Inobhutnahme

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Die Inobhutnahme ist eine gesetzlich geregelte sozialpädagogische Krisenintervention und Schutzgewährung durch die Kinder- und Jugendhilfe, welche eine hoheitliche Aufgabe des Jugendamtes darstellt. Die Minderjährigen werden vorläufig in einer geeigneten Einrichtung oder bei einer geeigneten Person untergebracht. Diese ermöglicht eine vorläufige Intervention in Eil- und Notfällen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen, welche sich in einer akuten Krise oder dringenden Gefahr befinden. Die Inobhutnahme dient der Gefahrenabwendung, Krisenintervention, Beratung, weiteren Klärung und Vermittlung mit eventuell weitergehenden Hilfsangeboten durch das Jugendamt. (Zentrum Bayern Familie und Soziales 2014)


Etymologie

Das Wort In|ob|hut|nahme hat den Wortstamm Ob|hut [´ɔphu:t], welcher fürsorglicher Schutz oder schützende Aufsicht bedeutet. Bei der Teilung des Wortes in Ob [´ɔp] und Hut [hu:t] wird deutlich, dass Ob als vorfolgender Konsonant dient um Hut zu definieren. Hut entspricht dem westgermanischen Substantiv (Mittelhochdeutsch) für Bewachung, Behütung, Fürsorge, aber auch Wächter, Nachhut, Hinterhalt. Es wurde abgeleitet aus dem Althochdeutschen huota, welches Vorsorge, Bewachung oder Behütung entspricht. „‘Obhut‘ bedeutet ein allgemeines Schutzverhältnis und ist daher traditionell gekoppelt an den Begriff ‚Für-Sorge‘.“ (Münder et al. 2013: 460).

Definition

Die Inobhutnahme gehört zu den sogenannten „anderen Aufgaben der Jugendhilfe“. Sobald das zuständige Jugendamt über die verschiedenen Zugangswege (Selbstmelder, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Meldungen aus der Bevölkerung, anderweitige Behörden ect.) über eine Gefährdungssituation informiert wurde, ist dieses verpflichtet, sich ein Bild der Situation zu machen und über weitere Maßnahmen zu entscheiden. Wenn es zu einer Inobhutnahme und somit einer Herausnahme des Minderjährigen aus seinem gewohnten Umfeld kommt, ist das Jugendamt verpflichtet die Personensorgeberechtigten umgehend zu informieren. (Neumann-Witt 2013: 63 f.) „Jeder kommunale Jugendhilfeträger muss einen Bereitschaftsdienst des Jugendamtes vorhalten, sodass über eine Inobhutnahme […] zu jeder Tages- und Nachtzeit entschieden werden kann.“ (Neumann-Witt 2013: 63).


Anlässe

Anlässe für eine Inobhutnahme sind vielfältig und individuell unterschiedlich. So sind die häufigsten Gründe nicht Misshandlung, Missbrauch oder Vernachlässigung, sondern voranging die Überforderung von Eltern bzw. Sorgeberechtigten in akuten Krisensituationen und ebenso massive Beziehungsprobleme zwischen Eltern und ihren Kindern. Eine Inobhutnahme ist dann legitimiert, wenn keinerlei andere Lösungsmöglichkeiten für die Krisen- oder Gefährdungssituation vorliegen. (Münder et al. 2013: 455 f.) Für das zuständige Jugendamt ist eine Inobhutnahme berechtigt und verpflichtend, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher um Obhut bittet oder eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhutnahme erfordert oder ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten. (vgl. § 42 SGB VIII)


Arten

Die Inobhutnahme umfasst die Befugnis, ein Kind oder einen Jugendlichen bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform vorläufig unterzubringen (vgl. § 42 SGB VIII). Folgende können solche Einrichtungen sein: Inobhutnahme-Einrichtungen freier Träger, Notdienste der öffentlichen Jugendhilfe, Plätze in stationären Jugendhilfeeinrichtungen oder Bereitschaftspflege (Neumann-Witt 2013: 65 ff.). Erforderlich ist die Unterbringung an einem sicheren und geeigneten Ort, „entscheidend ist die Abwendung der […] akut drohenden Kindeswohlgefährdung.“ (Münder et al. 2013: 456). Das Jugendamt ist während der Inobhutnahme berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder Jugendlichen notwendig sind; der mutmaßliche Wille der Personensorge- oder der Erziehungsberechtigten ist dabei angemessen zu berücksichtigen. (vgl. § 42 SGB VIII) Die Dauer einer Inobhutnahme ist nicht genauer definiert, sie sollte aber laut Fachliteratur ein paar Tage nicht übersteigen.


