Psychophysiologische Methode der Aussagebeurteilung

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Anmerkung: Der Inhalt entspricht derzeit dem zu diesem Punkt vorgefundenen Text unter dem alten Stichwort "Glaubhaftigkeitsdiagnostik", der dort entfernt wurde


Psychophysiologische Methode der Aussagebeurteilung

Grundlage der auf Polygraph basierten Lügendetektion

Das unter dem Namen „Lügendetektion“ bekannte Verfahren der psychophysiologischen Aussagebeurteilung zur Untersuchung des Wahrheitsgehalts einer Aussage basiert auf körperlichen Phänomenen. Mittels des Lügendetektors oder Polygraphen werden physiologische Reaktionen während einer Befragung gemessen und aufgezeichnet. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Menschen, wenn sie lügen, geringfügig nervös werden, was sich im vegetativen Nervensystem bemerkbar macht und z.B. zu Veränderungen der Herzrate und der elektronischen Hautleitfähigkeit führt. Die Auswertung erfolgt durch den dafür ausgebildeten Polygraphisten, der spontane unwillkürliche von willentlich herbeigeführten Reaktionen unterscheiden soll.

Die Grundidee zur Nutzung psychophysiologischer Verfahren als Indikator für juristische Belange geht auf die Psychologen C.G. Jung und Max Wertheimer Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. In den USA wird Hugo Münsterberg mit der Veröffentlichung des Werks „On the Witness Stand“ (1908) als Begründer der wissenschaftlichen Polygraphtechnik genannt. Allerdings hat Lombroso schon 1895 den Hydrosphygmograph zur Aussageuntersuchung eingesetzt, der mittels minimaler Wasserstandsänderungen in einem Glas Pulsfrequenz und Blutvolumen messen konnte.

Die heutige Durchführung unterscheidet sich in drei unterschiedliche Tests.

Kontrollfragentest Der untersuchten Person werden neutrale Fragen, tatbezogene Fragen und Kontrollfragen gestellt. Bei den Kontrollfragen handelt es sich um Fragen, die meist verneint werden, obwohl die Antwort erfahrungsgemäß „ja“ ist, z.B.: „Haben Sie jemals etwas von Ihrem Arbeitsplatz mitgehen lassen?“ Die Reaktionen auf die unterschiedlichen Fragestellungen werden dann verglichen.

Methode der gerichteten Lügenkontrollfragen Die untersuchte Person soll auf eine Kontrollfrage wissentlich mit einer Lüge antworten, um so Vergleichsreaktionen zu erhalten.

Tatwissenstest Dieses Verfahren bezieht sich nicht auf die Verneinung der Tat, sondern auf ein Tatwissen, das nur dem Täter bekannt sein kann. Es werden Fragen mit tatrelevanten Begebenheiten mit irrelevanten Items gemischt. („Wo war der gestohlene Gegenstand? War er im Schrank, auf dem Regal, in der Schublade, auf dem Boden, auf dem Bett?“) Eine Variante entspricht der Wahrheit und sollte eine höhere physiologische Reaktion auslösen als die anderen.

Insgesamt ist die psychophysiologische Aussagebeurteilung sowohl in der Wissenschaft als auch in der forensischen Praxis sehr umstritten. Das liegt nicht zuletzt an teilweise spektakulären Fällen, in denen Lügendetektortests versagten. Während die Methodik in den USA im Strafprozess ihre Anwendung findet, ist sie mit dem BGH-Urteil vom 17.12.1998 in Deutschland als ungeeignetes Beweismittel befunden worden.

Zurzeit wird eine neue Methode entwickelt, die sowohl die Lügendetektion als auch die Annahmen des inhaltsorientierten Ansatzes der Glaubhaftigkeitsdiagnostik integriert. Hierbei sollen mittels fMRT-Aufnahmen des Gehirns aktive Hirnareale sichtbar gemacht werden. Da eine erfundene Aussage höhere kognitive Anforderungen stellt als eine wahre Aussage, wird angenommen, dass auch mehr, bzw. andere Hirnareale aktiviert werden.

