Polizeiliche Kriminalstatistik

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Eine regelmäßige Datensammlung unter der Bezeichnung Polizeiliche Kriminalstatistik gibt es in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland. Dieser Beitrag bezieht sich auf die Situation in Deutschland.

Die seit 1953 jährlich vom Bundeskriminalamt herausgegebene Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) ist in Deutschland die bekannteste und am häufigsten verwendete Kriminalstatistik. In ihr registrieren die Kriminalpolizeien des Bundes und der Länder die von ihnen bearbeiteten Straftaten (und der Art der Tatbegehung), aber auch Informationen zu Tatverdächtigen und Opfern.

Geschichte

Die deutschen Polizeien begannen mit der Führung eigener Kriminalstatistiken in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg. Zunächst gab es jedoch keine national einheitlichen Regelungen. Änderungen deuteten sich an, als im Jahre 1928, zur Zeit der Weimarer Republik, durch den „Ausschuss XI“ (Kriminalstatistik) der damaligen Deutschen Kriminal-polizeilichen Kommission, die sich aus Vertretern der Polizeibehörden von Städten und Ländern zusammensetzte, eine Empfehlung für eine Polizeiliche Kriminalstatistik auf Reichsebene abgegeben wurde. Zur Umsetzung dieser Empfehlung kam es allerdings erst zum 01.01.1936 während der Nationalsozialistischen Diktatur nach Runderlasses des damaligen „Reichs- und Preußischen Ministers des Innern“, Dr. Wilhelm Frick (NSDAP).

Nach Ende des 2.Weltkrieges und der Ablösung des Regimes begannen die alliierten Besatzungsmächte in ihren jeweiligen Beasatzungszonen bereits ab dem Jahre 1946 wieder mit der Führung kriminalpolizeilicher Statistiken. Allerdings unterschieden sich diese inhaltlich untereinander immens, so dass eine Zusammenführung zu einer einzigen nationalen Kriminalstatistik nicht möglich war.

Mit der Gründung der BRD im Jahre 1949 und der Verkündung des Grundgesetzes wurde die Polizei Ländersache. Aus Art. 73GG ergab sich lediglich die Legitimation der Zusammenarbeit der Länder in Kriminalsachen und damit die Möglichkeit der Einführung eines Bundeskriminalamtes. Zu diesem Zweck wurde 1950 eine Arbeitsgemeinschaft der Leiter der zentralen Kriminalbehörden der Länder („AG Kripo“) gegründet. Im Rahmen einer Tagung am 06.-07.03.1951 beauftragte die AG Kripo eine Unterkommission, bestehend aus den Vertretern der Landeskriminalämter der jeweiligen Besatzungszonen, mit der Ausarbeitung eines Konzepts für eine bundeseinheitliche Polizeiliche Kriminalstatistik. Die AG Kripo wurde kurz darauf, nachdem am 15.03.1951 das „Gesetz über die Einrichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes“ (BKAG) beschlossen wurde, dem BKA angegliedert. Bei einer weiteren Arbeitstagung am 24.07.1952 wurde die PKS nach Ausarbeitung des Konzepts für das Jahr 1953 zunächst probeweise beschlossen, ehe sie zum 01.01.1954 dann endgültig eingeführt wurde. Als Gründungsjahr gilt das Jahr 1953, da es das erste Berichtsjahr ist.

Entwicklung

Im ersten Berichtsjahr gliederte die PKS sämtliche polizeilich registrierte Straftaten in 35 dafür vorgesehene Deliktskategorien ein. Dazu erfasste sie die Tatverdächtigen (TV) und unterschied zwischen Jugendlichen und Erwachsenen, Geschlecht, Wohnsitz, Staatsangehörigkeit, sowie ggf. deren Status als reisender Täter (sog. Landfahrer/Vagabund) und ob des Einsatzes von Schusswaffen. Darüber hinaus enthielt sie Angaben zum Tatort, indem sie nach Gemeindegrößen unterschied.

Nach Inkrafttreten des Jugendgerichtsgesetzes am 01.10.1953 wurde die PKS angepasst und differenzierte bereits seit 1954 zwischen Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden.

