Winfried Hassemer: Unterschied zwischen den Versionen

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Winfried Hassemer (* [[17. Februar]] [[1940]] in [[Gau-Algesheim]]) war ein deutscher Strafrechtsprofessor (Frankfurt a.M.) und zwölf Jahre lang - davon die Hälfte als Vizepräsident - Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (bis 7.5.08).  
Winfried Hassemer (* [[17. Februar]] [[1940]] in [[Gau-Algesheim]]) war ein deutscher Strafrechtsprofessor (Frankfurt a.M.) und zwölf Jahre lang - davon die Hälfte als Vizepräsident - Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.  


Nach dem 1. juristischen Staatsexamen war Hassemer von 1964 bis 1969 [[Wissenschaftlicher Assistent]] am Institut für Rechts- und [[Sozialphilosophie]] der [[Universität des Saarlandes]]. 1967 wurde er in [[Saarbrücken]] mit einer Arbeit über ''Tatbestand und Typus. Untersuchungen zur strafrechtlichen Hermeneutik'' [[Promotion (Doktor)|promoviert]]. Nach seinem 2. juristischen Staatsexamen habilitierte sich der Schüler des Rechtsphilosophen Arthur Kaufmann 1972 über ''Theorie und Soziologie des Verbrechens. Ansätze zu einer praxisorientierten Rechtsgutslehre''. Seit 1973 Professor für Rechtstheorie, Rechtssoziologie, Strafrecht und Strafverfahrensrecht an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt. Von 1991 bis 1996 war Hassemer Nachfolger von [[Spiros Simitis]] als [[Landesbeauftragter für den Datenschutz|Landesbeauftragte für den Datenschutz]] des Landes [[Hessen]]. Von 1996 bis 2008 war er Richter am Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts, seit 2002 Vorsitzender des Senats und Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts. Hassemer erhielt die Ehrendoktorwürde durch die [[Aristoteles-Universität Thessaloniki]] (1998), die [[Bundesuniversität Rio de Janeiro]] (2001), die [[Universität Lusíada]] (2004) und die [[Universität Pablo de Olavide]] Sevilla (2005). Ebenfalls 2005 erhielt er eine Honorarprofessur der Renmin University of China.
== Leben ==
Nach dem 1. juristischen Staatsexamen war Hassemer von 1964 bis 1969 [[Wissenschaftlicher Assistent]] am Institut für Rechts- und [[Sozialphilosophie]] der [[Universität des Saarlandes]]. 1967 wurde er in [[Saarbrücken]] mit einer Arbeit über ''Tatbestand und Typus. Untersuchungen zur strafrechtlichen Hermeneutik'' [[Promotion (Doktor)|promoviert]]. Nach dem zweiten Staatsexamen habilitierte sich der Schüler des Rechtsphilosophen Arthur Kaufmann 1972 über ''Theorie und Soziologie des Verbrechens. Ansätze zu einer praxisorientierten Rechtsgutslehre''. Seit 1973 war er Professor für Rechtstheorie, Rechtssoziologie, Strafrecht und Strafverfahrensrecht an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt. Von 1991 bis 1996 war Hassemer Nachfolger von [[Spiros Simitis]] als [[Landesbeauftragter für den Datenschutz|Landesbeauftragte für den Datenschutz]] des Landes [[Hessen]].


Er ist verheiratet mit [[Kristiane Weber-Hassemer]], der Vorsitzenden [[Richter]]in eines Strafsenates am [[Oberlandesgericht Frankfurt am Main]] und Vorsitzenden des [[Nationaler Ethikrat Deutschlands|Nationalen Ethikrat Deutschlands]]. Sein Bruder [[Volker Hassemer]] war Senator in [[Berlin]].
Von 1996 bis 2008 war er Richter am Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts, seit 2002 Vorsitzender des Senats und Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts.  


