Intimizid

Aus Krimpedia – das Kriminologie-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Intimizid bezeichnet die Tötung des Intimpartners. Der Intimizid kommt im Verhältnis zu bestehenden und gescheiterten Beziehungen relativ selten vor. Die überwiegende Zahl der Intimizide erfolgt in bestehenden Partnerschaften, in denen die Partner nicht verheiratet sind. Die meisten Täter sind Männer. Sie töten in der Regel, weil ihre Partnerin sie verlassen will, Frauen hingegen töten ihre Partner, weil sie sich von ihnen befreien wollen. Es konnte ein Zusammenhang zwischen Intimpartnertötungen und problematischen Beziehungsmustern nachgewiesen werden. In juristischer Hinsicht wird aufgrund des Näheverhältnisses das Notwehrrecht der Intimpartner eingeschränkt.


Begriff

Das Wort „Intimizid“ leitet sich aus dem Lateinischen „Intimus“ = Vertauter und „zid“ ab. Das Suffix „zid“ ist abgeleitet aus dem Partizip Perfekt „cecidi“ des lateinischen Verbs caedere (niederschlagen, töten). Als „Intimpartner“ wird der Sexualpartner verstanden, unabhängig von der Dauer und Art der intimen Beziehung. Voraussetzung für die Bezeichnung eines Partners als Intimpartner ist die einvernehmliche, freiwillige Entscheidung beider Geschlechtspartner, eine intime Beziehung einzugehen.

Statistik

Eine Statistik über Intimizid ist schwer möglich, da die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) eine Täter-Opfer-Beziehung kaum berücksichtigt. Nachgewiesen wurde jedoch, dass in lediglich 20 % der Tötungsfälle sich Täter und Opfer fremd sind. Eine jährliche Opferrate von Intimiziden wurde in Kanada ermittelt: Danach gab es im Jahr 2004 eine Opferrate von 10 Ehefrauen und drei Ehemännern auf eine Million Ehepaare. Zu berücksichtigen ist hierbei jedoch, dass lediglich Eheleute untersucht wurden. Selten werden andere Formen der Partnerschaft, wie sie auch heute aus der modernen Lebensführung hervorgehen, von Statistiken erfasst.

Forschungsstand

Erstmalig hat sich 1964 Rasch mit dem Phänomen in seiner richtungsweisenden Arbeit: Tötung des Intimpartners wissenschaftlich auseinandergesetzt. Nach ihm wird die Tat nicht als Summe der Kräfte einzelner, individueller, situativer und interpersonalen Faktoren betrachtet, sondern es werden die einzelnen Merkmale als Teile einer dynamischen Gesamtentwicklung gesehen, welche sich zu einer Gesamtgestalt komplettiert. In der Verfassung der "homicidalen Tatbereitschaft" steht weniger die Aggression und Aggressivität gegen einen anderen im Vordergrund, als vielmehr die Suche nach einer Lösung um jeden Preis in einem Stadium der Ausweglosigkeit, Verzweiflung und Angst [1] .

Simons hat 1988 in seiner Studie den Zustand der "homicidalen Tatbereitschaft" von einem handlungstheoretischen [2] Standpunkt abgeleitet. Auch nach ihm haben die emotionalen Prozesse keine kausale, sondern eine intervenierende Wirkung, die den Problemlöseprozess ständig beeinflussen. Der entstandene extreme Handlungsdruck, welcher durch eine hohe emotionale Belastung bei geringerer Kompetenz gekennzeichnet ist, führt zu einer "Terminierungsreaktion" (Kurzschlussreaktion), durch die das unerträglich gewordene Problem nicht gelöst, sondern negiert und einfach beseitigt wird.

Burgheim griff 1994 die Befunde Raschs auf und setzte das von Simons postulierte Modell in einer empirischen [3] Untersuchung um. Er kam zu dem Ergebnis, dass der Konflikttäter bezüglich seines sozialen Profils eine Affinität zu einer kriminellen Subkultur aufweist.

