Kriminologie in der DDR

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Begriff der sozialistischen Kriminologie in der DDR

Die sozialistische Kriminologie versteht sich als marxistisch-leninistische Gesellschaftswissenschaft. Ihr Gegenstand ist das sozialen Wesen, der Stand der Entwicklung und der Struktur der Kriminalität als Gesamtheit sowie wesentlichen Teilerscheinungen (Delikt- und Tätergruppen). Weiter beschäftigt sie sich mit dem Auftreten von Straftaten in bestimmten Territorien oder in einzelnen gesellschaftlichen Bereichen, den Ursachen und begünstigenden Bedingungen von Kriminalitätserscheinungen, mit der Persönlichkeit des Täters sowie mit den Grunderfordernissen der Verhütung und Bekämpfung von Strafrechtsverletzungen. Dabei bezog sich die sozialistische Kriminologie in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) insbesondere auf Erfahrungen und Ergebnisse der sowjetischen Kriminologie. Grundsätzlich sei die Kriminalität dem Sozialismus wesensfremd. Die vorherrschende Ideologie, dass durch die fortschreitende gesellschaftliche Entwicklung die Kriminalität gänzlich aus der Gesellschaftsordnung zu verdrängen gelinge.

Ideologie

Die Ideologie der sozialistischen Kriminologie knüpft an die These von Friedrich Engels an, nach der die Entstehung kriminellen Verhaltens nur mit den Verhältnissen des Kapitalismus zu tun haben kann. Nach Engels "fallen die Verbrechen gegen das Eigentum von selbst da weg, wo jeder erhält was er zur Befriedigung seiner natürlichen und geistigen Triebe bedarf (d.h. dort), wo die sozialen Abstufungen und Unterschiede wegfallen" (vgl.Marx-Engels,Bd.2,S.542). Engels weiter "die Kommunisten legen die Axt an die Wurzel des Verbrechens"(vgl.S.541). Diese Grundannahmen der DDR-Ideologen erwiesen sich jedoch als gegensätzlich zur tatsächlichen Entwicklung im Bereich der Jugendkriminalität. Denn während die Kriminalität der Erwachsenen im Verlauf der Jahre stetig rückläufig war, verzeichnete man bei der Jugendkriminalität einen Anstieg im Bereich der Sechzehn- bis Achtzehnjährigen. Gerade diese Generation wuchs jedoch ausschließlich unter den „neuen Bedingungen“ auf und war frei von den „zersetzenden Auswirkungen“ des Kapitalismus.

Erklärungsansatz zur Kriminalität

Die Erklärungen der sozialistischen Kriminologie waren wesentlich an das Gesellschaftsmodell gebunden. Dieses Modell sah die Ursachen für Kriminalität insbesondere in der Existenz von Klassen(Klassenkampftheorie). Die "ausbeutende" Klasse (Eigentümer der Produktionsmittel) wäre diejenige, die alles besitzen würde, während die "ausgebeutete" Klasse (die Arbeiter) in Armut leben muss und zudem einer willkürlichen Klassenjustiz ausgesetzt sei. Aus dem Widerspruch dieser beiden sich feindlich gegenüberstehenden Klassen resultiere der Grundkonflikt, der auch die Kriminalität erzeugen würde. Überdies würden Gesetze von der herrschenden Klasse diktiert und die Strafverfolgung deren Intentionen unterworfen. Mit der Beseitigung dieser Klassengesellschaft würde auch die Wurzel der Kriminalität ausgeräumt. Mit fortschreitender Umwandlung der gesellschaftlichen Bedingungen von kapitalistischen zu sozialistischen Eigentumsverhältnissen sah man die Möglichkeit des Bewusstseinwandels der Gesellschaftsmitglieder, die schließlich zunehmend freiwillig gesellschaftliche Normen einhalten würden. Die in den damaligen sozialistischen Ländern noch existierende Kriminalität schrieb man wesentlich den noch existierenden Resten Rudimenttheorie zu. Demnach hatte die Kriminalität im Ostblock mit Rudimenten (Überbleibseln) kapitalistischen Denkens zu tun. Ein weiterer Erklärungsansatz bestand in den falschen Vorbildern der kapitalistischen Staaten und deren Einwirkung bürgerlicher Ideologie, besonders im imperialistischen Westdeutschland. Aufgrund des Zusammenbruchs des sozialistischen Länderblocks Anfang der neunziger Jahre, ist dieser Theorieansatz kaum mehr von Bedeutung. Gewisse Ähnlichkeiten lassen sich in der Anomietheorie und im labeling approach erkennen. (vgl.Blüthner,1972,425;Lekschas/Kosewähr,1988,24), (vgl.Nisse,„Kriminalistische(n) Kompetenz“, Bd. 2, Kapitel IV, Pkt. 3.6.)

