Aussagebeurteilung

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Einleitung

Im Rahmen von Ermittlungs- und Strafverfahren werden von verschiedenen Beteiligten (Tatverdächtige, Opfer, Zeugen) Aussagen gemacht, die u.a. hinsichtlich ihrer Nachvollziehbarkeit und ihrer Glaubhaftigkeit beurteilt werden müssen. Eine solche Einschätzung erfolgt seitens verschiedener Personen, in unterschiedlicher Weise und zu verschiedenen Zeitpunkten bezogen auf die Aussage.

Bei der polizeilichen Vernehmung von Zeugen (auch möglichen Opfern) und Tatverdächtigen erfolgt eine unmittelbare Einschätzung der Aussage und der aussagenden Person bereits während der Aufnahme der Aussage durch die vernehmende Person.

Die Aussagen von (möglichen) Opfern von Sexualdelikten (bei denen es häufig keine weiteren Zeugen und/oder keine weiteren Beweismittel gibt), insbesondere von Kindern, werden zudem häufig einer aussagepsychologischen Beurteilung unterzogen, die neben der Aussage zum vermeintlichen Tatgeschehen selbst weitere Faktoren (u.a. die individuelle Zeugenpersönlichkeit und die Aussagegeschichte) zu berücksichtigen hat.

Wichtig ist: Aussagen erfolgen nicht in einem gesellschaftlichen Vakuum. Bei der Beurteilung von Aussagen sind seitens der beurteilenden Person insofern immer der (gesellschaftliche) Rahmen, in dem sich die aussagende Person ebenso wie die beurteilende Person selbst bewegen, zu reflektieren und die eigene Haltung (bezogen auf eine zu fordernde Neutralität), aber auch die eigenen Beurteilungskriterien kritisch zu hinterfragen.


Überblick über Methoden der Aussagebeurteilung

(Anm.: Weitergehende Informationen finden sich in eigenen Artikeln zu den jeweiligen Methoden)

Verhaltensorientierte Aussagebeurteilung

Die verhaltensorientierte Aussagebeurteilung versucht in der konkreten Aussagesituation einzuschätzen, ob eine aussagende Person sich auf eigene Erinnerungen bezieht oder nicht wahrheitsgemäße Angaben vorträgt. Hierbei wird z.B. auf das Sprechverhalten der aussagenden Person geachtet (z.B. die Sprechgeschwindigkeit, das Auftreten und die Länge von Pausen vor Angaben, die Verwendung bestimmter - einschränkender - Wörter wie "eigentlich"), es werden Signale der Körpersprache beurteilt (z.B. ein 'nervöses' Lächeln oder Gesten, die auf ein Lügen hindeuten sollen, wie ein Ringen der Hände oder ein Senken des Kopfes beim Sprechen) oder Reaktionen der aussagenden Person auf Fragen oder Vorhalte bewertet (z.B. eine sich verteidigende Haltung, ein Ignorieren oder Eingehen auf die Frage).

Dabei wird auf Hinweise geachtet, die Zweifel an der Glaubhaftigkeit der gemachten Angaben begründen können und auf die im Rahmen der weiteren Befragung dann ggf. eingegangen werden kann. Es ist darauf hinzuweisen, dass diese (hier nur beispielhaft dargestellten) Signale erst bei Einbeziehung der individuellen Zeugenpersönlichkeit und dem für diese Person 'typischen' Aussageverhalten eine angemessene Beurteilung des Hinweischarakters der fraglichen Signale auf einen Täuschungsversuch erlauben.

Inhaltsorientierte Glaubhaftigkeitsdiagnostik

Inhaltsorientierte Glaubhaftigkeitsdiagnostik im Rahmen eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens ist die Überprüfung einer konkreten Zeugenaussage (in der Regel des möglichen Opfers) nach wissenschaftlich anerkannten Maßstäben auf einen Erlebnisbezug hin. Das bedeutet, dass nicht eine allgemeine Glaubwürdigkeit der Person im Sinne einer Bereitschaft, die Wahrheit zu sagen, erhoben wird, sondern die Aussage einer Person zu einem konkreten Sachverhalt wird daraufhin überprüft, ob sich Merkmale finden lassen, die nach wissenschaftlichen Maßstäben geeignet sind, erlebnisbegründete Angaben von Angaben ohne einen eigenen Erlebnisbezug zu unterscheiden und/oder ob es mögliche Störeinflüsse gibt, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Angaben begründen. Dabei ist die individuelle Zeugenpersönlichkeit zu berücksichtigen.