Gegenmaßnahmen zur Manipulation des kritischen Fragen zum Tathergang

Die Probanden können bestimmte Maßnahmen zur Täuschung des Verfahrens trainieren und gezielt anwenden, wodurch das Ergebnis leicht manipuliert werden kann. Vor allem kommen mentale und physische Maßnahmen zur Produktion überhöhter Reaktionen auf die Kontrollfragen in Frage. Einfach durch Beißen auf die Zungen oder Anpressen der Zehen auf den Boden oder mentale Aufgaben sowie arithmetische Rechenaufgaben während der Kontrollfragen kann der Proband den Vergleichsmaßstab für den Test erhöhen. Laut einer Studie von Charles Honts et al. seien solche körperliche, insbesondere schmerzinduzierende Maßnahmen innerhalb 30 Minuten trainierbar.

Generelle Akzeptanz des Verfahrens und Expertenmeinungen

Nach den Ergebnissen der Umfragen unter Mitglieder der 'Society for Psychophysiological Research (SPR)' und 'American Psychological Association (APA)' finden Polygraphentests einerseits weitgehend Akzeptanz, andererseits gibt es auch eine konsensuell sehr skeptische Einstellung gegenüber den Testverfahren.

Objektivität und Reliabilität des Tests

Vielen Studien unterstützen die Objektivität und Reliabilität des Polygraphentests. Patrick und Iacono haben 1991 eine methodisch saubere und dem heutigen Stand entsprechende Überprüfung der Objektivität des Polygraphentests bei der 'Royal Canadian Mounted Police' berichtet. Das Ergebnis des Polygraph-Verfahrens hat man unter psychometrischem Gesichtspunkt codiert und ausgewertet. Die Untersuchung hat die Übereinstimmung zwischen Codieren, bzw. Testführern mit einem üblichen Maß an Training überprüft. Das Ergebnis bestätigt dass wegen des inzwischen standardisierten Codierungsverfahrens die Objektivität des Tests nicht in Frage kommt.


Validität und Effektivität des Tests

Die Objektivität der Codierung berührt jedoch die Validität des Tests nicht. Außerdem die Reliabilität verspricht nicht, dass die daraus resultierenden Entscheidungen über den Wahrheitswert valide sind. Die Genauigkeit und Richtigkeit des Testergebnisses können nicht auf die übereinstimmende Auswertung eines Polygraphverfahrens beruhen. Insbesondere stellt man sich die Frage, ob die Reaktionen auf die kritischen Fragen zum Tathergang ebenso stark oder stärker als die Reaktionen auf die Kontroll- oder Vergleichsfragen sind. Außerdem kann eine rein statistische Studie die Annahme nicht bestätigen, da für den Test noch kein erklärendes kausales Modell vorliegt. Eine mögliche Aussage einer hohen Korrelation zwischen den Indikatoren (Reaktion im Polygraph) und dem Lügen ist auch nicht vorhanden. Allerding wurde in den bisherigen Validitätsstudien unterlassen, die Genauigkeit, bzw. Glaubwürdigkeitsentscheidung einer Aussage im rechtlichen Rahmen, die auf viele anderen Indizien sowie Beweismaterial basiert, mit und ohne Polygraphen zu vergleichen. Aus diesen Gründen ist die Validität des Polygraphverfahrens hoch umstritten.



Literatur/Verweise

Fiedler, K. (1999): Gutachterliche Stellungnahme yur wissenschaftlichen Grundlage der Lügendetektion mithilfe sogenannter Polygraphentests. In: Praxis der Rechtspsychologie 9 (Sonderheft), Bonn, Vertuscher Psychologen Verlag Steller, M. (1987): Psychophysiologische Aussagebeurteilung. Wissenschaftliche Grundlagen und Anwendungsmöglichkeiten der „Lügendetektion“. Göttingen, Verlag für Psychologie.

BGH-Urteil vom 17.12.1998 (1 StR 156/98), Polygraphentest als Beweismittel, http://www.jurpc.de/rechtspr/19990013.htm

http://www.antipolygraph.org

http://www.polygraph.org