Hassemer erhielt die Ehrendoktorwürde durch die [[Aristoteles-Universität Thessaloniki]] (1998), die [[Bundesuniversität Rio de Janeiro]] (2001), die [[Universität Lusíada]] (2004) und die [[Universität Pablo de Olavide]] Sevilla (2005). Ebenfalls 2005 erhielt er eine Honorarprofessur der Renmin University of China.
Er ist verheiratet mit [[Kristiane Weber-Hassemer]], der Vorsitzenden [[Richter]]in eines Strafsenates am [[Oberlandesgericht Frankfurt am Main]] und Vorsitzenden des [[Nationaler Ethikrat Deutschlands|Nationalen Ethikrat Deutschlands]]. Sein jüngerer Bruder [http://de.wikipedia.org/wiki/Volker_Hassemer Volker Hassemer (CDU)] war u.a. Umwelt- und Stadtplanungs-Senator in [[Berlin]].
== Freiheit und Sicherheit ==
In der FAZ schrieb Hassemer im Juli 2007 als Bundesverfassungsrichter über die Zukunft des Datenschutzes. Staat und Gesellschaft seien sich einig, im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit die Sicherheit vorzuziehen. Diese Wahl beherrsche die Innenpolitik. „Kritik am Sicherheitsparadigma richtet sich kaum auf das Ob; sie beschränkt sich zumeist auf ein Wieweit (und bestätigt damit jeweils die Herrschaft dieses Paradigmas).“ Datenschutz brauche dagegen ein Klima der Freiheitslust. Er braucht eine kritische Einstellung gegenüber Kontrolle und „einen Sinn für Scham.“ Die Zukunft des Datenschutzes liegt nicht nur im ständigen Werben für Privatheit und Selbstbestimmung. Erforderlich sind auch Angebote an die Sicherheitspolitik, wie mehr Sicherheit ohne Überwachung erreicht werden kann. „Europa“ hat exekutivische Züge. In der Innen- und Justizpolitik macht es sich durch effektivitätsorientierte Forderungen nach der Vermehrung und Verschärfung von Grundrechtseingriffen bemerkbar (z.B. Fluggastdatenübermittlung, Vertrag von Prüm). Im Recht auf informationelle Selbstbestimmung, so Hassemer abschließend, „fließen zwei Ströme zusammen, die aus der politischen Philosophie der europäischen Aufklärung stammen: die philosophische Begründung bürgerlicher Freiheit und der pragmatische Sinn für die Entwicklungen der Moderne. … Für deren Schutz streitet das Freiheitspathos, das die hohe Rechtskultur begründet hat, von der wir alle in denjenigen Regionen der Welt zehren, in denen die Traditionen der Aufklärung noch lebendig sind. Der Datenschutz ist nichts anderes als diese Freiheit, gespiegelt an den Bedingungen der modernen Informationsgesellschaft. Sollten Tage kommen, da Europa sich nicht nur über Risikobeherrschung und Problemkontrolle definiert, sondern seine Traditionen der politischen Philosophie wiederentdeckt, so wird auch der Datenschutz Flügel bekommen.“
In der FAZ schrieb Hassemer im Juli 2007 als Bundesverfassungsrichter über die Zukunft des Datenschutzes. Staat und Gesellschaft seien sich einig, im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit die Sicherheit vorzuziehen. Diese Wahl beherrsche die Innenpolitik. „Kritik am Sicherheitsparadigma richtet sich kaum auf das Ob; sie beschränkt sich zumeist auf ein Wieweit (und bestätigt damit jeweils die Herrschaft dieses Paradigmas).“ Datenschutz brauche dagegen ein Klima der Freiheitslust. Er braucht eine kritische Einstellung gegenüber Kontrolle und „einen Sinn für Scham.“ Die Zukunft des Datenschutzes liegt nicht nur im ständigen Werben für Privatheit und Selbstbestimmung. Erforderlich sind auch Angebote an die Sicherheitspolitik, wie mehr Sicherheit ohne Überwachung erreicht werden kann. „Europa“ hat exekutivische Züge. In der Innen- und Justizpolitik macht es sich durch effektivitätsorientierte Forderungen nach der Vermehrung und Verschärfung von Grundrechtseingriffen bemerkbar (z.B. Fluggastdatenübermittlung, Vertrag von Prüm). Im Recht auf informationelle Selbstbestimmung, so Hassemer abschließend, „fließen zwei Ströme zusammen, die aus der politischen Philosophie der europäischen Aufklärung stammen: die philosophische Begründung bürgerlicher Freiheit und der pragmatische Sinn für die Entwicklungen der Moderne. … Für deren Schutz streitet das Freiheitspathos, das die hohe Rechtskultur begründet hat, von der wir alle in denjenigen Regionen der Welt zehren, in denen die Traditionen der Aufklärung noch lebendig sind. Der Datenschutz ist nichts anderes als diese Freiheit, gespiegelt an den Bedingungen der modernen Informationsgesellschaft. Sollten Tage kommen, da Europa sich nicht nur über Risikobeherrschung und Problemkontrolle definiert, sondern seine Traditionen der politischen Philosophie wiederentdeckt, so wird auch der Datenschutz Flügel bekommen.“


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