Zuhälter: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Historische Begriffsbenutzung, Entstehungsgeschichte'''
'''Historische Begriffsbenutzung, Entstehungsgeschichte'''
   
   
Das Zuhältertum entsteht nach schriftlichen Überlieferungen vor über 2000 Jahren zeitgleich mit der gewerblichen Prostitution, vermutlich sogar weitaus früher. Zuhälter existieren auch bei den Griechen und Römern: Fremdländische Sklavinnen (Pornae) des ältesten offiziellen Bordells in Athen führen einen Teil ihrer Einnahmen an den Zuhälter Staat ab. Hetären (hetai-re), die bezahlten Geliebten bedeutender Griechen, haben teilweise Zuhälter. Der römische Geschichtsschreiber Titus Livius (50 v. Chr.-17 n. Chr.) berichtet über den Zuhälter (conta-bernalis) bzw. das straflose Zuhältertum (contabernium). Im Mittelalter unterhält die Kirche, einer der größten Widersacher der Prostitution, zahlreiche Bordelle, mitunter im einstigen Päpstesitz Avignon, im 16. Jahrhundert im Vatikan. Die strenge Bordellierung des Mittelalters schränkt die Zuhälterei ein und bedroht den Zuhälter oder Liebhaber (caro uomo/amicus) einer Prostituierten zur Vermeidung finanzieller Nachteile für die konzessionierten Bordellinhaber mit Stadtverweis. Die Landsknechtheere der Renaissance bieten dem Zuhälter keinen Zutritt. Im 16. Jahrhundert breiten sich freie Prostitution und Zuhältertum aufgrund der Schließung der Frauenhäuser wegen Syphilis aus. Die kapitalistisch-marktwirtschaftliche Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, sowie die große Anzahl der Zuhälter, oft Ehemänner, machen die Prostitution für die Arbeiterbewegung zum Sinnbild der Ausnutzung und Unfreiheit der Frau. Im 19. Jahrhundert nehmen parallel zur Prostitution Gewalt gegen Huren und Freier, sowie Kriminalität innerhalb des Rotlichtmilieus zu. 1891 führt der Berliner Mordprozess gegen das Ehepaar Heinze, einen Zuhälter und seine Prostituierte, zu einer strafrechtlichen Neuerung: Bislang kann ein Zuhälter lediglich über den Kuppeleiparagraphen, der 1973 aus dem StGB gestrichen wird, belangt werden. Auf Erlass Kaiser Wilhelm II. tritt im Jahre 1900 unter „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ die „lex Heinze“ § 181 a Zuhälterei Reichsstrafgesetzbuch in Kraft. Dieses Gesetz nährt den Mythos vom kriminellen, gewalttätigen und ausbeuterischen Zuhälter. Infolge der Deliktserfassung werden Zuhälter nach dem Ersten Weltkrieg und während der Weimarer Republik vermehrt in Arbeitshäusern inhaftiert. Ende des 19. Jahrhunderts bis in die fünfziger Jahre hinein schließen sich Zuhälter in überörtlichen Ringvereinen zusammen, mit Gebiets- und Kundenschutz, sowie durch die Dirnen finanzierte Prozesskostenhilfe oder Krankheitsgeld, erste Formen der modernen organisierten Kriminalität. Die erneute Verlagerung der Prostitution auf öffentliche Straßen durch die 1927 abgeschaffte Zwangskasernierung und das gesetzliche Bordellverbot bieten der Zuhälterei weitere Geschäftsmöglichkeiten. Im Widerspruch zum Verbot der gewerbsmäßigen Unzucht und einem verschärften Strafmaß für den Berufsverbrecher Zuhälter, steht die Funktion des nationalsozialistischen Staates als Zuhälter in den Wehrmachtsbordellen, sowie den Bordellen für Häftlinge in Konzentrationslagern und fremdvölkische Zwangsarbeiter. Nach dem Zweiten Weltkrieg fungieren Zuhälter teilweise als Vermittler der Prostituierten an Soldaten. Die Ausbreitung von Callgirls, Auto- und Wohnungsprostitution begünstigt ausländische Zuhältersyndikate und organisierte Kriminalität. Deren Kämpfe um Marktanteile in der Sexarbeit erreichen ihren Höhepunkt in den achtziger Jahren. Kritische Stimmen sprechen sich gegen die klischeehafte mediale Darstellung und grundsätzliche Kriminalisierung des Zuhälters aus. Das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 1.1.02, kurz Prostitutionsgesetz ProstG, sowie die damit einhergehende Modifikation der §§ 180 a Ausbeutung von Prostituierten (vorher: Förderung der Prostitution) und 181 a Zuhälterei StGB führen zu einer offiziellen Unterscheidung: Der brutale Zuhälter oder Menschenhändler zwingt Frauen zur Prostitution, während der Bordellbetreiber oder Poussierstengel (Aufreißer alter Schule) körperliche und finanzielle Sicherheit garantiert, in der Überzeugung, die Hure drückt ihre Einnahmen (Bockgeld) freiwillig an ihn ab.  
