt wird und worauf entsprechend reagiert wird, kann sich zu etwas auswachsen, worauf sich unsere Definition dann immer leichter anwenden lässt. Gerade dieser Prozess kann besser analysiert werden, wenn man eine Definition von Terrorismus hat (und belegt noch einmal nachdrücklich die Dialektik von signifiant und signifié, Etikett und Phänomen, die der radikale Labeling-Ansatz verkennt).

(Henner Hess, Terrorismus: Quo vadis? Kurzfristige Prognosen und mittelfristige Orientierungen, in Uwe E. Kemmesies (Hg.), Terrorismus und Extremismus - der Zukunft auf der Spur. München: Luchterhand 2006, 105-150, Zitat 108f.)