In den ersten Jahren übermittelten die einzelnen Bundesländer dem BKA die PKS-Daten zu unterschiedlichen Zeitpunkten, was die Aktualität zum Zeitpunkt der Zusammenführung relativierte. Dies änderte sich mit der Einführung bundeseinheitlicher „Richtlinien für die Führung der polizeilichen Kriminalstatistik“ (PKS-Richtlinien) im Jahre 1957, in denen seither die Übermittlungsfristen der PKS der Länder an das BKA geregelt sind.

Nennenswerte inhaltliche Änderungen der PKS erfolgten zum einen ab dem 01.01.1959, als die Staatsschutzdelikte herausgegliedert und eigenständig geführt wurden, sowie zum 01.01.1963, als man gleich mit den Verkehrsdelikten verfuhr. Die Ausgliederung der Verkehrsdelikte senkte das Fallaufkommen insgesamt zunächst um ca. 20%.

Bis 1970 galten keine einheitlichen Regelungen bezüglich der Abgabeform und des Erfassungszeitpunkts. Beides wurde erst mit einer grundlegenden Reform der PKS-Richtlinien 1971 durch die AG Kripo festgelegt. Seit der Reform wird die PKS als eine einheitliche Ausgangsstatistik geführt – das Delikt erst zum Zeitpunkt der Abgabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft erfasst. Im Zuge der Reform wurde zudem auf die „Elektronische Datenverarbeitung“ (EDV) als Form der Datenübermittlung umgestellt. Diese Umstellung ermöglichte durch die Einführung eines vierstelligen Zahlenschlüssels eine stärkere strafrechtliche und kriminologische Differenzierung einzelner Erfassungskriterien. Zu Tat (z.B. Tatzeit) und TV (z.B. Drogeneinfluss) wurden die Daten erweitert, zu anderen Gruppen (z.B. Opfer) erstmalig erfasst. Bis heute erfährt die PKS durch die Möglichkeiten der EDV stetig weitere Differenzierungen. Strafrechtliche Verstöße gegen die Landesgesetze sollten seither jedoch nicht mehr erfasst werden.

Durch erneute Reformen trat zum 01.01.1984 die sog. „Echttäterzählung“ in Kraft. Zuvor war der zu jeder Tat registrierte TV einfach gezählt worden, was zur Folge hatte, dass die Tatverdächtigenzahl in Anbetracht von Wiederholungstätern höher war als die Zahl der tatsächlich tatverdächtigen Individuen. Mit der „Echttäterzählung“ wurde jeder Täter pro Berichtsjahr und Bundesland nur noch einmal erfasst. Damit sollte die Tatverdächtigenstruktur entzerrt werden.

Im Zuge der Zusammenführung der neuen und alten Bundesländer nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahre 1990 kam es zu Anlaufschwierigkeiten bei der Bildung einer einheitlichen PKS, die umfangreichen personellen Veränderungen auf den Dienststellen der neuen Bundesländer geschuldet waren. Aus diesem Grund konnte erst ab 1993 eine vergleichbare statistische Kriminalitätserfassung erfolgen.

Zum 01.01.2008 wurde der bis dato vierstellige Deliktsschlüssel als Erfordernis weiterer Differenzierungsmöglichkeiten auf sechs Stellen erweitert. Waren es im Jahr 1953 lediglich 35, wies die PKS 2008 bereits 428 Deliktskategorien auf.

Inhalt

Die PKS beinhaltet die absolute Zahl aller von den Kriminalpolizeien des Bundes- und der Länder bearbeiteten Verbrechen und Vergehen einschließlich der strafbaren Versuche, ausgenommen der

  • Staatsschutzdelikte
  • Verkehrsdelikte (Ausnahme: §§315, 315b StGB und §22a StVG)
  • Delikte die im Ausland begangen wurden
  • Verstöße gegen strafrechtliche Landesgesetze (Ausnahme: Datenschutzgesetze der Länder)

und differenziert hinsichtlich Tatart und Aufklärungsergebnis.