Rechtliche Grundlagen

Im Grundgesetz (GG) ist verankert, dass Erziehung und Schutz von Kindern den Eltern überlassen sind. Das ‚staatliche Wächteramt‘ nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG entspricht demnach nur einer wachenden Funktion und wird durch das Jugendamt und das Familiengericht repräsentiert. (Nahrwold 2011: 143 ff.). Die Inobhutnahme als vorläufige Maßnahme zum Schutz von Kindern und Jugendlichen basiert auf § 42 SGB VIII. Diese Maßnahmen wurden durch das 2005 erschienene Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz – KICK neu geordnet und im Wesentlichen so festgelegt, wie es heute der § 42 SGB VIII regelt.

Eine Inobhutnahme entspricht einem Eingriff in die Personensorge durch den Staat als Hoheitsbefugnis in Ausübung einer öffentlich-rechtliche Intervention, wenn die Eltern der Inobhutnahme nicht zustimmen (Münder et al. 2013: 455). Widersprechen die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten der Inobhutnahme, so hat das Jugendamt unverzüglich das Kind oder den Jugendlichen den Personensorge- oder Erziehungsberechtigten zu übergeben, sofern nach der Einschätzung des Jugendamts eine Gefährdung des Kindeswohls nicht besteht oder die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten bereit und in der Lage sind, die Gefährdung abzuwenden oder eine Entscheidung des Familiengerichts über die erforderlichen Maßnahmen zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen herbeizuführen (vgl. § 42 SGB VIII).

Die Art der Gefährdung, welche einer Inobhutnahme zu Grunde liegt, ist nach dem Maßstab des § 1666 BGB und des § 8a SGB VIII zu bewerten und entspricht nicht einer polizeilichen Gefahrenabwehr. (Münder et al. 2013: 458; Nahrwold 2011: 143)

Der § 42 SGB VIII entspricht einer reinen Krisenintervention und ist kein Teil der nach § 27 ff. SGB VIII geregelten Hilfen zur Erziehung. Dritte Personen oder Institutionen sind nicht befugt, sich auf den § 42 SGB VIII zu berufen. Nach § 8 des Jugendschutzgesetzes ist es jedoch der Polizei gestattet, „Minderjährige in Gewahrsam [zu] nehmen, allerdings nur, um sie den Eltern zuzuführen oder sie der Obhut des JA [Jugendamtes] zu übergeben“ (Münder et al. 2013: 456).