Das Zuhältertum entsteht nach schriftlichen Überlieferungen vor über 2000 Jahren zeitgleich mit der gewerblichen Prostitution, vermutlich sogar weitaus früher. Zuhälter existieren auch bei den Griechen und Römern: Fremdländische Sklavinnen (Pornae) des ältesten offiziellen Bordells in Athen führen einen Teil ihrer Einnahmen an den Zuhälter Staat ab. Hetären (hetai-re), die bezahlten Geliebten bedeutender Griechen, haben teilweise Zuhälter. Der römische Geschichtsschreiber Titus Livius (50 v. Chr.-17 n. Chr.) berichtet über den Zuhälter (conta-bernalis) bzw. das straflose Zuhältertum (contabernium). Im Mittelalter unterhält die Kirche, einer der größten Widersacher der Prostitution, zahlreiche Bordelle, mitunter im einstigen Päpstesitz Avignon, im 16. Jahrhundert im Vatikan. Die strenge Bordellierung des Mittelalters schränkt die Zuhälterei ein und bedroht den Zuhälter oder Liebhaber (caro uomo/amicus) einer Prostituierten zur Vermeidung finanzieller Nachteile für die konzessionierten Bordellinhaber mit Stadtverweis. Die Landsknechtheere der Renaissance bieten dem Zuhälter keinen Zutritt. Im 16. Jahrhundert breiten sich freie Prostitution und Zuhältertum aufgrund der Schließung der Frauenhäuser wegen Syphilis aus. Die kapitalistisch-marktwirtschaftliche Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, sowie die große Anzahl der Zuhälter, oft Ehemänner, machen die Prostitution für die Arbeiterbewegung zum Sinnbild der Ausnutzung und Unfreiheit der Frau. Im 19. Jahrhundert nehmen parallel zur Prostitution Gewalt gegen Huren und Freier, sowie Kriminalität innerhalb des Rotlichtmilieus zu. 1891 führt der Berliner Mordprozess gegen das Ehepaar Heinze, einen Zuhälter und seine Prostituierte, zu einer strafrechtlichen Neuerung: Bislang kann ein Zuhälter lediglich über den Kuppeleiparagraphen, der 1973 aus dem StGB gestrichen wird, belangt werden. Auf Erlass Kaiser Wilhelm II. tritt im Jahre 1900 unter „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ die „lex Heinze“ § 181 a Zuhälterei Reichsstrafgesetzbuch in Kraft. Dieses Gesetz nährt den [[Myth | Mythos]] vom kriminellen, gewalttätigen und ausbeuterischen Zuhälter. Infolge der Deliktserfassung werden Zuhälter nach dem Ersten Weltkrieg und während der Weimarer Republik vermehrt in Arbeitshäusern inhaftiert. Ende des 19. Jahrhunderts bis in die fünfziger Jahre hinein schließen sich Zuhälter in überörtlichen Ringvereinen zusammen, mit Gebiets- und Kundenschutz, sowie durch die Dirnen finanzierte Prozesskostenhilfe oder Krankheitsgeld, erste Formen der modernen organisierten Kriminalität. Die erneute Verlagerung der Prostitution auf öffentliche Straßen durch die 1927 abgeschaffte Zwangskasernierung und das gesetzliche Bordellverbot bieten der Zuhälterei weitere Geschäftsmöglichkeiten. Im Widerspruch zum Verbot der gewerbsmäßigen Unzucht und einem verschärften Strafmaß für den Berufsverbrecher Zuhälter, steht die Funktion des nationalsozialistischen Staates als Zuhälter in den Wehrmachtsbordellen, sowie den Bordellen für Häftlinge in Konzentrationslagern und fremdvölkische Zwangsarbeiter. Nach dem Zweiten Weltkrieg fungieren Zuhälter teilweise als Vermittler der Prostituierten an Soldaten. Die Ausbreitung von Callgirls, Auto- und Wohnungsprostitution begünstigt ausländische Zuhältersyndikate und organisierte Kriminalität. Deren Kämpfe um Marktanteile in der Sexarbeit erreichen ihren Höhepunkt in den achtziger Jahren. Kritische Stimmen sprechen sich gegen die klischeehafte mediale Darstellung und grundsätzliche Kriminalisierung des Zuhälters aus. Das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 1.1.02, kurz Prostitutionsgesetz ProstG, sowie die damit einhergehende Modifikation der §§ 180 a Ausbeutung von Prostituierten (vorher: Förderung der Prostitution) und 181 a Zuhälterei StGB führen zu einer offiziellen Unterscheidung: Der brutale Zuhälter oder Menschenhändler zwingt Frauen zur Prostitution, während der Bordellbetreiber oder Poussierstengel (Aufreißer alter Schule) körperliche und finanzielle Sicherheit garantiert, in der Überzeugung, die Hure drückt ihre Einnahmen (Bockgeld) freiwillig an ihn ab.  




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