Darüber hinaus enthält die PKS differenzierte Daten zu den Tatverdächtigen, Opfern und deren Beziehung, zu Tatort und Tatzeit, zum entstandenen Schaden und der Art der Begehung (sog. Modus operandi). Aus ihr ergeben sich die Kriminalitätsquotienten - die aus absoluten Zahlen zur vergleichenden Beurteilung der Kriminalität errechneten Werte. Dies sind die Aufklärungsquote (AQ), die Tatverdächtigenbelastungszahl (TVBZ), die Häufigkeitszahl (HZ), die Opfergefährdungszahl (OGZ) und die Steigerungsrate (SR).

Aussagekraft

PKS und Kriminalitätswirklichkeit

Das Zahlenmaterial der PKS unterliegt vorangegangenen Filterprozessen und kann deshalb nicht mit der Kriminalitätswirklichkeit korrespondieren. Der erste Filter-prozess ergibt sich bereits daraus, dass ein Teil der Kriminalität unentdeckt bleibt.

Ein Teil der wiederum entdeckten Kriminalität wird gar nicht oder bei anderen Behörden zur Anzeige gebracht. Der bei der Polizei registrierte Teil unterliegt dann vorgegebenen Erfassungsmodalitäten wie beispielsweise der strafrechtlichen Konkurrenzlehre. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ist die polizeiliche Selektionspraxis. Da die Polizei primär im öffentlichen Raum tätig ist, führt dies zwangsläufig zu vermehrten Registrierungen von Straßenkriminalität (vgl. Lüchow-Dannenberg-Syndrom) und zur Vernachlässigung anderer Kriminalitätsarten, z.B. Wirtschaftskriminalität. Außerdem ist die PKS für die Polizei ein Nachweis für Arbeitsquantität und –qualität, so dass aus ihrem Bewertungsspielraum (20 beschädigte Strandkörbe können eine Tat(serie) oder 20 Einzelfälle sein; vgl.Rügemer) eine Erhöhung der Aufklärungsquote resultieren wird.

Weitere Verzerrungen können sich aus demographischen Aspekten ergeben. Die Anzahl der ausländischen TV an der Gesamtzahl muss relativiert werden, da bestimmte Straftaten nach dem Aufenthaltsgesetz und Asylrecht ausschließlich von Ausländern begangen werden können. Auch kann vermutet werden, dass ein Teil der TV in der BRD nicht registriert ist und sich daraus ungenaue Kriminalitätsquotienten ergeben.

Die PKS enthält keine Angaben über nachgewiesene Täterschaften. Vergleiche mit der Staatsanwaltschaftsstatistik und der Strafvollzugsstatistik belegen, dass es in weit weniger als der Hälfte der in der PKS registrierten Fälle überhaupt, aus Mangel an Beweisen o. ä. Gründen, zu einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft kommt. In noch weniger Fällen kommt es zu einer Verurteilung vor Gericht. Eine Relativierung der Datenaktualität kann sich, gerade bei langwierigen Verfahren, aus dem Erfassungszeitpunkt ergeben.

Die PKS bildet insgesamt somit nur das sog. Hellfeld der durch die Polizei selektierten Delikte ab. Dunkelfeldforschungen ergaben, dass (Variationen zwischen den einzelnen Deliktgruppen vorbehalten) die nicht registrierte Kriminalität – als Faustformel – für die Gesamtheit aller Straftaten als zwei Mal höher angenommen werden kann.(vgl. Kerner) Demnach kann man von der PKS als ein Indiz für die Kriminalitätswirklichkeit sprechen.

PKS als Vergleichsstatistik

Die Zahlen der PKS lassen sich durch eine Längsschnittuntersuchung vergleichen und damit Rückschlüsse auf Entwicklungen von Kriminalität, Täter- und Opferstrukturen etc. zu. Insbesondere bei Delikten, für die ein vergleichsweise kleines Dunkelfeld angenommen werden kann (Straftaten, die persönliche Schutzgüter erheblich verletzen, das soziale Miteinander stören oder sich gegen die Staatsgewalt richten), lassen sich Tendenzen erkennen.