Im Rahmen der Glaubhaftigkeitsdiagnostik werden Informationen erhoben zur

  • Aussagetüchtigkeit:
    • den individuellen Fähigkeiten der Aussageperson bezogen auf aussagerelevante Bereiche (wie Wahrnehmungsfähigkeit, Erinnerungsvermögen, sprachliche Ausdruckfähigkeit) und
    • persönlichen Besonderheiten der Aussageperson (wie z.B. eine besondere Bereitschaft, zu jedem angefragten Thema unbedingt Angaben zu machen, eine ausgeprägte Zustimmungsbereitschaft und eine wenig ausgeprägte Fähigkeit, sich gegen inhaltliche Vorgaben abzugrenzen (Suggestibilität)).
  • Aussagequalität:
    • Die in der Begutachtung gemachten Angaben werden dahingehend geprüft, ob sich Merkmale (sog. Realkennzeichen) finden, die in erlebnisfundierten Angaben zu erwarten sind, in erfundenen oder von Dritten vorgegebenen (und von der aussagenden Person bewusst entgegen der eigenen Erinnerung vorgetragenen) Angaben dagegen nicht.
    • Die gemachten Angaben werden weiter hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit (dokumentierten) früheren Angaben geprüft. Erlebnisfundierte Angaben zeichnen sich dadurch aus, dass sie in gedächtnispsychologisch erwartbaren Bereichen über verschiedene Aussagezeitpunkte hinweg konstant vorgetragen werden, während es in anderen Bereichen zu Veränderungen kommen kann (sog. differenzierte Aussagekonstanz).
    • Kann aufgrund des vorliegenden Aussagematerials ein Erlebnisbezug nach aussagepsychologischen Maßstäben nicht bestätigt werden, bedeutet dies nicht automatisch, dass eine nicht wahrheitsgemäße Aussage oder Angaben ohne Erlebnisbezug vorliegen oder dass ein vorgetragener Sachverhalt so nicht gewesen sein kann!
  • Zuverlässigkeit der Aussage:
    • u.a. situative Aspekte, also die (externen) Rahmenbedingungen zum Zeitpunkt des vermeintlichen Vorfalls wie auch die Rahmenbedingungen der Aussage zum Zeitpunkt, an dem darüber berichtet wurde/wird,
    • Besonderheiten der Zeugenpersönlichkeit, z.B. ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, eine akzentuierte Wahrnhehmung von Beziehungen, eine mangelnde Fähigkeit oder Bereitschaft zur Orientierung an allgemeingültigen Normen bezogen auf den Vortrag wahrheitsgemäßer Angaben (interne Rahmenbedingungen) und
    • mögliche Motive der Aussageperson wie auch früherer Aussageempfänger,die einen Einfluss auf die Aussage haben können,
    • wobei diese Aspekte jeweils bezogen auf die individuelle Zeugenpersönlichkeit zu beurteilen sind.

Psychophysiologische Methode der Aussagebeurteilung

Die Psychophysiologische Methode der Aussagebeurteilung ist auch unter dem Begriff "Lügendetektion" bekannt. Bei dieser Methode werden körperliche (physiologische) Reaktionen auf gestellte Fragen erfasst und aufgezeichnet. Die Auswertung erfolgt im Hinblick auf mögliche Veränderungen z.B. der Herzrate oder der Hautleitfähigkeit, die mit einer erhöhten Anspannung bzw. Nervosität bei der fälschlichen Beantwortung von Fragen einhergehen sollen. Eine für die Auswertung der Messergebnisse ausgebildete Fachperson soll dabei spontane unwillkürliche von willentlich herbeigeführten Reaktionen unterscheiden.

Die psychophysiologische Aussagebeurteilung ist als Methode zur 'Wahrheitsfindung' umstritten und mit BGH-Urteil vom 17.12.1998 in Deutschland als ungeeignetes Beweismittel befunden worden.


Literatur/Verweise

Bender/Nack (1995): Tatsachenfeststellung vor Gericht. München: Verlag C.H. Beck

Greuel et.al. (1998): Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage. Theorie und Praxis der forensisch-psychologischen Begutachtung. Weinheim: PsychologieVerlagsUnion

Steller, M. (1987): Psychophysiologische Aussagebeurteilung. Wissenschaftliche Grundlagen und Anwendungsmöglichkeiten der „Lügendetektion“. Göttingen: Verlag für Psychologie.

BGH-Urteil vom 17.12.1998 (1 StR 156/98), Polygraphentest als Beweismittel, http://www.jurpc.de/rechtspr/19990013.htm

Artikel Glaubwürdigkeit (Recht). In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 17. Januar 2008, 21:48 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Glaubw%C3%BCrdigkeit_%28Recht%29&oldid=41319513 (Abgerufen: 29. Februar 2008, 19:24 UTC)