Kameraüberwachung als Maßnahme der Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung

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Terroristische Anschläge bieten in unserer heutigen Gesellschaft eine schwierige Herausforderung für private Akteure als auch für öffentliche Stellen, die in der Bereitstellung öffentlicher Sicherheit involviert sind. Aus diesem Grund wird die Videoüberwachung (engl.: Closed-Circuit Television, CCTV) als Maßnahme gegen den Terrorismus und Kriminalität im allgemeinen zunehmend (vor allem in größeren Städten)ins Blickfeld gerückt.

Vor allem in London, nach den Bombenanschlägen des Jahres 2005, rückte diese Art der Überwachung immer mehr in den Vordergrund. Am 7. Juli 2005 explodierte je eine Bombe in drei U-Bahnen und einem Bus in der Londoner Innenstadt. Dabei kamen 52 Pendler und die vier mutmaßlichen Täter ums Leben. Bei der Identifizierung der vier Selbstmordattentäter spielte CCTV-Material eine wichtige Rolle.

Das Ausmaß der Überwachung lässt sich nicht genau schätzen, da die Installation von Kameras äußerst schnell voranschreitet. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass in England mittlerweile über 2 Millionen installiert wurden. Die Wachstumsrate beträgt dabei ca. 15-20 Prozent jährlich. Deutschland befindet sich im Gegensatz zu Großbritannien noch im Anfangsstadium. Dennoch beläuft sich die Zahl der Kameras auf ca. 500.000, wobei die Tendenz hier auch eher steigend ist.

Die abschreckende Wirkung

Durch das Auslösen von Wahrnehmungsprozessen bei potentiellen Straftätern soll Kameraüberwachung das subjektiv geschätzte Risiko erhöhen, erkannt, gefasst und möglicherweise verhaftet zu werden. Die Kosten von generell kriminellem als auch von terroristischem Verhalten soll somit für einen rationalen potenziellen Straftäter steigen. In einfachen Worten gesagt, soll das erhöhte Entdeckungsrisiko vor abweichendem Verhalten abschrecken.

Des weiteren werden die Erkennung und Identifizierung von mutmaßlichen Tätern und eventueller Zeugen als potentielle Vorteile von Kameraüberwachung gesehen. Dies bedeutet, dass CCTV als Instrument zur Beweissammlung bei der Terrorismusbekämpfung eingesetzt werden kann. Auch effektives Einschreiten von Sicherheitspersonal oder Polizei in kritischen Situationen, was die Festnahme von Verdächtigen erleichtert und die Sicherheit der Polizisten erhöht, wird als Vorteil gesehen. CCTV-Systeme signalisieren, dass die Terrorismusgefahr ernst genommen wird,wodurch gesetzestreue Bürger möglicherweise in ihrem Verhalten bestärkt werden und soziale Kontrolle gefördert wird (durch Anregung von Zivilcourage, Gemeinschaftssinn und Zusammenhalt).

Die Kameras werden auch nicht nur zur Kriminalitätsbekämpfung eingesetzt, sondern verfügen über die Funktion der Gewährleistung technischer Sicherheit (z.B. Überwachung von Tunnels), Verkehrslenkung (z.B. Stauwarnsysteme) oder zu Marketingzwecken (z.B. Prüfung der Wirksamkeit von Werbeinstrumenten wie Plakaten) eingesetzt (Stutzer & Zehnder (2009)).

Videoüberwachung als Eingriff in die grundliegende Menschenrechte

Im öffentlichen Raum, soll die Kameraüberwachung die Polizeiarbeit im Rahmen der Kriminalitätsprävention und Strafverfolgung wirksam unterstützen. Dieses Mittel bringt jedoch zwangsläufig Freiheitseinschränkungen mit sich. Der Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit ist ein viel diskutiertes Thema, das durch die Ausbreitung der Überwachungskameras immer mehr in den Vordergrund politischer Debatten rückt.

Freiheit und Sicherheit

Die Videoüberwachung gerät immer mehr in eine zwiespältige Diskussion. Einerseits werden Maßnahmen auf der Seite des Staats für die Überwachung gefördert, auf der anderen Seite gibt es starke Proteste in der Öffentlichkeit. Durch den starken Wandel vom Freiheits- zum Sicherheits- und Präventionsstaat wird durch Videoüberwachung in einem hohen Maße in die grundlegende Menschenrechte eingedrungen. Die Ambivalenz der Videoüberwachung besteht also darin, dass nicht nur das Sicherheitsgefühl ausgeweitet, sondern gleichzeitig auch eine Einengung der persönlichen Freiheit vermittelt wird.