Psychologische Sichtweise

Eine Inobhutnahme von Kindern hat auch meistens eine Trennung zwischen Kind und Bezugsperson zur Folge. Hierbei sind gerade bindungstheoretische Aspekte zu berücksichtigen. Wie Bowlby (1987: 23) formulierte, wird Bindungsverhalten besonders während der frühen Kindheit und im Säuglingsalter deutlich. Besonders in den ersten drei Lebensjahren entwickelt sich ein Bindungsverhalten zu einem bestimmten Individuum. (Bowlby 1987: 24ff.; Brisch 2012: 126f.) Bei jeder Herausnahme von Kindern aus dem regulären Umfeld ist zu berücksichtigen, dass es Hinweise gibt, „[…] daß [es] eine starke kausale Beziehung zwischen den Erfahrungen eines Individuums mit seinen Eltern und seiner späteren Fähigkeit besteht, affektive Bindungen einzugehen; […]“ (Bowlby 1987: 26). Eine Inobhutnahme könnte daher ein Trauma auslösen. „Weil das traumatische Erlebnis so dramatisch, extrem, plötzlich und möglicherweise lebensbedrohend ist und so intensiv über die Sinne wahrgenommen wird, prägt es sich im Gedächtnis des Kindes ein.“ (Hordvik 1997: 39) Reaktionen auf ein solches Trauma können unterschiedlich sein, die unmittelbaren Reaktionen können als Schockzustand (Gefühl der Unwirklichkeit, Gefühllosigkeit, Verwirrtheit, Zittern, Frieren oder Übelkeit) verstanden werden. Auch längerfristig könnte es auf Grund der abrupten Trennung von der Familie zu bspw. Ängsten, Depressionen, Schlafstörungen oder Konzentrationsstörungen kommen. Das traumatische Erlebnis kann sich im Gedächtnis des Kindes einprägen und es ständig begleiten. (Hordvik 1997: 37 ff.) Bindungsstörungen haben gemein, „dass frühe Bedürfnisse nach Nähe und Schutz in Bedrohungssituationen und bei ängstlicher Aktivierung der Bindungsbedürfnisse in einem extremen Ausmaß nicht adäquat, unzureichend oder widersprüchlich beantwortet wurden. Dies kann insbesondere bei vielfältigen abrupten Trennungserfahrungen des Kindes durch Wechsel der Betreuungssysteme entstehen, wie etwa bei Kindern, die in Heimen aufwuchsen […]“ (Brisch 2012: 131). Zu beachten ist, dass dies ein Auszug aus einer Bindungstheorie darstellt und kein Anspruch auf Allgemeingültigkeit besteht.

Die Folgen einer Inobhutnahme können demnach weitreichender sein, als nur den Schutz vor einer unmittelbaren Gefahr. Diese Auswirkungen sollten bei jeder Inobhutnahme berücksichtigt werden und bei dauerhaften Unterbringungen (demzufolge auch Trennungen von der Bezugsperson) sollte auf eine Aufarbeitung dieses Traumas geachtet werden.


Empirie

Abbildung 10-18 Entwicklungen der vorläufigen Schutzmaßnahmen 1995-2011 in Deutschland aus dem 14. Kinder- und Jugendhilfebericht
Abbildung 10-17 Inobhutnahmen in Deutschland im Jahr 2011 nach Alter aus dem 14. Kinder- und Jugendhilfebericht

Nachdem 1995 bis 2000 ein Anstieg der Inobhutnahmen verzeichnet wurde (14,7 je 10 000 Minderjährige), gingen die Zahlen bis circa 2005/2006 leicht zurück, um danach stark anzusteigen: 18,3 im Jahr 2006 auf 28,6 im Jahr 2011 (BMFSFJ 2013). Zugenommen haben seit 2006 vor allem die Inobhutnahmen von Drei- bis Neunjährigen (Goldberg 2011: 46)(vgl. Abbildung 10-18). Bis 2002 erfolgten noch ein Drittel der Inobhutnahmen auf eigenen Wunsch, nun sank dieser Wert bis 2011 und es sind knapp 75 % der Inobhutnahmen auf Grund von Gefährdungsgrundlagen zu verzeichnen. „Der altersmäßige Schwerpunkt liegt bei den 14- bis unter 18-Jährigen (vgl. Abbildung 10-17).“ (BMFSFJ 2013: 353) Deutlich zu erkennen ist ein Anstieg der Dauer der Inobhutnahmen, waren 1995 noch 62 % der Unterbringungen unter einer Woche und lediglich 25 % über zwei Wochen, so waren es im Jahr 2011 bereits 50 % der Unterbringungen unter einer Woche und 38,6 % über zwei Wochen.

Starke Unterschiede sind im Vergleich der Bundesländer deutlich. Zum Beispiel waren es im Jahr 2011 in Bayern 13,9 und in Hamburg 69,6 Kinder und Jugendliche auf je 10 000 Minderjährige (Mecklenburg-Vorpommern: 47,9; Nordrhein-Westfalen: 34,8; Rheinland-Pfalz: 17,5; Berlin: 35,29). (BMFSFJ 2013) Es ist zu erkennen, dass es keine einheitliche Vorgehensweise bei den regionalen Jugendämtern gibt, es werden keine einheitlichen Standards angewandt (Münder et al. 2013: 455; Goldberg 2011: 44 f.).


