Winfried Hassemer (* 17. Februar 1940 in Gau-Algesheim) ist ein deutscher Jurist. Der Professor an der Universität Frankfurt (Main) war auch Richter am Bundesverfassungsgericht. Nach seinem 1. juristischen Staatsexamen war Hassemer von 1964 bis 1969 Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Rechts- und Sozialphilosophie der Universität des Saarlandes. 1967 wurde er in Saarbrücken mit einer Arbeit über Tatbestand und Typus. Untersuchungen zur strafrechtlichen Hermeneutik promoviert. Nach seinem 2. juristischen Staatsexamen habilitierte sich der Schüler des Rechtsphilosophen Arthur Kaufmann 1972 über Theorie und Soziologie des Verbrechens. Ansätze zu einer praxisorientierten Rechtsgutslehre. Seit 1973 Professor für Rechtstheorie, Rechtssoziologie, Strafrecht und Strafverfahrensrecht an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt. Von 1991 bis 1996 war Hassemer Nachfolger von Spiros Simitis als Landesbeauftragte für den Datenschutz des Landes Hessen. Von 1996 bis 2008 war er Richter am Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts, seit 2002 Vorsitzender des Senats und Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts. Hassemer erhielt die Ehrendoktorwürde durch die Aristoteles-Universität Thessaloniki (1998), die Bundesuniversität Rio de Janeiro (2001), die Universität Lusíada (2004) und die Universität Pablo de Olavide Sevilla (2005). Ebenfalls 2005 erhielt er eine Honorarprofessur der Renmin University of China.

Er ist verheiratet mit Kristiane Weber-Hassemer, der Vorsitzenden Richterin eines Strafsenates am Oberlandesgericht Frankfurt am Main und Vorsitzenden des Nationalen Ethikrat Deutschlands. Sein Bruder Volker Hassemer war Senator in Berlin. Wie Radio Utopie berichtet, war der Datenschützer Winfried Hassemer als Richter für die Legalisierung von IMSI-Catchern verantwortlich, mit denen jeder jedermann per Handy orten darf.

In der FAZ schrieb Hassemer als Bundesverfassungsrichter [1] über die Zukunft des Datenschutzes. Staat und Gesellschaft seien sich einig, im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit die Sicherheit vorzuziehen. Diese Wahl beherrsche die Innenpolitik. „Kritik am Sicherheitsparadigma richtet sich kaum auf das Ob; sie beschränkt sich zumeist auf ein Wieweit (und bestätigt damit jeweils die Herrschaft dieses Paradigmas).“ Datenschutz brauche dagegen ein Klima der Freiheitslust. Er braucht eine kritische Einstellung gegenüber Kontrolle und „einen Sinn für Scham.“ Die Zukunft des Datenschutzes liegt nicht nur im ständigen Werben für Privatheit und Selbstbestimmung. Erforderlich sind auch Angebote an die Sicherheitspolitik, wie mehr Sicherheit ohne Überwachung erreicht werden kann. „Europa“ hat exekutivische Züge. In der Innen- und Justizpolitik macht es sich durch effektivitätsorientierte Forderungen nach der Vermehrung und Verschärfung von Grundrechtseingriffen bemerkbar (z.B. Fluggastdatenübermittlung, Vertrag von Prüm). Im Recht auf informationelle Selbstbestimmung, so Hassemer abschließend, „fließen zwei Ströme zusammen, die aus der politischen Philosophie der europäischen Aufklärung stammen: die philosophische Begründung bürgerlicher Freiheit und der pragmatische Sinn für die Entwicklungen der Moderne. … Für deren Schutz streitet das Freiheitspathos, das die hohe Rechtskultur begründet hat, von der wir alle in denjenigen Regionen der Welt zehren, in denen die Traditionen der Aufklärung noch lebendig sind. Der Datenschutz ist nichts anderes als diese Freiheit, gespiegelt an den Bedingungen der modernen Informationsgesellschaft. Sollten Tage kommen, da Europa sich nicht nur über Risikobeherrschung und Problemkontrolle definiert, sondern seine Traditionen der politischen Philosophie wiederentdeckt, so wird auch der Datenschutz Flügel bekommen.“

Im Mai 2008 kritisierte Hassemer auf dem Deutschen Anwaltstag in Berlin "mannigfaltige Verschärfungen der Polizei- und Strafgesetze" seit dem 11. September 2001. Zu der Welle neuer Straftatbestände vom Typ abstrakter Gefährdungsdelikte mit oft vage definierten Rechtsgütern sei eine "exorbitante Zunahme heimlicher Ermittlungen" auch bei Unverdächtigen gekommen, Datenaustausch zwischen verschiedenen Institutionen und eine "flächendeckende Beobachtung". Die Bürger würden dem Staat freiwillig ihre Freiheit auf dem silbernen Tablett servieren, damit der Staat diese Freiheit in Sicherheit verwandle. Die Normerosion würde den Charakter der Grundrechte als Abwehrrechte gegenüber dem Staat schwächen. Der Staat werde nicht mehr als Risiko, sondern als Partner im Kampf gegen Kriminalität gesehen.


Literatur

  • Anwältepräsident zu Zypries: Wir sind nicht im Krieg. Kritik an geplanten Sicherheitsgesetzen/Justizministerin spricht von 'Skandalisierung'/Hassemer: Normerosion. FAZ 03.05.08: 2.


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