Prinzipiell muss jeder Einwohner von CCTV- überwachten Städten damit rechnen beobachtet zu werden. Die Anonymität verschwindet mit jeder neu installierten Kamera mehr und mehr. Goffmann (1971), der das menschliche Verhalten in der Öffentlichkeit und im Privatleben analysierte, vertritt die Ansicht, dass Menschen unter einer kontinuierlichen Observierung auffallend ihre Verhaltensweise modifizieren. Aus diesem Grund sehen Bürgerrechtler die durch die Videoüberwachung entstandene Verhaltensänderung der Bürger als Eingriff in das Recht der Persönlichkeitsentfaltung, wobei Privatheit als ein fester Bestandteil des schutzbedürftigen Persönlichkeitsrechts gilt. Nach der Definition von Westin (1967) beinhaltet der Begriff Privatheit u.a. das Recht eines Individuums, frei von jeglichen Beobachtungen zu sein und in einer großen Menschenmenge die eigene Identität nicht verraten zu müssen. Bisher gehört es zu den Eigenschaften von Großstädten, dass die Menschen dort durch eine gewisse Anonymität ihre Privatheit genießen können. Durch die geringere soziale Kontrolle genießen Menschen in Großstädten mehr Freiheit und die Möglichkeit, durch den Wechsel des Wohnortes ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen. Datenschützer befürchten jedoch, dass die Ausweitung von CCTV-Überwachungen in städtischen Räumen, diese Möglichkeiten einschränken und die Bedeutung dieser öffentlichen Anonymität verändern können.

Es geht also bei der Frage nach der Nutzungsintensität von Überwachungskameras in öffentlichen Räumen letztlich um das Spannungsfeld zwischen der Sicherheit des Bürgers einerseits und seiner Freiheit andererseits. Zur Herstellung des Gleichgewichts zwischen Sicherheit und Freiheit gehört es zum staatlichen Aufgabenbereich, durch die Rechtsbindung staatlicher Instanzen nicht nur die Freiheitsrechte der mehrheitlichen Bevölkerungsgruppen zu garantieren, sondern auch gesellschaftliche Minderheiten (die Vermutung liegt nahe, dass diese eher ins Visier der Kameras rücken) vor willkürlichen Eingriffen zu schützen.

Wirkung: Sicherheitsgefühl und Rückgang der Kriminalität?

Sicherheitsgefühl?

Wenn der Frage nachgegangen wird, ob Überwachungskameras das Sicherheitsgefühl steigern, müssen folgende Faktoren berücksichtigt werden:

  • Es ist in dem Fall der Kriminalitätsfurcht nicht zu erwarten, dass ausschließlich durch die Tatsache von dort installierten Videokameras, eine wirkliche Steigerung des Sicherheitsgefühls eintritt. Es kann davon ausgegangen werden, dass Personen in einer solchen Situation durchaus bewusst ist, dass Kameras zwar präventiv auf Kriminalität einwirken können, sie meistens jedoch nicht verhindern.
  • Die Risikoeinschätzung einer Person, lässt sich wahrscheinlich durch die Präsenz von Kameras reduzieren. Das heißt, dass die subjektive Risikoeinschätzung z.B. in einer Bankfiliale durch Kameras deutlich verringert werden könnte, da Überfälle in einer überwachten Bank unwahrscheinlicher sind, als in einer Nichtüberwachten.
  • Das persönliche Schutz- und Vermeideverhalten wird im Bezug auf Überwachungskameras eher peripher tangiert. Die Teilung in sichere bzw. unsichere Gebiete erfolgt hauptsächlich subjektiv. Die Einschätzung von verschiedenen Räumen, unterliegt vielen Faktoren, wie dem Geschlecht, dem Alter oder der Nationalität. Man kann diesbezüglich sagen, dass beispielsweise ältere Menschen sich in Discotheken eher bedroht fühlen im Gegensatz zu jüngeren. Die kognitive Dimension des Sicherheitsgefühls ist somit in diesem Fall nicht wirklich ausschlaggebend für eine Veränderung des Sicherheitsgefühls.

Rückgang der Kriminalität?