Auswahl zweier Studien zur Inobhutnahme

Universität Osnabrück 2005 – 2010, Prof. M. Zitelmann: Sozialpädagogische Diagnostik in Einrichtungen der Inobhutnahme Bei dieser Studie handelte es sich um eine bundesweite Fragebogenerhebung im Jahr 2005, bei welcher sich 218 Einrichtungen mit insgesamt 1250 Inobhutnahme-Plätzen beteiligten. Diese Studie lieferte die ersten differenzierten empirischen Erkenntnisse zur Praxis der Inobhutnahme aus allen Bundesländern. Die Studie befasst sich mit der Ausgestaltung und Umsetzung von Inobhutnahmen in den Einrichtungen, mit den Folgen der Inobhutnahme und der Zusammenarbeit mit den Jugendämtern und Familiengerichten. (Zitelmann 2013)

Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung e.V. 2008, Jürgen Blandow, Christian Erzberger: Untersuchung der Inobhutnahmen gem. § 42 SGB VIII, gem. § 34 SGB VIII im Rahmen von befristeten Übergangsplätzen und gem. § 33 SGB VIII als Übergangspflege in der Stadtgemeinde Bremen In dieser Studie wurden Anlässe, familiäre Hintergründe und die Längen der Inobhutnahmen, Charakteristika von Inobhutnahmen, sowie qualitative Aussagen über Alternativen bei den Hilfen, Gründe der Unterbringung und Ansichten über Verbesserungen oder Modifikationen des Systems untersucht. Es wurden konkrete Fälle und übergeordnete Sichtweisen bearbeitet. Die Studie bezieht sich auf die Stadt Bremen mit einem Erhebungszeitraum von Oktober 2006 bis August 2007.


Kriminologische Relevanz

Die Kinder und Jugendhilfe scheint sich seit ungefähr 2005/2006 von der Dienstleistungsorientierung hin zu einer stärker intervenierenden und die Erziehung mehr kontrollierenden Instanz zu entwickeln. Im 14. Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ 2013: 355) ist die Rede von einem „‚8a‘- und ‚Kevin‘-Effekt“, wonach das Hilfesystem stark kommunalpolitisch gesteuert wird, was in den empirischen Daten der verschiedenen Bundesländer deutlich wird.

Gründe für eine Inobhutnahme können fast immer als Normabweichung betrachtet werden. Wenn Normen klar definiert sind, ist auch die Grenzverletzung klar definiert (Maier-Knapp-Herbst 1999: 559). Da aber die Gesetze bezüglich der Gründe einer Inobhutnahme eher schwammig formuliert sind, resultiert daraus eine Verunsicherung sowohl auf Seiten der Gesellschaft, als auch auf Seiten der Jugendämter. Die Gesellschaft ist geprägt durch Medien, denn dass was publiziert wird, wird zum Maßstab der Wirklichkeit und des Verhaltens; es fällt immer schwerer, Realität von Virtualität zu unterscheiden (Maier-Knapp-Herbst 1999: 560). Bei den kommunalen Jugendhilfeträgern (Jugendämtern) gibt es keine einheitliche Umsetzung der Gesetzgebung, was von vielen Faktoren abhängt: Bevölkerungsstrukturen, Größe des Zuständigkeitsbereiches, finanzielle Möglichkeiten u.v.m. (Neumann-Will 2013: 63).


Mediale (Aus-)Wirkungen und innere Sicherheit

Maßnahmen zur inneren Sicherheit werden nicht mehr ausschließlich vom Staat selbst getroffen, sondern es wurde die Verantwortung in den letzten Jahrzehnten verstärkt an gesellschaftlicher Akteure abgegeben. Medien gelten als einer der maßgeblichen Akteure bei der Schaffung innerer Sicherheit. (Reichertz et al. 2012: 181 f.)

