White Collar Crime

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Definition

Der Begriff White Collar Crime heißt übersetzt Weiße Kragen Krimninalität und wird Synonym für Wirtschaftskriminalität gebraucht. Weiter werden auch die Begriffe occupational crime und corporate crime verwendet, wobei die Begriffsdifinitionen nicht deckungsgleich sind. Die Abgrezung der Definitionen fällt schwer, da White Collar Crime eher auf die Kriminalität der Oberschicht hindeutet.

Sutherland hat den Begriff White Collar Crime mit seinem Beitrag 1939 als Bezeichnung für "sozialwidriges, auf persönliche Bereicherung angelegtes Verhalten, das von Personen in Stellungen von sozialem Ansehen innerhalb ihres Berufes dadurch praktiziert wird, dass sie unter gleichzeitiger Voraussetzung des gesetzestreuen Verhaltens aller übrigen Menschen das öffentliche Vertrauen hintergehen" bekannt gemacht.

F. E. Hartung (1950) definierte White Collar Crime als eine Verletzung eines wirtschaftsregulierenden Gesetzes, die durch die Angestellten eines Unternehmens bei der Durchführung ihrer Geschäfte verübt wird. Nach M. B. Clinard (1952) spricht ebenfalls von einer Gesetzesverletzung, die von Personen in Verbindung mit ihrer Berufsausübung begangen wird.

In der Literatur lassen sich weitere Definitionen von Wirtschaftskriminalität finden, u. a. von Berg, der Wirtschaftskriminalität als eine Zusammenfassung aller Gesetzesverstöße, bei denen eine wirtschaftliche Betätigung auf Täter und Opferseite vorliegt, erläutert (Berg/2001).

Die Juristen Walter Zirpins und Otto Terstegen haben als Arbeitshypothese zu den Wirtschaftsdelikten diejenigen strafbaren Handlungen gezählt, „wie sie geeignet sind, die wirtschaftliche Ordnung dadurch zu beeinträchtigen, dass sie das für die jeweilige Wirtschaftsordnung grundlegende Vertrauen antasten“ (Zirpins/1963).

Nach der jährlich veröffentliche Kriminalstatistik (Stand 2007) des Bundeskriminalamts ist als „Wirtschaftskriminalität“ die Gesamtheit der in § 74c Abs. 1 Nr. 1-6 GVG aufgeführten Straftaten, jedoch ohne Computerbetrug, zu verstehen. Weiter sind unter Wirtschaftsdelikte diejenigen Delikte zu verstehen, die „im Rahmen tatsächlicher oder vorgetäuschter wirtschaftlicher Betätigung begangen werden und über eine Schädigung von Einzelnen hinaus das Wirtschaftsleben beeinträchtigen oder die Allgemeinheit schädigen können und/oder deren Aufklärung besondere kaufmännische Aufklärung erfordert.“ (BKA/2007)

Historie

In der 34. Tagung der Vereinigung „American Sociological Society“, die in Philadelphia, USA im Jahre 1939 stattfand, trug der damalige Präsident der Vereinigung, Edwin Hardin Sutherland (1883-1950), einen Beitrag über „The White Collar Criminal“ vor (Sutherland/1983). Der Beitrag wurde 1940 in der American Sociological Review veröffentlicht und veränderte das Verständnis der Studien und Theorien de Kriminologie grundlegend (Sutherland/1940). Sutherland trug Beispiele vor und vertrat die Meinung, dass das Verhalten der handelnden Personen, die zur Executive Boards der großen Gesellschaften in den USA gehörten, kriminell sei. White Collar Crime hat Sutherland als „a crime committed by a person of respectability and high social status in the course of his occupation“ beschrieben, also als ein Verbrechen, das von einer geachteten Persönlichkeit von hohem sozialen Status im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit begangen wird (Sutherland/1949). Dabei sollte der Status der Täter nicht Teil der Definition des White Collar-Konzepts sein, sondern die Analyse des Konzepts erleichtern (Croall/1992). Die Definition sollte allerdings Verhalten berücksichtigen, die nicht unmittelbar eine Gesetzesüberschreitung bzw. -verletzung darstellen. Der Missbrauch von Macht stellte für Sutherland ein Verhalten dar, das oberste Priorität zugeordnet werden und einer besonderen Prüfung unterzogen werden sollte (Sutherland/1983). Den Begriff „white collar“ nutze Sutherland in Zusammenhang mit dem Begriff „Criminaloid“ bereits in seinem Textbuch „Criminology“ von 1934 mit dem Verweis auf die Veröffentlichung von Alfred A. Sloan Jr. Mit dem Titel „Adventures of a White Collar Man“(Sutherland/1983).