Die Vergleichsmöglichkeiten können jedoch durch Gesetzesänderungen, bei Schaffung neuer Straftatbestände(z.B. als zum 01.01.1975 der Versuch der Gefährliche Körperverletzung unter Strafe gestellt wurde und daraufhin die Zahlen sprunghaft stiegen) oder deren Abschaffung (Legalisierung der Prostitution) eingeschränkt werden. Außerdem können Änderungen der Erfassungsmodalitäten die Vergleichbarkeit reduzieren.

Ein Vergleich mit anderen Kriminalstatistiken ist grundsätzlich schwierig, da die Erfassungszeiträume nicht übereinstimmen und die Erfassungsgrundsätze, sowie die Sachverhaltsbewertungen divergieren.

Verwendung

Auf Städte- und Kommunalebene wird die PKS als Planungs- und Kontrollinstrument für präventive (z.B. städtebauliche) und repressive (Schwerpunktbildung bei Polizei) Maßnahmen genutzt. Auf politischer Ebene wird sie als Bilanz der Sicherheitspolitik und als Reforminstrument herangezogen. Auf Bundesebene wird die PKS jährlich im Mai durch den Bundesinnenminister veröffentlicht. Kritisch betrachtet scheint die Art Darstellung dabei eine wichtige Prämisse zu sein, da sich aus ihr politische Erfolge ableiten lassen. So werden Zahlen aus dem Kontext heraus präsentiert und ohne entsprechende wissenschaftliche Belege in erforderlicher Weise in Bezug zu sicherheitspolitischen Maßnahmen gesetzt. Die Darstellung der PKS nimmt auf die Kriminalitätsberichterstattung der Medien Einfluss, da sie ihr durch Archivierung einen Bezugsrahmen von gewisser Dauer liefert. Unter diesem Aspekt kann der PKS hinsichtlich des Einflusses medialer Berichterstattung auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung und deren Bild von einer Kriminalitätswirklichkeit eine hohe Bedeutung zugeschrieben werden.(Vgl.Reuband)

Weiterführende Literatur

  • BKA [2009]: Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland. Berichtsjahr 2008. Wiesbaden.
  • Kerner, Hans-Jürgen [1993]: Kriminalstatistik. In: Kaiser, Kerner, Sack, Schellhoss [Hrsg.]: Kleines Kriminologisches Wörterbuch; 3.Auflage.
  • Rügemer, Werner [1999]:Polizeiliche Kriminalstatistik. Das verzerrte Bild. In: dp-special. Nr.6 zur Ausgabe Deutsche Polizei. 5/99. Fachzeitschrift und Organ der GdP. Hilden.
  • Reuband, Karl-Heinz [2004]: Kriminalitätsentwicklung und Medienwirklichkeit. Wie die Kriminalitätslage durch die PKS, Politiker und Medien konstruiert wird. In: Walter, Michael/Kania, Harald/Albrecht, Hans-Jörg [Hrsg.]: Alltagsvorstellungen von Kriminalität. Individuelle und gesellschaftliche Bedeutung der Kriminalitätsbilder für die Lebensgestaltung. Münster/Hamburg.
  • Schwindt, Hans-Dieter [2008]: Kriminologie, eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen. Kriminalität im Hell- und Dunkelfeld. 18., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Heidelberg.
  • Kerner, Hans-Jürgen [1981]: Kriminalstatistiken. In: Schneider, Hans-Joachim [Hrsg.]: Die Psychologie des 20.Jahrhunderts. Band XIV: Auswirkungen auf die Kriminologie. Zürich.
  • Dörmann, Uwe [2004]: Zahlen sprechen nicht für sich. Aufsätze zu Kriminalstatistik, Dunkelfeld und Sicherheitsgefühl aus drei Jahrzehnten. Chronologische Übersicht zur PKS des Bundes. München.
  • Kerner, Hans-Jürgen [1973]: Verbrechenswirklichkeit und Strafverfolgung. Erwägungen zum Aussagewert der Kriminalstatistik. München.


Weblinks

  • Polizeiliche Kriminalstatistik (Deutschland) in: de.wikipedia [[1]]
  • Uniform Crime Reports (US-Pendant zur PKS) in: en.wikipedia [[2]]
  • Die Legitimation der PKS ergibt sich aus §2,Abs.6 Nr.2 BKAG: [3]
  • Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) findet sich auf den Internetseiten des BKA unter: [4]