Obwohl deutlich zu erkennen ist, dass sich Lebensbedingungen für Kinder in den letzten Jahrzehnten immer wieder verbessert haben, so scheinen sie doch immer mehr Risiken und Gefahren ausgesetzt zu sein. Resultierend aus der gesellschaftlichen Forderung nach einem besseren Kinderschutz, gipfelt es in einer gegenwärtigen Kinderschutzdebatte, welche ein Sicherheitsversprechen liefert, auf welches sich die mediale Welt nur all zu gerne bezieht (Biesel 2011: 25 ff.). „Der Ruf nach einer effektiven Umsetzung des ‚staatlichen Wächteramtes‘ zum Schutz des Kindeswohls wird jedoch immer vernehmlicher, nachdem sich Medienberichte über Fälle von Kindswohlgefährdung gehäuft haben.“ (Nahrwold 2011: 143) Mitarbeiter der Jugendämter geraten immer mehr ins Visier der Öffentlichkeit und sind sogar von Strafverfahren betroffen.

Die Meldungen von Kindeswohlgefährdungen hängen in wachsendem Maße von der, durch Medien geprägten, Sensibilisierung der Gesellschaft ab. Auf Grund der vermehrten Berichterstattung zu einer bestimmten Thematik, kommt es zu einer Steigerung der wahrgenommenen Fälle und damit zu einem Anstieg der Meldungen zu dieser Thematik. Hinzu kommt ein starker Anstieg der Fälle von Kindesmisshandlung, welche aber zu Großteil auf eine Verschiebung vom Dunkel- ins Hellfeld zu erklären ist. Besonders seit 2005 ist eine vermehrte medialer Aufmerksamkeit zu erkennen, auch, weil es zeitweise vermehrt zu Todesfällen von Kindern kam. Darauf folgt der Eindruck, dass die Fälle von Kindeswohlgefährdungen zunehmen. (Goldberg 2011: 30 ff.) Mehr Meldungen von Kindeswohlgefährdungen und der erhöhte mediale Druck führen zu einer Steigerung der Inobhutnahmen.

Hinzu kommt ein gesetzlicher Auftrag, dass ein direkter Zugang zu Inobhutnahmestellen gewährleistet sein soll. Das bedeutet, dass Öffentlichkeitsarbeit in vielen Regionen notwendig ist. Allerdings wird unterstellt, dass mit der Öffentlichmachung der Stellen erst der Bedarf geweckt wird. Damit verbunden ist auch der Verdacht, dass vorrangig Jugendliche den Rechtsanspruch auf eine Inobhutnahme gelten machen, um von zu Hause weg zu kommen (auch wenn keine akute Krise herrscht). Dieser Verdacht kann aus der Praxis nicht bestätigt werden. (Neumann-Witt 2013: 64)


Rechtliche (Aus-)Wirkungen

Die Veränderung des Familiengerichtlichen Verfahrens in 2009 und das neue Kinderschutzgesetz 2012 zeigten weitreichende Folgen für die deutschen Jugendämter. Der sogenannte Paradigmenwechsel hat zur Folge, dass Mitarbeiter des Jugendamtes sich weitreichender in familienrechtliche Verfahren einbringen sollen und müssen. Die Mitarbeiter sind angehalten, sich noch eher an die Familiengerichte zu wenden, damit frühzeitig Hilfen in Familien eingesetzt werden können, oft auch durch richterliche Autorität. Dies gipfelt in einer gestiegenen Verantwortlichkeit des Jugendamtes. Die Anrufung des Familiengericht soll demzufolge keine finale Entscheidung mehr darstellen, sondern bereits vorzeitig ein Eingreifen vor allem in Fällen im sogenannten ‚Graubereich‘ möglich machen. Außerdem soll dieser Prozess die familienrechtlichen Strukturen verändern, in dem das Gericht weniger entscheidungsorientiert, sondern prozessorientiert arbeitet. Das Gericht soll in den sozialpädagogischen Lösungsprozess eingebunden werden. (Nahrwold 2011: 157 f.)