Bis ca. 1950 wurde die Kriminalität der Oberschicht bzw. des Mittelstands weitgehend von den Soziologen und Kriminologen unberücksichtigt gelassen. Sutherland’s Konzept revolutionierte die kriminologische Sichtweise weltweit. Er definierte die White-collar-Kriminalität als wirkliche Kriminalität, die das Strafrecht verletzt und sich von der Kriminalität der Unterklasse durch die Handhabung des Strafgesetzes unterscheidet. Diese Unterscheidung würde den White-collar-Kriminellen verwaltungsmäßig von anderen Kriminellen trennen (Sutherland/1979).

Seine Veröffentlichung wurde ab 1955 in verschiedene Sprachen übersetzt und erhielt sprachlich bedingte Synonyme wie „crime en clo blanc“ in Frankreich, „criminalitá in colletti bianchi“ oder die „Weiße-Kragen-Kriminalität“ in Deutschland (Sutherland/1983). Wobei der Begriff der Wirtschaftskriminalität sich in der deutschen Sprache durchgesetzt hat.

Begriffskritik

Die Definition des Konzepts von Sutherland wurde von mehreren Autoren kritisch beurteilt, da die Wirtschaftskriminalität aufgrund der vielfältigen Deliktarten nicht nur der oberen Schicht der Gesellschaft zugeordnet werden kann. Eher hat sich wohl die Auffassung durchgesetzt, dass es den typischen Wirtschaftskriminellen nicht gibt (Kohl/1991). Demnach kann eine einheitliche Definition von Wirtschaftskriminalität nicht wiedergegeben werden.

Der Oberbegriff Wirtschaftskriminalität ist eher als Arbeitstitel zu betrachten und soll einschlägige Erscheinungsformen beinhalten und in einem Gesamtzusammenhang die kriminologische Wertung ermöglichen (Zirpins/1963).

Theorien des WCC

Theorie der differentiellen Assoziation

In seinem Aufsatz von 1940 erklärt Sutherland, dass die bis dahin vertretenen kriminologischen Theorien nicht auf die Withe-Collar-Kriminellen zutreffen würden, da sie meist Verbrechen erklären, die auf Armut oder psychopatische und soziopathische Bedingungen, die statistisch mit Armut korrelieren, zurückgeführt werden (Sutherland/1979).

Sutherland bezieht das kriminelle Verhalten in seine Natur auf die Theorie der differentiellen Assoziation bzw. differentiellen Kontakte, die er wie folgt beschreibt (Sutherland/1961):

„criminal behavior is learned in association with those who define such behavior favorably and in isolation from those who define it unfavorably, and that a person in an appropriate situation engages in such criminal behavior if, and only if, the weight of the favorable definitions exceeds the weight of the unfavorable definitions.“

Frei übersetzt heißt es, dass kriminelles Verhalten in Assoziation mit Personen, die ein solches Verhalten als zweckmäßig oder vorteilhaft definieren und in Isolation von Personen, die ein solches Verhalten als unzweckmäßig oder unvorteilhaft definieren, erlernt wird, und dass eine Person in einer geeigneten Situation das Verhalten annimmt, wenn, und nur wenn, sie das Vorteilhafte bzw. Zweckmäßige stärker gewichtet als das Unvorteilhafte bzw. das Unzweckmäßige. Diese Theorie führt kriminelles Verhalten einerseits auf Faktoren zurück, die durch ein Zusammenspiel von Personen und Situationen bedingt sind. Andererseits geht wird das kriminelle Verhalten auf die persönlichen Lebensumstände des Kriminellen zurückgeführt. Die Theorie setzt voraus, dass eine Situation vorliegt, sie vom Handelnden als günstig eingeschätzt wird und erklärt das kriminelles Verhalten als gelerntes Verhalten in Interaktion mit anderen Personen in einem Kommunikationsprozess, hauptsächlich in intimen persönlich Gruppen. Es schließt das Erlernen einer spezifischen Richtung von Motiven, Trieben, Rationalisierung und Attitüden sowie von Techniken, die zur Ausführung eines Verbrechens notwendig sind, ein. Weiter geht die Theorie davon aus, dass die differentiellen Assoziationen oder Kontakte nach Häufigkeit, Dauer, Priorität und Intensität variieren (Sutherland/1974).