Marneros hat 2008 die derzeit letzte größere Studie über Intimizid durchgeführt. In seiner Untersuchung hat er Typen und Korrelate von Intimizid neu definiert.

Kategorisierung (Marneros)

Marneros hat folgende Kategorien erstellt:

A. Intimizid in etablierten Partnerschaften

A.1. Intimizid aus Erschütterung der Selbstdefinition des Täters

A.2. Intimizid im Rahmen von psychotischen Störungen und psychoseähnlichen Zuständen

A.3. Intimizid als Hinderniselimination und Profitakquisition

B. Intimizid in (noch) nicht etablierten, ephemeren oder sporadischen intimen Beziehungen

B.1. Intimizid aus sexuell-dynamischen Konstellationen

B.2. Intimizid aus nicht sexuell-dynamischen Konstellationen

C. Eher akzidenteller Intimizid im Alkohol-, Drogen- und depraviert-dissozialen Millieu bzw. durch Intelligenzgeminderte.

Statistisches Profil von Intimizidtätern (Marneros)

Meistens sind Männer die Täter (84%) und Frauen Opfer (16%). Die Mehrzahl der Intimizide erfolgt in etablierten Partnerschaften (69%) in Form der "Erschütterung der Selbstdefinition des Täters" (fast 58 %). Psychotische Störungen [4] und quasi-psychotische Störungen spielen mit 10% eher eine untergeordnete Rolle. Intimizide in (noch) nicht etablierten oder ephemeren oder sporadisch intimen Beziehungen sind mit 7,5% ebenfalls nur von marginaler Bedeutung und geschehen überwiegend in dieser Kategorie aus sexuell-dynamischen Konstellationen. Verhältnismäßig häufig hingegen ist der eher akzidentelle Intimizid im Alkohol-, Drogen- und depraviert-dissozialen Millieu bzw. durch Intelligenzgeminderte [5] mit 20%. Die Täter sind durchschnittlich über 30 Jahre alt (77%), während die Mehrzahl der Nicht-Intimizidtäter jünger als 30 ist (62%). Intimizidtäter haben signifikant seltener Gewalt in der Familie als Konfliktlösungsmethode kennen gelernt als Nicht-Intimizidtäter (27,5 versus 44,8%). Hinsichtlich des Familienstatus des Täters gibt es auch signifikante [6] Unterschiede zu den Tätern, deren Opfer kein Intimpartner war: Fast zwei Drittel der Täter der Intimizidgruppe waren zum Tatzeitpunkt nicht verheiratet.

Unterschiede in den Tötungshandlungen und -motiven zwischen Frauen und Männern

Studien haben signifikante Unterschiede zwischen den Beziehungstätern und -täterinnen festgestellt. Die Täterinnen erklärten seltener als die Täter, dass sie an der Beziehung festhalten wollten, räumten häufiger eine Tötungsabsicht ein, führten seltener die Tat alleine aus, trafen häufiger Vorbereitungen durch Bewaffnung oder Engagements eines Mittäters, benutzten häufiger eine Waffe und waren seltener alkoholisiert. Statistische [7] Auswertungen über die Absicht, an der Beziehung festhalten zu wollen, zeigen auf, dass die von Frauen ausgeführte Tat in der Regel ein Akt der Trennung (im Sinne von "frei sein wollen") darstellt, hingegen die von Männern ausgeführte Tat als Akt der Gefügigmachung eines Opfers, das der Mann paradoxerweise gerade nicht verlieren will (im Sinne von: "Wenn ich dich nicht haben kann, dann auch niemand anderes") zu verstehen ist. Der durch Männer begangene Intimizid ist demnach in der Regel geprägt von Besitzanspruch, Machtausübung und Kontrolle. In den Fällen des Intimizids tötet statistisch die Frau folglich den Mann, den sie gerne verlassen würde (aber nicht kann) und der Mann tötet die Frau, die ihn verlassen will (und es kann). Die Trennungspaare mit dem geringsten Risiko von ihrem Partner/Partnerin getötet zu werden, sind demnach solche, bei denen der Mann die Trennung vollzieht.

