Folterdiskussion in Deutschland

Aus Krimpedia – das Kriminologie-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Das 17. Jahrhundert war die Zeit der intensivsten Folterdiskussion in Deutschland: man stritt um die Frage, ob die Folter - deren Voraussetzungen und Methoden im Strafrecht der Zeit bis in alle Einzelheiten geregelt waren - durch andere und bessere Formen der Wahrheitsfindung ersetzt werden könne. Wesentlich schwächer ausgeprägt war und ist die im 21. Jahrhundert beginnende Diskussion um die Frage, ob die Folter nicht doch wieder in Ausnahmefällen - nämlich zur Rettung von Menschenleben ("Rettungsfolter") - in die Rechtsordnung aufgenommen werden sollte.


Die ältere Diskussion

Der nur begrenzt wirksamen Bemühung, die weitgehend willkürlich praktizierte Folter durch gesetzliche Vorschriften in der Halsgerichtsordnung von 1532 (CCC) zu reglementieren, folgte im 17. Jahrhundert eine Folterdiskussion, die immer stärker auf deren Einschränkung und schließlich auf deren Abschaffung hinauslief. Die offizielle Abschaffung der Folter begann im 18. Jahrhundert (Preußen 1740 / 1754) und endete im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts (Baden 1831). Allerdings wurde die Folter zunächst durch Schläge und Beugehaft gegenüber den die Tat bestreitenden Verdächtigen ersetzt. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden auch diese "Ungehorsamsstrafen" abgeschafft. Obwohl man insbesondere in den Hexenprozessen langsam skeptisch wurde gegenüber den erzwungenen Geständnissen bezeichnete noch 1745 Zedlers Großes Universallexikon die Folter als „eine dem gemeinen Besten sehr nützliche, ja nothwendige Sache“, und die Abschaffung der Folter erfolgte in der Anfangsphase gegen den Widerstand vor allem der Juristen.

Die neue Diskussion

Weltweit lebte die Praxis und die Diskussion über die Folter im Zusammenhang der Reaktionen auf den 11. September wieder auf. Zu den nicht-terrorismus-bezogenen Fällen, die diese Diskussion in Deutschland außerdem beeinflussten, gehörte der Fall des Frankfurter Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner, der im September 2002 durch Androhung physischer Gewalt von dem mutmaßlichen Entführer eines Bankier-Sohnes dessen Aufenthaltsort zu erfahren gesucht hatte („Rettungsfolter“).

Der damalige Frankfurter Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner ordnete im Laufe der Ermittlungen an, dem Täter im Entführungsfall, Magnus Gäfgen, Gewalt anzudrohen, um den Aufenthaltsort des entführten Jungen zu erfahren. Bereits nach Androhung der Folter verriet Magnus Gäfgen den Ermittlern den Ablageort des Vermissten. Die Ermittler waren davon ausgegangen, dass der Junge noch lebe, konnten ihn dann aber nur tot bergen. Magnus Gäfgen wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, gegen Wolfgang Daschner wurde eine Verwarnung mit Strafvorbehalt ausgesprochen. Dies wurde damit begründet, dass er in der ehrenwerten Absicht gehandelt habe, das Leben des Jungen zu retten. Die Befürworter von Daschners Verhalten vertreten den Standpunkt, dass Folter oder Folterandrohung für den Fall in Ordnung sei, dass ein Menschenleben gerettet werden kann; sie sehen die Würde und das Leben des Opfers als schützenswerter an als die Würde des Täters und rechtfertigen so den Einsatz von Folter bzw. Folterandrohung. Die Kritiker berufen sich auf das absolute Folterverbot, durch das ein jeder Mensch vor Folter geschützt sein muss; die Grundrechte gelten für jeden Menschen gleichermaßen - auch die Würde des Täters darf deswegen nicht verletzt werden. In diesem Fall stehen sich Moral und das geltende Recht gegenüber. Die Diskussion baut darauf auf, dass die Befürworter das Recht auf Leben über die Würde des Menschen stellen, obwohl dies im Grundgesetz andersherum verankert ist. Die Kritiker lehnen eine Abwägung von Würde/Leben und Leben/Würde ab, weil jedes Grundrecht gleichermaßen zu schützen ist und dies in gar keinem Fall vernachlässigt werden darf. Im Grundgesetz ist verankert, dass jeder Mensch gleich ist; eine Folter (wenn auch nur in Ausnahmefällen wie zum Beispiel bei der Rettungsfolter) darf aus diesem Grund unter keinen Umständen angewendet werden. Es lässt sich weiterhin diskutieren, ob das milde Urteil gegen Daschner gerechtfertigt ist, vor dem Hintergrund, dass er gegen ein Grundrecht verstoßen hat, um damit das Leben und die Rechte des Opfers zu schützen. Jedoch wurde schon mit der Androhung der Folter die Würde des Täters verletzt.

