Das Teufelskreis Modell von Stephan Quensel

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Das Teufelskreis Modell von Stephan Quensel stellt einen Ansatz zur Erklärung von Jugendkriminalität dar. Es handelt sich um keine eigenständige Kriminalitätstheorie, sondern kann, wie eine Vielzahl weiterer Ansätze unter den Begriff des Labeling approach eingeordnet werden. Quensel verbindet hierbei den Labeling- Gedanken mit psychoanalytischen und sozialisationstheoretischen Überlegungen.

Das Modell interpretiert die Entwicklung krimineller Jugendlicher als Folge eines fehlgeschlagenen, sich wechselseitig hochschaukelnden Interaktionsprozesses zwischen dem Jugendlichen und seiner sozialen Umwelt unter dem Einfluss staatlicher Sanktionsinstanzen.

Das Modell

Das Teufelskreismodell lässt sich kybernetisch als positiver Feed-Back-Prozess beschreiben. Ausgangspunkt in seinem achtstufigen Modell bildet die Annahme, dass delinquentes wie kriminelles Verhalten von Jugendlichen immer der Versuch ist, ein bestehendes Problem (z.B. Misserfolge in der Schule, fehlende Anerkennung oder fehlende Zuwendung) zu lösen. Während dieser Phase kann es zum Anschluss an delinquente Jugendbanden kommen. Wird das Problem gelöst, was überwiegend der Fall ist, kommt es zu keinen weiteren delinquenten Verhaltensweisen. Bleibt dieses (ursprüngliche) Problem ungelöst und kommt es infolge weiterer Abweichungen zu stärkeren Stigmatisierungen, verfestigt sich die kriminelle Karriere. Die Delikte werden zunehmend schwerwiegender und die Sanktionen des Staates zunehmend härter. Ein Ausstieg aus diesem „Teufelskreis“ wird immer schwieriger. Am Ende dominieren die delinquente Rollenkarriere, die Etikettierung als Vorbestrafter und vielzählige soziale Probleme der Umwelt, die rückfallbegünstigend wirken.

Einzelne Phasen

In der 1. Phase kommt es zu kriminellen Handlungen Jugendlicher als Reaktion auf ein bestehendes Problem. In der Folge kommt es überwiegend zur Lösung des Problems z.B. durch die Hilfe der Eltern oder von Freunden bzw. der Schule.

Hat der Jugendliche nicht dieses Glück, wird also erwischt und offiziell bestraft bzw. nicht erwischt und begeht weitere Delikte, gelangt man in die 2. Phase. Sofern eine inoffizielle Bestrafung erfolgt, erfährt die Umwelt hiervon noch nichts und der Jugendliche erfährt keine Etikettierung. Andernfalls erfolgt eine offizielle Bestrafung (z.B. in Form von Nachsitzen, Erscheinen beim Jugendamt, Verurteilungen durch den Jugendrichter etc.).

In der 3. Phase wird die Chance, dass sich das ursprüngliche Problem vertieft, größer. Ein bestehendes schlechtes Gewissen kann zu sinkendem Selbstwert führen. Andererseits führen staatliche Sanktionen auch zu Protestreaktionen, Aggressionen und Trotz. Die fehlende Selbstbestätigung versucht sich der Jugendliche nunmehr bei ebenfalls delinquenten Jugendlichen zu suchen.

Wenn der betroffene Jugendliche nun bei einem Delikt erwischt wird, gelangt er in die 4. Stufe. Da er schon offiziell den Strafverfolgungsbehörden bekannt ist, wird eine härtere Strafe gegen ihn verhängt werden. Der Jugendliche ist damit doppelt belastet. Sein ursprüngliches Problem hat sich vertieft und er erfährt als „Rückfälliger“ eine härtere Bestrafung. Ab dieser Phase besteht die erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass ein wechselseitiger Aufschaukelungsprozess zwischen dem Jugendlichen und seiner Umwelt unter dem Einfluss staatlicher Sanktionen einsetzt.