Vorhandene Erkenntnisse zur Prävention von illegalem Verhalten mittels Kameraüberwachung beschränken sich auf Kriminalität im Allgemeinen. Es ist bis jetzt keine Studie bekannt, die die Wirksamkeit von CCTV-Überwachung bei der Verhinderung von Terrorismus wissenschaftlich untersucht.

Die wichtigsten empirischen Erkenntnisse zur Auswirkung von Kameraüberwachung auf kriminelles Verhalten lassen sich wie folgt zusammenfassen (vgl. Gill und Spriggs (2005), Welsh und Farrington (2003)):

  • Die meisten Studien, die wünschenswerte Auswirkungen von Videoüberwachung auf kriminelle Aktivitäten zeigen, wurden in Großbritannien durchgeführt und konzentrierten sich auf die Überwachung von Parkhäusern. Fast alle Studien aus anderen geografischen Regionen (wie etwa den USA oder Skandinavien) zeigen keine mäßigende Wirkung auf kriminelles Verhalten.
  • Der Erfolg von Kameraüberwachung hängt stark von der Art der betrachteten Gesetzesverstöße ab: Da sich das Instrument der Videoüberwachung auf die erwarteten Kosten kriminellen Verhaltens auswirkt, ist zu erwarten, dass es bei der Bekämpfung von geplantem oder vorsätzlichem kriminellen Verhalten wie etwa Eigentumsdelikten effektiver ist als bei der Prävention von emotional bedingten spontanen Gewalttaten. Dies bedeutet, dass CCTV-Überwachung bei der Verhinderung von Eigentumsdelikten (z.B. Autodiebstahl) zwar relativ erfolgreich ist, die Ergebnisse im Zusammenhang mit personenbezogenen Verbrechen (z.B. Körperverletzung) dagegen widersprüchlich sind. So erklärt sich möglicherweise, warum die Überwachung in Parkhäusern wesentlich besser zu funktionieren scheint als auf öffentlichen Plätzen.
  • Der lokale Kontext, in dem ein CCTV-System betrieben wird, ist entscheidend für seinen erfolgreichen Einsatz. Während die Kriminalität in kleinen und/oder begrenzten Bereichen mit wenigen kontrollierten Zugängen (z.B Parkhäuser) zumindest in gewissem Maße eingedämmt werden kann, gibt es kaum fundierte Hinweise auf ähnliche Erfolge für stark frequentierte öffentliche Räume mit offenem Zugang (z.B.Stadtzentren).

Interessanterweise sind jedoch die stark frequentierten öffentlichen Räume genau diejenigen, in denen sich der Einsatz von CCTV-Systemen derzeit am schnellsten ausbreitet. Studien über die Auswirkungen von Kameraüberwachung auf die Kriminalität in öffentlichen Verkehrsmitteln kommen zu widersprüchlichen Ergebnissen (wobei nur vier ältere Studien wissenschaftliche Kriterien erfüllen): Zwei der Untersuchungen zeigten einen wünschenswerten Effekt, eine fand keinerlei Veränderung und eine weitere fand gar ein Ansteigen krimineller Aktivitäten.

In den meisten Fällen, in denen CCTV-Systeme bislang eingesetzt werden, ist eine durch sie verursachte Verstärkung der Kriminalität zumindest unwahrscheinlich.

Verlagerung / Verschiebung der Kriminalität

Ausgegangen von dem Umstand, dass die Videoüberwachung ihr Ziel erreicht und eine disziplinierende Wirkung erzielt, so stellt sich dennoch die Frage, ob damit die Kriminalität und/oder das terroristische Verhalten eingedämmt werden kann. Ein bislang überwiegend diskutierter Nebeneffekt ist die mögliche räumliche Verschiebung, die sich durch die Videoüberwachung bestimmter Gebiete ergibt, während andere Zonen nicht überwacht werden.