Zusammenhang zwischen Intimpartnertötungen und problematischen Beziehungsmustern

Studien innerhalb der Bindungs- und Traumaforschung haben bestätigt, dass die in den Gewaltdelikten zum Ausdruck kommenden Beziehungsqualitäten lebensgeschichtliche Vorläufer haben, deren traumatischer [8] Gehalt sich in unsicheren Bindungsstilen äußert und mit spezifischen interpersonalen Problemen einhergeht. Oftmals findet eine Reinszenierung früherer traumatischer Situationen durch entsprechende Partnerwahl statt. Bindungstheoretisch [9] lässt sich der Gewalttransfer in die nächste Generation durch eine Wiederholung negativer Erfahrung in der Kindheit erklären.

Rechtliche Wertung von Tötungsdelikten

Unterschiedliche Verurteilung bei Männern und Frauen

Ein Drittel der Frauen, jedoch nur jeder 10. Mann wurde zu einer Freiheitsstrafe [10] von weniger als 2 Jahren verurteilt, zwei Drittel der Frauen erhielten Strafen unter 5 Jahren, während fast 60 % der Männer zu Freiheitsstrafen von über 5 Jahren verurteilt wurden. Es fällt auf, dass deutlich weniger Frauen verurteilt werden und dass sie durchschnittlich geringere Strafen erhalten. Daraus wird oft der Schluss gezogen, Frauen würden gegenüber Männern bevorzugt. Diese These konnte sich jedoch nicht behaupten, denn es muss berücksichtigt werden, dass die Männer durchschnittlich häufiger und schwerer vorbestraft [11] bzw. strafrechtlich einschlägig in Erscheinung getreten waren (zu 84%) als die weiblichen Täter (lediglich zu 39,9%), was sich strafschärfend auf das Strafmaß [12] auswirkt.

Fast die Hälfte der Delikte wird von den Männern "mit bloßen Händen" begangen; im Gegensatz zu Frauen, die in 4 von 5 Fällen eine Waffe benutzen. Einerseits ist die Waffenbenutzung durch weibliche Täter als Kompensation des physischen Kräfteungleichgewichts nachvollziehbar. Andererseits erhöht der Griff zur Waffe für die Frau das Risiko, dass das Gericht daraus einen Tötungswillen seitens der Täterin ableitet. Auch befindet sich der von einer Frau getötete Partner oft in einem Zustand der Wehrlosigkeit (Trunkenheit, Schlaf), so dass hier das entsprechende Mordmerkmal [13] der Heimtücke [14] angenommen werden kann, wodurch die Tötung als Mord [15] klassifiziert wird und zu einem höheren Strafmaß führt.

Rechtfertigende Notwehr (32 StGB) bei Tötung des Intimpartners

Die Rechtfertigung der Tötungshandlung unter Ehe-/Lebenspartnern wird kontrovers diskutiert.

Einschränkung des Notwehrrechts bei engen persönlichen Beziehungen

Seit den grundlegenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofes (BGH) [16] in den Jahren 1969, 1975 und 1984 stellt die (insb. ältere) Rechtsprechung [17] bei tätlichen Auseinandersetzungen zwischen „Personen mit engen persönlichen Beziehungen“ erhöhte Anforderungen an die Abwehr. Das bedeutet, dass sich der Angegriffene mit einer milderen Art der Abwehr begnügen muss, auch wenn diese den Angriff nicht sicher, sondern nur mit starker Wahrscheinlichkeit beenden würde. Auch in neueren Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof an dieser Rechtsprechung im Wesentlichen festgehalten (obgleich er sich teilweise zunehmend sehr zurückhaltend hinsichtlich der Einschränkung äußert). Er begründet diese Einschränkung damit, dass sich ein uneingeschränktes Notwehrrecht [18] nicht mit den Grundsätzen der ehelichen Gemeinschaft („an sich nicht feindlich Gesinnte desselben Lebenskreises“) vereinbaren lasse. Auch falle die Unberechenbarkeit des Angreifers weg, da unter Ehegatten/Partnern Auseinandersetzungen eher „nach gewohntem Muster“ erfolgen. Diese Ansicht vertritt auch ein Teil des Schrifttums [19].