Aufgabe/ Nutzen der Krimonologie

Die Kriminologie in der DDR hat nicht nur die Aufgabe, die Ursachen und Gesetzmäßigkeiten der Kriminalität herauszuarbeiten und zu erklären, sondern daran mitzuwirken, ein umfassendes System von Maßnahmen zur Überwindung der Kriminalität und ihrer Ursachen zu entwickeln. Ihre Funktion bestehe darin, einen Beitrag zur vollkommenden Durchsetzung des Sozialismus auf allen Gebieten des materiellen und ideologischen Lebens und speziell im Alltagsleben zu leisten. Die Kriminologie erhält dadurch eine sozialgestaltende Aufgabe. Optimale Effektivität ihrer Arbeit sei aber nur insoweit gesichert, als es gelänge, die Kriminologie bewusst in das System staatlicher und gesellschaftlicher Leitung zu integrieren. Die Kriminologie einzubeziehen in den von der Partei geleiteten gesamtgesellschaftlichen Kampf gegen die Kriminalität. Somit eine enge Koordination zwischen kriminologischer Wissenschaft und kriminalpolitischer Praxis. Die Bedeutung der Kriminologie erschließt sich über die Nutzung und Verwendung von Erkenntnissen im Hinblick auf die Durchdringung des sozialen Charakters der Kriminalität bezüglich deren Ursachen, Entwicklung und Struktur in bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungsetappen, Lebensbereichen, Territorien, einzelnen Erscheinungsformen, Täterkategorien etc. Ihre unmittelbare Praxisrelevanz ergibt sich aus der Vermittlung von Kenntnissen über die Art und Weise des Entstehens und des Charakters von bestimmten Kriminalitätserscheinungen, über deren konkrete Ursachen, tatentschlussfördernde und -begünstigende Bedingungen, Erscheinungsbild und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen. Die Sicherheitsorgane werden durch die Nutzung kriminologischer Untersuchungsergebnisse in die Lage versetzt, Maßnahmen zur Verhütung (Prävention), insbesondere gleichartiger Straftaten zu veranlassen und verursachenende sowie begünstigende Faktoren auszuräumen, in Ihrer Wirkung einzuschränken oder zu vermindern.

kriminologische Methoden in der DDR

Die sozialistische Kriminologie übernimmt weitgehend Methoden der marxistisch-leninistischen Soziologie und Psychologie, die sie entsprechend der Spezifik des Gegenstandes und in Übereinstimmung mit ihren theoretischen Ausgangspositionen modifiziert. Hierbei handelt es sich vorzugsweise um Methoden:

  • zur Erschließung des Untersuchungsfeldes hinsichtlich seiner Art(gerichtet auf markante Merkmale der Delikt- und Tätergruppen)
  • seines Umfangs (nach Anzahl der Straftaten und Straftäter, territorialen Gruppen, gesellschaftliche Bereichen und Zeiträumen)
  • Auswahl einer repräsentativen Stichprobe aus der Grundgesamtheit

Von vielfältigen Methoden der Erfassung sozialer und personaler Sachverhalte sind für die sozialistische Kriminologie insbesondere, aber nicht ausschließlich, die Dokumentenanalyse (Unterlagen aus Strafverfahren, Vorgeschichte von Tätern, Statistiken/ Analysen sozialer und demografischer Sachverhalte, Kriminalstatistiken) und die Befragung (Interview, Exploration, Fragebogen) von Wert. Dabei muss erwähnt werden, dass die Erhebung und Veröffentlichung kriminalstatistischer Daten nicht in erforderlicher Differentzierung geschah. In den Jahren 1971 bis 1978 wurden im statistischen Jahrbuch der DDR keine Angaben zur Entwicklung der Kriminalitätsrate veröffentlicht. Erst 1978 wurden wieder Kriminalstatistiken aufgenommen. Des Weiteren gab es keine Angaben zur geschlechtsspezifischen Verteilung der Kriminalität.

Quellen/ Literatur

  • Böhm, Alexander: Kriminologie in sozialistischen Ländern, Bochum, 1985
  • Dr. R. Müller: Zur Persönlichkeit des Straftäters im Zusammenhang mit der Entstehung, Vorbeugung und Bekämpfung von

Straftaten, insbesondere von schweren Straftaten gegen das sozialistische Eigentum, Potsdam, 1982

  • Schüßler Gerhard: Kriminalitätsursachen und Probleme der Kriminalitätsforschung in der DDR, Materialien d. Arbeitskreises

Kriminalitätsbekämpfung im Rat für Staats- u. Rechtswiss. Forschung an d. Akad. d. Wiss. d. DDR, Berlin, Akademie-Verlag, 1976

  • Erich Buchholz/Osers Ewald: Socialist criminology:Theoretical and methodical foundations, Farnborough, Lexington Books,1974
  • Erich Buchholz: Sozialistische Kriminologie: Ihre theoretische u. methodologische Grundlegung, 2. Aufl., Berlin, 1971
  • Buchholz/Hartmann/Lekschas: Sozialistische Kriminologie: Versuch einer theoretischen Grundlegung, Berlin, 1966
  • Prof. Dr. Reingard Nisse: Kriminalistische Kompetenzen, Bd.2, Kapitel IV, Pkt. 3.6
  • Buchholz, Erich unter Mitwirkung von Imgard Buchholz und Luisa Kubiak: Sozialismus und Kriminalität:

Kriminalitätsentwicklung in der DDR im Vergleich mit der in der BRD, Berlin, 2005,(Gesamttitel: Marxistisch-leninistische Schriftenreihe für Geschichte, Politik, Ökonomie und Philosophie)

  • Schwind: Kriminologie, Heidelberg, 15. Aufl., 2005, §4,32/§8,16
  • Prof. Dr. sc. Böhme: Wörterbuch der sozialistischen Kriminalistik, Berlin, 1981, S.250-252
  • Günther Sander: Kriminalität und Kriminologie in der DDR, KrimJ, Heft 1/1982

Weblinks