Kunz kritisiert die Theorie der differentiellen Kontakte wegen der nicht hinreichenden Erklärungsformel, die sich nicht auf alle Kriminalitätsformen, wie z. B. auf Triebtaten anwenden lässt. Weiter bietet die Theorie wenig Transparenz bzgl. der Herkunft der Kontakte (Kunz/2001).

Kunz kritisiert auch, dass die Theorie nicht die Personen mit kriminellen Kontakten berücksichtigt, die selbst nicht kriminell werden. Sieht man sich aber den letzten Abschnitt des o. g. Zitats aus der Veröffentlichung von Sutherland genauer an, dann meint Sutherland, dass der Handelnde frei über die Gewichtung der Zweckmäßigkeit seines Verhaltens entscheiden kann. Damit kann er sich auch gegen das kriminelle Verhalten entscheiden, das er in Assoziation mit anderen Personen erlernt hat. Er imitiert nicht, sondern entscheidet.

Theorie der sozialen Desorganisation

Weiter beschreibt Sutherland neben dem Prozess der differentiellen Kontakte auch die soziale Desorganisation als Ursache für Verbrechen. Demnach kulminieren die differentiellen Kontakte in Verbrechen, wenn die Gesellschaft nicht gegen diese organisiert ist (Sutherland/1979).

Anomietheorie nach Merton

Die von Merton im Jahr 1938 weiterentwickelte Anomietheorie begründet kriminelles Verhalten als Reaktion auf den Druck der Gesellschaft auf das Individuum. Es gibt fünf Typen der Reaktion der Individuen auf den Zustand der Anomie. Ein Reaktionstyp ist die Innovation oder auch Neuerung. Diese Reaktion impliziert, dass die Anwendung institutionell nicht erlaubter aber wirksamer Mittel, die zumindest das Erlangen der Erfolgsziele wie Wohlstand und Macht garantieren, wenn das Individuum die kulturelle Betonung des Zieles akzeptiert hat.

Merton bezeichnete White-Collar-Crime als eine Art der Innovation.

Ursachen, Täter und Tätergruppen

Der White-Collar-Verbrecher findet nach Sutherland Unterstützung für sein Verhalten in Gruppennormen, was die Theorie widerlegt, dass Gesetzesübertretung in der Natur des Menschen begründet ist. Die Gruppe des White-Collar-Verbrechers ist nach Sutherland von hoher sozialer Bedeutung mit beachtlicher ökonomischer und politischer Macht außerhalb des Bereichs krimineller Aktivität und hat eine komplizierte weithin anerkannte ideologische Rationalisierung für die Normübertretungen seines Mitglieds (Aubert/1979).

Gruppen und Individuen als Teil der Gruppe sind mehr an die Gruppen- und Einzelinteressen als an das Allgemeinwohl interessiert. Der Geschäftsmann besticht, weil er nach den Spielregeln der Wirtschaft spielen muss, was aber in Konflikt mit dem Gesetz steht. Der Gesellschaft ist es demnach nicht möglich, stark genug gegen diese Verbrechen vorzugehen (Sutherland/1979).

Zirpins und Terstegen beschreiben in ihrem Werk zwei verschiedene Tätergruppen, die sie aufgrund ihrer Situation unterscheiden, wobei sie den Begriff „Ursache“ als einen naturwissenschaftlichen und im Zusammenhang mit Wirtschaftsdelikten deplazierten Begriff sehen (Zirpin, Terstgen/1963):

  • Die Täter der erste Gruppe befinden sich in eine schlechten wirtschaftlichen Lage oder möchten nicht dort hineingeraten. Sie befinden sich in eine wirtschaftliche Zwangslage, die selbst- oder fremdgesetzt sein kann.
  • Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um Täter, sie wohlsituiert sind und sich in ihrer wirtschaftlichen Lage verbessern möchten. Das Handeln dieser Täter wird somit durch Gier und Habsucht bestimmt.