Diskussion des geltenden Rechts

"Die Texte aller einschlägigen Rechtsnormen weisen auf ein absolutes Verbot staatlichen Zwangs zur Herbeiführung von Aussagen durch Personen hin, die sich in Polizeigewahrsam befinden." (Brugger 2006, S.9) Folglich ist die Anwendung von Folter in Deutschland verboten. Nach Art. 104 I 2 GG "[dürfen] festgehaltene Personen [...] weder seelisch noch körperlich misshandelt werden". Dieser Artikel aus dem Verfassungs- und Völkerrecht gründet auf Art. 1 I GG "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Dieser Schutz gilt für alle Menschen gleichermaßen und Ausnahmen sind hierbei nicht vorgesehen. Auch im Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist dies enthalten. Dabei ist die Europäische Menschenrechtskonvention nur eine von mehreren internationalen Abkommen, die eine Ächtung bzw. ein Verbot der Folter beinhalten. Verfassungsrechtlich wird folglich damit argumentiert, dass die Schmerzandrohung der Frankfurter Polizei die Menschenwürde des Täters verletzte. Daher ist diese Androhung verfassungswidrig. Der Schutz der Menschenwürde ist ein absolutes Rechtsgut, d. h., er darf nicht gegen andere Rechte, auch nicht gegen das Recht auf Leben oder die Menschenwürde Dritter, abgewogen werden. Sie verbietet es dem Staat, eine Person zum Objekt staatlichen Handelns zu machen. Jedoch haben sich im rechtswissenschaftlichen Diskurs vermehrt Stimmen gemeldet, die eine Abwägbarkeit oder Abstufung des Menschenwürdegrundsatzes befürworten und damit als logische Konsequenz auch Folter zulassen wollen.

In einigen Fällen wird auf die gesetzlichen Regelungen über Notwehr und Notstand verwiesen (§§ 32 ff. StGB, 228, 904 BGB), um gewisse Verhörmethoden (s.o.) zu rechtfertigen. Das Notwehrrecht gebietet Personen, von sich selbst oder anderen Gefahren abwenden zu dürfen. Für die Polizei gilt dies insofern nicht, als dass sie dem Amtsrecht und nicht dem privaten Notwehrrecht unterliegen. In dem Entführungsfall hätten somit nur Jakob selbst oder seine Eltern sich gegen den Entführer wehren dürfen oder die Eltern nach der Entführung alles Mögliche dafür tun dürfen, um das Versteck ihres Sohnes zu erfahren. Notfalls auch Gewalt. Da vom Folterverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention nach Art. 15 Abs. 2 auch im Notstandsfall „in keinem Fall abgewichen werden“ darf, hätten sowohl die Polizei als auch die Eltern keine Folter anwenden oder androhen dürfen.

Die straf- und bürgerlichrechtlichen Notstandsregelungen begründen somit keine staatlichen Eingriffsbefugnisse, sie entscheiden lediglich über Strafbarkeit und privatrechtliche Ansprüche; zudem unterliegen sie den verfassungsrechtlichen Regelungen und können nicht darüber hinaus angewandt werden (vgl. Art. 1 I GG). Somit bleibt die Würde des Menschen unantastbar.

Kriminalpolitische Diskussion

Literatur

  • Brugger, Winfried (2006) Einschränkung des absoluten Folterverbotes bei Rettungsfolter?.APuZ 36: .
  • Bruha, Thomas; Tams, Christian J. (2006) Folter und Völkerrecht. APuZ 36: .
  • Ignor, Alexander (2002) Geschichte des Strafprozesses in Deutschland 1532-1846. Von der Carolina Karls V. bis zu den Reformen des Vormärz, Paderborn.
  • Reemtsma, Jan Philipp (2005): Folter im Rechtsstaat? Hamburg: Hamburger Edition.
  • Schild, Wolfgang (2001) Von peinlicher Frag. Die Folter als rechtliches Beweisverfahren, Rothenburg o. d. Tauber.
  • Schmidt, Eberhard (1965) Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl., Göttingen.
  • Schmidt, Eberhard (1941) Inquisitionsprozeß und Rezeption. Studien zur Geschichte des Strafverfahrens in Deutschland vom 13.-16. Jahrhundert, in: Festschrift Heinrich Siber (Leipziger rechtswissenschaftliche Studien; 124), Leipzig.
  • Schmoeckel, Mathias (2000) Humanität und Staatsraison. Die Abschaffung der Folter in Europa und die Entwicklung des gemeinen Strafprozeß- und Beweisrechts seit dem hohen Mittelalter, Köln.
  • Thomasius, Christian (1960) Über die Folter. Untersuchungen zur Geschichte der Folter, hg. und übers. von Rolf Lieberwirth, Weimar.
  • Zagolla, Robert (2006) Im Namen der Wahrheit. Folter in Deutschland vom Mittelalter bis heute, Berlin.
  • Zedler, Johann Heinrich, Hg. (1745/1962) Grosses vollständiges Universal-Lexikon Aller Wissenschaften und Künste, Welche bishero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden [...], Bd. 44, Leipzig-Halle (Neudruck Graz).
  • Zwetsloot, Hugo (1954) Friedrich Spee und die Hexenprozesse. Die Stellung und Bedeutung der Cautio criminalis in der Geschichte der Hexenverfolgungen, Trier.

Weblinks