Verschiebung der Kriminalität bzw. des abweichenden Verhaltens

Da die Videoüberwachung, ob in Deutschland oder anderen Ländern, noch nicht so lange existiert, konnten bisher auch noch keine Langzeitstudien gemacht werden bzw. Gewöhnungseffekte festgestellt werden. Fakt ist, dass die Kriminalitätsrate in England, aufgrund längerer Erfahrung mit dieser Technik (im Vergleich zu Deutschland), dort geringer ist, wo Kameras installiert sind. Jedoch kann hier allgemein nicht wirklich von einer Abnahme der Kriminalitätsrate gesprochen werden, da davon ausgegangen werden muss, dass die Kriminalität sich lediglich verlagert, auf Plätze oder Stadtteile, wo keine Überwachung stattfindet. Doch häufig muss davon ausgegangen werden, dass die Verlagerung der Kriminalität an sich schon Ziel des Einsatzes von Kameras ist. Gras (2002) schätzt die Wirkung der Kameras innerhalb eines überwachten Gebietes so ein, dass die potentiellen Straftäter, sobald sie davon erfahren, ihr Geschäft irgendwo anders betreiben werden. Dementsprechend kann z.B. bei der Bahn schon von einem Erfolg durch den Einsatz der Kameras gesprochen werden, wenn sich die offene Drogenszene auf Gebiete außerhalb des Bahnhofes verlagert.

Verschiebung der terroristischen Aktivitäten

Kameraüberwachung soll terroristische Aktivitäten verhindern, indem für Terroristen Anreize geschaffen werden, zur Erreichung ihrer Ziele legale statt illegale Mittel einzusetzen. Doch Terroristen können auf zahlreiche andere Arten auf Videoüberwachung reagieren. Es kommt zu Substitutionseffekten, die nicht nur unbeabsichtigt, sondern auch unerwünscht sind. Bei der ökonomischen Analyse von Terrorismus ist die Substitution von Angriffszielen ein bekanntes Phänomen, das als Auswirkung der verschärften Sicherheitsmaßnahmen an Flughäfen belegt ist (Enders und Sandler 2006). Die Einführung von Metalldetektoren erwies sich insofern als erfolgreich, dass die Anzahl von Flugzeugentführungen deutlich abnahm (ebd.). Insgesamt wurden terroristische Aktivitäten in der Folge jedoch nicht weniger. Als Folge der veränderten relativen Kosten wurde vielmehr eine Verlagerung terroristischer Anschläge auf andere Transportmittel sowie auf Geiselnahmen beobachtet. Durch Kameraüberwachung hervorgerufene, belegte Substitutionseffekte im Bereich des Terrorismus sind jedoch nicht bekannt.

Literatur

  • Armitage, Rachel, Smyth, Graham und Ken Pease (1999). Burnley CCTV Evaluation. In: Painter, Kate und Nick Tilley (Hrsg.), Surveillance of Public Space: CCTV, Street Lighting and Crime Prevention. Crime Prevention Studies, Vol. 10. New York, NY:Criminal Justice Press.
  • British Broadcasting Corporation (2005a). London Attacks: In-Depth Report. BBC News, U.K., 12. Juli. Verfügbar unter news.bbc.co.uk (Stand: August 2009).
  • Enders, Walter und Todd Sandler (2006). The Political Economy of Terrorism. Cambridge, UK: Cambridge University Press.
  • Gill, Martin und Angela Spriggs (2005). Assessing the Impact of CCTV. Home Office Research Study Nr. 292. London, UK: Home Office, HMSO.
  • Goffman, Erving (1971): Verhalten in sozialen Situationen: Strukturen und Regeln der Interaktion im öffentlichen Raum. Gütersloh: Bertelsmann.
  • Gras, Marianne(2003): Kriminalprävention durch Videoüberwachung, 1. Auflage, Nomos Verlag
  • Ratcliffe, Jerry H. (2006). Video Surveillance of Public Places. Problem-Oriented Guides for Police Response Guides Series Nr. 4. Washington, D.C.: Office of Community Oriented Policing Services (COPS Office), U.S. Department of Justice.
  • Wehrheim, Jan (2002): Die überwachte Stadt: Sicherheit, Segregation und Ausgrenzung. Opladen: Leske + Budrich.
  • Westin, Alan F. (1967): Privacy and freedom. New York: Atheneum.
  • Welsh, Brandon C. und David P. Farrington (2003). Effects of Closed-Circuit Television on Crime. The ANNALS of the American Academy of Political and Social Science 587(1): 110-35.

Weblinks

  • Intelligence and Security Committee (2006). Report into the London Terrorist Attacks on 7 July 2005. [[1]]
  • O´neill, Brendan (2006): Watching you, watching me. [[2]]
  • Stutzer, Alois und Zehnder, Michael (September 2009): Ökonomische Überlegungen zur Kameraüberwachung als Maßnahme gegen den Terrorismus.[[3]]