In der 5. Phase wird der Jugendliche offiziell als „delinquent“ etikettiert. Einträge im Erziehungsregister oder Bundeszentralregister [1], Wechsel von Schule, Verlust des Ausbildungsplatzes, Sperre für die Erlangung eines Führerscheins, Abwenden von Freunden und Familienangehörigen können die Folge sein. Der Jugendliche sieht sich ebenfalls als „delinquent“ und übernimmt dieses Selbstbild, handelt entsprechend und begeht weitere Verstöße. Bis zu diesem Zeitpunkt sind Hilfen in Form von Gesprächen, Hilfen bei Ausbildungsplatz- oder Arbeitssuche sowie Eingliederung in andere Jugendgruppen noch möglich und erfolgversprechend.

Wenn der Jugendliche in der 6. Phase angekommen ist, liegt die Gefahr einer negativen Entwicklung im Sinne einer devianten Rollenkarriere nahe. Der „delinquente“ Jugendliche wird zum Außenseiter und in bestimmte Rollen gedrängt. Die normale Persönlichkeitsentwicklung wird ebenso eingeschränkt wie die vorhandenen Teilhabemöglichkeiten die Lebensbedingungen sowie Lebensstandards betreffend. Der Jugendliche entwickelt Verhaltensmuster, mit denen er auf die äußeren Einflüsse reagiert und wird als aggressiver Schläger, stehlender Rumtreiber, manipulativer Betrüger oder Suchtmittelabhängiger abgestempelt, der seinen Problemen weiter entflieht und sich mehr und mehr isoliert.

In der 7. Phase gelangt der Jugendliche in die Strafanstalt. Hier kann in einigen Fällen eine Lösung des ursprünglichen Problems unter dem sogenannten Inhaftierungsschock erfolgen. In den meisten Fällen findet jedoch eine selektive Verstärkung der Probleme unter dem Einfluss der Insassenkultur statt.

Nach der Entlassung ist der Jugendliche als „Vorbestrafter“ in seiner weiteren Entwicklung festgelegt. In dieser 8. Phase sind als Auswirkungen der erstmaligen Inhaftierung die Abwendung des bisherigen Freundeskreises, weitere Vernachlässigung durch die Familie, Ignoranz durch Lehrer/Ausbilder, schlechterer Zugang auf dem Arbeits-und Wohnungsmarkt etc. zu benennen. Durch entsprechende Probleme im sozialen Umfeld kommt es häufig zu Rückfällen und erneuten Inhaftierungen.

Kritik

Das Teufelskreis-Modell jugendkrimineller Entwicklung ist keine Theorie, sondern ein Ansatz, der nicht den Anspruch erheben kann, die Ursache primärer Delinquenz zu erklären. Er setzt vielmehr erst im Bereich der sekundären Delinquenz ein. Wie sich auch bei dem vorgestellten Modell von Quensel zeigt, ist der Etikettierungsansatz im Grunde eher beschreibender Natur, zur Erklärung ist die Heranziehung anderer, ätiologischer Theorien erforderlich. Unklar bleibt weiter, welche Art von Sanktionen zur Etikettierung führen, die wiederum zur Ausbildung eines entsprechenden Selbstbildes führt.

Literatur

Stephan Quensel "Wie wird man kriminell?": Kritische Justiz 1970, S. 35-39


Eine Kurzdarstellung findet sich in folgenden deutschsprachigen Lehrbüchern:

Göppinger, Hans: Kriminologie, 6. Auflage, München 2008, S. 158-161

Kunz, Karl-Ludwig: Kriminologie, 4. Auflage, Bern/Stuttgart/Wien 2004, S. 182 f.

Lamnek, Siegfried: Neue Theorien abweichenden Verhaltens, 2. Auflage, München 1997, S. 342 f.

Weblinks

http://de.wikipedia.org/wiki/Stephan_Quensel

http://www.isip.uni-hamburg.de/index.php?option=com_content&view=article&id=60:prof-dr-dr-hc-fritz-

http://www.bisdro.uni-bremen.de/quensel.htm

http://de.wikipedia.org/wiki/Bundeszentralregister