Hell- und Dunkelfeld

Die PKS erfasst nur die tatsächlich zur Anzeige gebrachten Straftaten. In der PKS 2007 wird ein Rückgang der Wirtschaftskriminalität im Vergleich zum Vorjahr festgestellt. Nur 4,9% aller Betrugsfälle waren in 2007 der Wirtschaftskriminalität zuzuordnen. In 2006 waren es 5,3%. Die Wirtschaftskriminalität im Analge- und Finanzierungsbereich ist um ca. 56% gesunken. Es heisst weiter : "Bei der Wirtschaftskriminalität ist von einem großen Dunkelfeld auszugehen. In diesen Zahlen fehlen zudem die Wirtschaftsstraftaten, die von Schwerpunktstaatsanwaltschaften oder von den Finanzbehörden unmittelbar ohne Beteiligung der Polizei verfolgt wurden. Außerdem ist die Erfassung in der PKS über eine Sonderkennung fehleranfällig." (PKS 2007)

Die nicht zur Anzeige gebrachten Fälle werden häufig von Privatermittlern (u. a. Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften, Rechtsanwaltkanzleien und Wirtschaftsdedekteien) untersucht. Einige große Wirtschaftsprüfungsgesellschaften veröffentlichen fast jährlich Umfrageergebnisse zur Wirtschaftskriminalität. Nach der "Studie zur Wirtschaftskriminalität 2007" der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers ist jedes zweite Unternehmen in Deutschland betroffen. Die Zahl der aufgedeckten Delikte sind im Vergleich zu 2003 und 2004 gestiegen. Es heisst: "Insgesamt berichten größere Unternehmen deutlich häufiger über kriminelle Handlungen." (PWC/2007)

Literatur

  • Aubert, V.: „White-collar Kriminalität und Sozialstruktur“ (1952), in Hg. Sack, F., König, R.: Kriminalsoziologie, 3 . Aufl., Akademische Verlagsgesellschaft, Wiesbaden, 1979, S. 206
  • Berg, A.: „Wirtschaftskriminalität in Deutschland. Ursachen und Bekämpfung von Korruption und Untreue.“ Der Andere Verlag, Osnabrück, 2001, S. 22
  • Clinard, Marshall B.: "Black Market-A Study of White Collar Crime", Reprint of the 1952 Edition, USA, 1969
  • Croall, Hazel: „White Collar Crime“, Open University Press, Buckingham, 1992
  • Hartung, Frank E.: "White-Collar Offenses in the Wholesale Meat Industry in Detroit", in: American Journal of Sociology, Volume 56 Number 1 (July 1950), S. 25
  • Kohl, M.: „Wirtschaftskriminalität: Wirtschaftsdelikte im Rechnungswesen der Unternehmung und ihre Bekämpfung“, Diss., Universität Mannheim, 1991, S. 25
  • Kunz, Karl-Ludwig: „Kriminologie“, 3. Aufl., Verlag Paul Haupt, Bern, 2001, S. 147-148
  • Sutherland, E. H.: “White Collar Crime”, The uncut version with an introduction by Gilbert Geis and Colin Goff. 1983 by Yale University, USA, S. ix, xix, xii, xviii
  • Sutherland, E. H.: “White-collar Criminality”, American Sociological Review, 5, 1940, S. 1-12
  • Sutherland, E. H.: “White Collar Crime”, New York, Holt, Reinhart & Wilston, 1949
  • Sutherland, E. H.: “White-collar Criminality“ (1940) übersetzt von Dr. Karl-D. Opp, in Hg. Sack, F., König, R.: Kriminalsoziologie, 3 . Aufl., Akademische Verlagsgesellschaft, Wiesbaden, 1979, S. 199-200
  • Sutherland, E. H.: “White collar crime”, Forewarded by Donald R. Cressey, Holt, Reinhard, Winston, New York, 1961, S. 234
  • Sutherland, E.: “Theorie der differentiellen Kontakte”, in (Hg.) Sack, F.; König, R.: Kriminalsoziologie, Frankfurt a. M., 1974, S. 395-399
  • Zirpins, W.; Terstegen, O.: „Wirtschaftskriminalität. Erscheinungsformen und ihre Bekämpfung“, Verlag Max Schmidt-Römhild, Lübeck, 1963, S. 18 f., 20, 45