Quellen

  • Biesel, Kay (2011): Wenn Jugendämter scheitern. Zum Umgang mit Fehlern im Kinderschutz, Bielefeld. ISBN 978-3-8376-1892-1
  • Bowlby, John (1987): „Bindung“ In Grossmann, Klaus / Grossmann, Karin (Hg.) (2003): Bindung und menschliche Entwicklung, Stuttgart, 22-26. ISBN 3-608-94321-8
  • Brisch, Karl Heinz (2012): „Bindungsstörungen und ihre Therapie nach Gewalterfahrungen in der Kindheit“ In Interdisziplinäre Fachzeitschrift für Prävention und Intervention (2012), 15. Jahrgang, Heft 2/2012, 126-147.
  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2013): 14. Kinder- und Jugendbericht, Deutscher Bundestag, Drucksache 17/12200. Hier abrufbar
  • Goldberg, Brigitta (2011): „Die Vorkommenshäufigkeit von Kindeswohlgefährdungen“ In Goldberg, Brigitta / Schorn, Ariana (Hg.) (2011): Kindeswohlgefährdung. Wahrnehmen – Bewerten – Intervenieren, Leverkusen, 29-74. ISBN 978-3-86649-369-8
  • Hordvik, Elin (1997): „Was ist ein psychisches Trauma? Methoden zur Behandlung“ In Hilweg, Werner / Elisabeth Ullmann (Hg.) (1997): Kindheit und Trauma. Trennung, Mißbraucht, Krieg, Göttingen, 37-45. ISBN 3-525-45798-7
  • Mayer-Knapp-Herbst, Sigrid (1999): "Prävention und Kontrolle" In DVJJ (Hg) (1999): Kinder und Jugendliche als Opfer und Täter. Prävention und Reaktion, Mönchengladbach, 558-564. ISBN 3-930982-47-1
  • Münder, Johannes / Meysen Thomas / Trenczek Thomas (Hg.)(2013): Frankfurter Kommentar SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 7. Auflage, Baden-Baden. ISBN 978-3-8329-7561-6
  • Nahrwold, Mario: „Inobhutnahme und Anrufung des Familiengerichts“ In Goldberg, Brigitta / Schorn, Ariana (Hg.) (2011): Kindeswohlgefährdung. Wahrnehmen – Bewerten – Intervenieren, Leverkusen, 143-168. ISBN 978-3-86649-369-8
  • Neumann-Witt, Andreas (2013): „Vielfalt der Organisation von Inobhutnahme“ In Lewis, G. / Riehm, R. / Neumann-Witt, A. / Bohnstengel, L. / Köstler, S. / Hensen, G. (Hg.) (2013): Inobhutnahme konkret. Pädagogische Arbeit in der Inobhutnahme und im Kinder- und Jugendnotdienst, 2. Auflage, Frankfurt am Main, 63-73. ISBN 978-3-925146-70-1
  • Reichertz, Jo / Bidlo, Oliver / Englert, Carina Jasmin (2012): „Vom Securitainmeht zum Media-Con-Act(ivat)ing – Die Bedeutung der Medien bei der Herstellung Innerer Sicherheit“ In Kriminologisches Journal (2012), 44. Jahrgang, Heft 2, 181-197.
  • Zentrum Bayern Familie und Soziales (2014): Staatliches Wächteramt. Inobhutnahme von Kindern und Jugendliche, http://www.blja.bayern.de/themen/waechteramt/inobhutnahme/index.html [26.01.2014]
  • Zitelmann, Maud (2013): „Kindeswohlgefährdung und Inobhutnahme. Hinweise und Ergebnisse aus einer bundesweiten Studie“ In Lewis, G. / Riehm, R. / Neumann-Witt, A. / Bohnstengel, L. / Köstler, S. / Hensen, G. (Hg.) (2013): Inobhutnahme konkret. Pädagogische Arbeit in der Inobhutnahme und im Kinder- und Jugendnotdienst, 2. Auflage, Frankfurt am Main, 63-73. ISBN 978-3-925146-70-1


Siehe auch