Kritik

Die Gegenansicht lehnt eine Einschränkung des Notwehrrechts ab und argumentiert dahingehend, dass ein soziales Näheverhältnis nicht schon per se eine Einschränkung des Notwehrrechts begründen kann, insbesondere dann nicht, wenn die Verteidigung gegen solche Angriffe gerichtet ist, die sich gerade gegen dieses Näheverhältnis richten oder es bewusst ausnutzen.

Schuldausschließender Affekt und verminderte Schuldfähigkeit bei Intimpartnertötungen (§§ 20, 21 StGB)

Der Affekt [20] spielt bei der Tötung des Intimpartners häufig eine große Rolle, da diese Tötung in der Regel in einer affektiven Erregung geschieht. Juristisch findet der Affekt jedoch nur dann Berücksichtigung, wenn die Voraussetzungen der §§ 20 [21], 21 [22] StGB erfüllt sind. Danach muss der Affektzustand von einer solchen Intensität sein, die in ihrer Auswirkung auf die Einsichts- [23] und Steuerungsfähigkeit [24] den krankhaften seelischen Störungen gleichwertig ist. Das ist nach dem Bundesgerichtshof dann gegeben, wenn der Kern der Persönlichkeit im Sinn eines Zerfalls der Ordnungsstrukturen des Denkablaufs und des Willensbildungsprozesses betroffen ist. Dies ist in ganz seltenen, besonders gelagerten Ausnahmefällen gegeben. Die Rechtsprechung verneint jedoch bei sehr starker affektiver Erregung das Mordmerkmal "Heimtücke" und somit die Annahme eines Mordes.

Literatur

  • BGH in NJW 1969, S. 802.
  • BGH in NJW 1975, S. 62.
  • BGH in NJW 1984, S. 986.
  • BGH in NStZ-RR 2002, S. 204.
  • Burgheim, Joachim: Tötungsdelikte bei Partnertrennungen. Ergebnisse einer vergleichenden Studie. In: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 1994, S. 216 - 231.
  • Entscheidung des Bundesgerichtshof in Strafsachen (BGHSt) Bd. 6, S. 120 und 329.
  • Lamott, Franziska/Pfäfflin, Friedemann/Ross, Thomas/Sammet, Natalie/Weber, Mechthild/Frevert, Gabriele: Trauma, Beziehung, Tat. Bindungstheoretische Rekonstruktion interpersonaler Beziehungserfahrungen von Frauen, die getötet haben. In: Monatschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 1998, S. 235-245.
  • Marneros, Andreas: Intimizid. Die Tötung des Intimpartners. Ursachen, Tatsituationen und forensische Beurteilung, Stuttgart 2008.
  • Rasch, Wilfried: Tötung des Intimpartners. Stuttgart 1964.
  • Rasch, Wilfried: Tötungsdelikte, - nicht fahrlässige. Forensisch - Psychiatrischer Beitrag in Sieverts, Rudolf; Hans - Joachim Schneider (Hrsg.): Handwörterbuch der Kriminologie, Band 3, 2. Aufl. Berlin 1975, S. 353-398.
  • Serran, Geris/Firestone, Philip: Intimate partner homicide: A review of the male proprietariness and the self-defensetheories. Aggression and Violant Behavior 2004, 9:1-15.
  • Simons, Dietrich: Tötungsdelikte als Folge misslungener Problemlösungen. Stuttgart 1988.
  • Steck, Peter/Matthes, Barbara/Wenger de Chavez, Claudia/Sauter, Kerstin: Tödlich endende Partnerkonflikte. In: Monatschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 1997, S. 404-417.
  • Steck, Peter/Möhle, Britta/Sautner, Alexandra/Schmidt, Ursula: Partnertötung durch Frauen. In: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 2002, S. 341-348.
  • Zieschang, Frank: Jura 03, S. 527 ff.

Weblinks

http://dejure.org/gesetze/StGB/20.html

http://dejure.org/gesetze/StGB/21.html